Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Dreiundvierzigstes Kapitel

Frau Osnowski war die Idee mit den florentinischen und römischen Abenden so gänzlich aus dem Sinn gekommen, daß sie höchst verwundert that, als ihr Mann sie daran erinnerte. Was für Abende er meine, fragte sie, ihr sei von einem solchen Plane gar nichts mehr erinnerlich. Sie habe jetzt eine viel wichtigere Aufgabe, die Zähmung des Adlers. »Wer nicht sofort davon überzeugt ist,« fuhr sie fort, »daß der Adler und Lineta für einander geschaffen sind, der ist eben so kurzsichtig, wie mein Herr und Gebieter, dem ist nicht zu helfen. Die Männer haben überhaupt ein sehr schweres Begriffsvermögen, es fehlt ihnen der feine Instinkt der Frauen. Zawilowski freilich bildet darin eine Ausnahme. Sehr wünschenswert wäre es übrigens immerhin, wenn Marynia Polaniecki ihn als Freundin darauf aufmerksam machen würde, daß er sich besser kleiden und sich einen Bart wachsen lassen solle. Lineta ist eine durch und durch ästhetische Natur, die von jeder Kleinigkeit unangenehm berührt wird. Vielleicht empfindet sie aber ihm gegenüber anders, denn er hypnotisiert sie geradezu.«

Herr Osnowski kannte sich nicht vor Entzücken über das Geschnatter seiner Frau; voll Bewunderung ergriff er ihre Hände und bedeckte sie mit glühenden Küssen. Dann aber stellte er eine ähnliche Frage, wie Polaniecki sie Marynia gestellt hatte: »Ich möchte doch wissen, weshalb Du die beiden absolut zusammenbringen willst!«

»La reine s'amuse!« antwortete Frau Aneta voll Koketterie. »Ich halte nicht für eine Kunst, Bücher zu schreiben – ein wenig Talent, das ist alles, was nötig ist. Aber im Leben etwas durchzuführen, das ist eine große Kunst und gewährt nebenbei Unterhaltung. Vielleicht verfolge ich aber auch einen persönlichen Zweck dabei. Jozio mag erraten, welchen.«

»Ich sage es Dir ins Ohr,« erklärte Osnowski.

Vor Neugierde mit ihren Veilchenaugen blinzelnd, neigte sie sich mit schelmischer Miene ihm zu, er aber bezweckte nichts weiter als sie küssen zu können und flüsterte ihr als ganzes Geheimnis zu: »La reine s'amuse!«

In diesem Ausspruche lag immerhin eine gewisse Wahrheit. Wenn auch Frau Osnowski bei ihrem Plane, aus Zawilowski und Fräulein Castelli ein Paar zu machen, einesteils persönliche Zwecke verfolgte, so amüsierte sie es auch andernteils, die Rolle der Vorsehung in diesem Romane zu spielen.

Frau Osnowski sparte daher auch kein Mittel, um Fräulein Castelli für ihre Pläne gefügig zu machen. Von früh bis spät hörte das junge Mädchen, wie sehr dieser »Adler« sie liebe, wie er ihr zu Füßen liege, und wie sie, die Auserwählte, sie, das ungewöhnliche Wesen, nicht unempfindlich dafür sein könne! Was war daher natürlicher, als daß sie sich schließlich geschmeichelt fühlte! Und nicht nur Frau Aneta behauptete, Lineta sei wie geschaffen für den jungen Dichter, sondern auch Frau Bronicz schloß sich dieser Ansicht an, denn wie sie früher von sich gedacht hatte, jeder müsse in sie verliebt sein, so dachte sie es jetzt von ihrer Nichte, wobei sie jedes Vorkommnis mit ihrer Phantasie auf das unglaublichste ausschmückte. Schließlich stimmte auch Herr Osnowski in den Chor ein. Aus Liebe für seine Frau interessierte ihn alles, was Fräulein Castelli und Frau Bronicz betraf, und so beschäftigte ihn diese Angelegenheit außerordentlich. Dazu kam, daß ihm Zawilowski nicht nur von vornherein sehr sympathisch gewesen war, sondern daß auch alle Nachrichten, die er über ihn einzog, günstig lauteten. Das Benehmen Zawilowskis rechtfertigte gewissermaßen eine ernstere Auffassung der Sachlage, denn er zeigte sich immer häufiger in dem gemeinsamen Salon und unterhielt sich immer ausschließlicher mit Lineta. Das erstere erfolgte zwar auf die dringenden Einladungen von Frau Osnowski, das letztere geschah jedoch aus eigenem freien Willen. Frau Aneta bemerkte auch sehr wohl, wie sein Blick immer häufiger auf den goldenen Haaren und den schläfrigen Lidern von Lineta ruhte, und wie er sie beobachtete, wenn sie durch das Zimmer schritt.

