Gerhart Hauptmann
Das Abenteuer meiner Jugend
Gerhart Hauptmann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundvierzigstes Kapitel

Manches Seltsame brachte die nun kommende Zwischenzeit. Ich verlebte sie im Elternhaus. Indessen war es, als ob die alte Krone ihre mütterlich beglückende und befriedende Kraft verloren hätte. Das Bewußtsein, nun nicht mehr von Schritt zu Schritt auf vorgeschriebener Bahn zu schreiten, nicht eingesperrt, nicht kommandiert zu sein, konnte nicht gleich an Stelle der Willenlosigkeit jenen verlorenen Willen wiederum aufrichten, der mir auf der Schule ausgetrieben worden war.

So fällt den entlassenen Sträfling auf der Straße Schwindel an. Er weiß nicht, wohin er sich wenden soll.

Mir war, als sei ich in eine fremde Natur verstoßen, in der ich mich nicht mehr zurechtfinden könne. Ich schwankte, nach Stützen suchend, gleichsam in einer Leere herum. Was sollte ich, oder was wollte ich denn? Aus jeder Himmelsrichtung, in der zu schreiten ich erwog, grinste mich eine Art Platzangst an. Wie lange war ich nicht mehr meinen natürlichen Erhaltungsinstinkten gefolgt oder hatte über die unmittelbaren Angelegenheiten meines praktischen Daseins nachgesonnen!

In mir war ein schwindelerregendes, der Bergkrankheit ähnlich wirkendes Vakuum, das selbst aus meinen Träumen nicht wich, die mir überall gestaltlose Hindernisse, verdichtete Leere sozusagen, entgegenstellten.

Sie versetzten mich meistens in meinen kommenden Wirkungskreis, in dem ich jedoch durchaus und durchum nichts zu tun wußte.

 

Der Empfang in Lohnig war steif. Onkel und Tante schienen übereingekommen zu sein, den alten, unbefangenen Ton aus pädagogischen Gründen durch einen formellen zu ersetzen. Auch wurde durch meinen Eintritt ins Haus die schwach vernarbte Seelenwunde der verwaisten Mutter wieder zum Bluten gebracht, was eine Beherrschung notwendig machte, die, weil sie gelang, wie Kälte wirkte. Im anderen Falle wäre Tante Julie mir vielleicht krampfhaft um den Hals gefallen und hätte sich ausgeweint.

Die Lage war ernster, als ich gedacht hatte. Das liebe Gutshaus, in dem ich die heitersten Wochen meiner Jugend verlebt hatte, zog auf einmal ein fremdes Gesicht. Augenscheinlich wollten die Verwandten nicht mehr als Verwandte genommen sein, Gutsherr und Gutsherrin sollten ihre Stelle einnehmen. Nicht nur das Haus, sondern das ganze Dominium Lohnig erlitt dadurch eine tiefe Veränderung. Es war das gleiche Quadrat von Gebäuden, Speichern, Ställen und Scheunen, das ich kannte. Nun rückte es förmlich von mir ab und schien das Gewesene zu verleugnen.

Ich aß zur Nacht nicht mit Onkel und Tante zusammen, sondern mit dem kleinen, jungen Gutsschreiber Brinke in der dumpfigen Kanzlei. Die tiefe Nacht des ebenerdigen, modrigen Raumes wurde nur durch ein kleines Petroleumlämpchen um Brot, Butter und Milchkanne her ein wenig zurückgedrängt.

So fing also das Wunder an, auf das ich gehofft und nicht gehofft, das ich immer ersehnt, das ich von Gott inständig erbeten, ja fast zu ertrotzen versucht hatte.

 

Gegen viereinhalb Uhr des Morgens, in tiefer Nacht, wurde ich von Brinke geweckt. Gegen fünf Uhr klopfte der Onkel an meine Tür, um mich an irgendeinen mir unbekannten Ort zu führen und so in das Gutsgetriebe einzuordnen. Es war eine finstere Tenne, wo wir schließlich landeten, auf der mit lautem Geratter eine handbediente Worfelmaschine arbeitete. Von einem kümmerlichen Lämpchen ging die Beleuchtung aus. Es war recht kalt, der ganze Raum aber bis zur Undurchsichtigkeit von Staub erfüllt. Vier oder fünf Personen, alte Männer und Weiber, eine jüngere auch wohl darunter, hatten bei dem lärmenden Apparate zu tun. Hier hatte ich nun auf Geheiß des Onkels zunächst bis sieben Uhr auszuhalten.

