Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Siebenunddreißigstes Kapitel

Während der folgenden Woche traten fortwährend Schwankungen in der Krankheit Bukackis ein. Etwas Sicheres konnten die Aerzte nicht voraussagen, doch glaubten sie nicht, daß eine Reise Gefahr bringen werde.

Swirski und Waskowski wollten den Patienten in die Heimat geleiten, denn er bekam immer größere Sehnsucht, und es verging kein Tag, an dem er nicht von Frau Emilie sprach. Doch am Tage vor der Abreise verlor er die Sprache.

Polaniecki blutete das Herz, als er in seine Augen schaute, in denen sich bald eine schreckliche Unruhe, bald etwas, wie eine stumme Bitte ausdrückte. Einen Versuch, zu schreiben, mußte er aufgeben. Gegen Abend kam eine Gehirnlähmung hinzu, die den Tod herbeiführte. Er ward einstweilen auf dem Campo Santo beerdigt. Polaniecki war aber fest überzeugt, daß seine Blicke die Bitte ausgedrückt hatten, ihn in die Heimat zu bringen, und Swirski teilte diese Annahme.

Wie eine Seifenblase, die in Regenbogenfarben schillert, aber leer ist und keinen Bestand hat, verschwand er von der Erde.

Polaniecki war tief erschüttert über seinen Tod, in Gedanken beschäftigte er sich noch lange mit dem wunderlichen Freunde. Mit Marynia sprach er indessen nicht darüber. Denn bis jetzt war es ihm noch nicht zur Gewohnheit geworden, ihr das mitzuteilen, was ihn innerlich beschäftigte. Und wie dies häufig bei Menschen geschieht, die viel über Verstorbene nachdenken, zog er schließlich zu eigenem Nutzen manche Schlußfolgerungen aus seinen Betrachtungen.

»Bukacki,« sagte er sich, »hat es nie verstanden, seinen Verstand richtig zu gebrauchen; ihm fehlte der gehörige Sinn fürs Leben, er konnte sich nicht darin zurechtfinden, und seine Phantasie behielt stets die Oberhand. Ich meinesteils bin wenigstens nie in einer Täuschung befangen gewesen, denn ich habe mir über alles klare Rechenschaft abgelegt. Ich bin völlig im reinen mit Gott und den Menschen.«

Darin lag manches Wahre, aber auch manches Falsche, denn Polaniecki war nicht im klaren über seine Beziehungen zu seiner eigenen Frau. Hegte er doch die feste Ueberzeugung, daß er alle Pflichten, die er ihr gegenüber übernommen, erfüllt habe, wenn er ihr Schutz und Unterhalt gewähre. Es zeigte sich auch immer deutlicher, daß er ihr eine Ehre anzuthun glaubte, wenn er sie liebte und ihre Liebe annahm. Und obwohl er schon häufig die Erfahrung gemacht hatte, daß die edle That eines tüchtigen Menschen meist nur geringe Anerkennung findet, ja, daß die Leute mit einer gewissen Geringschätzung sagen: ›Ach, daß Herr X. dies gethan, ist ja ganz natürlich,‹ während sie es über Gebühr schätzen, wenn ein Lump einmal rechtschaffen handelt; obwohl er schon hundertmal gesehen hatte, daß ein von einem Geizhals gegebener Groschen mehr Eindruck macht, als ein von einem freigebigen Menschen geschenktes Goldstück, war er sich doch nicht klar darüber, daß er Marynia gegenüber denselben Maßstab der Beurteilung anlegte. Ihr ganzes Sein und Wesen hatte sie ihm zu eigen gegeben, aber das ist ja natürlich! dachte er. Wenn er ihre Liebe nicht so mühelos errungen, wenn Marynia, im Bewußtsein ihrer Vorzüge, dieselben auch geltend gemacht und unbedingte Verehrung verlangt hätte, – so wäre ihr diese Verehrung zuteil geworden. Marynia gab ihrem Gatten ihre schrankenlose Liebe wie etwas, auf das er vollen Anspruch habe, und wie sein Recht nahm er diese Liebe hin. Sie betrachtete seine Liebe als ein Glück – und gnädig gewährte er ihr dies Glück – sich selbst betrachtete er dabei als einen Gott, der huldvoll auf sie herabsah und ihr Herz mit seinen Strahlen erwärmte. Ihm mangelte die Ehrfurcht, die bei aller Zärtlichkeit doch die Kniee vor der Geliebten beugt.

