Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Neunundvierzigstes Kapitel

Es war der Wunsch Zawilowskis, daß seine Verlobung nicht erst abends im größeren Kreise, sondern schon vorher gefeiert werde, und man that ihm den Willen, zumal Fräulein Castelli gern bereit war, sich den Eingeladenen als erklärte Braut zu zeigen. Als daher die Gäste sich versammelten, traten sie ihnen schon als Verlobte entgegen, und Lineta strahlte vor Glück. Sie sah so anmutig aus, daß Swirski sich eines stillen Seufzers nicht erwehren konnte.

Ihre Schönheit fiel allen auf, der alte Zawilowski, der sich in seinem Fahrstuhl in den Salon bringen ließ, hielt eine Zeitlang ihre Hände in den seinen und schaute sie an, worauf er zu seiner Tochter gewendet sagte: »Na, daß so ein venetianischer Halbteufel einem den Kopf verdrehen kann, ist begreiflich und bei einem Dichter ist es noch begreiflicher, denn diese Leute, sagt man ja, haben besondere Grillen im Kopfe.«

Dann fragte er seinen Neffen: »Nun, heute wirst Du mir doch nicht das Genick brechen, weil ich sie venetianischer Halbteufel genannt habe?«

Zawilowski lachte und küßte den Greis auf die Schulter.

»Nein, heute könnte ich niemand das Genick brechen.«

»Gott und die heilige Jungfrau mögen Euch segnen,« sagte der Alte, sichtlich gerührt durch dies Zeichen der Verehrung, zog ein Etui hervor und sagte zu Lineta: »Dies ist ein Geschenk von der Familie Zawilowski! Mögest Du es lange tragen.«

Fräulein Castelli wollte ihn zum Dank ebenfalls auf die Schulter küssen, doch er umarmte sie, indem er zu seinem Neffen sagte: »Komm auch Du her zu mir.« Er war tief gerührt und küßte beide auf die Stirne mit den Worten: »Liebet und ehret einander!«

Als Lineta das Etui öffnete, erblickte sie auf dem blauen Samt, womit es ausgeschlagen war, eine kostbare Diamantriviere. »Von der Familie Zawilowski« wiederholte der Alte nochmals mit besonderer Betonung, gleichsam um anzudeuten, daß ein Mädchen, das einen Zawilowski heirate, nicht schlecht wegkomme. Doch hörte niemand auf ihn, denn die jungen Damen beugten sich über die glitzernden Steine, und alle schienen eine Zeitlang den Atem anzuhalten, bis endlich Rufe der Bewunderung laut wurden.

»Es handelt sich hier nicht um die Diamanten,« rief Frau Bronicz, sich fast in die Arme des alten Mannes stürzend, »sondern um das Herz, um Ihr gutes, warmes Herz.«

»Bitte, lassen Sie doch, lassen Sie doch!« rief er abwehrend.

Die Gesellschaft zerstreute sich nun. Die Verlobten beschäftigten sich so ausschließlich miteinander, daß sie die ganze Welt aus den Augen verloren, Osnowski und Swirski setzten sich zu Marynia und Frau Bigiel, Kopowski unterhielt sich mit der Hausfrau, Polaniecki mit Frau Maszko. Was Herrn Maszko selbst betraf, so lag ihm augenscheinlich sehr viel daran, die nähere Bekanntschaft des alten Krösus zu machen, denn er verbarrikadierte ihn derart mit seinem Stuhle, daß niemand sonst sich ihm nähern konnte, und begann ein Gespräch mit ihm über die früheren und die jetzigen Zeiten, die, wie leicht zu erraten war, ein interessantes Thema für den alten Herrn abgaben.

Uebrigens fiel Herr Zawilowski keineswegs über die neue Zeit her, sondern er erkannte manche Errungenschaften derselben an und bewunderte sie, wiewohl sie gewissermaßen über seinen Horizont gingen. Maszko erklärte ihm, daß alles in der Welt dem Wandel unterworfen sei, die Verhältnisse des Adels eben so gut wie die andern Gesellschaftsklassen.

