Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel

Aber der folgende Tag war trübe, und Fräulein Plawicki machte sich beim Erwachen heftige Vorwürfe. Ihr kam es vor, als habe sie sich gestern zu sehr gehen lassen und sich Polaniecki gegenüber geradezu als Kokette gezeigt. Ein besonderes Unbehagen ergriff sie hauptsächlich deshalb, weil er als Gläubiger gekommen war. Gestern hatte sie dies vergessen, heute aber sagte sie sich: »Wenn er sich nur nicht einbildet, daß ich ihn für mich einnehmen oder gar besänftigen wollte« – und bei dem Gedanken allein schon stieg ihr das Blut ins Gesicht. War sie doch sehr stolz und lehnte sich doch ihre ganze Natur gegen die bloße Annahme auf, daß man sie der Berechnung zeihen könne. Jetzt, da sie an die Möglichkeit einer solchen Annahme dachte, fühlte sie etwas wie Groll gegen Polaniecki. Ein Gedanke besonders war ihr über die Maßen peinlich, sie wußte nämlich, daß die Kasse von Krzemien ganz leer, daß keine Geldmittel vorhanden waren, und sie war überzeugt, ihr Vater werde sich durch Vorschiebung andrer Gläubiger herauszuwinden suchen. Zwar nahm sie sich fest vor, alles daran zu setzen, was in ihrer Macht stand, damit Polaniecki schließlich doch vor den andern bezahlt werde, sie wußte aber schon im voraus, daß sie nicht viel ausführen könne. Bei der Aufsicht über die Feldarbeiten ließ sich ihr Vater gern von ihr vertreten, aber in Geldangelegenheiten regierte er unumschränkt und befragte sie nur selten nach ihrer Meinung.

In Wahrheit hatte er sich aus seiner schwierigen Lage durch allerlei Schliche immer wieder herauszuwinden verstanden, indem er Versprechungen gab, die er niemals halten konnte, und indem er die Leute durch Vorspiegelungen aller Art hinzuhalten wußte. Am Ende mußten zwar diese Verhältnisse den vollständigen Ruin herbeiführen, mittlerweile aber verschanzte sich der alte Mann seiner Tochter gegenüber immer hinter seinen »Geschäften« und zeigte um so weniger Lust ihre Meinung anzuhören und sie um Rat zu fragen, als er sie im Verdacht hatte, daß sie in diese Geschäfte einen gelinden Zweifel setze, was seine Eigenliebe aufs tiefste verwundete.

Dieser eigenartigen Geschäfte wegen hatte Marynia schon manche Demütigung erlebt. Ihr Leben auf dem Lande war nur scheinbar eine Idylle. Es fehlte dem jungen Mädchen nicht an Unannehmlichkeiten, nicht an Kummer und Sorgen, und ihr friedliches Antlitz ließ nicht nur auf einen liebenswürdigen Charakter, sondern auch auf große Seelenstärke schließen. Aber die ihr jetzt drohende Demütigung schien ihr unerträglicher als alles andre.

»Wenn er nur mich nicht beargwöhnt,« dachte sie immer und immer wieder. Aber wie konnte sie dem abhelfen? Ihr erster Gedanke war, Polaniecki um eine Unterredung bitten zu lassen, bevor er mit ihrem Vater zusammentraf, und ihm den ganzen Stand der Sache zu enthüllen. Doch dieser Gedanke ward sofort wieder von ihr verworfen. Nein, ablehnend, ja schroff mußte sie gegen ihn sein, damit er nicht glaube, sie wolle ihn beeinflussen, und als sie vom Diener erfahren, daß Polaniecki nach dem Frühstück der Landstraße zugegangen sei, beschloß sie ihn aufzusuchen.

Es ward ihr nicht schwer, denn von seinem frühen Spaziergang zurückgekehrt, stand er an der mit wilden Reben bewachsenen Veranda und spielte mit den Hunden. Marynia dann plötzlich durch eine Lücke in dem Laube gewahrend, fuhr er hastig empor und trat ihr mit strahlendem Antlitze entgegen.