Aber beide waren sich noch nicht klar darüber geworden.

»Ich frage nicht, ob Du glücklich bist,« sagte Bigiel zu Polaniecki, nach dessen Rückkehr nach Warschau. »Mit einer Frau wie Marynia muß man glücklich sein.«

»Du hast recht,« erwiderte Polaniecki, »Marynia ist das beste Weib, das man sich nur denken kann. Wir sind beide sehr vergnügt. Erinnern Sie sich unserer Gespräche über Ehe und Liebe?« wandte er sich dann plötzlich an Frau Bigiel. »Erinnern Sie sich, liebe Frau Bigiel, wie ich mich fürchtete, ein Weib zu bekommen, das sich einbildet, mir alles auf der Welt ersetzen zu können, das glaubt, daß nicht nur meine Gefühle, sondern auch alle meine Gedanken ihm gehören? Erinnern Sie sich, wie ich Sie und Frau Emilie zu überzeugen suchte, daß die Liebe zu einer Frau den Mann nicht vollständig ausfüllen dürfe, daß es für ihn auch noch andere Interessen geben müsse?«

»Ja, aber ich erinnere mich auch an das, was ich Ihnen erwiderte, wie ich Ihnen bewies, daß mich die Liebe zu meinen Kindern noch niemals in meinen häuslichen Geschäften gestört hat. Sie sprachen von Gefühlen, wie von Schachteln, von denen nur eine gewisse Anzahl auf einen Tisch gehen.«

»Meine Frau hat recht,« sagte Bigiel; »meiner Ansicht nach ist es falsch, Gefühle und Ideen mit realen Dingen vergleichen zu wollen.«

Polaniecki blickte ihn lächelnd an und sagte lustig: »Sei Du still, Du besiegtes Land!«

»Was thut's, besiegt zu sein, wenn der Besiegte sich sehr wohl dabei fühlt!« wandte Bigiel ein. »Frohlocke übrigens nicht zu früh, Du wirst bald das gleiche Schicksal mit mir teilen.«

»Ich?«

»Ja Du! der Macht der Liebe kannst Du keinen Widerpart leisten.«

»Man kann eine innige Liebe empfinden, ohne deshalb ein Pantoffelheld sein zu müssen. Ich gestehe Euch offen, daß ich nicht genug Worte des Lobes für Marynia finden kann. Mit ihr habe ich das große Los gezogen, und eben darum liebe ich sie um so mehr, weil sie sich mit dem Gefühle begnügt, welches ich für sie hege, weil sie nicht mein Abgott sein will. Gott hat mich vor einem Weibe bewahrt, das glaubt, den Gemahl völlig in Anspruch nehmen zu müssen, und keine weiteren Interessen bei ihm aufkommen lassen will. Eine solche Frau hätte ich nicht ertragen. Aus freiem Willen, wenn nichts verlangt wird, läßt sich alles viel leichter thun.«

»Glauben Sie mir, Herr Stanislaus,« ergriff nun Frau Bigiel das Wort, »daß wir Frauen in dieser Beziehung, alle ohne Ausnahme, gleich viel verlangen, nur begnügen wir uns anfänglich mit dem Wenigen, das man uns giebt, und später . . .«

»Und später?« unterbrach Polaniecki sie spöttisch.

»Später kommen die Frauen, die wahre Herzensgüte besitzen, zu etwas, das für Euch Männer ein Wort ohne Bedeutung ist, das aber für uns oftmals zur Lebensbedingung wird.«

»Und was ist das für ein Talisman?«

»Resignation.«

Polaniecki lachte laut und meinte: »Bukacki pflegte zu behaupten, die Frauen schmückten sich mit Resignation, wie sie sich mit einem Hut schmücken, der ihnen gut steht.«

»Wohl möglich. Vielleicht ist das auch nur eine Bekleidung, aber in einer solchen Bekleidung kommt man jedenfalls leichter in den Himmel als in einer andern.«

»Dann ist meine Marynia für die Hölle bestimmt, denn ich hoffe, daß sie niemals ihre Zuflucht dazu nehmen muß. Uebrigens wird sie gleich hier sein. Sie versprach mir, nach den Bureaustunden mit mir bei Ihnen zusammenzutreffen. Sie scheint sich indessen verspätet zu haben, die Saumselige, sonst müßte sie schon hier sein.«

»Wahrscheinlich läßt ihr Vater sie nicht fort. Aber Ihr bleibt doch zu Tisch bei uns?«

»Sehr gern!«

»Wir haben noch einen Gast. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, ich will nur Ordre für zwei weitere Gedecke geben,« sagte Frau Bigiel aus dem Zimmer eilend.

