Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Achtes Kapitel

Zwei Tage später erhielt Polaniecki Maszkos Antwort. Sie lautete: »Gestern habe ich Krzemien käuflich erworben.« Zwar wäre aus Marynias Brief leicht zu ersehen gewesen, daß die Sache eine solche Wendung nehmen werde, und Polaniecki hätte darauf vorbereitet sein müssen, allein trotzdem war er auf diese Kunde hin wie vom Donner gerührt.

Und Frau Emilie, die Marynias Anhänglichkeit an Krzemien besser kannte als sonst jemand, wußte nur zu wohl, daß durch diesen Verkauf die Aussöhnung der beiden jungen Leute in hohem Grade erschwert werde.

»Wenn Maszko sich nicht mit Marynia verheiratet,« sagte Polaniecki, »wird Plawicki auf eine Weise übervorteilt, daß ihm kein Groschen mehr übrig bleibt. Wenn jetzt Marynia und ihr Vater vollständig von Geldmitteln entblößt sind, ist es allein meine Schuld.«

»Daß Krzemien verkauft ist, ist noch nicht das Schlimmste,« sagte Frau Emilie, »der Gedanke, daß Sie den Verkauf veranlaßten, ist das Bitterste für Marynia.«

Polaniecki empfand nur zu gut die Richtigkeit dieser Ansicht und begriff, daß Marynia für ihn so gut wie verloren sei. So blieb ihm denn nichts anderes übrig, als sie zu vergessen und sich eine andere Gattin zu suchen. Aber dagegen empörte sich sein ganzes Herz. Das tiefste Mitleid für Marynia ergriff ihn jetzt, er konnte nicht ohne Rührung an sie denken. Die Folge davon war, daß seine Neigung nur noch stärker ward. Wo es galt, Schwierigkeiten zu überwinden, da fühlte er sich nur noch mehr angefeuert. Zudem widerstrebte es auch seiner Eigenliebe, Marynia vollständig zu entsagen. Der Gedanke, er müsse sich vielleicht dereinst gestehen, daß er nur ein Spielball in den Händen eines Maszko gewesen, nur ein Mittel zu dessen Zweck, daß er sich von ihm ausnützen oder wenigstens von ihm hatte benützen lassen, erfüllte ihn mit Wut. Wenn auch Maszko Marynia nicht zur Gattin bekam, wenn er sich auch vorerst mit Krzemien zufrieden geben mußte, war dies doch mehr, als Polaniecki zu ertragen vermochte. Jetzt ergriff ihn eine unwiderstehliche Lust, gegen Maszko aufzutreten, seine Pläne zu vereiteln und ihm zu zeigen, daß seine juristische Spitzfindigkeit im Wettkampfe mit wahrhaft männlicher Energie doch nicht ausreiche.

Durch all dies, durch edle und unedle Beweggründe ward Polanieckis Unternehmungsgeist angefeuert, ward er mit unwiderstehlicher Macht zur That getrieben. Aber was sollte, was konnte er thun? Auf diese Frage wußte er keine Antwort. Zum erstenmal in seinem Leben hatte Polaniecki das Gefühl, wie wenn er in Ketten und Banden läge, und sie drückten ihn umsomehr, als er an keine Fessel gewöhnt war. Zum erstenmal in seinem Leben erfuhr er, was Schlaflosigkeit und Ueberreizung der Nerven heißt, und da auch Litka sich in den letzten Tagen wieder etwas schlimmer fühlte, lag eine dumpfe Schwere über der ganzen Gesellschaft, eine Atmosphäre der Angst und Unruhe, in der das Leben unerträglich erschien.