Eine leichte Aufgabe war das nicht.

Man pflegt ja in der Tat einen solchen zugig-kalten, staub- und lärmerfüllten Raum nicht zum Vergnügen, und zwar um fünf Uhr früh, aufzusuchen. Also brachte mich eine unumgängliche Pflicht dahin. Worin sie aber bestand, welchen Inhalt sie hatte, begriff ich nicht. Ich war hier vollständig überflüssig.

Diese Maschine und ihre Bedienung hätte mich ja wohl interessiert, aber mich zu belehren war keine Zeit, da die Arbeit pausenlos vor sich ging. Ich würde sie aufgehalten und Verwirrung hineingebracht haben, wenn ich versucht hätte, mich in das Getriebe einzuordnen. Selbst der Versuch aber war ein Ding der Unmöglichkeit, ich hätte nur Gelächter, rohe Späße und Püffe der Arbeitsleute eingeheimst. In zwei Stunden, also um sieben Uhr, sollte ich das Frühstück ansagen. Wenn ich um drei Viertel sieben statt um fünf geweckt worden wäre, hätte ich das ebensogut und ohne die Folter zweistündigen Wartens in Staub und Kälte tun können. Was gewann ich und was der Onkel durch meine pflichtgemäße Tätigkeit? Der Onkel nichts, während ich nicht nur nichts gewann, sondern von vornherein der Geringschätzung der Gutsleute überantwortet wurde.

Und diese Geringschätzung blieb nicht aus.

Da hatte ihnen der Oberamtmann einen kleinen städtischen Zierbengel als Aufpasser hingestellt. Denn welchen Zweck hatte sonst wohl seine nichtsnutzige Gegenwart? Sie waren dagegen alteingesessene Hofeleute, deren Väter, Großväter und Urgroßväter bereits auf Dominium Lohnig gedient hatten. Während sie Staub schluckten, husteten, krächzten, spuckten und einander im Lärm Späße, Flüche und allerlei Bemerkungen zuriefen, erkannte ich wohl, da ich, was sie vielleicht nicht wußten, ja von Jugend auf ihres Dialektes mächtig war, daß sie sich auf meine Kosten belustigten. Es geschah nicht auf unverhüllte Art, so daß selbst mit dem Falle, ich könnte sie verstehen, gerechnet wurde. Die Dialektik dieser Leute voll beißender Schärfe, treffender Bosheit, nicht zu fassender Hinterhältigkeit und Zweideutigkeit steht keiner noch so geistvollen Polemik eines gebildeten Menschen nach und übertrifft sie an Wucht der Ursprünglichkeit.

Während zweier Stunden, in denen der Staub mir auf den Lungen lag, meine Zähne vor Kälte klapperten, hatte ich, ohne mich wehren zu können, einen durchaus erniedrigenden Hohn über mich ergehen lassen. Das geschah so lange, bis diese Unholde mit einem Male wie auf Kommando die Arbeit wegwarfen und, ohne meine Frühstücksansage abzuwarten, davonrannten. Man mag entscheiden, ob ich mit Recht beschämt und wütend war.

 

Nicht mit Onkel und Tante, sondern mit Brinke in der Kanzlei nahm ich das aus Kaffee, Brot und Butter bestehende Frühstück ein. Das war mir, da Brinke ein hübscher, freundlich bescheidener Jüngling war, nur angenehm. Er und ich verstanden einander. Ich kannte ihn bereits flüchtig von den Tagen des Begräbnisses her, und ich konnte fühlen, daß ich ihm, dem augenblicklich einzigen sogenannten Gutsschreiber auf dem Dominium, als Gesellschaft willkommen war. Ich erzählte von Breslau. Wir besprachen die näheren Umstände von meines kleinen Vetters Tod. Aber ich hütete mich, etwas von meiner üblen Erfahrung auf der Scheunentenne verlauten zu lassen, schon deshalb, weil sie für mich nicht besonders rühmlich war.