»Auch ich, mein verehrter Herr,« sagte er, »halte viel auf die Landwirtschaft. Ererbte Instinkte, welche die von Grundbesitzern abstammenden Menschen immer wieder auf den Ackerbau hinweisen, sind dabei im Spiele. Ich verwalte mein Gut selbst, bin aber Rechtsanwalt dabei, aus Prinzip, denn es ist nötig, daß auch Leute unseres Standes diesen Beruf ergreifen. Und ich muß unsern Grundbesitzern die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie die richtige Einsicht haben und lieber mir als einem andern ihre Geschäfte anvertrauen. Ja manche halten dies sogar für ihre Pflicht.«

»In der Palästra waren freilich immer einige von unserem Stande,« erwiderte Zawilowski, »aber ob sich ein Edelmann auch zu andern Fächern eignet, das vermag ich fürwahr nicht zu sagen. Zeigen Sie mir einen, der zu etwas gekommen ist.«

»Nun, Herr Polaniecki. Der machte sich mit seinen Kommissionsgeschäften ein ziemlich großes Vermögen, das er bar vor Sie hinlegen könnte. Er könnte Ihnen sagen, daß meine Ratschläge ihm oft von Nutzen gewesen sind.«

»So, so!« sagte Herr Zawilowski, Polaniecki aufmerksam betrachtend und verwundert die Augen aufreißend. »Er hat sich also ein Vermögen erworben. Wenn er einer von den echten Polanieckis ist, stammt er aus einer guten Familie.«

»Jener untersetzte, brünette Herr ist der Maler Swirski.«

»Ich weiß es, denn ich habe ihn schon früher gesehen. Auch die Swirskis haben meines Wissens noch nie Handlangerdienste gethan. Dieser hat sich sein Geld wohl ermalt, auf andere Weise hat er es sicherlich nicht erworben.«

»Nein,« sagte Maszko, »und manches fette Gut in Podolien bringt nicht halb so viel ein wie seine Aquarelle.«

»Was ist das?«

»Bilder, die mit Wasserfarben gemalt sind.«

»Also nicht einmal Oelbilder? . . . Dieser ebenfalls . . . Nun, dann wird mein Neffe mit seinen Gedichten vielleicht auch Geld erwerben. Mag er schreiben, so viel er Lust hat! Ich werde es ihm nicht übelnehmen. Herr SigmundKraszinski. Anm. d. Uebers. war auch ein Edelmann und Dichter. Und Herr AdamMiekiewicz. Anm. d. Uebers. war einer, und man spricht mehr von ihnen als von vielen andern Leuten.«

»Die Hauptsache ist,« erklärte Maszko, »daß man weder mit seinen Fähigkeiten, noch mit seinem Kapitale hinter dem Berge hält, denn wer so handelt, der versündigt sich geradezu gegen das Gemeinwohl.«

»Wie meinen Sie denn das? Ist es mir nicht vergönnt, mein Geld für mich zu behalten? Soll ich es nicht verschließen, sondern die Schieblade offen lassen für Diebe?«

Maszko lächelte überlegen und die Hand auf die Lehne des Fauteuils legend, bemerkte er: »Darum handelt es sich nicht, mein geehrter Herr.« Und er begann Herrn Zawilowski die Grundlehren der Nationalökonomie auseinanderzusetzen. Mit Kopfschütteln hörte sie der alte Edelmann an, indem er von Zeit zu Zeit wiederholte: »Das ist mir etwas ganz Neues. Aber ich konnte mir auch ohne dies helfen.«

Indessen bemerkte Swirski zu Marynia gewendet: »Die blasse Dame, mit der Ihr Herr Gemahl sich unterhält, sieht ja aus wie ein Bild von Perugino.«

»Es ist Frau Maszko, eine Bekannte von uns. Wurden Sie ihr noch nicht vorgestellt?«

»Ich lernte sie gestern bei der Beerdigung kennen, vergaß aber den Namen wieder. Ich weiß, daß sie die Gattin jenes Herrn ist, der mit dem alten Herrn Zawilowski spricht . . . Wie ein Gemälde von Vanucci in der That! – Derselbe Quietismus.«