Nach Ablauf einer Woche kam abermals ein Brief von Marynia. Aber diesmal war weder Polaniecki noch Maszko darin erwähnt. Marynia zeigte nur den Verkauf von Krzemien an, ohne darüber zu klagen oder Aufklärung darüber zu geben, wie die Sache zustande gekommen. Aber gerade daran konnte man erkennen, wie tief ihr der Verkauf zu Herzen ging. Es wäre Polaniecki lieber gewesen, wenn sie ihn offen angeschuldigt hätte. Daß sie seinen Namen in dem Briefe nicht erwähnte, war ihm ein Beweis, daß sie ihn aus ihrem Herzen verbannt hatte, während das Stillschweigen über Maszko hingegen auf etwas ganz anderes schließen ließ; denn wenn ihr so viel an Krzemien lag, konnte sie ja, indem sie dem jetzigen Eigentümer die Hand reichte, dahin zurückkehren, und vielleicht hatte sie sich schon mit diesem Gedanken vertraut gemacht. Zwar war der alte Plawicki nicht ohne Vorurteile, aber da er dessen Egoismus kannte, durfte er annehmen, daß jener unter den obwaltenden Umständen sowohl die Tochter, als auch seine Vorurteile opfern werde. Kurz, der Aufenthalt in Reichenhall, wo er mit gebundenen Händen auf die Kunde hätte warten müssen, ob es Maszko gefiele, sich um Fräulein Plawicki zu bewerben, ward für Polaniecki geradezu unerträglich. Litka bat auch ihre Mutter, bald mit ihr nach Warschau zurückzukehren, und so beschloß Polaniecki sofort abzureisen.

Dieser Entschluß gewährte ihm große Erleichterung. Konnte man doch in der Nähe alles richtiger beurteilen, ja vielleicht etwas thun, was seine Sache zu fördern vermochte. Frau Emilie und Litka nahmen die Nachricht von seiner bevorstehenden Abreise ohne Verwunderung auf. Daß die Trennung nur einige Wochen dauern werde und sie auf ein baldiges Wiedersehen in Warschau hoffen durften, wußten sie ja. Mitte August mußte Frau Emilie ohnedies abreisen.

Das Ende des Monats wollte sie mit Waskowski in Salzburg verbringen, dann aber nach Warschau zurückkehren. Indessen versprach sie, ihm zuweilen Nachricht über das Befinden Litkas zukommen zu lassen und auch an Marynia zu schreiben, um zu hören, wie diese über Maszko denke.

Am Tage seiner Abreise begleiteten ihn Mutter und Tochter sowie Waskowski an die Bahn. Durchs Fenster des Coupés hinausblickend, sah er Litkas Augen traurig auf sich gerichtet, und auch auf Frau Emiliens freundlichem Gesicht malte sich wehmütige Abschiedsstimmung. Wieder überraschte ihn die ungewöhnliche Schönheit der jungen Witwe, voll Bewunderung betrachtete er ihre zarten Züge mit dem engelhaften Ausdruck und ihre mädchenhafte Gestalt, die sich im schwarzen Gewande sehr vorteilhaft ausnahm.

»Leben Sie wohl,« sagte Frau Emilie, »und schreiben Sie uns von Warschau aus, in drei Wochen ungefähr sehen wir uns wieder.«

»Ich schreibe ganz gewiß. Auf Wiedersehen, Litka.«

»Auf Wiedersehen!«

Er reichte ihnen nochmals die Hand durchs Fenster. »Denken Sie zuweilen an den Freund!«

»Wir werden ihn nicht vergessen. Sollen wir beten, daß Sie Ihren Zweck erreichen?« fragte Frau Emilie lächelnd.

»O ja, ich danke Ihnen jetzt schon dafür. – Auf Wiedersehen, Herr Professor.«

In diesem Augenblick setzte sich der Zug in Bewegung. Die Damen winkten mit ihren Sonnenschirmen, dann ward das Fenster, durch welches Polaniecki blickte, durch Rauchwolken verhüllt.

»Mama,« fragte Litka, »müssen wir wirklich beten für Herrn Stach?«

»Gewiß! Es wird auch für uns gut sein. Man muß Gott bitten, ihn glücklich zu machen.«

»Ist er unglücklich?«

»Nein, das heißt – Weißt Du, er hat wie jeder Mensch schon manches Traurige erlebt.«

»Ja, ich weiß, am Thumsee hörte ich davon,« entgegnete die Kleine. Nach einer Weile fügte sie leise hinzu: »Ja, ich will für ihn beten.«

Professor Waskowski, welcher bei all seinen sonstigen Tugenden niemals seine Zunge im Zaum halten konnte, sagte gleich darauf zu Frau Emilie, während Litka vorausging:

»Sein Herz ist treu wie Gold, und er liebt Sie beide wie ein Bruder. Jetzt, da nach Ausspruch jenes Spezialisten nicht mehr der geringste Grund zur Besorgnis vorhanden ist, kann ich ja alles sagen. Polaniecki hat ihn kommen lassen, weil er sich am Thumsee Sorgen um die Kleine machte!«

»Er?« rief Frau Emilie aus: »Welch edler Mensch!« Thränen der Rührung traten in ihre Augen. Nach kurzem Schweigen fügte sie hinzu: »Aber ich werde es ihm vergelten, indem ich ihm helfe, Marynia zur Frau zu gewinnen!«

Mit einem Herzen voll Dankbarkeit für Frau Emilie reiste Polaniecki ab, wie denn ein Mensch, der eine schlimme Erfahrung gemacht hat, jedes freundliche Entgegenkommen tiefer empfindet als sonst. In einer Ecke des Coupés sitzend und sich in Gedanken ihr Bild vergegenwärtigend, dachte er:

»Wenn ich mich nun in sie verliebt hätte? Welche Ruhe, welch sicheres Glück wäre mir dann beschieden! Ich hätte ein Lebensziel gefunden, wüßte, für wen ich arbeite, wozu ich da bin. Sie sagt zwar, sie wolle sich nicht wieder verheiraten, aber mit mir, wer weiß! Jenes Mädchen mag die Vortrefflichkeit selbst sein, aber ein warmes Herz hat sie nicht.«

Aber auf der ganzen Fahrt dachte er an »jenes Mädchen«. »Vielleicht habe ich sie ihrer Heimat beraubt, ihr großen Schaden zugefügt,« sagte er sich. »Ich verfuhr nach meinem Rechte, aber das Gewissen giebt sich nicht damit zufrieden, daher muß ich mein Unrecht wieder gutmachen. – Doch auf welche Art? Um Krzemien von Maszko wieder abzukaufen, dazu bin ich nicht reich genug. Ich könnte es nur thun, wenn ich mein Geschäft auflösen und mein ganzes Vermögen opfern würde, aber dies wäre Bigiels Ruin, also ist es ein Ding der Unmöglichkeit. Demzufolge bleibt mir nur das eine: die Beziehung mit Plawicki aufrecht zu erhalten und mich um Marynias Hand zu bewerben. Erhalte ich einen Korb, so habe ich wenigstens meine Schuldigkeit gethan.«

Mit solchen Gedanken beschäftigt, langte er in Salzburg an. Da er noch eine Stunde Zeit hatte bis zum Eintreffen des Münchener Zuges, mit dem er nach Wien weiter fahren wollte, beschloß er, sich ein wenig in der Stadt umzusehen. In der Restauration aber erblickte er plötzlich Bukacki, auf dessen kleinen Kopf ein noch kleinerer, weißer Hut gestülpt war.

»Bist Du es, Bukacki, oder ist es dein Geist?« rief er aus.

»Beruhige Dich nur, ich bin's,« erwiderte Bukacki phlegmatisch, ihn auf eine Weise begrüßend, wie wenn sie sich erst vor einer Stunde getrennt hätten. »Wie geht es Dir?«

»Was machst Du hier?«

»Ein in Margarine gebratenes Cotelette esse ich.«

»Fährst Du nach Reichenhall?«

»Ja. Und Du nach Hause?«

»Ja.«

»Du hast Dich Frau Emilie nicht erklärt?«

»Nein.«

»Das höre ich gerne. Fahre also ruhig weiter, mein Sohn.«

»Verspare Deine Witze auf bessere Zeiten. Litka ist sehr leidend.«

In Kürze berichtete ihm dann Polaniecki, wie der Arzt sich ausgesprochen hatte.

