Gerhart Hauptmann
Das Abenteuer meiner Jugend
Gerhart Hauptmann

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Fünfunddreißigstes Kapitel

So ging ich mit meiner Braut aufs Standesamt, so wurde ich mit ihr in Dresden, am Altar der Frauenkirche, zusammengegeben. Der Geistliche nannte mich einen Meister der hohen Bildhauerkunst, der sich in Rom einen Namen gemacht habe und dem noch Großes bevorstehe. Wir waren darüber erstaunt: so hatte er meine nüchternen Unterlagen für seine Rede aufgebauscht.

Der Frack, den ich anhatte, war mir im letzten Augenblick vom Onkelchen Thienemann geliehen worden, natürlich paßte er mir nicht.

Es war im Mai. Das Hochzeitsdiner fand in einem besonderen Raume des Belvedere auf der Brühlschen Terrasse statt. Frida und Olga, die Schwestern der Braut, waren zugegen, dazu ein Onkel und ein Vetter Thienemann. Am Schlusse des Frühstücks erschien Max Müller wie zufällig.

Der Tag war schön. Ganz Dresden hatte sich auf den Terrassen und in den Sälen des Restaurants zusammengefunden. Militärs, Garden aller Waffengattungen strömten mit ihren Damen aus und ein.

Einen Augenblick trat ich auf den Gang. Es mochte bekanntgeworden sein, daß hier eine kleine Hochzeit gefeiert wurde und ich der überjugendliche Bräutigam war. So nahm man mich allgemein aufs Korn. Das tat ein Rittmeister, brauner Husar, ebenfalls, der mit seiner Dame vorüberging. Dann sagte er lachend und laut, zu ihr gewandt, so daß ich sie hören mußte, die unvergeßlichen Worte: »Der Kerl krepiert ja in den ersten acht Tagen!«

Man kann sich denken, in welcher Stimmung der Rest des Festes vorüberging.

 

Vierzehn Tage darauf bekam ich Bluthusten.

Unsere erste Wohnung lag im vierten Stock eines Moabiter Stadthauses. Die Aussicht war frei über die Stadtbahn hinweg und den ausgedehnten Güterbahnhof. Fast ununterbrochen donnerten Züge vorüber. Die Lage im eigenen Heim war neu und wurde von Mary und mir gleichermaßen als etwas empfunden, daran man sich zu gewöhnen hat. Die Wohnung war nicht gut gewählt, nicht im Hinblick auf mich, noch weniger auf Mary. Diese niedere vierte Etage mit einer Mansarde als Salon mußte Mary, die an das seigneurale Leben auf Hohenhaus gewöhnt war, wie ein Sturz ins Armenviertel vorkommen.

Sie klagte nicht, sie hielt tapfer aus.

Die Einrichtung der Zimmer war fürchterlich. Ich hatte mit Makartbuketts, roten und blauen Ampeln gewirtschaftet. Ein einziges Hausmädchen mußte kochen und zugleich die Zimmer in Ordnung halten. Kochen konnte sie aber nicht, und ihre Ordnungsliebe und ihr Sauberkeitsbedürfnis waren mangelhaft.

Der Berliner Puls war erregend und fortreißend. Besonders die Anforderungen an den Gehörsinn durch den unabänderlichen Stadtbahndonner waren ungeheuerlich. Berlin war von hier aus gesehen großartig, aber eine rechte Stätte für den Genuß der Flitterwochen konnte es kaum genannt werden.

Weshalb hatte ich mich für Berlin entschieden? Aus einer schicksalhaften Verbissenheit. Ich konnte nicht mehr los von Berlin. Hier, hier allein galt es zu kämpfen, zu siegen oder unterzugehen! Wie kam ich zu einer solchen instinkthaften Entschiedenheit, da sich doch zunächst höchstens für den Untergang begründete Aussicht zeigte?