»Guten Tag, mein Fräulein. Wie haben Sie geschlafen?«

»Danke, gut,« erwiderte sie, ihm kühl ihre Hand entziehend. Er hingegen schaute sie mit einem Blicke an, in dem deutlich zu lesen war, welch große und tiefe Freude ihm ihr Anblick gewährte.

Und nicht weniger gefiel er Marynia. Von ganzer Seele fühlte sie sich zu ihm hingezogen, und es that ihr unendlich weh, daß sie seine liebenswürdige Begrüßung so ceremoniell und frostig erwidern mußte.

»Sie gehen vielleicht hinaus ins Feld? Wenn Sie es erlauben, begleite ich Sie. Heute muß ich in die Stadt zurückkehren, deshalb will ich jeden Augenblick, den ich in Ihrer Gesellschaft verbringen kann, benützen. Gott weiß, daß ich länger hier bliebe, wenn ich könnte. Aber ich kenne jetzt den Weg nach Krzemien.«

»Sie sind immer willkommen, wenn Ihre Zeit es gestattet.«

Jetzt erst bemerkte Polaniecki die auffallende Kälte, die sich in ihren Worten, in ihrem Gesichte ausdrückte, und schaute sie verwundert an. Wenn indessen Marynia dachte, daß er sich benehmen werde, wie die Menschen sich gewöhnlich in solchen Fällen benehmen, wenn sie erwartete, daß er auf ihren kühlen Ton hin sofort in Schweigen versinken werde, so befand sie sich im Irrtum. Polaniecki besaß zu viel Selbstbewußtsein, als daß er sich so leicht hätte einschüchtern lassen. So sagte er denn, ihr fortwährend in die Augen blickend:

»Was haben Sie denn? Weshalb sind Sie ganz anders gegen mich?«

Marynia geriet in Verwirrung.

»Nichts. Sie täuschen sich wohl.«

»Nein. Ich weiß ganz gut und Sie wissen ebenso gut, daß ich mich nicht täusche. Jetzt sind Sie wieder so gegen mich, wie Sie am ersten Abend waren. Aber daran war ich schuld, weil ich sofort von Geschäften zu sprechen begann. Gestern bat ich Sie deshalb um Verzeihung, und alles war gut. Heute ist's nun wieder anders – wollen Sie mir nicht sagen, warum?«

Und im Tone eines Menschen, dem eine tiefe Kränkung zugefügt worden, fuhr er fort:

»Wollen Sie mir nicht erklären, was dies bedeutet? Bitte, sagen Sie es mir. Ihr Vater meinte, zuerst sei ich Ihr Gast, und dann Ihr Gläubiger. Aber das ist Unsinn. Eine solche Unterscheidung begreife ich nicht, zumal ich mich stets als Ihren Schuldner, nicht als Ihren Gläubiger betrachten werde, denn ich bin Ihnen viel, viel schuldig und ich werde Ihnen immer dankbar sein für die große Güte, die Sie mir gestern gezeigt haben, und Gott weiß, wie viel ich darum gäbe, immer Ihr Schuldner zu bleiben.«

Wieder schaute er ihr in die Augen mit dem sehnsüchtigen Verlangen, demselben freundlichen Blicke zu begegnen wie am Tage zuvor, aber Marynia, deren Herz immer schwerer ward, ging auf dem eingeschlagenen Wege weiter, erstens deshalb, weil sie ihn einmal eingeschlagen, und zweitens aus Furcht, ihr verändertes Benehmen zugestehen und den Grund angeben zu müssen.

»Ich versichere Sie,« begann sie schließlich mühsam, »daß Sie sich entweder gestern getäuscht haben oder sich heute täuschen. Ich bin mir vollständig gleich geblieben, und es wird mir sehr angenehm sein, wenn Sie uns immer ein gutes Andenken bewahren.«

Zorn und Aerger zeigten sich auf Polanieckis Gesicht.

»Wenn Ihnen soviel daran liegt, daß ich Ihnen glaube, mag es darum sein,« sagte er. »Ich scheide mit der Ueberzeugung, daß auf dem Lande der Montag sehr verschieden vom Sonntag ist.«

»Wie kann ich dies ändern?« sagte Marynia leise. Gleich darauf entfernte sie sich mit der Erklärung, sie müsse ihrem Vater guten Morgen sagen. Polaniecki blieb allein, scheuchte zornig die Hunde fort, die sich wieder an ihn schmiegten, und ließ seinem Aerger freien Lauf.