Nachdem er sie noch eine Weile betrachtet hatte, fügte er hinzu: »Das Gesicht hat zwar etwas Mattes, Fahles, und sie macht den Eindruck, als ob sie mager wäre, doch betrachten Sie einmal ihre Arme und Schultern, die sind herrlich geformt.«

Allein Marynia schaute nicht auf die herrlich geformten Arme und Schultern der Frau Maszko, sondern auf ihren Mann, und auf ihrem Antlitz malte sich plötzlich eine gewisse Unruhe. Polaniecki neigte sich gerade zu Frau Maszko herab und sagte etwas zu ihr, das Marynia nicht hören konnte, da die beiden ziemlich weit entfernt von ihr saßen. Doch gleich darauf sagte sie sich auch: »Das kann nicht sein, das wäre Stachs unwürdig.« Trotzdem konnte sie sich nicht enthalten, die beiden unausgesetzt zu beobachten. Polaniecki sprach sehr lebhaft, und Frau Maszko hörte ihm mit ihrer gewohnten Gleichgültigkeit zu. Marynia sagte sich wieder: »Was ist mir nur eingefallen, er unterhält sich gern mit ihr, aber das ist auch alles.« Den Rest ihres Zweifels benahm ihr Swirski, welcher ihre Angst und Unruhe bemerkte und daher sagte: »Sie spricht ja gar nichts. Ihr Gatte muß die Kosten der Unterhaltung allein tragen und sieht ganz darnach aus, als ob er sich langweilte und ärgerte.«

Das Antlitz Marynias hellte sich während eines kurzen Moments auf.

»Ach ja, Sie haben recht. Stach langweilt sich gewiß, und sobald dies der Fall ist, sieht er ganz böse aus.«

Was hätte sie aber darum gegeben, wenn ihr Stach sich ihr jetzt genähert hätte, um ihr ein gutes Wort zu sagen. Einige Minuten später wurde dieser Wunsch erfüllt, denn Herr Osnowski trat zu Frau Maszko. Polaniecki stand auf, sprach noch einige Worte mit Frau Osnowski, die sich mit Kapowski unterhielt, und setzte sich dann neben seine Frau.

»Wünschest Du mir etwas zu sagen?« fragte er.

»Wie merkwürdig ist dies!« sagte Marynia. »Gerade in diesem Augenblick wünschte ich Dich herbei, und Du hast dies empfunden und bist gekommen.«

»Siehst Du, was für ein Mann ich bin?« antwortete er lächelnd. »Thatsächlich ist der Grund sehr einfach. Ich bemerkte, daß Du mich anschautest, befürchtete, es könne Dir etwas fehlen, und kam deshalb.«

»Ich schaute Dich an, weil ich mich nach Dir sehnte.«

»Und ich komme, weil ich mich nach Dir sehnte. Möchtest Du vielleicht nach Hause fahren?«

»Nein, Stach, ich befinde mich ganz wohl. Herr Swirski und ich sprachen soeben von Frau Maszko, und ich amüsierte mich vortrefflich dabei.«

»Wahrscheinlich habt Ihr nichts Gutes von ihr geredet. Dieser Künstler sagt ja selbst, er habe eine böse Zunge.«

»Diesmal bewunderte er aber ihre schöne Gestalt.«

»Ach so!« bemerkte Polaniecki. »Frau Osnowski behauptet, sie habe eine häßliche Gestalt, und gerade das ist ein Beweis, daß sie schön ist. – Von Frau Osnowski muß ich Dir übrigens etwas sagen, Marynia.«

Polaniecki neigte sich zu seiner Frau herab und flüsterte ihr zu: »Weißt Du, was ich hörte, als ich an ihr und Kopowski vorüberging?«

»Nun? Etwas Amüsantes?«

»Wie mans nimmt. Ich hörte, wie er zu Frau Aneta ›Du‹ sagte.«

»Stach!«

»So wahr ich Dich liebe. Er sagte: ›Du bist immer so‹!«

»Vielleicht waren es die Worte eines andern, die er zitierte.«

»Vielleicht, aber vielleicht auch nicht. Wenn ich nicht irre, sind sie sich schon früher nahe gestanden.«

»Pfui, schäme Dich!«

»Das sollten jene thun, und nicht ich!«

Die beiden, welche zwischen einer großen Porzellanvase und dem Flügel ein wenig verborgen saßen, zankten sich schon seit einer Viertelstunde miteinander.