Bukacki schwieg einen Augenblick, dann bemerkte er: »Und da soll der Mensch kein Pessimist sein. Das arme Kind, die arme Mutter! Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie den Verlust ihres Töchterchens ertragen wird. Obwohl sie ungemein fromm ist, wird sie den Schlag nicht überwinden.«

»Gehen wir ein wenig in die Stadt, hier erstickt man förmlich.«

Unterwegs begann Bukacki wieder: »Und da soll der Mensch kein Pessimist sein. Die arme Kleine!«

Polaniecki war in schmerzliche Gedanken versunken.

»Ich weiß jetzt selbst nicht,« fuhr Bukacki fort, »ob ich nach Reichenhall fahre oder nicht. In Warschau finde ich mich hinein, wie Frau Emilie sich auch gegen mich benimmt. Einmal im Monat mache ich ihr einen Antrag, einmal im Monat erhalte ich einen Korb, und so lebe ich dahin und warte immer auf den ersten Tag des Monats. Kennt Frau Emilie die Gefahr?«

»Nein, der Zustand des Kindes ist zwar besorgniserregend, aber möglicherweise kann es noch ein paar Jahre leben.«

»Nun vielleicht ist dem Kinde und mir noch ein längeres Leben beschieden. Sage mir, denkst Du häufig über den Tod nach?«

»Nein! Ich weiß, daß es eine unfruchtbare Sache ist, deshalb zerbreche ich mir den Kopf nicht darüber, vornehmlich nicht vor der Zeit.«

»Und trotzdem es eine unfruchtbare, verlorene Sache ist, können wir das Grübeln nicht lassen. Dadurch wird das Leben, das sonst nur eine leere Farce wäre, zu einer Tragödie voll Schmerz und Leid. Was mich anbelangt, so habe ich unter drei Dingen zu wählen: entweder ich hänge mich auf, oder ich fahre nach Reichenhall oder nach München, um einmal noch die Böcklinschen Bilder zu sehen. Wäre ich ein logisch denkender Mensch, so würde ich das erstere wählen, weil ich aber kein logisch denkender Mensch bin, fahre ich nach Reichenhall. Frau Emilie ist wert, den Gemälden an die Seite gestellt zu werden.«

»Was hörst Du von Warschau?« fragte plötzlich Polaniecki, dem diese Frage von Anfang an auf den Lippen geschwebt hatte. »Hast Du Maszko in der letzten Zeit gesehen?«

»Ja, er hat Krzemien gekauft, ist nun Großgrundbesitzer geworden, und weil er klug ist, thut er alles Mögliche, um sich beliebt zu machen.«

»Verheiratet er sich nicht mit Fräulein Plawicki?«

»Ich hörte, er gehe mit dieser Absicht um. Bigiel erwähnte etwas davon und sagte auch, daß der Verkauf von Krzemien nur für Maszko vorteilhaft sei.«

»Wo befinden sich Plawicki und seine Tochter gegenwärtig?«

»In Warschau. Sie wohnen im ›Römischen Hof‹, die Kleine ist gar nicht häßlich. Als Verwandter besuchte ich sie und ihren Vater und sprach auch von Dir.«

»Du hättest ein angenehmeres Gesprächsthema für sie wählen können.«

»Plawicki sagte, Du habest ihm unfreiwillig einen Dienst erwiesen. Ich fragte Fräulein Marynia, wieso sie Dich erst in Krzemien kennen gelernt habe, und sie erwiderte, während ihres frühern Aufenthaltes in Warschau seist Du wahrscheinlich im Auslande gewesen.«

»So ist's in der That. Ich machte damals eine Geschäftsreise.«

»Von Groll gegen Dich habe ich nichts bemerkt. Indessen hörte ich schon so viel von der Vorliebe des jungen Mädchens für das Land, daß ich mir denken kann, wie schmerzlich es für sie ist, sich in ihr neues Leben zu finden. Trotzdem zeigte sie dies nicht.«

»Vielleicht zeigt sie es nur mir, und an Gelegenheit dazu wird es ihr nicht fehlen, da ich sie gleich nach meiner Rückkehr aufsuche.«

»In dem Falle erweise mir eine Gefälligkeit. Verheirate Dich mit Fräulein Plawicki, denn unter zwei Uebeln möchte ich das kleinere wählen und lieber Dein Vetter als der Maszkos werden.«

»Gut,« erwiderte Polaniecki kurz.


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