Gerhart Hauptmann
Das Abenteuer meiner Jugend
Gerhart Hauptmann

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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Noch heut ist das gleiche Exemplar des von Donner übersetzten Aischylos in meiner Hand, aus dem ich damals den »Gefesselten Prometheus« studierte. Es war mein Gedanke, in dieser Rolle aufzutreten. Und ich bin fest überzeugt, daß, wenn eine Liebhabervorstellung im Saal des Künstlervereins zustande gekommen wäre, ich keineswegs Fiasko damit gemacht hätte. Ich war mir dessen so sicher, wie ich mit dem Vortrag des »Tauchers« von Schiller alle meine Mitschüler sicher übertroffen hätte. Aber man rief mich dazu in der Klasse nicht auf, wo ich dann immer das selbstgefällige Gestümper der Mitschüler, innerlich knirschend, anhören mußte.

Was liegt jedoch im Grunde daran, ob ich in jenem kindlichen Falle oder in dem neuen, vielleicht ähnlich kindlichen meinen Willen durchsetzen konnte? Dagegen ist mein unlösliches Ergreifen der Aischyleischen Dichtung selbst in so jungen Jahren von Bedeutsamkeit. Der Doppelband, den ich immer mit mir trug und der den »Agamemnon«, »Das Todesopfer«, »Die Eumeniden«, »Die Sieben gegen Theben«, »Die Perser«, »Die Schutzflehenden« und den »Prometheus« enthält, ist bis auf diesen ungelesen, was die nur hier vorhandenen Marginalien zeigen, woraus erhellt, wie mich der »Prometheus«, immer wieder der »Prometheus«, an sich sog.

Meine Knabenzeit, so glücklich sie war, machte mich in einem ungewöhnlichen Maße mit der angeborenen menschlichen Eristik vertraut. Wer wüßte nicht, daß Eristik das innerste Wesen des Dramas ist. Also war es das Drama, als das ich das Leben zu leben gewöhnt ward. Anders verstand ich das Leben nicht. Ob mich das glücklich machte oder nicht, zog ich nicht in Betracht.

Ich werde mich oft nach Ruhe, nach Frieden gesehnt haben. Aber das Drama, das ich später Urdrama nannte, lebte nun einmal in mir. Der Vater, die Mutter, die Geschwister, die engere und weitere Familie agierten zunächst darin. Wie schon einmal erwähnt, wurden auf das innere Forum, wo diese Schatten Eristik übten, alle wichtigen Fragen gebracht und unter Affekten ausgekämpft. Ich hatte meine Einmaligkeit gegen sie durchzusetzen.

Das war es, worin mir der »Gefesselte Prometheus« entgegenkam.

Wie er, war auch ich von Feinden umgeben, da sich mein inneres Forum und meine innere Menschenwelt inzwischen geweitet und vervielfältigt hatten. Ich spürte um mich »Kraft« und »Gewalt« am Werk und ihre von höchsten Stellen gestützte Überlegenheit.

Gern machte ich mich glauben, daß meine Gefangenschaft wie die des Prometheus, damit er »seiner Menschenlieb' Einhalt gebeut«, verhängt werde. Traurig sagte ein gütiger Hephaistos zu mir:

Dies war der Dank, den deine Menschenliebe fand:
du bot'st, ein Gott, von Götterzorne nicht geschreckt,
mehr als geziemend Ehre dar den Sterblichen . . .

Die Idee, mich als Gott zu nehmen, schreckte mich nicht; Jehova selbst hatte den Menschen nach seinem Bilde geschaffen. Ich brauchte nur mein eigenes Gefühl und nicht einmal, was ich von Platon gelernt hatte, zur Anerkennung von etwas Göttlichem in mir heranzuziehen. Überdies war ich religiös, hatte Religion; und war sie nicht etwas Göttliches? Und braucht man denn an eine Gottheit zu glauben, um göttlich zu sein?

Aber gerade das Göttliche in mir wurde durch einen von »Kraft« angefeuerten charakterlosen Hephaistos an den Marterfelsen genagelt: »Den Hammer schwingend«, heißt es, »nagle es am Felsen fest.«

Hier wird Prometheus ein Jesus am Kreuz. Auch die einzige Sünde Jesu ist Menschenliebe, die er büßt.