»Ich fürchte, er hat etwas gehört, Du giebst nie acht,« sagte Frau Aneta, als Polaniecki an ihnen vorübergegangen war.

»Oh natürlich, ich bin immer schuld, und wer predigt denn fortwährend, daß man vorsichtig sein muß?«

Frau Osnowski zerknitterte krampfhaft ihr Taschentuch. Dann fuhr sie in ihrer geheimnisvollen Unterredung fort:

»Wenn Du die Frauen richtiger beurteiltest, so würdest Du Dich darüber freuen, daß ich Deine Heirat mit Lineta verhinderte . . . Du kennst den schlechten Charakter dieses Mädchens nicht. Begreifst Du denn nicht, daß ich Dir nur wegen der Leute und wegen Jozio gebot, um sie zu werben? Womit hättest Du denn Deine fast täglichen Besuche rechtfertigen können?«

»Ich würde alles begreifen, wenn Du anders wärest.«

»Unterbrich mich nicht. Damit Du nach Przytulow kommen kannst, habe ich dahin gewirkt, daß Dein Porträt noch nicht vollendet worden ist. Eine entfernte Verwandte Jozios, Stefeia Ratkowski kommt später auch dorthin. So wird es nicht auffallen, wenn Du in Przytulow bleibst. An Fräulein Ratkowski habe ich schon geschrieben. Sie ist nicht hübsch, aber liebenswürdig. Aber jetzt geh und unterhalte Dich mit Frau Maszko.«

Gleich darauf war Frau Osnowski allein. Aerger und eine gewisse Zärtlichkeit malten sich in den Blicken, womit sie Kopowski verfolgte. Ihr Ausspruch, sie wolle ihn lieber mit jeder andern als mit Fräulein Castelli verheiratet wissen, war die reine Wahrheit gewesen. Vor allem aber wollte sie Lineta unschädlich machen, und Zawilowski war das geeignete Mittel dazu. Wußte sie doch, daß das junge Mädchen aus Eitelkeit allein den Huldigungen eines Mannes mit berühmtem Namen nicht widerstehen konnte.

Die Ankündigung, daß das Souper bereit sei, schreckte sie aus ihren Gedanken auf. Osnowski, dessen ständiges Bestreben es war, daß seine Frau so bewundert werde, wie er sie bewunderte, hatte die unglückliche Idee, im ersten Toast den Wunsch auszusprechen, Zawilowski möge mit Lineta so glücklich werden, wie er mit Aneta geworden sei. Unwillkürlich richteten sich Polanieckis Blicke auf die schöne Frau, welche auch ihn scharf ansah, und jeder Zweifel der beiden schwand in diesem Augenblick. Sie wußte jetzt sicher, daß Polaniecki etwas gehört hatte, er wußte, daß Kopowski nicht die Worte eines andern zitierte, als er »Du« sagte. Auch erriet Frau Osnowski, daß Polaniecki seiner Gattin etwas davon erzählt haben mußte, denn nachdem er zu dieser getreten war, hatte sie forschend zu ihr hingeschaut. Zorn, Ingrimm, ein rasender Durst nach Rache erfüllte sie, so daß sie nur zerstreut den übrigen Trinksprüchen zuhörte, welche von Zawilowski, Plawicki und Bigiel ausgebracht wurden.

Nach dem Essen entschloß sie sich plötzlich, tanzen zu lassen, und Jozio unterstützte ihren Vorschlag natürlich eifrig. Außer Marynia, die nicht tanzte, waren noch fünf junge Damen anwesend: Fräulein Lineta, Frau Osnowski, Frau Bigiel, Frau Maszko und Fräulein Zawilowski.