Wie gesagt, eines Tages spuckte ich Blut. Die Prognose von Professor Krause schien sich demnach zu bewahrheiten. Ich lief entsetzt um die Ecke zum ersten besten Arzt, der nicht besser war als jener, der Schidewitz, ohne es zu ahnen, auf dem Gewissen hat. Er zuckte die Achseln, nahm sein Honorar und hielt es für unter seiner Würde, mir irgendeinen beherzigenswerten Rat zu erteilen. Als sich dann mehrere Wochen lang kein Blut mehr im Taschentuch feststellen ließ, wurde der Zwischenfall vergessen.

 

Ich wollte mein Leben als Junggeselle nicht aufgeben. Noch waren Simon und Schmidt in Berlin. So wurde die arme Mary denn die vierte in unserer Kumpanei. Ich stand nicht an, ihr das zuzumuten. Wenn ich mit ihr dann eher als Schmidt und Simon den Heimweg antreten mußte, wand sich mir vor Schmerz um meine vermeintlich verlorene Freiheit das Herz in der Brust.

Immerhin spürte ich die entscheidende Wendung in meiner Entwicklung. Sie lag zunächst in der nun nicht mehr einfachen, sondern doppelten Verantwortung. Das naturhafte Vordrängen meines Wesens zur Entelechie verband sich mit einem neuen Pflichtgefühl für Mary, unsere kommende Familie und überhaupt unsere Zukunft. Es war schwer, dies der Geliebten glaubhaft zu machen, da sich auf dem dichterischen Wege, den ich nun einmal im Auge hatte, nichts überstürzen läßt.

Verbindungen zu Schriftstellern oder literarisch Gleichstrebenden hatte ich nicht. Ein in seinen dichterischen Neigungen mir ähnlicher Mensch wäre mir als Wunder erschienen, und ich konnte mir nicht denken, je einem solchen Bruder in Apoll zu begegnen.

Als es dann eines Tages doch geschah, nämlich als Adalbert von Hanstein auftauchte, war dies das fördersamste Ereignis für mich. Ich nannte ihn unbedenklich einen neuen Hölderlin, nachdem ich seine Gedichte gelesen hatte.

 

In Göhren auf der Insel Rügen nahmen Mary und ich im heißen Sommer Aufenthalt. Auch Carl und Martha waren von Zürich dorthin gekommen. Hugo Schmidt mit allen zum Landschaftsmalen nötigen Dingen verschönte die Zeit durch seine Gegenwart. Wir waren fünf heitere Kameraden, fünf von den sieben, denen »Promethidenlos« gewidmet war. Das Erstlingswerkchen war inzwischen auf meine Kosten gedruckt worden.

Einen größeren dramatischen oder epischen dichterischen Plan verfolgte ich nicht. Ich wurde zu sehr von allerlei äußeren Sorgen in Anspruch genommen. Ich schrieb kleine Sachen, wie »Bernstein und Koralle«, ein Gedichtchen, das ich als charakteristisch hier einordnen will. Den törichten Schluß, der mir einen Frieden für Zeit und Ewigkeit zu geben behauptete, werte man als juveniles Anhängsel.

    Bernstein und Koralle

Ich stand im fernen Süden,
im heißen Wunderland,
ich suchte meinen Frieden,
ich übte meine Hand.

Statt milder Stimmen Schallen,
statt der ersehnten Ruh',
da glühten mir Korallen
aus dunklen Locken zu.

Sie glühten mir von weißer,
wollustgeschwellter Brust,
sie sprachen mir von heißer,
unbänd'ger Sinnenlust.

Ich fand in Südens Gluten
den süßen Frieden nicht;
mein Herz fing an zu bluten,
fahl ward mein Angesicht.

So kam es, daß gen Norden
ich an zu wandern fing;
hört, wie mir dort geworden,
was ich zu suchen ging.

In kühler Wogen Betten
hab' ich mich eingewühlt
und die Korallenketten
vom Nacken mir gespült.

