Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Vierunddreißigstes Kapitel

Ins Hotel zurückgekehrt, fanden Polaniecki und Marynia zu ihrer Verwunderung die Visitenkarten des Osnowskischen Ehepaares vor. Auf diese ungewöhnliche Zuvorkommenheit hin beeilten sie sich, am andern Tage einen Gegenbesuch zu machen. Bukacki, der gerade vorher bei ihnen war, sagte zu Polaniecki, als er sich einen Augenblick allein mit ihm befand: »Sie wird mit Dir kokettieren, wenn Du aber dann glaubst, sie sei in Dich verliebt, irrst Du Dich. Sie gleicht einem Rasiermesser und braucht immer einen Riemen zum Schleifen. Im besten Falle wird sie Dich als Riemen benutzen.«

»Erstens will ich nicht ihr Riemen sein,« erwiderte Polaniecki, »und zweitens ist es überhaupt noch zu früh dazu.«

»Zu früh! Das heißt also, daß Du Dir die Zukunft vorbehältst.«

»Nein, das heißt, daß ich an andere Dinge zu denken habe, daß ich meine Marynia immer mehr liebe, daß es nicht nur ›zu früh‹, sondern auch ›zu spät‹ ist, und daß Frau Osnowski sich nur an mir schartig machen könnte.« Polaniecki fühlte sich so sicher, daß es ihn gewissermaßen darnach verlangte, die Probe zu machen.

Nach dem Frühstück fuhr er mit Marynia zu Swirski. Die Sitzung währte nicht lange, da der Maler zu der Jury bei einer Preisbewerbung gehörte und sich eilen mußte, um an Ort und Stelle zu kommen. Eine Viertelstunde nach ihrer Rückkunft zu Hause trat Herr Osnowski bei ihnen ein.

Nach dem, was Polaniecki von ihm gehört hatte, empfand er eine gewisse Geringschätzung gegen ihn. Marynia hingegen sympathisierte lebhaft mit ihm. Was Swirski von seiner Güte gegen seine Frau erzählt hatte, nahm sie für ihn ein. Ihr dünkte, all seine guten Eigenschaften seien auf seinem Gesichte ausgedrückt, dessen Züge gar nicht häßlich waren, aber durch einen unreinen Teint verunstaltet wurden.

»Ich komme auf Veranlassung meiner Frau, um Ihnen einen Vorschlag zu machen,« begann Herr Osnowski mit der Unbefangenheit eines Menschen, der an gute Gesellschaft gewohnt ist. »Wir wollen nämlich heute nach St. Paolo fahren und nach Tre Fontane. Es ist außerhalb der Stadt, und man hat eine wunderschöne Aussicht dort. Es wäre uns nun sehr angenehm, wenn Sie mit uns diesen Ausflug machen wollten.«

Marynia schaute erwartungsvoll ihren Mann an, und dieser erwiderte: »Ich würde sehr gern auf Ihren Vorschlag eingehen, aber die Entscheidung hängt von einer höhern Macht ab.«

Die höhere Macht war freilich nicht sicher, ob ihr demütiger Untergebener es wirklich aufrichtig so meinte, wie er sagte, doch als sie sein lächelndes Gesicht sah, wagte sie endlich zu erklären: »Mit vielem Dank nehmen wir an. Nur möchten wir Ihnen keine Umstände machen.«

»Durchaus nicht, nur Vergnügen machen Sie uns,« antwortete Osnowski, »in einer Viertelstunde sind wir hier.«

Und wirklich binnen einer halben Stunde waren sie unterwegs.

Die chinesischen Augen Frau Osnowskis blickten zufrieden und froh darein. In einem irisfarbenen Foulardkleide mit einem Kragen, der für das achte Wunder der Welt gelten konnte, sah sie wirklich wie eine Sirene aus, und noch waren sie nicht bei St. Paolo angelangt, als Frau Osnowski Herrn Polaniecki schon folgendes zu verstehen gegeben hatte:

»Deine Frau ist ein recht liebes Dorfkind, und mein Mann kommt auch nicht in Betracht. Wir beide aber verstehen uns vollständig.«

Als sie bei St. Paolo angelangt waren, wollte ihr Mann den Wagen halten lassen, doch sie sagte: »Wir können uns auf dem Rückweg aufhalten, denn dann wissen wir, wieviel Zeit uns noch bleibt. Jetzt aber laß uns direkt nach Tre Fontane fahren.« Zu Polaniecki gewendet, fuhr sie fort: »Es giebt manches hier, worüber ich Sie befragen möchte.«

»Da haben Sie es schlecht getroffen,« erwiderte Polaniecki, »denn ich verstehe sehr wenig von solchen Dingen.«

Es zeigte sich auch bald, daß Herr Osnowski von der ganzen Gesellschaft am meisten wußte. Seine Gattin aber achtete kaum auf seine Erklärungen.