Prometheus ruft:

O seht in Fesseln mich, den unglücksel'gen Gott,
mich, Zeus' Urfeind, der allen ein Greuel,
den Unsterblichen, ward, soviel' im Olymp
eingehn in Kronions Herrscherpalast,
weil über Gebühr ich die Menschen geliebt!

Und auch das kann der andere Menschenheiland von sich sagen, der von Nazareth:

Ich wagt' es mutig, ich errang's den Sterblichen,
daß nicht zerschmettert Hades' Nacht sie niederschlang.
Für diese Tat denn beugte mich so grause Qual . . .
Mitleid den Menschen bietend, ward ich dessen selbst
nicht wert geachtet . . .

Ich war gewiß nicht ans Kreuz geschlagen, aber ich hatte mein Kreuz redlich getragen bis zu diesem Augenblick, und das, was man Menschenliebe nennt, war ein schmerzhaft starkes Gefühl in mir, mit dem ich mich überall in der Wüste – ob Land, Meer oder Fels, ist gleichgültig – vereinsamt und verhöhnt fühlte. Wieviel Roheit, Gemeinheit, Nichtswürdigkeit der Gesinnung sah ich überall mit offenem Zynismus vom Stärkeren gegen den Schwächeren ausgeübt!

Ich genoß den Segen des gemarterten Gottes, der es sich anrechnet, die blinde Hoffnung in die Brust der Menschen gepflanzt zu haben, was auch wieder der Nazarener tat. Aber ich war auch ein Stück von ihm, ein Teil seiner Kraft. Ich liebte seinen unbändigen Trotz. Ich hätte ihn nicht geliebt, wenn ich den verwandten Affekt nicht in mir gehabt hätte. Ja, sogar seinen Größenwahn.

Man mißbraucht dieses Wort Größenwahn, wenn man es auf die erbärmliche Lafferei ehrgeiziger Dummköpfe anwendet. Die große Empfindung dieser Art, die ich damals hatte und die sich ins unaussprechlich Erhabene weitete, verführte mich zu irgendeinem äußeren Dünkel nicht. Meinethalben war es Wahn; aber ist dann nicht alles Wahn? Weiß man nicht, daß jede Empfindung nur ihre eigene Realität bedeutet und flüchtig ist, und hat nicht Immanuel Kant trocken festgestellt, das Ding an sich bleibe ewig von unserer Erkenntnis geschieden?

Ja mitunter, nicht immer, war ich beseelt von einem unbeugsamen Trotz gegen Zeus, weil er mich und die Menschen nicht genug lieben wollte, und von einem gigantischen Größenwahn: Bedecke deinen Himmel, Zeus, mit Wolkendunst! Mich vernichtest du nicht! Entweder du vergehst wie ich, oder du bist wahrhaftig wie ich, und dann können wir beide nicht vergehen. Die Götter sind Engel in deinem Dienst, meinethalben nenne man mich rebellisch, luziferisch! – Hatte ich nicht das wahnsinnige Wort gesagt, daß ich aus dem ganzen Gebirge von Carrara ein Monument meiner Größe meißeln werde?

Also nochmals, mich beherrschte, wenn mich der Geist berührte – veni, creator spiritus! –, Trotz und Größenwahn, so daß Prometheus für alles mein Symbol wurde. Zwar sagte er in stillen Stunden der Einkehr zu mir:

Nein, harre ruhig, halte dich der Sache fern.
Denn wenn ich selbst auch leide, möcht' ich darum nicht,
daß vielen gleiches Ungemach begegnete.
O nein! Des Bruders Schicksal schon betrübt mich tief,
des Atlas, der im fernen Abendlande steht
und auf den Schultern, eine schwergewalt'ge Last,
des Himmels und der Erde Säulen stützend trägt.

Und trug ich nicht auch des Himmels und der Erde Last? Und mußte diese Last nicht um so ungeheurer sein, als ich schwächer und kleiner als jener Bruder des Prometheus, Atlas, war?