Und wie sie rings zergingen
in Nordens Wogen lind,
da hört' ich leise singen
am Strand ein Fischerkind.

Es ging mit stillen Schritten,
es spann mit weicher Hand,
und seine Blicke glitten
blauschimmernd übers Land.

Von seinem Halse blinkte
ein Kettlein blaß und rein,
aus blonden Locken winkte
ein kühler, bleicher Stein.

Und daß ich noch erwähne
das holde Wunderding:
eine klare Bernsteinträne
von jedem Ohre hing. –

Da bin ich hingesunken,
vom Friedenskuß geweiht;
da hab' ich ihn getrunken
für Zeit und Ewigkeit.

Auch »Gewitterstimmungen am Meer« sagen etwas über mein damaliges Empfinden aus:

                  I

Düstre Wolken steigen,
Erd' und Himmel schweigen,
dumpf ergrollt das Meer;
schwüle Lüfte drücken,
und die Blumen nicken,
denn ihr Haupt ist schwer.

Aber du, o Sänger,
wird dir bang und bänger,
auf mit deinem Sang!
Zucken rote Feuer,
stimme deine Leier
nach dem Donnerklang!

                  II

Die Wolke sinket aufs Wasser
und küsset mit zuckendem Munde
die rings erbleichenden Wogen.
Die Segel senken sich nieder,
die Schiffe kriechen zum Strande
mit seufzenden Rahen und Tauen,
die Möwen höhnen und lachen,
die sprühenden Wellen streifend,
weil sich die Menschen beim Kusse
der Lüfte und Wasser verkriechen.

                  III

Kreischende Möwen jagen
über die schäumende See,
zürnende Wetter schlagen
ferne aus düsterer Höh'.

Flammende Ruten fahren
nieder ins bleierne Meer,
und mit fliegenden Haaren
jagen die Wogen daher.

Fliehen mit flatternden Mähnen,
schäumende Rosse, zum Strand;
wühlen mit zitternden Sehnen
schnaubend im Ufersand.

Immer schneller und schneller
jagen die Rosse der Flut;
immer heller und heller
bricht aus den Wolken die Glut.

                  IV

Ferne am Horizonte
steigen düstere Wolken,
grollend ballen sie mählich
höher und höher die Fäuste;
graue wolkige Fäuste
ballen sie über dem Eiland.
Und in dem Saale der Lüfte
hallen die dröhnenden Stimmen
wider und wälzen sich näher,
näher im mächtigen Gange.
Um die Geschicke der Menschen
reden sie einsam und ruhig,
und nach dem ewigen Rate
fallen die flammenden Geißeln,
schmelzend der Menschen Geschlechter.

Auch Zeilen wie diese sind irgendwie als echte Empfindung jener Zeit zu bewerten:

Und ich wandle vergessen
hart am Meeresgestad',
und ich suche vermessen
durch die Nacht meinen Pfad.

Es würde falsch sein anzunehmen, wir seien, und besonders ich sei, von solchen Stimmungen abgesehen, nicht heiter und übermütig gewesen. Nein, es war schlechthin eine glückliche Zeit, wenn auch der Wohlstand von Hohenhaus nicht mehr erreicht werden konnte.

Besonders war mir die Gegenwart Hugo Schmidts angenehm, da ich Gespräche über bildende Kunst mit ihm führen konnte, was mir immer noch Bedürfnis war.

An der Tagesordnung waren freilich auch die üblichen Exaltationen von Carl. Bei Überlandtouren sprang er gelegentlich aus dem Wagen, brach angeblich die Beziehungen ab und war dann meist früher am Ziel als wir, wo heiterste Friedensfeste gefeiert wurden.

Ich machte Touren zu Fuß, allein mit Mary. So verging der Sommer, bis wir wieder in unserer vierten Etage anlangten.