»Was bedeutet dies?« fragte er sich. »Heute ist sie ein ganz andres Wesen. Wie unsinnig ist dies, wie ungerecht! Gestern war ich ein naher Verwandter, heute bin ich nur der Gläubiger. Was denkt sie denn, daß sie mich wie einen Hund behandelt? Weshalb ich gekommen bin, wußte sie ja gestern schon. Da soll doch ein Donnerwetter –«

Indessen hatte sich Marynia in das Zimmer ihres Vaters begeben. Herr Plawicki saß im Schlafrock an seinem mit Papieren bedeckten Schreibtisch. Einen Augenblick wandte er sich um und erwiderte den Morgengruß seiner Tochter, dann vertiefte er sich sogleich wieder in seine Papiere.

»Papa,« sagte Marynia, »ich möchte wegen Herrn Polaniecki mit Dir reden. Hast Du . . .«

Doch er unterbrach sie, ohne sich in seiner Lektüre stören zu lassen.

»Polaniecki ist weiches Wachs in Deiner Hand.«

»Du irrst Dich ganz und gar. Uebrigens wäre es mein Wunsch, daß er vor allen andern bezahlt würde, selbst wenn uns der größte Schaden daraus erwüchse.«

Nun kehrte sich Plawicki auf seinem Stuhle um und betrachtete seine Tochter aufmerksam. Dann fragte er kalt:

»Bitte, sage mir, ist dies Fürsorge für mich oder für ihn?«

»Es ist Ehrensache für uns.«

»Glaubst Du, daß ich Deinen Rat brauche?«

»Nein, Papa, aber . . .«

»Welch pathetischer Ton! Was ist Dir denn?«

»Ich bitte Dich um alles . . .«

»Und ich bitte Dich, diese Angelegenheit mir zu überlassen. In der Bewirtschaftung des Gutes hast Du freie Hand, Du hast mich beiseite geschoben, und ich habe nachgegeben, denn die paar Jahre, welche ich noch zu leben habe, will ich mich nicht mit dem eigenen Kinde herumstreiten. Aber lasse mir wenigstens diesen einzigen Winkel im Hause, gestatte mir, die Geschäfte darin nach meinem Gutdünken zu erledigen.«

»Lieber Papa, ich bitte Dich ja nur . . .«

»Auf das Vorwerk zu ziehen? Welche Pferde darf ich dann mitnehmen?«

Herr Plawicki stand da wie König Lear und stützte sich krampfhaft auf die Lehne seines Stuhles, um durch diese Gebärde der grausamen Tochter zu erkennen zu geben, daß er beinahe zu Boden gestürzt wäre. In Ihren Augen glänzten Thränen, und ein bitteres Gefühl über die eigene Machtlosigkeit erfüllte ihr Herz. Einen Moment stand sie schweigend da, gewaltsam gegen ihren Schmerz kämpfend, dann sagte sie leise:

»Ich bitte um Verzeihung, Papa.« Damit verließ sie das Zimmer.

In äußerst gereizter Stimmung, aber offenbar bemüht sich zu beherrschen, trat eine Viertelstunde später Polaniecki ein.

Nachdem Herr Plawicki ihn begrüßt hatte, ersuchte er ihn, an seiner Seite Platz zu nehmen, und ihm die Hand auf die Knie legend, fragte er: »Stach, willst Du dies Haus anzünden? Willst Du mich, der Dich mit offenen Armen empfing, ermorden? Willst Du mein Kind zur Waise machen?«

»Nein,« entgegnete Polaniecki, »dies liegt nicht in meiner Absicht. Ich bitte Sie aber, nicht in dieser Art mit mir zu sprechen, denn es führt zu nichts und ist mir ganz unerträglich.«

»Gut,« erwiderte Herr Plawicki, ein wenig ärgerlich darüber, daß seine pathetische Rede so geringen Eindruck gemacht, »bedenke nur, daß Du als Kind schon zu mir in dieses Haus kamst.«

»Ich kam hierher mit meiner Mutter, die Sie stets mahnen mußte, weil Sie ihr die Zinsen nicht bezahlten, welche Sie ihr schuldig waren. Das Geld steht nun seit einundzwanzig Jahren auf Hypothek. Mit den aufgelaufenen Zinsen beträgt es ungefähr vierundzwanzigtausend Rubel. Nehmen wir zwanzigtausend als runde Summe an; aber diese zwanzigtausend muß ich haben, denn deshalb bin ich hierhergekommen.«

Herr Plawicki neigte resigniert sein Haupt.

