Gerhart Hauptmann
Das Abenteuer meiner Jugend
Gerhart Hauptmann

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Neuntes Kapitel

In nächster Nähe unseres Quartiers lagen nicht nur die Kirchhöfe, sondern auch das Wunder von Fürstenstein, so daß ich den gewaltig rauschenden Fürstensteiner Felsengrund mit der Götterburg in den Wolken täglich besuchen konnte. Natürlich war der Aufenthalt bei den Eltern, wo ich regelmäßig zu essen bekam, mich zeitig erhob und zur rechten Zeit schlafen ging, mir jedesmal eine Erholung und eine Erneuerung. Ich streifte endlos in der Gegend herum.

Wer die frischen Wonnen, die einen jungen Menschen durchdringen, der an einem Frühlingsmorgen eine Tagespartie unternimmt, nicht begreifen könnte, der hätte vom Schönsten des Lebens wenig empfunden. Noch heute liegt mir im Wandern der höchste Reiz, den kein Beförderungsmittel, welches auch immer, erreichen kann. Es ist eigene, nicht erborgte Aktivität, mit der man die Überwindung des Raumes bestreitet. Viel inniger wird man so ein Teil der Natur, man taucht immer tiefer in sie ein und erfüllt sich mit ihrer Produktivität. Es gibt keine zweite Art, zu sein, wie ich schon damals begriff, in der sich Naturgenuß und geistiger Selbstgenuß so verbinden lassen.

Aus dem Versteck meiner Innerlichkeit tauchten, während solcher Wanderungen, wunderlich bajazzohafte Züge auf, die der Entfremdung entsprachen, die dem nun leeren Schauplatz meiner Kindheit gegenüber eingetreten war. Ich spielte mich als ein Fremder auf. Es machte mir Spaß, das dumme Gesicht eines Kutschers oder Bauern zu sehen, wenn ich ihn auf französisch anredete und hartnäckig dabei blieb, nicht Deutsch zu verstehen.

Eine sogenannte kohlensaure Jungfrau, bei der ich mir das Gläschen Selters mit Himbeer einschenken ließ, wollte behaupten, daß ich doch der wäre, der ich wirklich war. Aber ich ging von meinem Französisch nicht ab, und so wurde schließlich nicht klar, ob sie mich wirklich für einen Franzosen hielt oder nur für einen Verrückten: in beiden Fällen war mein skurriler Zweck erreicht.

Wandern, wandern! Was habe ich nicht alles erwandert im Leben! Mich dabei gereinigt, geklärt im gesunden inneren Widerstreit! Und mehr als das! Da nach Herakleitos alles durch Streit und Widerstreit zum Leben kommt: wieviel Disharmonien haben sich während des Wanderns in Harmonie aufgelöst!

 

Eines Tages saßen mein Vater und ich im Gasthof zur Preußischen Krone, dessen Pächter von ihm Kulmbacher Bier bezog. Dies war nun das Haus, nach dem ich mich in den Tagen der Feldstraßen-Pension mit verzweifelter Seele gesehnt hatte, das Paradies, aus dem ich von rohen, erbarmungslosen Fäusten vertrieben worden war! Nun erschrak ich beinah, weil ich weder in einem beglückenden noch in einem traurigen Sinne irgend etwas empfinden konnte. Ein gewisses Bedauern war vielleicht da, wie es einen wohl anwandelt, wenn man ein edles Pferd in der Droschkendeichsel sieht – dies im Hinblick auf den jetzigen Hausleiter.

Nein, nein, und nochmals nein! Nichts von alledem wollte ich noch! Alles, was mit dem mir einst so mütterlich lieben Hause zusammenhing, mußte mein Geist zusammenfalten, in eine Kommode legen, die in einem entlegenen, selten betretenen Zimmer stand: mochten es auch die Motten verzehrt haben, falls es mich eines Tages reizen sollte, wieder einmal danach zu sehen!