Ich erwog, welche Wirkung meine ersten landwirtschaftlichen Pflicht- und Dienststunden auf mich gemacht hatten. Niedergeschlagen wie die ersten Schulstunden hatten sie mich jedenfalls nicht, da die Gegnerschaft, die ich gespürt hatte, nicht eine von vornherein unüberwindliche, ein für allemal organisierte, autoritativ allmächtige wie die der Schule war. Vielmehr war ich in diesem Falle der Vertreter der Autorität. Ich hatte sie, koste es, was es wolle, durchzusetzen, wenn ich auch heute noch wie ihr bloßer Popanz, eine gleichsam entlarvte Vogelscheuche, mißhandelt worden war.

Das Frühstück hatte mich einigermaßen wiederhergestellt. Nicht daß ich, des Frühaufstehens ungewohnt, meine sonstige Morgenfrische gefühlt hätte, aber das allzu Grämliche, allzu Übernächtige meines Zustandes verflüchtigte sich.

Der Onkel trat, einen Strohhalm kauend, in die Kanzlei, um das Tagesprogramm durchzusprechen. Er werde mich dann zu einem erklärenden Rundgang auffordern, dachte ich. Ich wurde aber nur nebenhin instruiert, daß ich mich wiederum auf die Scheunentenne an meine Worfelmaschine zu verfügen hätte.

Der Tag war da, wenn auch grau und regnerisch, das Scheunentor konnte geöffnet werden, wodurch der Gesichtskreis größer und bei reiner Luft und einiger Bewegung der Zustand weniger langweilig und im ganzen erträglich war. Die Bosheit der Arbeitsleute an der Maschine schien sich vor dem Frühstück erschöpft zu haben. Beachtung fand ich bei ihnen zwar noch immer nicht, ich konnte jedoch um so ungestörter darüber nachdenken, wie ich sie mir nach und nach verschaffen könnte.

Bei solchem Grübeln ging mir der ganze Gutsbetrieb in einem neuen, durchdringenden Lichte auf. Ich sah den verborgenen Kampf, der ihm zugrunde lag. Alle diese Gutsleute, Ochsen- und Pferdeknechte, Stallmägde, Tagelöhnerinnen und Tagelöhner, die in der Küche des Gesindehauses oder in ihren engen, halbverfallenen Katen ihre Kartoffeln kochten, verschlossen einen Ingrimm bei sich, den ihre scheinbar naturgegebene und selbstverständliche Lage, die sie nur widerwillig trugen, ihnen aufnötigte. Ich hatte heut morgen etwas davon zu fühlen bekommen und spürte ihn plötzlich überall.

Am ersten Tage so durch meinen Lehrherrn auf dem Lehmboden der von betäubenden Rattergeräuschen erfüllten Scheunentenne angenagelt zu sein war insofern wertvoll für mich, als es mir sogleich das harte und schwere Muß landwirtschaftlicher Arbeit erschloß. Im Faulbett meiner Schulkrankheit schwand ein Vormittag gleichsam zeitlos im Nu dahin, der hier wie ein endloser, mühsamer Weg hinter und vor mir lag. Während alles in mir selbst Stockung war, wurde ich ganz allein durch den Rhythmus der Arbeit abhängig von ihm und nach seiner Maßgabe mitgeführt: Zwang und Hörigkeit, die mich den Arbeitern gleichstellten und davon es kein Entrinnen gab.

Das war – zum ersten Male empfand ich es – die wirkliche, eiserne Fron, die sich mir sichtbar, hörbar und fühlbar machte und mir zu erkennen gab, daß ich von den Grundlagen unserer Zivilisation bisher nichts gewußt hatte.

Die höchste Glückseligkeit meiner Knabenjahre war das Spiel. Als ich hier auf dem gleichen Hofe gemeinsam mit dem kleinen Vetter spielte, ist mir das ganze weite Anwesen als Spielplatz erschienen. Arbeiter, Knechte und Mägde, Schafe, Rinder und Pferde mit ihren Formen und ihren Bewegungen waren die gemütlich behagliche Dekoration darin. Als ich mich Landwirt zu werden und hierher in die Lehre zu gehen entschloß, bewog mich doch wohl zu einem guten Teil diese Auffassung, die nun plötzlich durch eine andere ersetzt wurde, eine, die sich in drohender Nähe mit unberührbarer Härte und Größe vor mir aufrichtete. In der neuen Erkenntnis, wenigstens in der Art ihrer jähen Gegenwart, war etwas, das an eine eiserne Mauer erinnerte, die dem, der im Dunkel dagegenstößt, Feuerfunken aus Stirn und Augen treibt.