Osnowski, der sich in der ausgelassensten Stimmung befand, bemerkte, man müsse schon deshalb tanzen, damit Ignaz seine Braut im Arm halten könne, weil er dies bisher wohl noch nicht gewagt habe.

Indessen zeigte es sich, daß Zawilowski keinen Nutzen aus dieser Liebenswürdigkeit ziehen konnte, denn er hatte noch niemals in seinem Leben getanzt, eine Thatsache, die Frau Bronicz und Lineta sehr ärgerte. Dagegen besaß Kopowski diese Kunst in hohem Maße, und als er die Heldin des Abends zum Tanze führte, zogen sie aller Augen auf sich. Zawilowski mußte es mitansehen, wie ihr goldenes Köpfchen sich an Kopowskis Schulter schmiegte, wie die beiden sich im Takte des Walzers wiegten, wie sie in der gleichmäßigen, harmonischen Bewegung gleichsam eins wurden.

Sie tanzten lange, und in der Walzermelodie sowie in den Bewegungen des jungen Paares lag etwas wie süße Trunkenheit. Eine unangenehme Empfindung bemächtigte sich Zawilowskis, und schließlich dachte er ungeduldig: »Wann wird dieser Esel endlich einmal genug haben?«

Der Esel hatte endlich genug und forderte sogleich Frau Osnowski zum Tanze auf. Lineta eilte zu ihrem Bräutigam, setzte sich neben ihn und sagte: »Er tanzt gut, prahlt aber gern damit, weil er sich in andern Dingen nicht hervorthun kann. Auch wollte er gar nicht aufhören. Ich kam ganz außer Atem, und das Herz klopft mir jetzt noch heftig. Sie sollten nur fühlen, wie es schlägt . . .«

»Das wage ich nicht!«

»Warum nicht! Es ist ja Ihr ausschließliches Eigentum.«

»Geliebte!« sagte Zawilowski, ihre Hand ergreifend. »Von heute an darfst Du nicht mehr ›Sie‹ sagen.«

»Ich bin ja Dein!« flüsterte sie.

»Wie beneidete ich ihn,« sagte Zawilowski, ihre Hand mit leidenschaftlichem Drucke umschließend.

»Wünschest Du, daß ich nicht mehr tanze? Sonst that ich es gern, aber heute bleibe ich lieber bei Dir – – –«

»Du Liebe, Einzige!«

»Ich bin ein thörichtes, weltlich gesinntes Mädchen, doch werde ich mich bemühen, Deiner würdig zu werden. Ich habe Musik sehr gern, sogar Tanzmusik. Sie hat immer eine eigentümliche Wirkung auf mich . . . Bitte, halte mein Taschentuch und lasse einen Augenblick meine Hand los, denn ich muß meine Haare ein wenig streichen. Zuweilen zu tanzen, ist doch nichts Schlimmes, nicht wahr? Aber wenn es Dir unangenehm ist, werde ich es nicht thun – Deinem Willen unterwerfe ich mich blindlings. Sieh nur, wie hübsch dies Paar tanzt!«

Zawilowski fand jetzt keine Worte, doch hätte er vor ihr niederknien mögen, um zu zeigen, was er für sie fühlte.

Sie hingegen wies auf Polaniecki, der mit Frau Maszko tanzte.

»Wahrlich, er tanzt besser als Herr Kopowski,« sagte sie mit blitzenden Augen, »und wie anmutig sie ist. Einmal möchte ich mit ihm tanzen, falls Du nichts einzuwenden hast.«

»Tanze mit ihm, soviel Du willst, mein Schatz,« erwiderte Zawilowski, der nicht im mindesten eifersüchtig auf Polaniecki war.

