Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Achtes Kapitel.

Glaukus und Ione begegnen dem Arbaces.

Mit der größten Vorsicht und ängstlich umherspähend, setzten Ione und ihr Geliebte ihren unsichern Weg fort. In den Augenblicken, wenn die vulkanischen Blitze über die Straßen hinzuckten, waren sie im Stande, bei dem furchtbaren Scheine derselben sich auf ihrem Pfade einigermaßen zu orientiren; jedoch vermochte das, was sie sahen, ihnen keinen großen Muth einzuflössen. An denjenigen Stellen, wo die Asche trocken und mit dem von dem Berge ausgeworfenen heißen Wasser nicht vermischt war, hatte die Oberfläche des Bodens eine schmutzig weiße Farbe. An andern Orten lagen große Stein- und Aschenhaufen, unter denen man öfters die halbbedeckten Glieder eines verschütteten und zerschmetterten Flüchtlings gewahrte. Die Seufzer der Sterbenden wurden bald in der Nähe, bald in der Ferne, durch das Jammergeschrei von Weibern unterbrochen, welches, zumal in der dichten Finsternis wegen des niederschlagenden Gefühls der Hülflosigkeit und Unbekanntschaft mit den sie rings umgebenden Gefahren einen herzdurchbohrenden Ausdruck hatte. Alles aber wurde durch das furchtbare Toben des unheilvollen Berges, durch seine brausenden Winde, seine Wasserwirbel, so wie durch seine von Zeit zu Zeit erfolgenden, wilden Explosionen übertäubt. So oft die Windstöße durch die Straßen heulten, führten sie immer einen glühenden Staub, und so erstickende giftige Dämpfe mit sich, daß den Unglücklichen, welche ihnen ausgesetzt waren, für einen Augenblick Athem und Bewußtsein entzogen wurde, und das stockende Blut, wenn es wieder in Gang kam, fieberhaft durch die Adern rollte, was ein Zittern in allen Nerven verursachte.

»O Glaukus, mein Geliebter, mein Einziger, nimm mich in Deine Arme! Schling' Deine Arme um mich und lass' mich sterben an Deiner Brust; ich kann nicht weiter!«

»Fasse Muth, theuerste Ione! Mein Leben ist eng mit dem Deinigen verknüpft; sieh, Fackeln kommen gegen uns! Wie sie dem Winde trotzen; ha, der Sturm belebt sie! Ohne Zweifel sind es Flüchtlinge, die zur See eilen! Wir wollen uns ihnen anschließen!«

Zum Troste der Geliebten ließen der Wind und der Aschenregen plötzlich nach! in der Atmosphäre herrschte eine tiefe Stille; der Berg schien zu ruhen, vielleicht wollte er nur frische Kräfte zu einem neuen Ausbruche sammeln; die Fackelträger kamen rasch voran.

»Wir nähern uns der See,« sagte mit ruhiger Stimme der Mann, welcher der Gruppe vorausging; »Freiheit und Reichthum jedem Sklaven, der diesen Tag überlebt! Muth! Muth! Ich kann Euch versichern, daß die Götter selbst mir Rettung verheißen haben. – Vorwärts!«

Der hellrothe Fackelschein fiel jetzt dem Glaukus und der Ione, welche zitternd und erschöpft an seinem Busen lag, gerade ins Gesicht. Mehre Sklaven trugen schwer beladene Kisten und Koffer; und an ihrer Spitze sah man, mit gezogenem Schwerte in der Hand, die hohe Gestalt des Arbaces einherschreiten.

»Bei meinen Vätern!« rief der Egypter, »das Schicksal lächelt mir selbst unter den Schrecknissen des heutigen Tags, und durch die schauervollen Scenen von Elend und Tod leitet mich sicher das Glück und die Liebe. Hinweg, Grieche! Ich fordere meine Mündel Ione zurück!«

»Verräther und Mörder!« entgegnete Glaukus, seinen Feind anstarrend, »Nemesis hat Dich in meine rächenden Hände geführt, als ein willkommenes Opfer für die Schatten des Hades, der jetzt gegen die Erde losgelassen zu sein scheint. Wagst Du es, auch Ione's Hand zu berühren, so will ich Deine Waffe wie ein schwaches Rohr zerbrechen und Dich, Glied um Glied zerreißen!«

