Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Fünftes Kapitel.

Nydia begegnet der Julia – Unterredung der heidnischen Schwester mit ihrem bekehrten Bruder – Begriffe eines Atheners vom Christenthum.

»Welch Glück für Ione! welche Wonne immer zur Seite des Glaukus zu sein, seine Stimme zu hören – und sie, ja sie kann ihn auch sehen!«

Dies war das Selbstgespräch des blinden Mädchens, als sie allein in der Dämmerung nach dem Hause ihrer neuen Gebieterin wandelte, wohin ihr Glaukus bereits vorausgegangen war. Plötzlich wurde sie in ihren Gedanken durch eine weibliche Stimme unterbrochen.

»Blindes Blumenmädchen, wohin gehst Du? Es ist kein Körbchen unter Deinem Arm; hast Du Alles verkauft?«

Die Nydia also so anredete, war eine Dame von schönen, aber kühnen und unweiblichen Zügen: Julia, die Tochter Diomed's. Während sie sprach, war ihr Schleier halb erhoben; Diomed selbst und ein Sklave, der eine Leuchte voraustrug, begleitete sie. Der Kaufmann und seine Tochter kehrten von einem Abendessen bei einem ihrer Nachbarn zurück.

»Erinnerst Du Dich meiner Stimme nicht mehr?« fuhr Julia fort, »ich bin die Tochter des reichen Diomed.«

»Ach, verzeih mir! ja, ich erkenne Deine Töne wieder. Nein, edle Julia, ich habe keine Blumen zu verkaufen.«

»Ich hörte, Du seiest von dem schönen Griechen Glaukus gekauft worden; ist das wahr, hübsche Sklavin?« fragte Julia.

»Ich diene der Neapolitanerin Ione,« antwortete Nydia ausweichend.

»Ha! und ist es denn wahr –«

»Komm, komm,« fiel Diomed ein, bis zum Mund in seinen Mantel gehüllt, »die Nacht wird kalt und ich kann nicht hier stehen bleiben, während Du mit diesem blinden Mädchen plauderst. Komm, laß sie Dir ins Haus nachfolgen, wenn Du mit ihr zu sprechen wünschest.«

»Thue das Kind,« sagte Julia mit dem Tone einer Person, die an keinen Widerspruch gewöhnt ist, »ich habe Dich viel zu fragen, komm.«

»Diesen Abend kann ich nicht mehr, es wird spät,« antwortete Nydia, »ich muß nach Hause gehen; ich bin nicht frei, edle Julia.«

»Was, die milde Ione würde Dich zanken? Ach ja, ohne Zweifel ist sie eine zweite Thalestris. Dann komm aber morgen zu mir; erinnere Dich, daß ich schon seit langem Deine Freundin bin.«

»Ich werde Deinen Wünschen gehorchen,« antwortete Nydia, und da Diomed von Neuem seine Tochter ungeduldig anredete, so mußte diese ihren Weg fortsetzen, ohne diejenige Frage, welche ihr am wichtigsten war, an Nydia gestellt zu haben.

Kehren wir indessen zu Ione zurück. Die Zeit, welche zwischen dem ersten und zweiten Besuche des Glaukus am heutigen Tage lag, war ihr nicht besonders heiter verflossen; sie hatte einen Besuch ihres Bruders empfangen. Seit der Nacht, da er zu ihrer Rettung aus den Händen des Egypters mitgewirkt, hatte sie ihn nicht wieder gesehen.

Mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt – Gedanken von so ernster und intensiver Art, hatte der junge Priester seine Schwester beinahe vergessen. In Wahrheit nämlich sind Menschen von jener glühenden Gemüthsart, die immer über die Erde emporstrebt, nur in geringem Maaße für die irdischen Neigungen empfänglich, und es war schon lange seit Apäcides jenen milden und freundlichen Gedankenaustausch, jene süßen Vertraulichkeiten nicht mehr gesucht hatte, die ihn in seiner früheren Jugend an Ione fesselten und die einer herzlichen Verbindung, wie sie zwischen ihnen bestund, so natürlich sind.

Ione übrigens hatte nie aufgehört, seine Entfremdung zu bedauern; im gegenwärtigen Falle schrieb sie dieselbe den wachsenden Verpflichtungen seiner strengen Brüderschaft zu, und oft, wenn sie inmitten all ihrer glänzenden Hoffnungen und ihrer neuen Anhänglichkeit an ihren Verlobten – oft, wenn sie da an die vor der Zeit gefurchte Stirne ihres Bruders, an seine für das Lächeln abgestorbenen Lippen und seine gebeugte Gestalt dachte, seufzte sie, daß der Dienst der Götter einen so tiefen Schatten über diese Erde werden könne, welche die Götter erschaffen haben.