Daß ich damals mit vielzuvielen, mit allen litt, ist für mich selbst eine Tatsache. Mein Denken mühte sich, ihren Leiden zu steuern, überall propagierte ich kohlhaashaft oder donquijotisch ein reines Rechtsgefühl und gab mich der Wut dumpfer Gesinnung und damit wie oft der eigenen Verzweiflung preis.

Doch wenn ein teilnahmvoller Sinn vorsorgt und wagt,
welch einen Nachteil siehst du da? Belehre mich.

So spricht Okeanos zu Prometheus, und dieser antwortet:

Verlorne Mühe, blöden Sinns Gutmütigkeit.

Und Okeanos endet mit Worten, die aus seiner und aus der Seele des Prometheus gesprochen sind:

Verstatte mir, an dieser Krankheit krank zu sein . . .

Nun also, um dieses prometheische Intermezzo abzuschließen: auch

                                            . . . des Zeus
beschwingter Hund, sein blutigroter Adler . . .
ein Gast, der ungeladen kommt an jedem Tag,
mit meiner Leber schwarzem Raub sich sättigend . . .

fehlte mir nicht.

Und so wäre nur noch zu fragen, ob auch die Worte des Hermes auf mich zutreffen:

Du wärest unerträglich, wenn du glücklich wärst.

Für diese Gleichstellung meiner Wesenheit mit dem prometheischen Heilandsdrama mögen die Manen seines Dichters mich rechtfertigen, jenes fast mythischen Aischylos, der jedoch ein Mensch war, wie bezeugt wird, in dessen Haupt dieser Götterkampf geboren worden ist und also auch seine unsterblichen Götter:

Im Haupt des Menschen weht der endliche Äther im unendlichen Raum.

Dort wollen wir einen Augenblick ausruhen:

in der heiligen Luft, wo der Adler sich sonnt . . .

Man tat es in Rom nicht ungestraft, falls es bekannt wurde.

Man mußte auf niederer Ebene leben, dann war man in den Augen der meisten vor Gott und Mensch angenehm. Man mußte unbedingt banal, platt, gewöhnlich sein, wollte man sich in die herrschende Kunstrichtung einfügen. Der Maler und Stipendiat Istler war das unübertreffliche Vorbild dafür.

Begreiflicherweise fiel es mir nicht immer leicht, mich aus meinen Verstiegenheiten auf diese allgemeine Heerstraße der Mittelmäßigkeit zurückzufinden und dort zu bewegen, was, alles in allem genommen, meine Lage als die einer fremden Ameise allmählich immer schwieriger machte.

Ich bin voll Bitterkeit, gedenk' ich eurer,
die mein berauschtes Herz zu Rom umstrickten
mit Seilen, wie sie Opfer oft erstickten
am Galgen: doch mit Qual weit ungeheurer.

Wir sahen Götter auf uns niederblicken!
War irgendein Olymp, ihr Herrn, uns teurer,
und schienen wir nicht, alle heilige Neurer,
zum Flug in seinen Glanz uns anzuschicken?

Aus platter Niederung hierher gerettet,
war nicht die Stunde da, uns zu beflügeln
und so, ein Adlerschwarm, hinanzubrausen?

Ihr habt mich hämisch lachend festgekettet
wie einen Rüden an den Siebenhügeln
und stelltet euch, als müßtet ihr mich lausen.

Prometheus wurde von Zeus um seiner Liebe zu den Menschen willen gekreuzigt; der andere Prometheus war schlimmer dran. Es war nicht Zeus, es waren die Menschen, durch die ihm die Liebe zu den Menschen dermaßen gedankt wurde. So ging es mir, dem Prometheus im Taschenformat. Meine Angriffslust, mein Trotz, mein Größenwahn mochten allerdings mitunter einen schwer erträglichen Grad erreichen. Aber man mußte doch vor den Ideen Achtung haben, die ich vertrat. Das prometheische Göttergeschenk der Kunst sollte als göttlich betrachtet werden. Ich vertrat die Heiligkeit der Natur, vor der jeder Ehrfurcht und Andacht empfinden müsse. Ich stellte paradoxe Behauptungen auf: ein schmutziger Kerl, der sich mit seinem Modell herumwische, könne etwas Großes und Reines nicht hervorbringen.