Man meine nicht, ich hätte nun etwa Reue empfunden und mich in die Unwirklichkeiten eines abgekapselten Schuldaseins zurückgesehnt, wo eine im großen ganzen für mich welke Geistigkeit, hinter gepolsterten Wänden gesät, nur in wenigen Körnern Keimkraft zeigt und Halme und Früchte zu bleichsüchtigem Dasein treibt. Im Gegenteil war mir bewußt, wie unumgänglich notwendig das neue Erlebnis für jeden Menschen ist und wie wichtig es also auch für mich sein mußte. Ich dachte weiter, wie ganz anders als die Schule doch die elementare Natur mit ihren Belehrungen zu Werke ging und welche Aufschlüsse sie wortlos erteilte. Hier wehte ein ganz anderer, gesunder Wind, aber freilich, wen er nicht wegfegen sollte, der mußte fest stehen.

 

Ich war damals etwas über fünfzehn Jahre. Eine fast unübersehbare Fülle von Menschengestalten und Erlebnissen, von der nur ein ganz kleiner Teil hier festgehalten werden kann, bevölkerte bereits meine Vorstellungswelt. Die Gestalten und Erlebnisse auf den beiden Gütern Lohnig und Lederose und ihren Umgebungen standen wartend vor der Tür. Das wußte ich und war nicht wenig gespannt auf sie.

Brinke brachte in dem nun beginnenden Sommerhalbjahr seine Lehrzeit hinter sich. Ich beneidete ihn um sein Wissen und seine Kenntnisse, die es ihm ermöglichten, allerdings unter der Oberleitung des Onkels, den gesamten Gutsbetrieb fast allein zu organisieren. Wie weit war dagegen ich noch davon entfernt! Aber der kleine, hübsche Mensch ging mir überall hilfreich zur Hand, unterrichtete mich auf Schritt und Tritt, und ich hatte im voraus zu bedauern, daß er uns um Michaeli verlassen und ich seiner fördersamen Gegenwart von da ab zu entraten haben würde. Um dieselbe Zeit lief auch die Gutspacht des Onkels ab und konnte nicht erneuert werden.

Uns erwartete dann ein kleines, von Onkel Schubert erworbenes Bauernanwesen, das in seiner Enge mit den schönen und weiten Möglichkeiten auf Dominium Lohnig nicht zu vergleichen war.

Während der ersten Wochen meiner neuen Tätigkeit gab ich dem hämisch verfolgenden Blick des Gesindehauses nicht selten Anlaß zur Schadenfreude. Am Giebel des Kuhstalls hing eine Glocke, die Brinke läutete und deren Zunge die Tagelöhner zur Arbeit rief. Eines Tages – ich hatte das lange vorgehabt – erbot ich mich, Brinke das Läuten abzunehmen, was er mit Vergnügen bewilligte. Als ich jedoch am Ende der Mittagspause pünktlich um drei Viertel zwei den Glockenstrang ergriffen hatte, um den ersten von zwei Rufen zur Arbeit ertönen zu lassen, machte ich mich auf eine mich völlig überraschende Weise lächerlich. So viel ich auch zog, ich brachte die Glocke kaum hie und da zu einem kläglichen Anschlagen und sah mich genötigt, von meinen Bemühungen in einer scheinbar so einfachen Angelegenheit hilflos und zum Gelächter aller, die es sahen und hörten, abzustehen.

Es war bei dem Läuten ein Kniff, den man kennen mußte, ohne den man nichts ausrichten konnte. Nachdem ihn Brinke gezeigt und erklärt hatte, bereitete mir die Glocke weiter kein Hindernis.

 

Auf dem Dominium Dromsdorf befindet sich ein See, durch den die Schafe zum Zweck der Wäsche vor der Schur zwischen Holzstegen getrieben werden. Wir brachten unsere Herden dahin, weil eine entsprechende Anstalt in Lohnig nicht vorhanden war. Mit grüner Seife und harten Bürsten, die Röcke hinaufgekrempt, knieten die Weiber überm Wasser auf den Stegen, die nur die Breite eines gewöhnlichen Brettes hatten. Schaf um Schaf wurde ihnen zugetrieben und zugeführt und während der Wäsche von je einem Mann, der neben jedem Weibe den Steg belastete, mittels einer Art Krücke an langer Stange unterm Kopf über Wasser gehalten. Zu dieser letzten Tätigkeit hatte man auch mich angestellt, und als ich einmal mit einem der Schafe und meiner langen Stange einen besonders schweren Kampf auf dem schmalen Brett auszukämpfen hatte, verlor ich plötzlich das Gleichgewicht und stürzte, beinahe kopfüber, ins Wasser.