»Deshalb bist Du hierhergekommen? So! Aber warum bist Du gestern ganz anders gewesen, Stach?«

Polaniecki, der erst vor einer halben Stunde Fräulein Marynia dieselbe Frage vorgelegt hatte, stand im Begriffe von seinem Stuhle aufzuspringen, mäßigte sich aber doch und sagte:

»Ich bitte Sie, zu den Geschäften überzugehen.«

»Dies soll sofort geschehen, nur gestatte mir zuvörderst ein paar Worte und unterbrich mich nicht. Du sagst, die Zinsen seien nicht bezahlt worden. Das ist wahr. Aber weißt Du auch, warum? Deine Mutter übergab mir ja nicht ihr ganzes Vermögen und konnte es nicht ohne Erlaubnis des Familienrates. Schlimm genug für Euch, daß es nicht geschah, aber dies kommt jetzt nicht in Betracht. Als ich schließlich doch einige tausend Rubel bekam, sagte ich mir selbst: diese Frau steht mit ihrem Kinde allein in der Welt, sie weiß sich nicht zu raten, noch zu helfen – möchte daher das Geld, das sie bei mir stehen hat, eine Goldgrube für sie werden. Und von dieser Zeit an repräsentierte ich gleichsam Eure Sparkasse. Deine Mutter gab mir zwölftausend Rubel, jetzt hast Du vierundzwanzigtausend bei mir stehen. Das ist das Resultat. Und nun lohnst Du mir dafür mit Undankbarkeit?«

»Lieber Onkel,« versetzte Polaniecki, »ich bitte Sie mich nicht zum Narren zu halten. Sie sagen, ich hätte vierundzwanzigtausend Rubel bei Ihnen stehen – wo sind sie also? Ich bitte darum – ich möchte sie haben, doch ohne solch langes Gerede.«

»Und ich bitte Dich um Geduld und Mäßigung. Du sollst bedenken, daß ich ein alter Mann bin,« entgegnete zornig Herr Plawicki.

»Und ich sage Ihnen klar und deutlich, daß ich jetzt, nachdem ich zwei Jahre lang in meinen Briefen vergeblich auf Zahlung gedrungen, mich nicht länger gedulden kann, noch will.«

Herr Plawicki stützte sich mit dem Arm auf den Schreibtisch, bedeckte sein Gesicht mit der Hand und schwieg. Polaniecki betrachtete ihn mit wachsendem Mißvergnügen und legte sich dabei im stillen die Frage vor:

»Ist dies ein Schwindler oder ein Verrückter oder ein Egoist, der in seiner Selbstverblendung Gut oder Böse nicht mehr zu unterscheiden vermag, oder ist er alles in allem genommen?«

Indessen hielt Plawicki sein Gesicht fortwährend in seinen Händen verborgen und sprach kein Wort.

»Ich möchte endlich etwas Bestimmtes wissen,« begann Polaniecki wieder. Plötzlich erhob Plawicki sein Gesicht, das wieder einen strahlenden Ausdruck zeigte.

»Stach,« sagte er, »wozu regen wir uns auf. Es giebt ja einen ganz einfachen Ausweg.«

»Was für einen?«

»Du machst Dich mit dem Mergel bezahlt.«

»Wie?«

»Lasse Deinen Compagnon hierherkommen, lasse einen Sachverständigen kommen, meinen Mergel schätzen, und wir Drei bilden dann ein Compagniegeschäft miteinander. Dein . . . Wie heißt er doch? Bigiel? muß mir soviel zahlen, als auf seinen Anteil kommt, Du zahlst mir nach Belieben etwas darauf oder auch nicht, wir arbeiten gemeinschaftlich, und der Gewinn kann ein riesenhafter sein.«

Polaniecki erhob sich.