Heute jedoch, als er sie besuchte, lag eine so sonderbare Ruhe in seinen Zügen, ein ruhiger Ausdruck der Selbstbeherrschung in seinen eingefallenen Augen, als sie seit Jahren nicht beobachtet hatte. Diese anscheinende Besserung war nur augenblicklich – es war eine falsche Ruhe, die da leiseste Lüftchen stören konnte.

»Mögen die Götter Dich segnen, mein Bruder,« sagte sie, ihn umarmend.

»Die Götter! sprich nicht so unbestimmt; vielleicht gibt es nur einen Gott.«

»Mein Bruder!«

»Wie, wenn der erhabene Glaube der Nazarener wahr wäre? Wenn Gott ein Alleinherrscher – einzig – untheilbar – allein wäre? Wie, wenn diese unzähligen Gottheiten, deren Altäre die Erde füllen, nur böse Dämonen wären, die uns vom wahren Glauben zu entwöhnen suchen? Dies kann leicht der Fall sein!«

»Ach, können wir es glauben? Oder wenn wir es glaubten, wäre es nicht ein wehmütiger Glaube?« antwortete die Neapolitanerin; »wie! alle, die diese schöne Welt schufen, sollten nur Menschen sein! – der Berg sollte seine Oreade, die Gewässer ihrer Nymphe beraubt werden? Diese herrliche Verschwendung des Glaubens, die alle Gegenstände göttlich macht, die gewöhnlichsten Blumen heiligt, und uns im leisesten Lüftchen ein himmlisches Flüstern zuführt – sie wolltest Du läugnen und die Erde zu bloßem Staub und Lehm machen? Nein, Apäcides, das Herrlichste in unserem Herzen ist eben jener Glaube, der das Weltall mit Göttern bevölkert!«

Ione antwortete, wie es sich von einem Wesen erwarten ließ, das an die Poesie der alten Mythologie glaubte. Aus dieser Antwort mögen wir ermessen, wie hartnäckig und schwierig der Kampf war, den das Christentum gegen die Heiden zu bestehen hatte. Der anmuthige Aberglaube schwieg nirgends; es gab auch nicht eine Handlung in ihrem häuslichen Leben, die nicht mit demselben verflochten gewesen wäre – er war ein Theil des Lebens selbst, wie die Blumen ein Theil des Thyrsus sind. Bei jedem Ereignisse wandte man sich an einen Gott; jedem Becher Weins ging eine Libation voraus; sogar die Kränze an ihren Thürschwellen waren einigen Gottheiten gewidmet und ihre eigenen Vorfahren führten, nunmehr heilig gemacht, als Laren die Aufsicht über Haus und Hof. So überschwänglich war der Glaube bei ihnen, daß unter jenem Klima der Götzendienst selbst bis auf die gegenwärtige Stunde noch nicht gänzlich ausgerottet ist; er wechselt bloß die Gegenstände seiner Verehrung, er wendet sich da, wo er einst zu den Göttern seine Zuflucht nahm, an unzählige Heilige und schickt die Menge in lauschender Ehrfurcht zu Vermehrung von Orakeln an die Altäre des heiligen Januarius oder des heiligen Dominicus, statt in die Tempel der Isis oder des Apollo.

Für die frühesten Christen aber waren solche abergläubischen Meinungen nicht sowohl ein Gegenstand der Verachtung, als vielmehr des Entsetzens. Sie glaubten weder mit dem ruhigen Skeptizismus der heidnischen Philosophen, daß die Götter Erfindungen der Priester seien, noch schlossen sie sich dem Glauben der Menge an, daß die Götter, dem trüben Lichte der Geschichte nach zu schließen, Sterbliche gewesen seien wie wir selbst. Vielmehr dachten sie sich die heidnischen Gottheiten als böse Geister, verpflanzten die düstern Dämonen Indiens und des Orients nach Italien und Griechenland, und schauderten vor Jupiter oder Mars, den Repräsentanten des Molochs oder Satans.In Pompeji stellt eine rohe Zeichnung von Plato diesen furchtbaren Gott in derselben Gestalt dar, die wir heutzutage dem Teufel zuschreiben, und schmückt ihn mit Hörnern und einem Schwanze. Aller Wahrscheinlichkeit nach jedoch haben wir die gemeine Vorstellung von der äußern Gestalt des bösen Feindes, dem geheimnisvollen Pan, dem Bewohner einsamer Stätten, der die Seele mit gewaltigen, nicht zu bezeichnenden Schrecken heimsucht, entnommen; seine Gestalt wenigstens stimmt genau mit dem pferdefüßigen Satan überein. Auch mochten die Christen in dem unzüchtigen und lasterhaften Dienst des Pans eine Spur der Täuschung des Teufels zu erblicken glauben.