 

Tante Mathilde Jaschke und meine Schwester Johanna verbrachten den Winter und das Frühjahr in einer Dresdner Pension. Mathilde erklärte zum soundsovielten Mal, daß sie nicht in Salzbrunn unter den steifleinenen Stiftsdamen versauern wolle. Der Gedanke ist nicht ganz abzuweisen, daß sie in Wahrheit eine Art Beobachtungsposten bezogen hatte, da Hohenhaus, die Besitzung Berthold Thienemanns, in der nächsten Nähe von Dresden lag.

Etwa zu Anfang Juli, mitten in meiner sommerlichen Kunstschultätigkeit, wurde ich von der Nachricht überrascht, Berthold Thienemann sei erkrankt und aus Westerland auf der Insel Sylt über Hamburg nach Kötzschenbroda zurückgebracht worden. Er war mit seiner ältesten Tochter Frida und nicht mit Adele gereist; Georg hatte den kranken Mann unterwegs am Bahnhof in Hamburg empfangen und ins Hotel überführt. Es hieß, bei dieser Gelegenheit habe der alte Herr dem künftigen Schwiegersohn gegenüber zum ersten Male in der Anrede das vertrauliche Du angewandt.

Andere Ereignisse waren vorausgegangen, die ich erst nach und nach bei einem neuen Besuch der Eltern von meiner Mutter erfuhr. Vater sprach niemals über die Sache. Georg hatte im Frühjahr auf Hohenhaus um Adele angehalten; die Antwort des Vaters war kein Ja und kein Nein. Mein Bruder, in eine große Geburtstags- und Gartengesellschaft hineingeschneit, wurde indes mit allen Ehren empfangen. Er mußte das Fest bis zu Ende mitmachen, und da er der Treue Adelens sicher war, konnte wohl von einem völligen Mißerfolg nicht die Rede sein.

Eine Woche nach seiner Heimkehr schloß der alte Kaufherr, Vater von fünf Töchtern und einem Sohn, seine Augen für immer.

Carl, in Jena, hatte übrigens eine der Töchter Thienemann, Marie, die in einer gynäkologischen Klinik Jenas behandelt wurde, noch zu Lebzeiten des Papas, also im jüngsten Frühjahr, kennengelernt. Das achtzehnjährige Mädchen litt an Bleichsucht, sagte man. Die Verbindung mit Carl war von ihr gesucht worden. Adele hatte der Schwester geschrieben, ein Bruder ihres heimlich Verlobten studiere an der Jenenser Universität. Es war nicht schwer, ihn auszumitteln, und so wurde er von Marie, unter den Geschwistern Mimi genannt, eines Tags in die Klinik bestellt.

Er gefiel ihr sehr, wie man sagte, was mich durchaus nicht verwunderte. Er hatte im Umgang mit Damen eine natürlich-freie Art. Ich blieb darin weit hinter ihm. Dabei war er überaus ritterlich. Ein hübsches Mädchen fühlte ihm an, daß er, ohne persönlich zu werden, der Schönheit im allgemeinen huldigte.

»Kennen Sie Haeckel? Kennen Sie Eucken? Kennen Sie den und den?« hatte er Mimi sogleich gefragt und sie dann bei Ausgängen, die ihr erlaubt waren, diesen Leuchten der Alma mater vorgestellt.

Was man von dieser Mimi hörte, nahm für sie ein, besonders der klare Zug von Selbständigkeit. Sie wußte, schien es, genau, was sie wollte. Man mußte nach ihrem Verhalten zu Carl mit der Möglichkeit einer zweiten Verlobung rechnen, was ja eine märchenhafte Entwicklung bedeutete.

 

Nach dem Tode des Papas lebten die Schwestern vereint unter der Hut eines alten Onkels auf Hohenhaus, und es wurde gesagt, Georgs und Adelens Hochzeit solle im Herbst dort stattfinden.