Dafür war ich jung und jugendlich radikal, von Kompromißlern nicht einzufangen. Es herrschte damals in Künstlerkreisen, wenigstens theoretisch, Verachtung der Frau. Das bewies allein schon die Herrschaft der niedrigsten Zote an Künstlertischen.

 

Zu meinem Erstaunen war eines Tages der etwas verwachsene, intelligente Bildhauer Litt in der Via degli Incurabili aufgetaucht, derselbe, der beim Überfall meiner Mitschüler auf mich in der Breslauer Kunstschule mir den blechernen Schub voll Regenwasser über den Kopf gestülpt hatte. Er war sehr freundlich, sehr anschlußbedürftig, sehr klein. Sein geringer Wechsel erlaubte ihm nicht, auch nur annähernd so wie ich zu leben, das heißt, sich ein Atelier zu halten und in den Künstlerverein einzutreten.

Der Gedanke, ihn in meinem Studio zu haben, war mir nicht unangenehm, ich versprach mir davon sogar Förderung, und so schlug ich ihm vor, mit mir gemeinsam darin zu arbeiten: was auch, freilich ohne wesentlichen Vorteil für uns beide, eine Zeitlang geschah. Er ist mir dann wieder aus den Augen gekommen.

Da wir Wand an Wand unsere Ateliers hatten, verkehrte ich fast täglich mit dem estnischen Bildhauer Weizenberg. Wie weiland mein erster Lehrer, der Stukkateur Michaelis zu Breslau in der Kunstschule, bewegte er sich in den ausgetretenen Schlafschuhen schleifend auf den Fliesen seiner Räume umher, trug immer einen Paletot, der vor Alter die graue Farbe des Kalkstaubs angenommen hatte, und die bei Bildhauern übliche Papierkappe.

Er war seit dreißig Jahren in Rom und näherte sich dem fünfzigsten seines Alters. Er hatte den Bildhauer Professor Kopf, der alle kleinen Potentaten porträtierte, die nach Rom kamen, und von ihnen Standbilder und Brunnen in Auftrag erhielt, als Nachbarn. Der Eingang zu Kopfs, wie gesagt, immer lärmenden Werkstätten, drei Schritte von dem in die seinen, war belebt, während seit zwanzig Jahren kein Käufer oder Auftraggeber durch Weizenbergs Pforte getreten war.

Mit Rührung, Schmerz, ja mit ernster Ergriffenheit gedenke ich dieses Mannes ohne Glück und Stern, von dem ich heute nicht einmal weiß, ob er wirklich so talentlos war, wie es mir damals erscheinen wollte. War er vielleicht ein großer Bildhauer? Der estnisch-lettische Olymp, den er um sich geschaffen hatte und der aus vielen Marmorbildern bestand, zeigte, was Erfindung betrifft, eine sehr geringe Mannigfaltigkeit. Da war das übliche Standbein, das andere nur ein wenig bewegt; Geuit hatte den einen Arm im Rechteck erhoben, Amerik dagegen den anderen. So und nicht anders haben sich alle diese Marmore, Früchte von zwanzig Arbeitsjahren, meinem Gedächtnis eingeprägt.

Unter ihnen befand sich ein Hamlet aus Gips. Den Schädel Yoricks in seiner Rechten, meditierte er über Leben und Tod. In Marmor ausgeführt, war dieses Modell seinem Meister zum Verhängnis geworden: ein Kommissar hatte das Werk, nachdem es unbeachtet ein halbes Jahrzehnt in Weizenbergs Atelier gestanden, für die Weltausstellung in Melbourne ausgewählt; dort ist es für eine beträchtliche Summe verkauft worden.

Nun holte der Meister, mutig und sicher gemacht, zu einer Serie großer Werke aus, indem er zunächst den erzielten Gewinn in carrarischen Marmorblöcken anlegte.

Mut und Sicherheit täuschten ihn.