Apäcides hatte den christlichen Glauben noch nicht förmlich angenommen, stund aber bereits im Begriffe es zu thun. Schon theilte er die Ansichten Olinths – schon glaubte er, die lebhaften Vorstellungen der Heiden seien die Einflüsterungen des Erzfeindes des Menschengeschlechtes. Die unschuldige und natürliche Antwort Ione's machte ihn schaudern. Er beeilte sich heftig und zugleich so verwirrt zu antworten, daß Ione mehr für seinen Verstand fürchtete, als vor seiner Heftigkeit erschrak.

»Ach, mein Bruder,« sagte sie, »die strengen Pflichten Deines Amtes haben Deine Urtheilskraft verwirrt. Komm zu mir, mein Bruder, Apäcides, mein geliebter Bruder; gib mir Deine Hand, laß mich den Schweiß von Deiner Stirne trocknen, zanke mich jetzt nicht, ich verstehe Dich nicht; glaube nur, daß Ione nie die Absicht haben konnte, Dich zu beleidigen.«

»Ione,« sagte Apäcides, sie zu sich hinziehend und zärtlich anblickend, »soll ich glauben, daß diese schöne Gestalt, dieses liebevolle Herz zu einer Ewigkeit von Qualen bestimmt sei?«

»Dii meliora! das mögen die Götter verhüten,« sprach Ione in der gewöhnlichen Redeform, mit der ihre Zeitgenossen ein böses Vorzeichen abwenden zu können glaubten.

Die Worte, und noch mehr der in ihnen liegende Aberglaube verwundeten das Ohr des Apäcides. Vor sich hinsprechend stand er auf, that einige Schritte um sich aus dem Zimmer zu entfernen, blieb sodann auf halbem Wege stehen, blickte Ione ausdrucksvoll an und breitete seine Arme aus.

Ione stürzte sich freudig in dieselben; er küßte sie inbrünstig und sagte: »Lebe wohl, meine Schwester; wenn wir uns wiedersehen, bist Du mir vielleicht nichts mehr, nimm also noch diese Umarmung, voll von all den zärtlichen Erinnerungen der Kindheit, als Glaube und Hoffnung, Religion und Gebräuche, Ziel und Interessen für uns Beide dieselben waren. Jetzt wird dieses Band gebrochen werden.«

Mit diesen sonderbaren Worten verließ er das Haus.

Hierin lag in der That die große und strengste Prüfung für die Christen, daß ihre Bekehrung die theuersten Bande ihres Herzens löste. Sie konnten keine Gemeinschaft mehr haben mit Wesen, deren einfachste Handlungen und gewöhnlichste Redensarten das Gepräge der Abgötterei an sich trugen. Sie schauderten über die Segnungen der Liebe; für ihr Ohr wurden sie im Namen eines Dämons ausgesprochen. Dies ihr Unglück jedoch machte sie zugleich auch stark; wenn es sie von der übrigen Welt trennte, so vereinigte es sie in demselben Maaße unter sich selbst. Männer von Eisen waren es, die das Wort Gottes verbreiteten, und fürwahr, der Reif, der sie umschlang, war auch von Eisen!

Glaukus fand Ione in Thränen; bereits hatte er sich das süße Vorrecht sie zu trösten angeeignet. Er brachte aus ihr einen Bericht über ihre Unterredung mit ihrem Bruder heraus; aber bei ihrer verwirrten Wiederholung einer Sprache, die schon an und für sich einem nicht darauf Vorbereiteten unklar war, vermochte er ebenso wenig als Ione die Absicht oder die Meinung des Apäcides zu errathen.