Hinter St. Paolo eröffnete sich die Aussicht auf die Campagna mit ihren Aquädukten und auf das Albanergebirge, das aus bläulichem Nebel emportauchte. Frau Osnowskis träumerische Blicke hafteten eine Zeitlang darauf, dann fragte sie: »Sind Sie schon in Albano und in Remi gewesen?«

»Nein!« erwiderte Polaniecki, »die Sitzungen bei Swirski nehmen unsere Zeit dermaßen in Anspruch, daß wir keine größeren Ausflüge machen können, ehe das Porträt fertig ist.«

»Wir sind schon dort gewesen, aber wenn Sie hinfahren, nehmen Sie mich noch einmal mit. Sie sind doch auch einverstanden?« fügte sie, sich an Marynia wendend hinzu. »Zwar werde ich das fünfte Rad sein, aber das macht ja nichts. Uebrigens werde ich mich in eine Ecke des Wagens drücken und kein Wort sprechen.«

»Oh, Kleine! Kleine,« sagte Herr Osnowski.

»Mein Mann will nicht glauben, daß ich mich in Remi verliebt habe,« nahm Frau Osnowski wieder das Wort. »Aber ich habe mich doch verliebt. Remi ist die geheimnisvolle Ruhe selbst. Werden Sie es glauben, Herr Polaniecki, daß ich dort Lust bekam, Einsiedlerin zu werden, und daß ich sie bis jetzt noch nicht verlor. Am Ufer des Sees würde ich mir eine Zelle bauen, in ein langes, graues Gewand würde ich mich kleiden, ähnlich der Kutte des hl. Franz von Assisi, und barfuß würde ich gehen. Was würde ich dafür geben, eine Einsiedlerin werden zu können!«

»Anetka, was würde aus mir werden?« fragte Herr Osnowski halb scherzhaft, halb im Ernste.

»Du würdest Dich trösten,« erwiderte sie kurz.

Polaniecki aber dachte: »Sie würde Einsiedlerin werden, wenn am andern Ufer des Sees einige Dutzend Stutzer ständen und durch ihre Operngläser der Einsiedlerin Thun und Treiben beobachteten.«

Er war zu gut erzogen, um ihr das, was er dachte, direkt zu sagen, doch machte er eine ähnliche Bemerkung, und sie erwiderte lachend: »Ich müßte von Almosen leben, daher auch von Zeit zu Zeit Menschen sehen, und wenn Sie nach Remi kämen, so würde ich zu Ihnen herantreten und leise sagen: »un soldo, un soldo.« Bei diesen Worten streckte sie ihm ihre kleine Hand hin, indem sie demütig widerholte: »Un soldo per la povera, un soldo!« Dabei schaute sie ihm in die Augen.

Inzwischen unterhielt sich Herr Osnowski mit Marynia.

»Es geht die Sage, erklärte er, daß, als der hl. Paul enthauptet ward, sein Kopf dreimal emporgesprungen sei, und daß an jener Stelle drei Quellen: Tre fontane, entstanden seien. Jetzt gehört der Ort den Trappisten. Früher konnte man des Fiebers wegen nicht dort übernachten; aber seitdem man einen ganzen Wald von Eukalyptus auf die Anhöhen gepflanzt hat, sind die Gesundheitsverhältnisse besser geworden. Ah! hier sind sie schon zu sehen.«

In den Wagen zurückgelehnt schlug Frau Osnowski indessen einen Moment die Augen nieder und sagte zu Polaniecki: »Die römische Luft berauscht mich förmlich, mir ist, als ob ich nicht recht bei Sinnen wäre, zu Hause verlange ich vom Leben nicht mehr, als es mir giebt, hier aber werde ich förmlich demoralisiert, hier fühle ich, daß mir etwas fehlt. Eine gewisse Sehnsucht verläßt mich nicht. Vielleicht ist das schlimm, vielleicht sollte ich es nicht sagen, aber ich sage immer das, was mir in den Sinn kommt. Zu Hause, als ich noch klein war, hat man mich das Fräulein Geradeaus genannt. Ich werde meinen Mann bitten, mich von hier wegzunehmen.«

