Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Zehntes Kapitel.

Der nächste Morgen – Das Schicksal der Nydia.

Lieblich, sanft und schön dämmerte der Tag endlich wieder über der zitternden Tiefe. Es herrschte vollkommene Windstille. Der Nebel wich von dem glänzenden Azur des herrlichen Meeres. Im Osten nahmen die blauen Wölkchen allmählig die rosigen Farben an, welche den Morgen vorfinden; das Licht war nun im Begriffe, wieder seine Herrschaft anzutreten. In der Ferne aber schweben noch immer die dunkeln Trümmer der verheerenden Wolken, deren rothe, jedoch mit jedem Augenblicke matter glühende Streifen hinlänglich bewiesen daß die Wuth des Feuers in dem Berge, »der versengten Felder« noch fortwährend thätig ist. Die weißen Mauern und die glänzenden Säulen, welche die liebliche Küste geschmückt hatten, waren nicht mehr vorhanden. Düster und öde lagen jetzt die Ufer da, an denen so eben noch die Städte Pompeji und Herkulum in stolzer Pracht sich erhoben. Die Lieblinge des Meeres waren aus seiner Umarmung gerissen! Jahrhunderte lang wird die mächtige Mutter ihre azurnen Arme ausstrecken und sie nicht wieder erkennen, während ihre Fluten die Gräber der Verlorenen bespülen!

Die Schiffsleute jubelten dem dämmernden Lichte nicht entgegen; es war zu allmählig angebrochen, und ihre Mattigkeit mache sie auch für so plötzliche Ausbrüche der Freude unempfänglich. Doch konnten diese Wächter der langen Nacht nicht unterlassen, ihre Gefühle durch ein leises Geflüster des Dankes auszudrücken. Sie blickten einander an und lächelten; sie faßten wieder neuen Muth, da sie sich völlig überzeugen konnten, daß die Welt immer noch die alte und ein Gott über ihnen sei. Jetzt, nachdem die größte Gefahr vorüber war, fielen die am meisten Erschöpften in einen erquickenden Schlaf. Mit dem anbrechenden Tage kehrte die Ruhe zurück, welche die Nacht entbehrt hatte. Die Barke steuerte sanft ihrem Hafen zu. In der Ferne sah man einige andere Schiffe, die ebenfalls Flüchtlinge trugen, bei scheinbarer Bewegungslosigkeit über die spiegelglatte See dahingleiten. Der Anblick ihrer weißen Masten und Segel flößten ein höchst wohlthuendes Gefühl der Sicherheit und Hoffnung ein. Wie viele geliebte Freunde, die man in der Finsternis verlor und zurückließ, konnten auf jenen Schiffen Schutz und Rettung gefunden haben!

Während Alles eingeschlafen war, stand Nydia ganz sachte auf. Er beugte sich über das Gesicht des Glaukus herab, sie sog eine tiefen Athemzüge ein, ängstlich und traurig küßte sie ihn auf Stirne und Lippen; sie befühlte seine Hand, und diese lag in Ione's Hand; da seufzte sie tief und ihre Miene wurde düster. Wiederum küßte sie ihn auf die Stirne und trocknete mit ihrem Haare den Nachtthau von derselben ab. »Mögen die Götter Dich segnen, Athener!« sprach sie leise. »Mögest Du glücklich sein mit Deiner Geliebten – und manchmal auch an Nydia denken! Ach! sie ist auf Erden jetzt zu nichts mehr nütze!«

Mit diesen Worten ging das blinde Mädchen hinweg. Langsam kroch sie längs der Fori oder Ruderbänke nach der hintern Seite des Schiffes und beugte sich schweigend über die Tiefe; der kühle Schaum spritzte an ihre glühende Stirne hinauf.

»Das ist der Kuß des Todes,« sagte Nydia, »er ist mir willkommen.« Die erfrischende Luft spielte mit ihren wallenden Locken; sie strich sie aus dem Gesichte und erhob diese Augen – so zärtlich und doch so lichtlos – zu dem Himmel, dessen sanftes Antlitz sie nie gesehen hatte.

»Nein! nein!« sagte sie halblaut und in nachdenklichem Ton, »ich kann es nicht mehr aushalten; diese eifersüchtige, ihre Grenzen überschreitende Liebe – sie stürzt meine Seele in Wahnsinn! Ich könnte ihn wider beleidigen – ich Unglückliche! Ich habe ihn gerettet – zweimal gerettet – beglückender Gedanke! – warum sollte ich nun nicht auch glücklich sterben? – Dies ist der letzte freudige Gedanke, den ich je fassen kann. O heilige See! ich höre deine rufende Stimme; sie hat einen erquickenden, fröhlichen Ton. Man sagt, deine Umarmung bringe Schmach, deine Opfer würden nicht über den Styx geführt; – es mag sein! Ich will ihn nicht unter den Schatten treffen, denn sie würde ja bei ihm sein! Ruhe! Ruhe! Ruhe! – es gibt kein anderes Elysium für ein Herz, wie das meinige!«

Ein Matrose, welcher auf dem Verdecke schlummerte, hörte ein leichtes Plätschern im Wasser. Schlaftrunken blickte er auf und es kam ihm vor, während das Schiff schnell dahin gleitete, als ob etwas Weißes auf den Wogen schwimme; aber in einem Nu war diese Erscheinung verschwunden. Er kehrte sich wieder um und träumte von seiner Heimath und seinen Kindern.

Als die Liebenden erwachten, dachten sie zuerst an sich selbst und dann an Nydia. Sie war nirgends zu finden; Niemand hatte sie seit der Nacht gesehen. Jeder Winkel des Schiffes wurde durchsucht – keine Spur von ihr. Geheimnisvoll von Anfang bis zu Ende war die Thessalierin für immer aus der Mitte der Lebendigen verschwunden. Schweigend ahnten sie ihr Schicksal; Glaukus und Ione rückten sich näher, und ihre eigene Rettung vergessend, beweinten sie Nydia wie eine gestorbene Schwester.


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