»Ach! wie vortrefflich sie tanzen, sie schweben förmlich dahin!«

Tieftraurig beobachtete Marynia ihren Gatten. Sie sah, wie sein Arm Frau Maszko umschlang, wie sein Atem deren Wange streifte, und seine Blicke auf ihr ruhten, und sie verstand in seinen Zügen zu lesen wie in einem offenen Buche. Ihr Herz zog sich krampfhaft zusammen, weil ihr ahnte, daß die Zukunft ihr viel Leid bringen, ihre Liebe sich in Verachtung verwandeln könne. Von ihren Augen schien plötzlich ein Schleier zu fallen, der ihr bis jetzt die Schlechtigkeit, die ganze Erbärmlichkeit der Menschennatur, die ganze Unwahrheit des menschlichen Lebens verhüllt hatte.

Plötzlich ließ sich Frau Osnowskis Stimme neben ihr vernehmen.

»Ach Marynia,« sagte sie in heiterem Tone, »Dein Gemahl und Frau Maszko scheinen von der Natur eigens dazu erschaffen zu sein, miteinander zu walzen . . . Sie passen vortrefflich zu einander. Wahrhaftig, an Deiner Stelle wäre ich ein wenig eifersüchtig . . . Bist Du nicht eifersüchtig? – Nein? – Ich bin aufrichtig und gestehe, daß ich Anlage zur Eifersucht habe. Oh! Ich weiß ja ganz gut, daß Jozio mich liebt, aber die Herren der Schöpfung pflegen sogar dann, wenn sie wahrhaft lieben, ihre kleinen Schwärmereien zu haben, und wenn uns das Herz auch wehe thut, bemerken sie es entweder nicht oder sie wollen es nicht bemerken. Auch die besten sind so – Jozio ist ja ein musterhafter Ehemann – aber ich weiß es sofort, wenn Jozio eine Tändelei anfängt – und weißt Du, woran ich es merke?«

»Woran denn?« fragte Marynia hastig.

»So oft er nämlich kein reines Gewissen hat, beargwöhnt er andre und teilt mir seine Beobachtungen mit, um so die Aufmerksamkeit von sich abzulenken. Der gute Jozio! Dies ist gewöhnlich ihr Kunstgriff. Und sie lügen alle! Sogar die besten.«

Mit diesen Worten entfernte sie sich in der festen Ueberzeugung, einen überaus geschickten Schachzug gethan zu haben. Und was sie gewollt, hatte sie erreicht. In Marynias Kopf herrschte ein wahres Chaos. Zudem fühlte sie eine große physische Ermattung. »Ich bin krank, erregt – sagte sie sich – daher kommt es, daß ich mir Gott weiß was einbilde.« Sie sehnte sich nach Hause, aber der Regen goß jetzt in Strömen hernieder. – »Nach Hause! Nach Hause! . . . Ach, wie müde ich bin!«

Indessen näherte sich Polaniecki, und als er ihr bleiches, trauriges Gesicht sah, erwachte tiefes Mitleid in ihm, wie denn überhaupt sein gutes Herz stets wieder die Oberhand erlangte.

»Armes Kind!« sagte er, »es ist Zeit für Dich, zu Bett zu gehen, warten wir nur, bis der Regen ein wenig nachgelassen hat. Fürchtest Du Dich vor dem Gewitter?«

»Nein, aber setze Dich zu mir . . . Vielleicht hätte ich nicht herkommen sollen. Ich bedarf jetzt sehr der Ruhe, Stach.«

Ein heftiger Schrecken erfaßte ihn. Wie, wenn sie ahnte, was in ihm vorging? Mit ihrem Frieden wäre es für immer dahin.

»Zum Teufel mit all den Gesellschaften und Tanzvergnügungen,« sagte er voll Reue. »Von jetzt an werde ich zu Hause bleiben und mein geliebtes Frauchen pflegen.«

Er sprach so herzlich, daß ein Gefühl der Erleichterung sie überkam.

»Seit Du bei mir bist, fühle ich mich besser,« erklärte sie. »Noch vor wenigen Minuten war ich sehr müde und matt – Aneta saß eine Zeit lang bei mir, aber wenn man sich nicht wohl fühlt, möchte man nur Menschen um sich haben, die einem lieb sind. Vielleicht schiltst Du mich deshalb, allein ich bedarf Deiner wirklich – denn ich liebe Dich sehr.«

»Und ich liebe Dich, geliebtes Herz,« erwiderte Polaniecki, der in diesem Augenblick die Ueberzeugung hegte, nur die Liebe zu ihr könne ihm Glück und Frieden bringen.