Als er so sprach, wurde plötzlich der Platz durch eine röthliche Gluth erleuchtet. Der Berg erschien in der Finsternis, welche ihn von allen Seiten gleich den Wänden der Unterwelt umgab, wie ein riesiger Scheiterhaufen. Sein Gipfel schien entzwei gespalten; oder vielmehr, es war, als ob auf seiner Oberfläche zwei ungeheure Dämonen gegen einander um eine Welt kämpften. Sie stunden in einem bluthrothen Feuer, welches die ganze Atmosphäre nach allein Seiten hin erleuchtete; aber unten am Fuße des Berges herrschte tiefe Finsternis, außer an drei Stellen, wo Bäche geschmolzener LavaUeber die Art und Weise des Untergangs von Pompeji sind schon verschiedene Theorien aufgestellt worden; ich habe diejenige angenommen, welche bei einer genauen Besichtigung der Oertlichkeit dem gesunden Verstand am meisten zusagt, und auch von jeher den größten Beifall fand, nämlich die Zerstörung durch Asche und siedendes Wasser, vermischt mit dem Auswurfe großer Steine. Auch das Erdbeben trug Vieles bei. Herkulanum aber scheint nicht bloß mit Asche bedeckt, sondern auch mit glühender Lava überflutet worden zu sein; die in dem Texte erwähnten Lavaströme müssen daher mehr als dieser Stadt geltend betrachtet werden. Das vulkanische Blitze stattfanden, läßt sich leicht aus dem Zustande mehrer Ruinen nachweisen. Papyrus und andere Stoffe von leicht entzündbarer Natur wurden in einem versengten Zustande gefunden. Einige Gegenstände von Metall sind zum Theil geschmolzen, und eine bronzene Statue ist vollkommen wie durch einen Blitz zersplittert. Ich glaube daher, daß meine Schilderung des Untergangs dieser Stadt von der Phantasie sehr wenig borgte, und daß dieselbe, zumal wenn man bedenkt, daß sie in einem Roman steht, keineswegs zu den ungenauen gehören dürfte. in Schlangenwindungen herabflossen. Dunkelroth strömten sie zwischen ihren in Nacht gehüllten Ufern der unglücklichen Stadt zu. Über dem breitesten schien ein mächtiger Bogen sich zu erheben, aus welchem, wie aus dem Rachen des Hades, die Fluten des Phlegeton herabstürzten. Und bei der jetzt herrschenden, ausnehmenden Windstille hörte man das Donnern von Felsstücken, die auf den wilden Katarakten dahinschießend, über einander rollten und die Stelle, wo sie auffielen, für kurze Zeit verdunkelten, dann aber rasch wieder in die glühende Farbenflut, in welcher sie schwammen, untertauchten.

Die Sklaven schrieen laut und bedeckten ihr Gesicht. Der Egypter selbst blieb wie festgewurzelt stehen, während die Gluth seine gebieterische Miene und seine mit Juwelen besetzten Kleider erleuchtete. Hinter ihm erhob sich eine schlanke Säule, welche die bronzene Statue des Augustus trug, und das Kaiserbild schien in eine feurige Gestalt verwandelt.

Mit der Linken Ione umschlungen haltend und mit der Rechten den Stilus, der ihm als Waffe auf der Arena dienen sollte und welchen er glücklicherweise noch bei sich trug, emporhebend, stund Glaukus, auf dessen Gesichtszügen die ganze Wuth menschlicher Leidenschaften, wie durch einen Zauber, festgebannt war, dem Egypter gegenüber.

Vor sich hinmurmelnd, wandte Arbaces seine Augen von dem Berge weg, und ließ sie auf die Gestalt des Atheners fallen. Er schwieg einen Augenblick. »Wie?« sagte er sodann zu sich selbst, »sollte ich zögern? Weissagten mir nicht die Sterne, daß ich nur einer bedeutenden Gefahr unterworfen sei und ist diese nicht vorüber? Die Seele,« rief er laut, »kann dem Untergang der Welten und dem Grimme eingebildeter Götter trotzen! Durch sie will ich siegen bis auf den letzten Augenblick! Vorwärts, Sklaven! Athener, wenn Du Widerstand leistest, so komme Dein Blut auf Dein eigenes Haupt! Nun höre, ich verlange Ione zurück!«

Er that einen Schritt vorwärts – es war sein letzter auf Erden! Der Boden zitterte unter ihm so heftig, daß Alles rings herum niedergeworfen wurde. Zu gleicher Zeit vernahm man in der ganzen Stadt das Krachen und Einstürzen vieler Dächer und Pfeiler. Der Blitz züngelte einen Augenblick, als würde er durch das Metall gefangen gehalten, auf der kaiserlichen Statue und dann zerspaltete er das Bronzebild und die Säule. Mit einem weithin durch die Straßen hallenden Krachen stürzte sie zusammen und riß das feste Pflaster auf, von dem sie umgeben war. Die Prophezeihung der Sterne war erfüllt!

Das Krachen und der Fall der Statue betäubten den Athener für einige Augenblicke. Als er wieder zu sich kam, erleuchtete der Blitz noch die Scene und bebte die Erde noch unter seinen Füßen. Ione lag bewußtlos auf dem Boden, aber er bemerkte sie noch nicht: seine Augen waren auf ein gespenstisches Antlitz geheftet, das ohne Glieder oder Rumpf aus den schweren Bruchstücken der zerschmetterten Säule sich zu erheben schien – ein Antlitz voll unaussprechlicher Seelenangst und Verzweiflung. Die Augen desselben schlossen und öffneten sich rasch, als ob das Bewußtsein noch nicht daraus entflohen wäre; die Lippen zuckten und bebten; dann aber breitete sich plötzliche Ruhe und Finsternis über die Gesichtszüge aus, deren noch immer schrecklichen Anblick Glaukus nie vergessen konnte.

So starb der weise Magier – der große Arbaces – der Hermes vom brennenden Gürtel – der letzte Sprößling des egyptischen Königsstammes!


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