Von nun an fing Hohenhaus, fingen die Mädchen von Hohenhaus, fing die kommende Hochzeit an, auch mich zu beschäftigen, zumal Georg bei einem Besuch in Nieder-Salzbrunn zum Lobe seiner künftigen Schwägerinnen, ihrer Schönheit, ihres Humors, ihrer entschiedenen Charaktere, nicht genug Worte fand: »Ich sage euch, ein Nest von Paradiesvögeln!« – Ich dachte daran, mich bei den Schwestern durch ein Porträt ihres verstorbenen Vaters einzuheben, dessen Erscheinung ich ziemlich genau vom Garten des Kurländischen Hofes im Kopfe hatte. Durch Tante Mathilde kam ich zudem in Besitz einer guten Photographie. Als ich jedoch Meister Haertel davon sprach, gab es ein kurzes, entschiedenes Kopfschütteln. An eine solche Aufgabe mich zu wagen, sei es noch viel zu früh. Ob er recht hatte, weiß ich nicht, der Plan jedoch wurde aufgegeben.

Gegen Herbst geschah nun der große Schritt aus der Nacht zum Licht. Die Hochzeit warf ihren Glanz voraus. Ich schrieb ein kleines gereimtes Gedicht, das den Polterabend beleben sollte, und sah mich zum erstenmal gedruckt. Denn es war mir mit Hilfe von Tante Jaschke gelungen, das Werkchen in einer nahen Druckerei und Buchbinderei, mit dem Titel »Liebesfrühling« auf dem ersten Blatt, in einer recht angenehmen Form vervielfältigen zu lassen.

Mir war, wie wenn ich, an die Schwelle eines Tempels gebannt, mich sammeln müßte, bevor ich sein geheiligtes Innere zu betreten würdig wäre. Wir stehen gleichsam noch in einer von Vorfreude durchzitterten Halbhelle, an einem großen Tor, durch dessen Fugen nur einzelne durchbrechende Strahlungen einer neuen Sonne zu uns dringen. Nachdem es sich geöffnet haben wird, werden wir von einer Region des Lebens in eine andere eingetreten sein und werden der vergangenen, mehr und mehr verblassenden nicht mehr nachtrauern.

Ein Verweilen wird hier notwendig. Was hinter mir lag und was vor mir lag, verhielt sich wie Suchen und Finden zueinander. Nehmen wir eine sinnliche und eine übersinnliche Richtung des Suchens an, so war zunächst das schöne sinnliche, irdisch-festliche Ziel gefunden.

In dieser Beziehung bot sich von außen her sehr bald den darbenden Einzelsinnen ein großer Reichtum dar. Der Pfirsich war nicht mehr nur eine Idee, er hing wirklich am Spalier. Ebenso war es mit der Weintraube, die ich bisher fast nur als Bild kannte: sie hing in Klumpen von den Leitern der Gartenlaube über mich herab und wurde im Weinberg von Winzern geerntet. Die Krönung aber war das, was bald genug alle Sinne gemeinsam beglückend in Anspruch nahm und was man mit Recht als die schönste Blume irdischen Seins bezeichnet.

Wie im Traum war ich mit Carl in einen Garten getreten, wo mich einige von den jungen Schwestern erwarteten. Ihre Kleidung war hell und sommerlich. Sie hatten die großen Schäferhüte aus Stroh an den Arm gehängt. Ich weiß nicht mehr, wie ich von ihnen begrüßt wurde, aber es geschah jedenfalls auf eine zwanglose und natürliche Art, durch die alle Fremdheit sogleich verscheucht wurde. Marie und Martha, die Zweitjüngste und Jüngste der Thienemann-Töchter, sind es gewesen, die uns einholten.

Der Weg durch den Garten, besser: durch den Park, stieg zwischen Bäumen und dichten Büschen langsam bergan. Die Nähe Mariens, deren Gang und Wesen ich magnetisch empfand, warf mich in niegefühlte Spannungen. Sie nahmen mit jedem Schritte zu und sollten nun lange nicht mehr nachlassen.