»Wen habt Ihr denn zum Essen?« fragte Polaniecki Herrn Bigiel.

»Zawilowski, den neuen Korrespondenten unseres Hauses.«

»Was für ein Zawilowski ist denn das?«

»Der bekannte Dichter. Vom Parnaß ins Kontor! Wie soll denn das gutthun? Ich erinnere mich nicht mehr, wer einmal die Behauptung aufgestellt hat, daß in unserer Zeit die Genies auf Hungerkost gesetzt seien! Wie ich höre, soll Zawilowski ein sehr fähiger Mensch sein, aber mit Versemachen kann man sich sein Brot nicht verdienen. Da Ciskowski eine Stelle in einer Versicherungsgesellschaft angenommen hat, wurde dessen Platz frei, und Zawilowski bewarb sich darum. Anfänglich konnte ich mich nicht recht zu einer Zusage entschließen, aber als er mir erklärte, es handle sich für ihn um eine Lebensfrage, um die Möglichkeit, seinen dichterischen Arbeiten weiter obliegen zu können, da besann ich mich nicht länger. Zudem gefiel er mir sehr gut durch seine Offenheit, denn er teilte mir sofort mit, daß er zwar in drei fremden Sprachen korrespondieren, aber keine gut sprechen könne, und daß er von der Handelskorrespondenz keine Ahnung habe.«

»Ach, das ist eine Kleinigkeit,« meinte Polaniecki, »das hat er binnen einer Woche gelernt. Ob er aber einer solchen Beschäftigung nicht bald überdrüssig sein wird, das ist eine andere Frage.«

»Dann trennen wir uns eben wieder friedlich voneinander. In drei Tagen soll er eintreten. Inzwischen habe ich ihm seinen Gehalt für drei Monate vorausbezahlt, da er es sehr nötig zu haben schien.«

»War er denn ganz mittellos?«

»Ohne Zweifel. Ich fragte ihn, ob er nicht mit dem alten Zawilowski verwandt sei – Du kennst ihn gewiß, ich meine den mit der Tochter, der so reich ist – und erhielt eine verneinende Antwort. Da er aber sehr rot dabei wurde, so glaube ich, daß hier ein Mißverhältnis herrscht, wie es bei uns so häufig vorkommt. Die einen bekennen sich nicht zu ihren Verwandten, weil sie ihnen zu arm sind, die andern verleugnen die Verwandten, weil diese reich sind. Lauter Hirngespinste – ewig der verfluchte Stolz. Du wirst übrigens sicherlich Gefallen an ihm finden. Meiner Frau gefiel er sehr.«

»Wer gefiel Deiner Frau?« fragte Frau Bigiel, die wieder eintrat.

»Zawilowski!«

»Ich habe gerade dessen schönes Gedicht: ›Auf der Schwelle‹ gelesen. Er sieht übrigens aus, als ob er etwas vor der Welt verbergen wolle.«

»Er will seine Armut nicht zur Schau tragen, oder vielmehr die Armut hat ihn in Verborgenheit gehalten.«

»O nein, er sieht vielmehr aus, als ob er eine schwere Enttäuschung erlebt habe.«

»Na, da seht einmal die romantisch angehauchte Seele! Sie erklärte mir schon einmal, daß er viel gelitten haben müsse, und war sehr gekränkt, als ich die Vermutung aussprach, er habe wohl als Kind mit einem Gesichtsausschlag zu thun gehabt. Solche Leiden sind ihr zu unpoetisch.«

Polaniecki achtete nicht mehr recht darauf, was um ihn her gesprochen wurde, er schaute ungeduldig auf die Uhr und sagte ärgerlich: »Marynia läßt lange auf sich warten!«

Doch in demselben Augenblicke kam oder fuhr vielmehr die Saumselige an. Die Begrüßung war keine allzu stürmische, da Marynia und Frau Bigiel sich schon auf der Bahn gesehen hatten. Polaniecki teilte seiner Frau mit, daß sie zu Tisch bleiben wollten, womit sich diese sofort einverstanden erklärte.