Auch haben ihm seine heimischen Götter, die er liebte – er war ein fanatischer Este – nicht helfen können: vergebens rief er sie an und auf und verwandte sein Geld und all seinen Marmor, um ihre Wiedergeburt durchzusetzen. Indes sie sich mehrten, indes sie aufblühten, fehlte ihm das tägliche Brot. Ebensowenig standen die Musen ihm bei, die weiblichen Götter der schönen Künste, was sie doch unbedingt hätten tun müssen, da eben dieser Weizenberg als fünfzehnjähriger Bauernjunge in tiefer Begeisterung für die Kunst zu Fuß aus der Gegend von Riga nach Rom gepilgert war, um den Werken der großen Meister nachzueifern.

Noch seh' ich dich inmitten deiner Götter,
die niemand ehrte, du enttäuschter Schöpfer.
Du riefst: Oh, wär' ich doch ein schlechter Töpfer
statt Göttervater und zugleich ihr Spötter!

Ein Schwert, so mach' ich mich zum eignen Köpfer!
Ein Beil, so schmettr' ich meine Marmorwerke
zu Staub! Zerstörend bleibt mir jene Stärke,
die schaffend mich betrog. Gebt her den Klöpfer,

mit dem ich nutzlos auf den Meißel pochte
jahrzehntelang, durch mühevolle Tage
und schlaflos lange, martervolle Nächte!

Und wer den Stein zu wecken nicht vermochte,
dem öffnet wohl, mit einem Meisterschlage,
die eigne Gruft die stets betrogne Rechte.

Professor König aus Darmstadt besuchte mich; auch er war Bildhauer. Der joviale, breite, bärtige Mann ließ sich nicht gegen mich einnehmen, so bewahre ich ihm ein dankbares Andenken. Er sah, was ich machte, und gab mir Ratschläge. Er sah eine Menge kleiner Entwürfe in Ton, ringende Männer, Rufende, Tanzende und dergleichen, die er überraschend gut nannte. Bei einem seiner Besuche in meinem Studio sagte er mir, was gewiß eine schwere Übertreibung war, ich hätte mehr Talent als die Kollegen im Künstlerverein zusammengenommen.

 

Ein gutes Verhältnis hatte ich außer zu Dietrich von Sehlen zu einem jungen Geologen, Dr. Johannes Walther, dem Jenenser Freunde Carls. Mit Sehlen bin ich fast ein Jahrzehnt in einem nahen Verhältnis geblieben, bis er früh starb. Er war ein schöner, stattlicher Mensch mit feurigem Wesen und freimütiger Gesinnung. Um den bloßen Leib trug er stets einen breiten Gürtel geschnallt, zur Aufnahme von Reagenzgläschen für bakteriologische Kulturen. Sie brauchten Körperwärme zu ihrer Entwicklung. Und so waren es die berüchtigtsten Feinde der Menschheit, Malaria, Typhus, Cholera, Scharlach, Bubonenpest, die er in gebändigter Form unsichtbar immer bei sich führte. Es paßte zu ihm und seiner angeborenen Ritterlichkeit, die er mit vollem Einsatz seiner kühnen Natur in den Dienst der Forschung gestellt hatte.

Mit Dietrich von Sehlen und Johannes Walther habe ich manchen langen römischen Abend in heiter belebter und für mich belehrender Unterhaltung verbracht.

Zu kleinen, immerhin harmlosen Orgien wuchsen sich Silvester und Epiphania aus, die eine Zufallsgesellschaft von Deutschen in Liebe zur Heimat vereinigte.

Wir zogen dabei von einer Kantine zur anderen.

Durch die Tür der Osteria, in der wir endeten, wurde ich von Dietrich von Sehlen, Johannes Walther und einigen anderen der Kumpanei im Triumph, wie ein Balken, auf den Schultern hineingetragen.