Mittlerweile waren sie an »Tre Fontane« angelangt, sie besuchten den Garten, die Kirche und die Kapelle, unter der die drei Quellen entspringen. Herr Osnowski erklärte mit seiner etwas monotonen Stimme, was er erklären konnte, d. h. was er kurz zuvor darüber gelesen hatte. Marynia hörte ihm mit Interesse zu. Polaniecki hingegen dachte: »Dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahre mit ihm zu leben, muß eine schwere Aufgabe sein.« In seinen Augen ward Frau Osnowski dadurch gerechtfertigt. Sie verhielt sich auch nicht einen Moment ruhig. Zuerst trank sie einen aus Eukalyptus im Kloster gegen Fieber bereiteten Liqueur, dann erklärte sie entschieden, wenn sie ein Mann wäre, würde sie Trappist werden, erinnerte sich indessen gleich wieder, daß sie auch gern zur Marine gegangen wäre, denn: »fortwährend zwischen Wasser und Himmel, noch am Leben und doch in der Unendlichkeit zu sein,« das gefiel ihr, schließlich aber kam ihr Hauptwunsch heraus, ein großer, berühmter Schriftsteller zu sein, der die geheimsten Regungen der Seele, halbbewußte Gefühle, alle möglichen Gestalten schildern, Licht und Schatten je nach Belieben verteilen könne. Den Anwesenden ward auch kund gethan, unter dem Siegel der Verschwiegenheit freilich, daß sie ihre Memoiren schreibe, daß der gute Jozio dieselben als ein Meisterwerk betrachte, daß sie aber wisse, sie seien nichts, daß sie nicht die geringsten Prätensionen habe und über Jozio und die Memoiren lache.

Und Jozio betrachtete sie mit entzückten Blicken.

Feurig stand die Sonne im Westen; die Bäume warfen lange Schatten, das Albanergebirge war von einem rosa Schimmer übergossen. Vom Turme der Paulskirche ertönte das Zeichen zum Abendgebet, und bald darauf vernahm man eine zweite, dritte und vierte Glocke. Eine Kirche folgte der andern, so daß ein ganzer Chor entstand, die Luft war so klangerfüllt, als ob nicht nur die Stadt, sondern die ganze Gegend, Berg und Thal zum Abendgebet läuteten.

Polanieckis Blicke suchten unwillkürlich die seiner Frau. Aber Marynia hielt die Augen gesenkt. Tiefer Friede drückte sich auf ihrem Antlitz aus, ihre Lippen bewegten sich im Gebete.

Die Frömmigkeit Marynias, das Glockengeläute, die weihevolle Stimmung, die über der ganzen Gegend lag, verfehlten nicht, ihre Wirkung auf Polaniecki auszuüben. Was für ein Thor wäre ich, sagte er sich, wenn ich eine besondere Form für meine Gottesverehrung suchte, statt mich mit der zufrieden zu geben, die meine Gattin »Gottesdienst« nennt, und welche die beste sein muß, da sie nun fast zweitausend Jahre existiert. Weshalb sollte ich die Prätension haben, etwas auszudenken, das der Gottesidee besser entspricht? Zudem ist dies der Glaube meiner Mutter gewesen, ist es der Glaube meiner Frau – und eine friedlichere, glücklichere Natur, als sie, habe ich niemals gesehen.

Wieder schaute er auf Marynia. Sie hatte ihr Gebet beendigt, lächelte ihm zu und sagte: »Weshalb bist Du so schweigsam?«

»Es spricht ja niemand etwas,« erwiderte er.

Dem war wirklich so, wenn auch aus verschiedenen Gründen.

Während Polaniecki mit seinen Gedanken beschäftigt war, verschwendete Frau Osnowski manche Worte und Blicke an ihn, doch er beantwortete ihre Fragen sehr zerstreut, ihre Blicke bemerkte er gar nicht. Dies empfand sie geradezu als eine Beleidigung, und sie beschloß, ihn zur Strafe mit gleicher Münze zu bezahlen. Als echte Weltdame ward sie nun recht artig gegen Marynia, forschte sie gleichzeitig über ihre Absichten für den folgenden Tag aus, und als sie vernahm, daß sie den Vatikan besuchen wollten, verkündete sie, sie und ihr Mann hätten auch Eintrittskarten und wollten sie dann gleichfalls benützen.

»Sie wissen doch, wie man gekleidet sein muß?« fragte sie. »Schwarzes Kleid und schwarzes Spitzentuch auf dem Kopfe. Man sieht darin etwas alt aus, doch ist es notwendig.«

»Herr Swirski machte mich schon darauf aufmerksam,« erwiderte Frau Polaniecki.

»Herr Swirski erzählte mir immer während der Sitzungen von Ihnen, er hat eine große Sympathie für Sie.«

»Ich auch für ihn,« sagte Marynia.

Unterdessen waren sie am Hotel angelangt. Frau Osnowski verabschiedete sich so kalt von Polaniecki, daß er unwillkürlich dachte: »Sie versucht wohl ein neues Mittel oder vielleicht habe ich etwas gesagt, was ihr mißfiel.«

Abends fragte er Marynia: »Was denkst Du von Frau Osnowski?«

»Ich glaube, Herr Swirski beurteilt sie ganz richtig,« antwortete Marynia.

»Jetzt wird sie wohl an dem Tagebuch schreiben, das von Jozio als Meisterwerk betrachtet wird,« sagte Polaniecki.


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