Carl hatte mir unterwegs auf der Bahn ein Geständnis abgelegt. Er war seltsamerweise mit Martha und nicht mit Marie verlobt, was man eher erwartet hätte. Schließlich hatte Marie ihn in Jena kennengelernt, und auf ihre Einladung hatte er seinen ersten Besuch auf Hohenhaus vor Wochen gemacht. Man wollte wissen, daß Marie enttäuscht gewesen sei, als Martha und Carl sich gefunden hatten. Aber es war ihr nichts anzumerken.

Das schöne Mädchen war sehr bleichsüchtig, was dem weiblichen Reiz ihres Wesens und der gütigen Anmut ihres Betragens keinen Abbruch tat. Bevor wir nach einigen Minuten das alte, schöne Landhaus erreicht hatten, wußte ich, daß ich es nur entweder mit einer tödlichen Wunde oder als der allerglücklichste unter den Menschen wieder verlassen konnte.

 

Das war also nun Hohenhaus oder das Hohe Haus, von dem Mathilde Jaschke und Georg mit soviel Begeisterung gesprochen hatten: meterdicke Mauern, hohe und ernste Räumlichkeiten, enge Stiegen, eine fast lichtlose Eingangshalle, die geräumigste Küche, tiefe Keller, in denen der alte Bischof, der Hohenhaus errichtet hatte, seine Stückfässer eigengebauten und ‑gekelterten Weines aufbewahrte.

Papa Thienemann hatte im ersten Stock einen roten Damastsalon, ein Jagdzimmer, ein blaues Boudoir, eine Bibliothek, ein Billardzimmer und anderes eingerichtet. Das Speisezimmer, ein gewölbter, hellerer Raum, lag im Parterre. Das an sich eher düster als heiter wirkende Haus, das allerlei dunklen, sagenhaften Gerüchten Nahrung gab, war nun gleichsam von bunten Schmetterlingen in Besitz genommen, die durch seine steinernen Höhlungen, seine Türen und Fenster ein und aus flogen.

Adelens und Georgs Hochzeit wurde, weil das Trauerjahr noch nicht vorüber war, im Rahmen des Hauses vorbereitet. An Tanz durfte nicht gedacht werden, auch bestand kaum Neigung dazu. Georg zwar tanzte sehr elegant, beinah affektiert, wie ich irgendwann beobachten konnte, Carl hatte im Blauen oder Damensaal im Hotel zur Preußischen Krone den Polen sogar Krakowiak und Masurek abgelernt, aber es fehlte beiden die echte Tanzleidenschaft. Den Mädchen von Hohenhaus ging es nicht anders.

Das immer gefährlich hoch klopfende Herz Mariens oder Mimis, die erst jüngst aus der Klinik des Jenenser Frauenarztes entlassen worden war, verbot ihr natürlich Tanzen durchaus.

 

Carl und ich waren in einem Lößnitzer altertümlichen Bürgerhäuschen untergebracht.

Die lebenslustige Witwe, der es gehörte, hatte sich durch ihre Verlobung mit einem bekannten jungen Dresdner Schauspieler der Gegend interessant gemacht. Wir wurden von ihr aufs beste gepflegt. Wenn ich in meinem Zimmerchen war, wo alles nach frisch gewaschener Wäsche roch, vier oder fünf mullverhängte Fensterchen, nicht viel größer als mein Kopf, meinen ausgestreckten Armen fast gleichzeitig erreichbar waren, mein Scheitel an die Decke stieß, kam ich mir vor wie in einer Spielschachtel. Diese fast unwahrscheinlich kleinen häuslichen Unterkünfte mit ihren niedlichen Möbeln und niedlichen Nippes haben noch heute für mich einen großen Reiz der Traulichkeit.

Schon das erste Frühstück nahmen wir auf Hohenhaus. Daß wir pünktlich zur Stelle waren, wird niemand bezweifeln, da Carl und ich aus der gleichen Ursache alle Zeit als verloren ansahen, die wir nicht unter den Schwestern zubrachten. Selbstverständlich verbarg ich vor dem Bruder peinlich, welche Flamme in mir entglommen war.