»Um Vergebung,« sagte er, »aber ich bin nicht gewöhnt, daß man seinen Scherz mit mir treibt. Ihren Mergel will ich nicht, sondern nur mein Geld. Was Sie mir da sagen, halte ich für unwürdige und unvernünftige Winkelzüge.«

Einen Augenblick herrschte tiefe Stille. Göttlicher Zorn zeigte sich auf Stirn und Brauen Herrn Plawickis, seine Augen schleuderten Blitze. Rasch sprang er auf, nahm ein Jagdmesser von der Wand herab und reichte es Polaniecki mit den Worten:

»Es giebt noch einen andern Ausweg; stoß zu!«

Aber Polaniecki, der alle Selbstbeherrschung verlor, stieß die Hand mit der Waffe unsanft zurück und rief:

»Das ist eine armselige Komödie – nichts weiter. Es ist unnütz, Zeit und Worte mit Ihnen zu verschwenden. Ich reise ab, denn nun habe ich genug von Ihnen und Krzemien, aber ich erkläre Ihnen hiermit, daß ich meine Hypothek auch um die Hälfte des Wertes an den ersten besten Juden cedieren werde, welcher imstande ist, sich Ihnen gegenüber Rat zu schaffen.«

»Geh!« schrie Plawicki, »cediere die Hypothek! Gewähre den Juden Einlaß in das Stammhaus Deiner Väter, aber wisse auch, daß mein Fluch und der Fluch all derer, die hier lebten, Dich überall treffen wird.«

Bleich vor Wut und sich selbst verwünschend, stürzte Polaniecki aus dem Zimmer. Im Salon suchte er seinen Hut, fand ihn auch schließlich und gerade wollte er sich erkundigen, ob die Britschka vorgefahren sei, als Marynia hereintrat. Bei ihrem Anblick nahm er sich ein wenig zusammen. Als ihm indessen einfiel, daß sie vollständig in die Geschäfte eingeweiht war, bemerkte er:

»Ich muß Ihnen Lebewohl sagen. Die Angelegenheit mit Ihrem Vater ist erledigt. Ich kam hierher, um zu fordern, was mir gebührt, und er gab mir zuerst seinen Segen, dann bot er mir Mergel an, zuletzt fluchte er mir.«

Marynia war im Begriff, ihre Hand auszustrecken und zu sagen: »Ich begreife Ihren Zorn vollständig, vor wenigen Minuten war auch ich bei meinem Vater und bat ihn, er möge Sie vor allen andern Gläubigen befriedigen. Verfahren Sie mit uns, mit Krzemien wie Sie wollen, aber halten Sie wenigstens mich nicht für schuldig und bewahren Sie mir Ihre Achtung.«

Aber es kam nicht dazu, denn Polaniecki, der sich selbst immer mehr in Wut hineinredete und nun seine Selbstbeherrschung aufs neue verlor, brach in die Worte aus:

»Ich sage dies deshalb, weil Sie sich verletzt fühlten und mich an Ihren Vater wiesen, als ich am ersten Abend mit Ihnen sprechen wollte. Ich danke Ihnen für den wohlgemeinten Rat, aber er war vorteilhafter für Sie beide, als für mich.«

Marynia ward totenbleich, in ihren Augen schimmerten Thränen des Zorns und der Entrüstung, und das Haupt stolz emporhebend, sagte sie:

»Sie können mich ja schmähen, so viel Sie wollen, denn ich habe keinen Menschen, der sich meiner annimmt.« Damit wendete sie sich der Thüre zu. Polaniecki bemerkte sofort, daß er zu weit gegangen war. Ein tiefes Mitleid überkam ihn plötzlich, er wollte ihr nach, sie um Verzeihung bitten, aber es war zu spät. Marynia hatte das Zimmer verlassen. Ohne sich von jemanden zu verabschieden, fuhr er weg. In ihm kochte es dermaßen, daß er geraume Zeit an nichts anderes denken konnte, als an seine Rache. »Ich cediere die Hypothek,« sagte er sich, »wenn ich auch nur den dritten Teil des Wertes dafür bekomme, und dann wird man gerichtlich gegen Euch vorgehen. Mir selbst gelobe ich es bei meinem Manneswort.«