Mittlerweile hatte der Regen nachgelassen, doch Blitz und Donner folgten noch immer rasch auf einander, und die Fenster der Villa erglänzten zuweilen in bläulich weißem Lichte.

Eine Viertelstunde später jedoch war das Gewitter vorüber, und die Gäste entfernten sich. Nur Zawilowski verweilte noch länger als die andern.

In seiner Besorgnis um Marynia befahl Polaniecki dem Kutscher, im Schritt zu fahren. Sie aber sah ihn im Geiste immer noch mit Frau Maszko zusammen, und in ihren Ohren klangen fortwährend Frau Osnowskis Worte: »Ach, sie lügen alle, auch die besten!« Als jedoch ihr Gatte sie zärtlich an sich zog und sie während der ganzen Fahrt umschlungen hielt, beruhigte sie sich allmählich wieder. Am liebsten hätte sie ihm ihre Angst offen bekannt, allein dann dachte sie auch: »Wenn er mich nicht liebte, wäre er nicht so zärtlich besorgt um mich. Heuchelei ist ihm fremd. Nein, ich werde nichts sagen.«

Und als Polaniecki, der in diesem Moment offenbar von der Ueberzeugung durchdrungen war, daß sie seine einzige wahre Liebe, sein einziges Glück sei, sich zu ihr herabneigte und sie auf die Stirne küßte, dachte sie: »Ich werde auch morgen nichts sagen,« indem sie ihr Köpfchen an seine Schulter schmiegte.

Aufs äußerste erschöpft durch die Erregungen des Abends, schloß sie dann die Augen und schlummerte noch vor ihrer Ankunft zu Hause an Polanieckis Schulter ein. – Indessen saß Frau Bronicz im Salon und blickte nach der geschlossenen Thüre des Balkons, auf den sich die Verlobten für einen Augenblick begeben hatten, um die durch den Regen abgekühlte Luft einzuatmen und sich ohne Zeugen voneinander zu verabschieden. Es war eine schöne Nacht, die feucht schimmernden Sterne schienen unter Thränen zu lächeln, Blüten und Blätter hauchten einen betäubenden Duft aus. Schweigend standen die beiden eine Zeitlang bei einander, schließlich wies Zawilowski auf seinen Ring und rief aus:

»O Du Geliebte! Ich kann mich nicht satt sehen an diesem Reife. Bisher dünkte mich, alles sei ein schöner Traum, und jetzt erst wage ich es mir vorzustellen, daß Du die Meine sein wirst.«

Ihre Hand auf die seinige legend, so daß die beiden Ringe sich nebeneinander befanden, erwiderte Lineta in weichem Tone:

»Nun ist die ehemalige Lineta nicht mehr vorhanden, nur Deine Braut. Wie eigentümlich, daß diese Ringe eine Kraft besitzen, als ob sie etwas Heiliges wären.«

Ein überströmendes Gefühl des Glückes und sanften Friedens erfüllte Zawilowski.

»Dieser Ring repräsentiert das Herz, welches sich hingiebt und dafür ein andres empfängt,« sagte er. – – »Und ein solches Gelöbnis enthält alles, was im Innern des Menschen spricht: ›Ich begehre, ich liebe und ich bin Dein eigen!‹«

»Ich begehre, ich liebe und ich bin Dein eigen!« wiederholte Lineta leise.

Er nahm sie in seine Arme und hielt sie lange an seiner Brust. Seine starke Liebe, seine hochgesinnte Seele machten diesen Abschied zu einem feierlichen Akt. »Gute Nacht!«

Nach wenigen Minuten befanden sich Frau Bronicz und Fräulein Castelli allein im Salon.

»Bist Du müde mein Kind?« fragte Frau Bronicz, in das abgespannte Gesicht Linetas blickend.

Und Fräulein Castelli erwiderte:

»Ach Tante, ich komme von den Sternen zurück, und das ist solch ein weiter Weg.«


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