Eine kleine Episode dabei ist mir erinnerlich. Da war ein geckenhaft aufgeputzter, nicht uninteressanter Lebemensch, der immer den Lustigmacher hervorkehrte. Auch zu Silvester machte er unsere Tollheiten nicht nur mit, sondern war zumeist ihr Anführer. Als ich ihn einmal wieder im Café Aragno traf und wir allerlei Dinge, so auch den Jesuitismus durchsprachen, entgleiste er plötzlich und entpuppte sieh unversehens, als er eine meiner Fragen mißverstand. Er sagte nämlich, nachdem er das Lob des Jesuitismus gesungen hatte: »Jawohl, ich bin Priester, ich habe die Weihen.«

Ein gewisser Mandolinenspieler, ein großes Genie in seiner Kunst, von dem ich, charakteristisch für meine damalige Gesinnung, behauptete, er verdiene, nicht nur allgemein verehrt, sondern mit Gold überschüttet zu werden, wurde von mir, wo er in einem Lokal auftauchte, jedesmal mit fünfzig Centesimi, einer damals für mich ungewöhnlichen Summe, bedacht. Ich entging ihm aber fast nie, und schließlich pflegte ich, wegen meiner fälligen fünfzig Centesimi, leicht zu erschrecken, wenn er mit seiner gitarrespielenden Frau durch die Türe trat.

Der Besuch eines kleinen Prinzen aus regierendem Hause brachte eine Veranstaltung erster Ordnung im Palazzo Poli. Ball, Tombola, eine komische Menagerie, die Wahl einer Bohnenkönigin waren die Hauptpunkte. Der Prinz sah recht unbedeutend aus. An die Erscheinung der Botschafter, die zugegen waren, kann ich mich nicht mehr erinnern. Der schönste Mann des Abends war Professor Otto, unser Vereinsvorsitzender, der damals an seinem Lutherdenkmal für Berlin arbeitete. Er stach als Erscheinung mit seinem rötlichen Spitzbart und verworrenen Haar sogar meinen Professor Haertel in Breslau aus, war derb, geistreich und freimütig im Gespräch und beteiligte sich ganz gewiß nicht an dem heimlichen Kesseltreiben, mit dem man meine geringe Person beehrte. Er wußte wahrscheinlich nicht einmal davon.

Schöne Frauen und junge Damen waren plötzlich in großer Menge hereingeschneit. Den Preis erhielten zwei Schwestern Dohm aus Berlin, die mit ihrer Mutter, Hedwig Dohm, gekommen waren. Ihr Vater war Chefredakteur des »Kladderadatsch«.

Ich wurde vom Vorstand des Vereins an bevorzugter Stelle verwandt. Ich hielt einen großen, altertümlichen Messingteller, um am Eingang zur Menagerie das Eintrittsgeld zu empfangen, dessen Höhe jeder nach Belieben bemessen durfte. Es regnete Scheine, Silber und gutes Gold.

Einmal trat ich, von einem deutschen Musikmeister darum ersucht, mit sieben oder acht anderen stimmbegabten Malern und Bildhauern als Sänger auf, bei einem großen Empfang im Palazzo der Familie Dachröden. Ich weiß nicht, in welchem Verhältnis diese Dachröden zu jenen anderen gestanden haben, denen das kleine Haus meines Großvaters, der für mich so schicksalhaft bedeutsame Dachrödenshof, seinen Namen verdankt. Jedenfalls war mir die Namensgleichheit wunderlich, und ich hatte ebenso wunderliche Gedanken, als ich inmitten des ungeheuren Gewimmels von Gästen, ein Notenblatt in der Hand, auf den Taktstock des Dirigenten wartete, um im Dienst der Familie Dachröden ihre Gäste mit einem Chorgesang zu beglücken.

Bei alledem blieb ich ein eigensinniger Frühaufsteher, besuchte die Frühmessen und dabei im Halblicht immer wieder das Grabmal Julius des Zweiten, trank meinen Umbra im Arbeitercafé und eilte zu meiner Kolossalfigur des Germanenkriegers zurück, mit der ich mich unsäglich abquälte.

Ob diese Riesenfigur von jemand bestellt sei, fragte man mich, und wenn ich verneinend geantwortet hatte, so wollte man nicht begreifen, weshalb ich sie ausführte. Nun begriff ich wieder, als ein eigenen Ideen frei hingegebener Künstler, dieses Nichtbegreifen nicht und ließ mich's nicht im geringsten anfechten.

 


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