Mittlerweile fuhr die Britschka von der Allee auf die Landstraße hinaus. In Polaniecki kämpften die widersprechendsten Gefühle. Er gedachte Marynias, ihrer weichen, sanften Stimme, ihres ruhigen Blickes und ihrer großen Güte. Bei dem Gedanken an den Ton, in welchem er zu ihr gesprochen, verwünschte er sich selbst. »Daß ihr Vater ein alter Komödiant, ein Schwindler und ein Thor ist,« sagte er sich, »ist schon schlimm genug für sie und macht sie um so unglücklicher, als sie es selbst einsehen muß. Und jeder Mensch, der ein Herz hat, würde dies begriffen und sich ihrer erbarmt haben, anstatt über das arme, abgearbeitete Kind herzufallen, wie ich – ja, wie ich. –« Hier bekam er Lust, sich selbst zu ohrfeigen, denn unwillkürlich stellte er sich vor, wie alles hätte anders werden, wie sie sich innerlich hätten näherkommen können, wenn er ihr nach dem Streit mit ihrem Vater mit dem gehörigen Zartgefühl entgegen getreten wäre. »Der Teufel soll das Geld holen und mich dazu,« dachte er. Was er gethan, ließ sich nicht mehr gutmachen, aber gerade diese Ueberzeugung raubte ihm vollends jedes Gleichgewicht und trieb ihn nur noch weiter auf dem einmal eingeschlagenen Wege. »Da doch alles verloren ist – will ich die Schiffe hinter mir verbrennen,« fuhr er in seinem Selbstgespräch fort, »ich cediere meine Hypothek an den ersten besten Juden, der soll ihnen alles wegnehmen, sie auf die Straße werfen, mag der Alte eine Stelle suchen, mag Marynia Gouvernante werden, oder sich mit Gątowski verheiraten . . .« Doch nun fühlte er plötzlich, daß er diesen Gedanken kaum ertragen könnte. Jeden andern durfte sie nehmen, nur nicht diesen ungeschlachten Menschen, diesen Einfaltspinsel. In solcher Stimmung in Czerniow angelangt, hätte vielleicht Polaniecki den armen Gątowski wütend angefallen, wenn der junge Mann an der Station gewesen wäre. Glücklicherweise gewahrte er anstatt Gątowski nur einige Beamten, einige Bauern, einige Juden und das intelligente Gesicht des Rates Jamisz, der ihn aufforderte, mit ihm in ein Coupé zu steigen.

»Ich bin mit Ihrem Herrn Vater befreundet gewesen,« sagte er, »und zwar in seinen glänzenden Zeiten. Auch Ihr Großvater war einer der reichsten Grundbesitzer, aber alles ist jetzt in andere Hände übergegangen.«

»Nicht jetzt erst, sondern längst schon. Mein Vater verlor noch bei Lebzeiten sein ganzes Vermögen. Er war krank, wohnte in Nizza, konnte sich um nichts kümmern, – so kam es. Ohne eine Erbschaft, welche nach seinem Tode der Mutter zufiel, wäre es uns schlimm ergangen.«

»Nun, Sie wissen sich ja zu helfen. Ich kenne Ihre Firma, durch Abdalski habe ich schon Geschäfte in Hopfen mit Ihnen gemacht.«

»So hat Abdalski für Sie unterhandelt?«

»Ja, und ich muß gestehen, daß ich sehr zufrieden gewesen bin. Ich sah, daß Sie Ihr Geschäft als Mann von Ehre betreiben.«

»Auf andere Weise kommt man auch nicht vorwärts. Mein Teilhaber, Bigiel, ist ein ehrlicher Mensch und ich bin auch kein Plawicki,« erwiderte Polaniecki.

»Was meinen Sie damit?« fragte Jamisz neugierig.

Nun erzählte ihm Polaniecki, dessen Herz noch immer von Ingrimm erfüllt war, den ganzen Vorgang.