Noch ernster wurde die Sache, als der erste Band seiner Gedichte veröffentlicht wurde. Er hatte wohl schon früher verschiedene seiner Dichtungen in Druck gegeben und damit großes Aufsehen erregt, allein der Eindruck hatte sich immer wieder abgeschwächt, weil sie vereinzelt und in zu großen Zwischenräumen erschienen waren. Jetzt aber brachte das Buch eine dauernde Wirkung hervor. Der Glanz und die Kraft der Wahrheit gingen von den Gedichten aus. Die Sprache war ehern und wuchtig, gleich Metall, und doch auch wieder biegsam und von der anziehendsten Form. Das Aufsehen steigerte sich von Tag zu Tag; bald veränderte sich das beifällige Gemurmel in laute Bewunderung. Allerorts sprach man von ihm, beschäftigte sich mit ihm. Der alte, reiche Herr Zawilowski, der Vater Fräulein Helenens, der zu sagen pflegte, es gebe auf der Welt zwei große Plagen, nämlich das Podagra und arme Verwandte, antwortete jetzt, so oft er befragt wurde: »mais oui, mais oui, c'est mon cousin« – und diese Erklärung machte auf viele Personen, in erster Reihe aber auf Frau Bronicz einen hervorragenden Eindruck. Auch Frau Osnowski und Fräulein Castelli litten nicht mehr unter der geschmacklosen Krawattennadel Zawilowskis, da jetzt bei ihm alles für Originalität gelten durfte. Nur der Name Ignaz schmerzte sie noch, da er ihrer Ansicht nach ganz unpassend für einen Dichter war, und erst als Herr Osnowski ihnen erklärte, Ignaz bedeute eigentlich »der Feurige«, gaben sie sich zufrieden.

Nicht nur bei Bigiels und bei Polanieckis herrschte eine innige Freude über das Aufsehen, welches das Buch erregte, sondern auch das ganze Bureau zeigte den wärmsten Anteil. Der alte Kassierer Walkowski, der Agent Abdalski und der zweite Buchhalter Pozniakowski sonnten sich geradezu in dem Ruhme des Kollegen, auf den, ihres Dafürhaltens, das ganze Handlungshaus stolz sein konnte, ja, Walkowski pflegte zu sagen: »Nun haben wir es den Leuten gezeigt.« Bigiel aber überlegte zwei Tage lang, ob wohl der junge Dichter weiter mit der bescheidenen Stellung in der Firma Polaniecki und Bigiel vorlieb nehmen könne. Als er jedoch Zawilowski darüber befragte, antwortete dieser: »Weshalb denn nicht, mein lieber Herr Bigiel? Weil die Leute über mich reden, soll ich meinen Verdienst und die angenehmsten Kollegen in der Welt aufgeben? Ich konnte ja nie einen Verleger finden, und wenn ich nicht Buchhalter bei Ihnen geworden wäre, hätte ich meine Gedichte gar nicht herausgeben können.«

Gegen ein solches Argument ließ sich nichts einwenden, Zawilowski blieb daher nach wie vor im Geschäfte, verkehrte aber jetzt noch häufiger als früher bei Bigiels und bei Polanieckis. Nach dem Erscheinen des Buches ließ er acht Tage verstreichen, ohne sich bei den Osnowskis zu zeigen, gerade als ob er etwas Unrechtes begangen hätte. Da ihm aber Frau Bigiel und Marynia zuredeten, doch ja zu gehen, und er auch selbst Lust dazu verspürte, machte er sich schließlich eines Abends auf den Weg und gelangte in dem Augenblicke an, da die Damen ins Theater fahren wollten. Sie erklärten zwar sofort, sie blieben nun unbedingt zu Hause, Zawilowski ging jedoch nicht darauf ein, und so einigte man sich nach längerem Hin- und Herreden dahin, daß er mit ihnen ins Theater fahre. So geschah es auch. »Wenn Jozio ins Theater gehen will,« meinte Frau Osnowski, »so kann er sich ja noch eine Karte für einen Sperrsitz lösen!« Und Jozio löste sich auch eine solche Karte. Während der Vorstellung saß Zawilowski mit Fräulein Lineta im Vordergrunde der Loge, denn Frau Osnowski hatte darauf bestanden, die beiden mit Frau Bronicz zu bemuttern. »Unterhaltet Euch recht gut mit einander, und wenn irgend jemand kommen wird, so werde ich ihn so mit Beschlag belegen, daß er Euch nicht stören kann!« Viele Blicke richteten sich auf diese Loge, sobald es bekannt wurde, wer darin saß. Fräulein Castelli fühlte sehr wohl, daß ein gewisser Glanz sie umstrahlte, sie empfand, daß die Leute nicht nur auf ihn schauten, sondern gleichzeitig auch fragten, wer die Dame mit den goldnen Haaren sein möge, zu der er sich neigte, mit der er sprach. Von Zeit zu Zeit blickte sie ihn selbst prüfend an, und sagte sich dann, daß er ohne sein hervorstehendes Kinn ein schönes feingeschnittenes Profil hätte, daß dies Kinn aber leicht durch einen Bart verdeckt werden könnte. Frau Osnowski wiederum nahm die ihr aus eigener Initiative gewordene Pflicht so wörtlich, daß Kopowski, der in die Loge kam, kaum Zeit fand, Fräulein Castelli zu begrüßen und zu Zawilowski sagen zu können:

»Ach Sie, Sie schreiben Verse! Ich würde mir diese Verse sehr gern anschaffen, aber merkwürdiger Weise denke ich sofort an etwas anderes, sobald ich Verse lese!« In diesem Augenblick schaute ihn Fräulein Castelli an, und es war schwer zu unterscheiden, was in diesem Blicke überwog, die Bosheit einer Spötterin oder die plötzliche Bewunderung einer Künstlerin, denn dieser Kopf mit dem Vogelhirn nahm sich auf dem Hintergrunde der Loge wie das Meisterwerk eines Malers aus.

Nach der Vorstellung wollte Zawilowski sich verabschieden, allein Frau Osnowski bestand darauf, daß er mit ihnen zum Thee nach Hause fahre. Kaum aber saßen sie beisammen, so fing Frau Bronicz an, ihm Vorwürfe zu machen.

»Sie sind ein böser, böser Mensch,« rief sie; »wissen Sie, daß Sie es auf dem Gewissen haben, wenn meiner Lineta etwas zustößt? Das Kind schläft ja gar nicht mehr, es liest fortwährend Ihre Gedichte.«

»Jawohl,« fügte Frau Osnowski hinzu, »ich muß mich auch beklagen. Sie raubte Ihr Buch und will es nun auch nicht auf einen Augenblick mehr hergeben. Es ist mein, es ist mein,« antwortet sie, »wenn wir unserm Aerger darüber Luft machen.«

»Es ist auch mein,« unterbrach sie Lineta mit leiser, weicher Stimme, indem sie die Hände an die Brust drückte, als ob sie etwas beschützen wolle.

Mit unverkennbarer Bewunderung blickte Zawilowski auf das junge Mädchen, während er fühlte, wie alle Nerven in ihm bebten. Es war schon sehr spät, als er nach Hause zurückkehrte, trotzdem brannte noch Licht bei Polanieckis, an deren Hause er vorüber mußte. Durch das Theater und den Abend bei den Osnowskis befand er sich wie im Taumel. Jetzt aber beim Anblick dieser erleuchteten Fenster kam er wieder zu sich selbst. Die reine Verehrung, die er Marynia zollte, erwachte in ihm mit der früheren Kraft. Er geriet in jene exaltierte Stimmung, in der die Sinne schlafen, in welcher der Mensch ganz Seele wird.

Bei den Polanieckis brannte aber deshalb noch Licht, weil sich etwas ereignet hatte, das Marynia wie ein Fingerzeig, wie die ersehnte Barmherzigkeit Gottes erschien.

Des Abends, nach dem Thee war sie wie gewöhnlich über ihrem Haushaltungsbuch gebeugt gesessen, als sie plötzlich den Bleistift weglegte. Eine tiefe Blässe überzog ihr Antlitz, das aber gleich darauf von einem Freudenstrahl verklärt wurde, und mit einer völlig veränderten Stimme rief sie:

»Stach!«

Ihr Ton fiel ihm gleich auf; er eilte auf sie zu und fragte:

»Was hast Du? Du bist so blaß!«

»Komm näher, ich habe Dir etwas zu sagen.«

Er beugte sich zu ihr, sie aber, seinen Kopf zwischen die Hände nehmend, flüsterte ihm einige Worte ins Ohr. Er fuhr empor, schaute sie prüfend an und küßte sie zärtlich auf die Stirn.

»Rege Dich nur nicht auf,« sagte er dann gerührt, »es könnte Dir schaden. Und höre, Marynia,« fügte er hinzu, nachdem er eine Weile im Zimmer auf und ab gegangen war und seiner Frau abermals einen Kuß auf die Stirn gedrückt hatte, »die meisten Menschen wünschen sich zuerst einen Sohn, aber wir wollen eine Tochter. Wir nennen sie dann Litka.«

Die beiden konnten in dieser Nacht lange keinen Schlaf finden, daher hatte auch Zawilowski ihre Fenster noch erleuchtet gesehen.


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