Er und Martha hatten anderes zu tun. Mit Frida, Olga und Mimi aber zog ich schon am ersten Morgen nach dem Frühstück in den Park hinaus, wo das Polterabendfestspiel vorgelesen und dann einstudiert werden sollte. Dieser gemeinsame Zweck, der von allen mit heiterem Eifer verfolgt wurde, band uns sogleich verwandtschaftlich, so daß ein Gefühl der Fremdheit nicht aufkommen konnte.

Man mag erwägen, was ich empfand, als ich inmitten dieser jungen, schönen Kinder Hahn im Korbe war. Schon durch den verstorbenen Papa, vom Garten des Kurländischen Hofes her, durch Georg, der aus guten Gründen übertrieb, und schließlich durch Carl als Medium war mir der Ruf eines werdenden Dichters hierher vorausgeeilt. Man fand ihn, als ich gelesen hatte, bestätigt. Mit großem Entzücken wurden die Aufgaben, die das harmlose Spiel stellte, wurden die Rollen entgegengenommen.

Noch vor gar nicht langer Zeit jungen weiblichen Wesen gegenüber von einer fast unüberwindlichen Schüchternheit, wahrte ich hier plötzlich die volle Autorität eines Spielleiters, belobte die jungen Damen oder korrigierte sie, als wir gemeinsam und mit verteilten Rollen lasen. Meine Stellung in ihrem Kreis war gefestigt.

Zu ihrem Schutz hatten die jungen Damen von Hohenhaus einen alten Onkel zu sich genommen und Barry, den großen Bernhardinerhund. Aber sie waren beide für diesen Zweck zu gutmütig und aßen darum auf dem Landsitz der Thienemanns recht eigentlich das Gnadenbrot.

Von Onkel Hermann, der vom Tischlerhandwerk kam, eine größere Möbelhandlung und auch Hohenhaus in verwahrlostem Zustande vor Zeiten besessen hatte, war dieser Besitz durch Kauf an Berthold, seinen Vetter, übergegangen, so daß er jetzt auf seinem eigenen Grund und Boden saß, zwar verhätschelt, aber doch nur geduldet. Er erregte mir Furcht, weil er Mariens Vormund war und weil ich mich von seiner völligen Einflußlosigkeit nicht überzeugen konnte. Und Onkel Hermann liebte mich nicht und hat diese seine Abneigung eines Tages seiner Nichte Marie, als sie sich Rats bei ihm erholte, auch unverhohlen ausgedrückt.

Es wurden bedeutsame Gäste erwartet: von Naumburg die Schwester des verstorbenen Papa Thienemann, eine begüterte Witwe, deren Sohn das angeerbte Naumburger Bankhaus leitete. Sie hatte ihren Geburtsnamen beibehalten, da sie wiederum mit einem Thienemann verheiratet gewesen war. Vetter Max, der Bankier, Vormund Marthas und Vermögensverwalter der Geschwister, war bei ihnen in einem unantastbaren Grade Vertrauensperson.

Andre Hochzeitsteilnehmer waren noch wichtiger: die alte, reiche Großmutter der Mädchen mütterlicherseits, einer Patrizierfamilie in Augsburg angehörend, hatte zugesagt. Sie brachte ihre Tochter, eine geschiedene Baronin Süßkind, mit, Schwester der früh verstorbenen Gattin Berthold Thienemanns, deren lebensgroßes Jugendbildnis, von Piloty gemalt, in dem roten Damastzimmer hing.

Der Druck, unter den mich die Schule seinerzeit gebracht, den schon früher Tante Gustel und Liesel vorbereitet hatten, war moralisch. Minderwertigkeitsgefühle aus Geldgründen waren dagegen meinem Wesen ungemäß. Überdies hatte ich ja in den Vorhallen der Kunst den Ritterschlag eines neuen Adels erhalten, der mich in meinem stillen Bewußtsein über jede Umgebung von Uneingeweihten erhob. Der Gedanke, daß hier ein Aufwand alten, gediegenen Reichtums gegen Besitzlosigkeit aufmarschieren sollte, berührte mich nicht. Auch fürchtete ich die zu erwartenden kalten und kritischen Blicke nicht, die wir im großen und ganzen doch noch grünen Jünglinge zu gewärtigen hatten.