»Hast Du je,« fragte sie, »etwas Weiteres über diese neue Sekte der Nazarener gehört, von welcher mein Bruder sprach?«

»Oft genug schon habe ich von ihnen reden gehört,« antwortete Glaukus, »aber von ihren eigentlichen Glaubenssätzen weiß ich nichts, außer daß in ihrer Lehre etwas übernatürlich Kaltes und Mürrisches zu liegen scheint. Sie leben abgesondert von den übrigen Menschen; stellen sich, als ob ihnen sogar unser einfach Gebetbuch von Kränzen ein Ärgernis wäre; haben kein Gefühl für die Zerstreuungen des Lebens; stoßen schreckliche Drohungen aus über den bevorstehenden Untergang der Welt, und scheinen mit einem Worte ihren düstern, freudeleeren Glauben aus der Höhle des Trophonius herbeigebracht zu haben. Übrigens,« fuhr Glaukus nach einer kleinen Pause fort, »fehlt es ihnen nicht an Männern von großem und gewaltigem Geist, und selbst unter den Aeropagiten von Athen zählen sie ihre Anhänger. Recht gut erinnere ich mich noch, wie mein Vater von einem sonderbaren Mann sprach, der vor vielen Jahren nach Athen kam; ich glaube, er hieß Paulus. Mein Vater stand inmitten eines gewaltigen Haufens, der sich um einen unserer unsterblichen Hügel gesammelt hatte, um diesen Weisen des Morgenlandes lehren zu hören. Auf dem weiten Raum ließ sich auch nicht das mindeste Geflüster vernehmen! Das Scherzen und das Geschrei, womit unsere heimathlichen Redner aufgenommen wurden, war vor ihm verstummt, und als dieser geheimnisvolle Gast auf dem höchsten Gipfel jener Anhöhe, hoch erhaben über der athemlosen Menge, da stund, flößten seine Haltung und Züge jedem Herzen Ehrfurcht ein, noch ehe ein Wort aus seinem Munde gekommen war. Er war, wie mir mein Vater sagte, ein Mann von nicht hoher Gestalt, aber von edler, eindrucksvoller Miene; seine Kleider waren dunkel und weit; die untergehende Sonne – denn es war Abend – schien schief auf seine Gestalt, wie sie regungslos und gebietend hervorragte; sein Gesicht war verwittert und scharf markirt, als eines Menschen, der dem Unglück und dem strengsten Wechsel vieler Himmelsstriche getrotzt hat; aber seine Augen strahlten von einem fast überirdischen Feuer, und als er seinen Arm erhob um zu sprechen, da geschah es mit der Erhabenheit eines Mannes, auf den der Geist eines Gottes herabgestiegen war!

›Männer von Athen,‹ soll er gesagt haben, ›in eurer Mitte finde ich einen Altar mit der Inschrift: dem unbekannten Gott. Unbewußt betet ihr denselben Gott an, dem ich diene. Der euch bis jetzt unbekannt war, soll euch nunmehr enthüllt werden.‹

»Dann erklärte dieser hehre Mann, wie der große Schöpfer aller Dinge, der dem Menschen seine mannigfaltigen Stämme und seine verschiedenen Wohnungen angewiesen habe – der Herr der Erde und des Himmels nicht in Tempeln von Menschenhänden wohne, daß seine Gegenwart, sein Geist in der Luft sei, die wir einathmen; daß unser Leben und unser Sein in ihm sei. ›Glaubt Ihr,‹ rief er, ›daß der Unsichtbare sei, wie eure Bildsäulen von Gold und Marmor? Glaubt ihr, er brauche Opfer von euch, er, der Himmel und Erde gemacht hat?‹ Dann sprach er von fürchterlichen Zeiten, die da kommen würden, von dem Ende der Welt, von einer Auferstehung der Todten, wovon dem Menschen eine Gewißheit gegeben worden sei in der Auferstehung des mächtigen Wesens, dessen Religion zu predigen er sich eingestellt habe.

»Während er so geredet, begann sich das lange zurückgehaltene Murmeln hörbar zu machen, und die Philosophen, die sich unter das Volk gemischt, drückten ihre weise Verachtung aus. Da hat man, wie mir mein Vater sagte, die frostige Stirne des Stoikers und das Hohnlächeln des Cynikers sehen können – und die Epikuräer, die selbst nicht an unser Elysium glaubten, machten einen Scherz und schritten lachend durch die Menge; aber das tiefe Herz des Volkes war gerührt und durchdrungen, und es zitterte, obgleich es nicht wußte warum; denn wahrlich der Fremde besaß die Stimme und Majestät eines Mannes, den der unsichtbare Gott mit der Verkündigung seines Glaubens beauftragt hat.«

Ione hörte mit Begeisterung und Aufmerksamkeit zu, die ernste und feierliche Weise des Erzählers aber verrieth den Eindruck, den auf ihn selbst der Bericht seines Vaters gemacht, der mit einer unzähligen Menge auf dem Hügel des heidnischen Kriegsgottes die erste Kunde von dem Worte Christi vernommen hatte.


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