»Hm!« bemerkte Jamisz, »da Sie sich so unverhohlen über ihn aussprachen, gestatten Sie wohl, daß ich es ebenso mache, obwohl er Ihr Verwandter ist.«

»Er selbst ist kein Verwandter, aber seine erste Gattin war eine Verwandte und Freundin meiner Mutter.«

»Ich kenne ihn von seiner Jugendzeit an. Er ist eher ein schwacher, als ein schlechter Mensch. Als einziger Sohn ward er zuerst von seinen Eltern sehr verwöhnt, und dann machten seine beiden Gattinnen es diesen nach. Es waren stille, sanfte Frauen, die ihren Abgott in ihm sahen. Viele Jahre hindurch mußte er sich wie die Sonne vorkommen, um die sich die andern Planeten drehen. Dieser Plawicki ist ein eigentümliches Gemisch der verschiedensten Eigenschaften, beständig ergeht er sich in hochtrabenden Redensarten, und dabei ist er nur nachsichtig gegen sich, er singt immer Loblieder auf sich selbst und gestattet sich selbst alles. Dies ist ihm fast zur zweiten Natur geworden. Dazu kommen noch die schwierigen Verhältnisse, die einen Mann von Charakter erfordert hätten, und er hat keinen. Er gewöhnte sich schließlich daran, allerlei Winkelzüge zu gebrauchen, der Boden, auf dem wir stehen, veredelt uns oder verdirbt uns. Ein bekannter Bankrotteur sagte mir einmal: ›Ich selbst thue gar nichts, ich lasse nur mein Vermögen arbeiten und greife ein, wo es notthut.‹ So ist's im großen und ganzen. Und bei den Unternehmungen der Grundbesitzer besonders.«

»Können Sie glauben,« bemerkte Polaniecki, »daß ich auch nicht die geringste Neigung zur Landwirtschaft habe, obwohl ich auf dem Lande geboren bin? In der Art, wie sie jetzt betrieben wird, sehe ich auch keine Zukunft für sie. Ihr alle müßt ja zu Grunde gehen.«

»Ich sehe die Dinge auch nicht in rosigem Lichte; daß es mit der Landwirtschaft in ganz Europa schlimm bestellt ist, das ist eine bekannte Thatsache, aber bedenken Sie die obwaltenden Verhältnisse. Erstens, hat ein Edelmann vier Söhne, so erbt jeder von ihnen nur den vierten Teil des väterlichen Vermögens. Und was folgt daraus? An die Lebensweise des Vaters gewöhnt, will ein jeder leben, wie der Vater gelebt hat, und das Resultat ist leicht vorauszusehen. Zweitens widmen sich die tüchtigsten unter ihnen andern Berufszweigen. Die Landwirtschaft aber übernimmt gewöhnlich der am wenigsten Befähigte. Drittens, was ein ganzes Geschlecht mühsam aufgerichtet hat, wird durch einen Leichtsinnigen oft gänzlich vernichtet. Viertens, wir bestellen unsere Felder nicht schlecht, verstehen jedoch nichts von Verwaltung, aber eine gute Verwaltung ist nutzbringender, als ein gutbestellter Acker. Was ist nun die Schlußfolgerung von all dem. Der Grundbesitz bleibt, aber wir, die Eigentümer, werden vertrieben. Vielleicht kehren wir mit der Zeit wieder zurück.«

»Wieso?«

»Zuvörderst beruht Ihr Ausspruch, daß der Grundbesitz nichts Verlockendes für Sie habe, auf einer Täuschung. Die heimatliche Erde übt immer eine gewisse Anziehungskraft aus, ja, eine so starke Anziehungskraft, daß niemand, der in ein gewisses Alter, zu einem gewissen Ansehen gelangt ist, sich des Wunsches erwehren kann, ein kleines Stückchen Erde sein eigen zu nennen. Eine solche Zeit kommt wohl auch für Sie, das ist ganz natürlich. Außer dem Grund und Boden ist ja schließlich aller Reichtum nur eine Fiktion. Von ihm kommt alles, in ihm wurzelt alles. Gerade wie eine Banknote nur die Quittung für die in einer staatlichen Bank liegende Geldsumme ist, so ist auch die Industrie, der Handel, kurz, was Sie wollen, am Ende doch nur der in andre Form übergegangene Grund und Boden, und Ihr vornehmlich, die Ihr von ihm ausgegangen seid, müßt auch wieder zu ihm zurückkehren.«