Zawilowski ließ nicht lange auf sich warten. Bigiel stellte ihn unverzüglich dem Kompagnon vor. Der junge, etwas nervös aussehende Dichter konnte höchstens sieben- oder achtundzwanzig Jahre zählen. Durch sein stark hervortretendes Kinn erinnerte er an Wagner; seine grauen Augen schauten sinnend in die Welt, und auf seiner mächtig entwickelten, weißen Stirn bildeten merkwürdigerweise die Adern deutlich den Buchstaben I. Er war ziemlich groß und recht ungeschickt in seinen Bewegungen.

»Ich hörte,« sagte Polaniecki zu ihm, »daß Sie in drei Tagen als Mitarbeiter bei uns eintreten!«

»Das heißt, Herr Prinzipal,« erwiderte der junge Mann, »ich werde Bediensteter in Ihrem Comptoir werden.«

Polaniecki lachte.

»Lassen Sie mich doch mit dem ›Herrn Prinzipal‹ in Frieden,« rief er. »Doch vielleicht legt meine Frau Gewicht auf diesen Titel und gefällt sich in dieser neuen Würde. Marynia,« wandte er sich an diese, »möchtest Du gern ›Frau Prinzipalin‹ genannt werden?«

Zawilowski geriet in große Verlegenheit, fing jedoch gleichfalls zu lachen an, als Frau Polaniecki erwiderte: »Nein, denn eine Frau Prinzipalin muß meiner Ansicht nach eine solch riesige Haube tragen (hier gab sie mit den Händen die Größe an), und ich kann Hauben nicht leiden.«

Zawilowski fühlte sich inmitten dieser fröhlichen, gemütlichen Menschen immer behaglicher, er wurde jedoch aufs neue verlegen, als Marynia zu ihm sagte: »Für mich sind Sie eigentlich ein alter Bekannter. Da wir aber erst unlängst zurückgekommen sind, habe ich mich noch nicht erkundigt, ob wieder etwas Neues von Ihnen erschienen ist. Haben Sie etwas veröffentlicht?«

»Nein, gnädige Frau. Mir geht es mit der Poesie, wie Herrn Bigiel mit der Musik. Ich dichte nur in meinen Mußestunden und zu meinem eigenen Vergnügen.«

»Das bezweifle ich,« erklärte Frau Polaniecki.

Und sie hatte recht. Zawilowski glaubte zeigen zu müssen, wie sehr er sich als Korrespondent der Firma fühle und nur als Angestellter und nicht als Dichter behandelt sein wolle. Ein weiterer Punkt aber kam dabei auch noch in Betracht. Trotz seiner Jugend besaß er doch ein feines Auge für die lächerlichen Posen, in denen sich einige junge Leute gefielen, weil sie sich ein- oder zweimal schriftstellerisch versucht hatten und sich infolgedessen für große Genies hielten. Nichts fürchtete er mehr, als sich lächerlich zu machen – und so verfiel er in das andere Extrem und schämte sich fast seiner Dichtungen. Bei der leisesten Andeutung auf sein dichterisches Talent geriet er in die zornigste Erregung.

Nachdem das Dienstmädchen gemeldet hatte, daß serviert sei, setzten sich die Bigiels mit ihren Gästen zu Tisch. Die Unterhaltung wurde sehr lebhaft geführt. Polaniecki und Marynia erzählten von Italien, von den Menschen, mit denen sie dort zusammengetroffen waren, vornehmlich aber von Bukacki, von dessen letzten Stunden und von dessen Testament, über das, so erklärte Polaniecki, er noch mit Bigiel sprechen wolle. Im Laufe der Unterhaltung wurden alle Erinnerungen an Bukacki wieder aufgefrischt, und Zawilowski bekundete anfänglich ein großes Interesse für all das, was er über den Verstorbenen hörte, schließlich aber meinte er nachdenklich: »Und doch weiter nichts als eine Kopie.« Dieser Nekrolog hätte Bukacki sicherlich geschmerzt, wenn er ihn gehört hätte, obwohl er selbst über alles gespottet hatte.