Es fehlte nicht viel, als dieses geschehen war und ich triefend mit bleischweren Kleidern auf das Brett zurückkrabbelte, und alle Weiber und Männer wären ihrerseits vor zurückgehaltenem Lachen ins Wasser gefallen.

Heldenstücke dieser Art habe ich noch eine Menge verübt, bevor mir die Bewegung auf Tenne und Bansen, in Ställen und Böden natürlich wurde.

Der tägliche Dienst war für meine städtisch geschwächten, noch unentwickelten Kräfte schwer. Der Gedanke des Ausschlafens zum Beispiel gehörte in das Gebiet der Utopie. Von fünf Uhr morgens stand ich gestiefelt und gespornt irgendwo auf der zugigen Tenne, kroch auf dem Heuboden oder Schüttboden herum, gab Hafer heraus oder das Deputat an Brotgetreide, Butter etcetera für die Leute, kontrollierte das Melken, maß die Milch, die gemolken wurde, und gab acht, daß nichts davon entwendet ward. Einige Ruhe und Erholung brachte dann die Frühstückszeit, der gewöhnlich eine Andacht folgte, die etwa zwanzig Minuten dauerte, bei der man betete, sang und ein Kapitel aus der Bibel zu Gehör brachte. Hernach begab man sich aufs Feld, zuweilen an Orte, die eine halbe Wegstunde entfernt lagen, um die Arbeiten zu beaufsichtigen.

Das ganze Dominium Lohnig trat nun nach und nach in den Vordergrund meiner Vorstellungswelt. Große Gewende mit Raps, weite Rüben- und Kartoffeläcker, grüne Flächen mit Wintersaat, Sommerroggen- und Weizenfelder, alles erst nach und nach verständlich und erkenntlich für mich durch Brinkes Kameradschaftsgeist. Gelegentlich sagte zwar auch der Onkel mit den Sommersprossen und den roten Bartkoteletten im Gesicht in seiner harmlos selbstgefälligen Weise etwas Unterrichtendes, aber von wesentlicher Bedeutung war das nicht. Die Versuche, mich von den Tagelöhnern oder den Knechten bei den Gespannen über dies oder jenes aufklären zu lassen, gab ich auf, nachdem ich sie einige Male, allerdings mit dem Vorgefühl ihres Fehlschlages, gemacht hatte: die Leute bestätigten mir höchstens mit einer groben Bemerkung meine Unwissenheit.

Es ging mit Hilfe von Brinke, wie gesagt, und schließlich auch meines unwillkürlichen Auffassungsinstinktes auch ohne diese versagenden Hilfsmittel, und jeder Tag, jede Stunde, möchte ich sagen, machte mich mehr und tiefer mit dieser großen landbaulichen und Bodenausnützungsgenossenschaft vertraut.

Wenn die Schule in ihren Äußerlichkeiten eine klappernde Monotonie bedeutet, ihren wechselnden und wachsenden Reichtum aber im Unrealen, Intellegiblen hat, so bietet der organisierte und rhythmische Kampf mit der Natur einen unerschöpflichen Reichtum an großer und überwältigender Wirklichkeit. Man kann das stille, zähe, erfolgreiche Ringen, das uns die Natur dienstbar macht, als das eigentliche Drama der Menschheit bezeichnen. Dieses Drama geht hart auf hart. In ihm wird zunächst der Mensch vom Menschen versklavt. Es wird das Tier vom Menschen versklavt. Es wird die Pflanze und schließlich der Boden vom Menschen versklavt. Und alle diese Sklaven müssen ihr Letztes und Bestes hergeben. Ein solcher Betrieb beruht ganz und gar auf Usurpation und bietet, abgesehen von den Werten, die er schafft, immerwährenden und immer erneuten unendlichen Stoff des Betrachtens, Denkens und Handelns.

 


 << zurück weiter >>