»Aber ich wenigstens denke nicht daran.«

»Wer weiß, was später kommt? Jetzt machen Sie sich ein Vermögen, auf ihre Art und Weise, und gerade davon hängt Ihre Zukunft ab. Die Kinder der Grundbesitzer müssen zum größten Teil andre Beschäftigungen ergreifen – das ist notwendig. Einige von ihnen gehen zu Grunde, andre erwerben sich etwas und kehren zurück – kehren zurück nicht nur mit Kapital, sondern auch mit neuer Energie und mit jener gründlichen Kenntnis der Verwaltung, welche nur durch angestrengtes Studium und durch praktische Arbeit errungen werden kann – kehren zurück, vermöge jener geheimnisvollen Anziehungskraft, den die heimatliche Erde ausübt.«

»Das was Sie sagen, hat wenigstens das Tröstliche, daß dann solche Typen wie Plawicki der Vergangenheit angehören.«

Herr Jamisz bedachte sich einen Augenblick, dann sagte er: »Meiner Ansicht nach können sich Ihre Verwandten, trotz der Parzellierung Magierows, nicht auf Krzemien halten. Wer mir leid thut, das ist Marynia. Sie ist ein ungewöhnlich tüchtiges, geradsinniges Mädchen. Sie wissen wohl nicht, daß der Alte vor zwei Jahren Krzemien verkaufen und in die Stadt ziehen wollte, und daß es, zum Teil auf Marynias Bitten hin, dann nicht geschah. War dies nun Pietät gegen ihre Mutter, welche in Krzemien begraben liegt, oder war es, weil so viel über die Verpflichtung gesprochen und geschrieben wird, sich auf seinem Grund und Boden zu halten, genug, das junge Mädchen that, was sie konnte, damit der Verkauf nicht zustande kam; durch ihre Arbeit, der sie sich mit allen Kräften widmete, glaubte das arme Ding das Unmögliche möglich zu machen. Für sie wird es ein schwerer Schlag sein, wenn schließlich alle Fäden reißen, wie es vorauszusehen ist . . . Schade um ihre schönen Jugendjahre.«

»Sie sind ein guter Mensch, Herr Rat!« rief Polaniecki mit seiner gewöhnlichen Lebhaftigkeit.

Der alte Mann lächelte.

»Ich habe das Kind gern. Uebrigens ist sie auch meine Schülerin, denn bei der Bewirtschaftung des Gutes habe ich ihr manche Anleitung gegeben, und sicher ist, daß sie mir sehr fehlen wird.«

Polaniecki kaute ingrimmig an seinem Schnurrbart. Schließlich sagte er: »Sie kann sich ja mit jemand aus der Umgegend verheiraten und hier bleiben.«

»Verheiraten! Als ob dies für ein Mädchen ohne Vermögen so leicht wäre. Wer ist überhaupt hier zu rechnen? Gątowski? Der würde sie nehmen. Er ist ein guter Mensch und ganz und gar nicht so beschränkt, wie man sagt. Aber sie hat keine Neigung für ihn, und ohne Neigung wird sie nicht heiraten. Uebrigens bildet sich der Alte ein, die Gątowskis seien etwas weniger als die Plawickis. Das Eine weiß ich gewiß, wer Marynia nimmt, bekommt eine Perle!«

Polaniecki war in diesem Augenblick von derselben Ueberzeugung durchdrungen. Ihn dünkte, er müsse ohne sie vor Sehnsucht vergehen, aber dann erinnerte er sich auch, daß ihm Aehnliches schon mehrmals begegnet war und sich mit der Zeit als Täuschung erwiesen hatte. Gleichwohl dachte er unablässig an sie, dachte er noch an sie, als sie sich schon der Stadt näherten, und in Warschau aussteigend, murmelte er vor sich hin: »Wie thöricht dies alles gewesen ist; wie thöricht!«


 << zurück weiter >>