Um dem Gespräche eine andere Wendung zu geben, schilderte nun Marynia die Ausflüge, die sie in die Umgegend von Rom teils allein, teils in Gesellschaft Swirskis oder der Osnowskis unternommen hatten, und Bigiel, der ein Schulkamerad des Herrn Osnowski gewesen und jetzt noch von Zeit zu Zeit mit ihm zusammentraf, bemerkte: »Dieser Osnowski wird durch zwei hervorstechende Züge gekennzeichnet, durch die Liebe zu seiner Frau und durch den Kummer über seine Korpulenz oder vielmehr seine Anlage dazu. Sonst ist er der beste Mensch in der Welt.«

»Er ist aber ja ganz mager,« warf Marynia ein.

»Vor zwei Jahren hat sich bei ihm plötzlich die Anlage zum Dickwerden gezeigt. Sofort fing er an, Veloziped zu fahren, zu fechten, die Bandingkur zu gebrauchen, Karlsbader Wasser zu trinken, und so ist's ihm gelungen, wieder mager zu werden. Seine Frau ist es, die dicke Leute nicht leiden mag, und deshalb will er absolut mager bleiben. Ganz aus demselben Grunde tanzte er auch ganze Nächte hindurch auf allen möglichen Bällen.«

»Ich begreife es sehr gut,« ergriff Bigiel wieder das Wort, »wenn man seine Frau über alles liebt. Allein ich hörte wahrhaftig Wunderdinge über ihn. Er macht nicht nur Gedichte an sie, sondern er versucht auch aus dem Inhalte eines Verses, den er mit geschlossenen Augen in irgend einem Buche zu bezeichnen pflegt, ergründen zu können, ob sie ihn liebt. Fällt seiner Meinung nach das Zeichen schlecht aus, so wird er ganz melancholisch. Er zählt die Blicke, die sie ihm zuteil werden läßt, küßt nicht nur ihre Hände, sondern sobald er sich unbewacht wähnt, ihre Handschuhe . . . So geht es schon Jahre hindurch.«

»Ach wie reizend!« rief Marynia.

»Möchtest Du, daß ich so wäre?« fragte Polaniecki.

Sie überlegte einen Augenblick, hierauf sagte sie: »Nein, denn dann wärest Du anders, als Du bist.«

»Der Ausspruch eines Macchiavellis!« rief Bigiel. »Eine solche Antwort sollte man aufschreiben. Sie enthält gleichzeitig Lob und Tadel, denn sie bekennt, daß es so, wie es ist, ganz gut ist, daß es aber auch noch etwas Besseres geben kann. Nimm Dir das zu Herzen, Mensch.«

»Ich fasse diese Antwort als Lob auf,« sagte Polaniecki, »trotzdem Sie, gnädige Frau, (hier wandte er sich an Frau Bigiel) dies als Resignation bezeichnen werden.«

Zawilowski beobachtete Marynia voll Interesse. Sie machte einen durchaus sympathischen Eindruck auf ihn, und ihre Antwort gab ihm zu denken, denn seiner Ansicht nach konnte nur eine sehr verliebte Frau so sprechen, die in dem ihr entgegengebrachten Gefühle kein Genüge fand. Das Glück Polanieckis erfüllte ihn gewissermaßen mit Neid. Er hätte sehr gern an dem Gespräche teilgenommen, allein, er war einesteils zu befangen dazu, andernteils litt er auch an sporadisch wiederkehrenden Zahnschmerzen. Schließlich nahm er aber doch seinen Mut zusammen und fragte:

»Und Frau Osnowski?«

»Frau Osnowski,« erwiderte Polaniecki, »hat einen Mann, der sie vergöttert; sie braucht sich daher nicht mehr um ihn zu bekümmern – das behauptet wenigstens Swirski. Dabei zeichnet sie sich durch ihre chinesischen Augen aus, hört auf den Namen Aneta, hat alle oberen Zähne plombiert, was sofort sichtbar wird, wenn sie lacht; selbstverständlich zieht sie es daher vor, nur zu lächeln.«

»Ein böser Mann,« sagte Marynia. »Sie ist schön, lebhaft, geistreich. Herr Swirski kann gar nicht darüber urteilen, wie groß ihre Liebe zu ihrem Mann ist, denn er hat sicherlich noch niemals mit ihr darüber gesprochen. Das sind ja alles nur Vermutungen.«