Auch nachdem das Haus sich bis unters Dach mit Gästen gefüllt hatte, wurden die Proben des lyrischen Polterabendspieles, nur mit größter Heimlichkeit, fortgesetzt. Wir hielten sie ab in der Muschelgrotte, einem unterirdischen Kuppelraum, der Mysterien des Weins und der Venus geweiht sein konnte. Ein gemalter Fries von männlichen und von weiblichen Puttos, Panthergespannen, Trauben- und Weinschalen atmete eine Sinnlichkeit, die mit dem Dresdner Barock zusammenhing. Natürlich wurde das Vergnügen unserer kleinen Theatertruppe erhöht durch die Heimlichkeit, zumal da die schönen Schwestern sich augenscheinlich lieber mit Carl und mir als mit ihren Verwandten zu schaffen machten.

Ich studierte wohl auch mit Marie allein in dem schmalen, hohen, mit blauseidenen Rokokomöbeln ausgestatteten sogenannten Boudoir. Die Schmalwand war von dem seltsamsten Kamin, den ich je gesehen habe, eingenommen. Seine Krönung, eine Gipsstukkatur, bedeckte die ganze Wand. Ein Ungeheuer war dargestellt, ein höchst unangenehmes Fabeltier oder mehrere Fabeltiere zusammengenommen, die auf dicken Schlangenhälsen hydraartig breite, häßliche Köpfe hatten und mit offenen, schnabelartigen Rachen umherglotzten.

 

Mimis eigenartige Schönheit fiel unter den Schwestern am meisten auf. Wenn sie mit dem Blauschwarz ihres Haares, den dunklen Augen im weißen Oval des Gesichts, mit ihren jugendlich vollen Formen im Weiß und Blau dieses Raumes stand, steigerte sich bei mir das Gefühl ihres wundervollen Reizes bis zur Schmerzhaftigkeit. Eines Tages stellte sie sich in dem Boudoir, dessen beide Türen sie vorher verschloß, im Kostüm ihrer Rolle vor, das sie sich bei dem Chef der Schneiderwerkstätten des Opernhauses zu Dresden hatte machen lassen. Das Haus war um diese Stunde ziemlich leer, da die Schwestern ihre Logierbesuche bei einem Ausflug nach dem nahen Dresden hatten begleiten müssen.

Als Mimi unter der Hydra ein langes, befranstes, phantastisch besticktes Umschlagetuch, Erbstück der Mutter, von sich geworfen hatte, stand sie, ein griechischer Götterjüngling, da.

Sie liebte Schmuck: talergroße, gehöhlte Ringe von Gold hingen ihr jetzt wie immer in den Ohrläppchen, einen goldenen Reif hatte sie über die schmale Stirn, Spangen von Gold um den nackten Arm gelegt, einen breiten Reif vom gleichen Metall um das linke Handgelenk. Schöngefaßte Juwelen blitzten an ihren weiblichen Fingern. Der weiße Chiton, der ihren Körper durchscheinen ließ, wurde von einem goldenen Gürtel zusammengehalten und hatte oben wie unten einen goldenen Saum: er gab die vollen und runden Knie, den schönen Hals und die schönen Schultern preis: Herrlichkeiten, von denen Mimi zu wissen und auch nicht zu wissen schien, da sie mit der einfachsten Anmut und Natur zu wissen wünschte, ob sich das Ganze meiner Idee einigermaßen annähere.

Irgendwie bebte etwas in mir wie ein unbewußtes Wissen dem andern unbewußten Wissen entgegen: Dies alles wird dein! Bald gehört es dir!

 


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