 

Eines Tages begegnete mir ein beinah vergessener Mann. Es war einer jener Brüder Demuth, die das Gut gegenüber dem Gasthof zur Preußischen Krone besaßen und es hatten aufgeben müssen. Die erbohrten und gefaßten Heilquellen und alle dazugehörigen Kuranlagen waren längst an die fürstlich-plessische Badeverwaltung übergegangen. Aber Ernst Demuth war noch immer ein breiter und schöner Mann. Auf dem Güterbahnhof unter uns hatte ein Großspediteur seine Stallungen, und hier war Demuth als Oberaufseher angestellt.

Seltsam, den Salzbrunner Bauernsohn, Jäger und Bonvivant als ein Stäubchen im Großstadtgewühle wiederzusehen, so gleichsam vor unsere Füße gespült!

Um das Rosenthaler Tor sah ich Berlin aus der Froschperspektive. Dort wurde man mit den Strömungen der Massen hin und her bewegt, jederzeit in Gefahr, darin zu versinken. Wie oft beim Scheine des nächtlichen Gaslichts habe ich mich von ihnen drängen und schieben lassen, von der unendlich bunten Fülle menschlicher Typen in Bann gehalten!

Ich hole ein kleines Erlebnis nach:

Ein älterer Mann, irgendeine der vielen Bassermannschen Gestalten, sprang vor mich hin und schrie mich an: »Wer regiert die Welt? Wer regiert die Welt?« war seine gleichsam drohende Frage.

Ich zuckte die Achseln: ich wisse es nicht.

Da griff er von oben in seinen Busen, das heißt hinter seine zerschlissenen Rockflügel, und riß eine Knute in die Höhe, die er triumphierend über sich hielt.

»Die regiert die Welt! Die regiert die Welt!« Damit stieß er sie wieder in ihr Versteck und war nach einer Verbeugung verschwunden.

Allerlei Szenen wie diese waren im Rosenthaler Viertel keine Seltenheit. Man war beinah kein einzelner mehr, sondern war in den Volkskörper, in die Volksseele einbezogen. Man erlebte hier weniger sich als das Volk und war mit ihm ein Puls, ein und dasselbe Schicksal geworden.

Wo ich nun wohnte, nahe den kulturellen Auswirkungen des Bürgertums und dem repräsentativen Teil des staatlichen wie des städtischen Lebens, sah man Berlin mehr aus der Vogelperspektive unter sich.

Die goldene Nike der Siegessäule leuchtete durch die Luft, im Gesichtskreis lagen der imposante Lehrter Bahnhof, der eiserne Bahnviadukt über die Spree, das Generalstabsgebäude und in nächster Nähe der gewaltige Ausstellungsglaspalast, in dem zu jener Zeit eine große internationale Kunstschau eröffnet war.

Täglich besuchte ich Hallen und Park mit Hugo Schmidt und meiner Frau, und so hatte ich denn Gelegenheit, nach den italienischen Eindrücken auch einen Eindruck von neuer Kunst zu bekommen und fand mich zum erstenmal in das allgemeine Werden auf diesem Gebiet eingefügt.

Noch war eine Klippe zu umschiffen, bevor ich meine neue Ehe in größerer Ruhe genießen konnte: die Gestellung beim Militär.

Man kann sich denken, welche Unruhe sich meiner und Marys bemächtigen mußte, als der Termin dafür herannahte. Er kam. Man erklärte mich für untauglich.

Leider trat, als diese große Sorge endlich beseitigt war, wieder Bluthusten bei mir auf, woraus sich ergab, daß die ärztliche Verfügung, die mich glücklich vom Militär befreite, auch eine düstere Seite hatte.

Ich mußte aufs Land, das war mir klar, sofern es mit mir nicht schnell bergab gehen sollte. So gaben wir denn die Wohnung auf, ohne Rücksicht auf einen langen Vertrag, und zogen in den Berliner Vorort Erkner.

 


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