Während Polaniecki bei sich dachte, daß dies nichts weniger als Vermutungen seien, und welch gute, naive Frau er habe, bemerkte Zawilowski:

»Ich möchte wissen, wie das wäre, wenn sie in ihn ebenso verliebt sein würde, wie er in sie!«

»Beide wären dann so von einander erfüllt, daß sie für nichts anderes Augen hätten,« erklärte Polaniecki. »Es würde somit ein Egoismus zu Tage treten, wie ihn die Welt noch nie gesehen hat.«

»Das Licht schließt die Wärme nicht aus, es bildet sie,« wandte Zawilowski lächelnd ein.

»Genau genommen, ist dieser Vergleich wohl poetisch, aber nicht zutreffend,« meinte Polaniecki.

Die beiden Damen aber, denen die Antwort Zawilowskis ausnehmend gefiel, stellten sich auf dessen Seite, und als sich ihnen auch noch Bigiel anschloß, wurde Polaniecki durch Stimmenmehrheit besiegt.

Das Gespräch kam nun auf das Maszkosche Ehepaar. Bigiel erzählte unter anderm, daß der rührige Advokat thatsächlich von mehreren, freilich sehr entfernt verwandten Erben des Fräuleins Ploszowski als Vertreter aufgestellt worden sei, um die Ungültigkeitserklärung des Testamentes zu erwirken. Es müßten sich irgend welche Formfehler in dem Testamente herausgestellt haben, und Maszko würde, falls er die Sache gewinne, mit einem Schlage in die glänzendsten Verhältnisse kommen, da er sich für diesen Fall ein kolossales Honorar ausbedungen habe.

»Maszko ist doch wie eine Katze,« bemerkte Polaniecki, »er fällt immer wieder auf die Füße.«

»Dieses Mal,« entgegnete Bigiel, »solltest Du Gott bitten, daß sich Maszko nicht das Genick bricht. Es handelt sich für Euch und für Herrn Plawicki um keine kleine Summe. Ploszow allein ist mit seinen Vorwerken auf siebenmal hunderttausend Rubel geschätzt worden. Außerdem ist noch sehr viel bares Geld vorhanden.«

»Wenn wir etwas erbten, so wäre dies ein höchst unerwarteter Glücksfall,« erklärte Polaniecki.

Marynia fühlte sich von dem Gehörten sehr unangenehm berührt. Ihr Stach war ja ein wohlhabender Mann, und ihrer Meinung nach hing es nur von ihm ab, sich mit der Zeit Millionen zu erwerben; ihr Vater konnte nicht nur über die ihm ausgesetzte Rente verfügen, sondern sie hatte ihm auch noch lebenslänglich die Einnahmen überlassen, die ihr durch Magierow zuflossen.

Voll Eifer sagte sie daher:

»Diese Geschichte ist mir recht unangenehm. Das Geld ist für gemeinnützige Zwecke bestimmt, und ich halte es für eben so unrichtig, gegen den Willen der Verstorbenen zu handeln, wie den Armen und den öffentlichen Anstalten die Vermächtnisse streitig zu machen. Der Neffe von Fräulein Ploszowski hat sich erschossen, möglich, daß sie bei der Abfassung des Testamentes an die Rettung seiner Seele gedacht hat und nichts unversucht lassen wollte, damit er der göttlichen Gnade teilhaftig werde. Das Umstoßen des Testamentes ist mir ebenso unsympathisch, wie das ganze Empfinden, die ganze Denkungsweise.«

»Ei, ei, wie resolut!« rief Polaniecki in etwas ironischem Tone.

»Stach,« entgegnete sie, »stelle Dich doch auf meine Seite, sage doch, daß ich recht habe.«

»Ohne Zweifel!« erklärte Polaniecki. »Wie ist es aber, wenn Maszko gewinnt?«

»Ich wollte, er würde verlieren!« beteuerte Marynia.

»Ei, ei, wie resolut!« wiederholte Polaniecki.

»Welch gute, edle Natur!« dachte Zawilowski, während seine Augen mit unverhohlener Bewunderung auf Marynia ruhten.

Nach dem Essen zogen sich Bigiel und Polaniecki in das Arbeitszimmer zurück, um zu rauchen, schwarzen Kaffee zu trinken und sich darüber zu besprechen, in welcher Weise die Hinterlassenschaft Bukackis verwendet werden solle. Zawilowski, der nicht rauchte, blieb bei den Damen im Salon. Marynia fühlte sich als Frau Prinzipalin verpflichtet, es dem zukünftigen Beamten der Firma so behaglich wie möglich zu machen, sie näherte sich ihm daher und sagte:

»Ich und Frau Bigiel, wir beide möchten haben, daß wir uns alle als eine große Familie betrachten, ich hoffe daher, daß Sie recht bald auch uns zu Ihren guten Freunden zählen.«

»Mit dem größten Vergnügen,« erwiderte Zawilowski. »Ich hätte jedenfalls um die Ehre gebeten, Sie besuchen zu dürfen.«

»Sämtliche Herren aus dem Geschäfte habe ich erst bei meiner Hochzeit kennen gelernt, nach welcher wir gleich abgereist sind. Jetzt wollen wir uns aber näher zu treten suchen. Mein Mann meint, wir sollten eine Woche bei Bigiels, die andre Woche bei uns zusammenkommen. Ich finde diesen Plan sehr gut. Nur eins möchte ich betonen.«

»Was?« fragte Frau Bigiel.

»Daß es nicht erlaubt ist, bei diesen Zusammenkünften von Geschäften zu sprechen. Wir wollen ein wenig musizieren, Herr Bigiel spielt sehr gut Cello, und dann können wir auch zuweilen etwas lesen, z. B. ›Auf der Schwelle‹.«

»Aber ja nicht in meiner Gegenwart,« wandte Zawilowski mit gezwungenem Lächeln ein.

»Warum denn nicht?« meinte Frau Polaniecki in ihrer einfachen, schlichten Weise. »In einem Kreise befreundeter Menschen können Sie doch Ihre Dichtung lesen. Glauben Sie mir, wir haben schon, ehe wir Sie kannten, häufig von Ihnen gesprochen.«

Zawilowski fühlte sich vollständig entwaffnet. Die ihn quälende Angst, er könne sich lächerlich machen, schwand mehr und mehr. Die Persönlichkeit Marynias übte eine wahrhaft befreiende Wirkung auf ihn aus. Alles, was sie sprach, war so einfach, so schlicht. Dabei entzückte ihn ihre Erscheinung eben so sehr, wie sie seinerzeit Swirski in Venedig entzückt hatte, und da er gewohnt war, alle seine Gefühle dichterisch zum Ausdruck zu bringen, so erwachte auch jetzt wieder der Poet in ihm.

Wohl um ihm recht klar zu machen, welchen Anteil sie an ihm nehme, bat ihn nun Marynia, ihr doch etwas über seine Familie zu erzählen. Sie versetzte ihn dadurch in große Verlegenheit, denn sein Vater war ein bekannter Spieler, ein Bonvivant gewesen und büßte nun seine Lebensweise im Irrenhause. Glücklicherweise wurde das Gespräch durch das Eintreten Bigiels und Polanieckis unterbrochen, die in ihrer Unterredung ein günstiges Resultat erzielt zu haben schienen.

»Das ist ein ausgezeichneter Gedanke,« bemerkte Polaniecki noch unter der Thüre, »und ich werde die Sache sofort in Erwägung ziehen. Doch jetzt zu etwas anderm. Wie wäre es, wenn Du uns ein wenig Musik machtest?«

Bigiel erklärte sich bereit dazu, holte sein Cello herbei und sich auf das Instrument stützend, sagte er:

»Seltsam, so oft ich spiele, glauben alle Zuhörer, ich habe nichts anders im Kopfe, als das Musikstück, das ich gerade vortrage, und doch ist dies durchaus nicht der Fall. Ein gewisses Teilchen des Gehirnes denkt dann über ganz andre Sachen nach, und was das Merkwürdigste ist, die besten Ideen kommen mir gerade dabei in den Sinn.«

Nach diesen Worten nahm er das Cello zwischen die Knie, drückte die Augen halb zu und spielte das Frühlingslied. Zawilowski aber kehrte noch spät am Abend nach Hause zurück, voll Entzücken über seine Aufnahme, über diese Menschen, über ihre Einfachheit und Ungekünsteltheit, über das Frühlingslied, vor allem aber über Frau Polaniecki.


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