Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Zweites Kapitel.

Wirth, Koch und Küche in klassischen Zeiten – Apäcides besucht Ione – Ihre Unterredung.

Der Tag war nunmehr herangekommen, an welchem Diomed seinen auserwählten Freunden ein Gastmahl geben wollte. Der anmuthige Glaukus, die schöne Ione, der gewichtige Pansa, der hochgeborene Klodius, der unsterbliche Fulvius, der stutzerhafte Lepidus und der epikuräische Sallust waren nicht die einzigen, die das Fest beehren sollten. Diomed erwartete nach auch einen alten Senator aus Rom (einen Mann von Ruhm und Gunst bei Hof) und einen großen Krieger aus Herkulanum, der mit Titus gegen die Juden gefochten, und da er sich in den Feldzügen gewaltig bereichert hatte, beständig von seinen Freunden versichert wurde, sein Vaterland sei ihm für seine uneigennützigen Bemühungen ewigen Dank schuldig. Ja, die Gesellschaft war sogar noch zahlreicher, denn obwohl es, streng genommen, zu einer gewissen Zeit bei den Römern nicht für nobel gehalten wurde, weniger als zwei, oder mehr als neun Personen bei Tisch zu empfangen, so wurde doch diese Regel von Prahlsüchtigen gerne außer Acht gelassen, und die Geschichte erzählt uns in der That, daß einer der ersten Großthuer gewöhnlich eine auserwählte Gesellschaft von dreihundert Personen bewirthete. Diomed übrigens war bescheidener und begnügte sich, die Zahl der Musen zu verdoppeln. Seine Gesellschaft bestund aus achtzehn Personen – eine auch heutzutage nicht anstößige Zahl. »Je mehr Leute beisammen sind, desto heiterer geht's zu,« sagen Viele; ich für meinen Theil aber habe stets bei einem Gastmahl gerade das Gegentheil gefunden!

Der Morgen des hohen Tages war angebrochen und Diomed selbst, obwohl er den Mann von Stand und Gelehrsamkeit im höchsten Grade affektirte, behielt doch genug von seinen kaufmännischen Erfahrungen bei, um zu wissen, daß des Herrn Auge schnelle Diener macht. Deshalb durchlief er mit ungegürteter Tunika über dem stattlichen Bauch, mit bequemen Pantoffeln an den Füßen und einem Stöckchen in der Hand, mit dem er bald den Blick eines trägen Sklaven leitete, bald seinem Rücken eine Zurechtweisung gab, alle Zimmer seiner kostbaren Villa.

Er verschmähte selbst einen Besuch in jenem heiligen Raume nicht, in welchem die Priester des Festes ihre Opfer bereiteten. Als er in die Kirche trat, wurden seine Ohren durch den Lärm von Schüsseln und Pfannen, von Flüchen und Befehlen angenehm betäubt. So klein auch dieses Gemach in allen Häusern Pompeji's gewesen zu sein scheint, so war es nichts desto weniger mit all der bewunderungswürdigen Mannigfaltigkeit von Töpfen und Modeln, Schmor- und Brühpfannen, Messern und Teigformen ausgerüstet, ohne welche ein Koch von Geist, antiker wie moderner Zeit, es für gänzlich unmöglich erklärt, irgend eine Speise liefern zu können. Und da das Holz schon damals wie heutzutage in jenen Gegenden theuer und selten war, so scheint man einen großen Scharfsinn darauf verwendet zu haben, um möglichst viele Dinge mit möglichst wenig Feuer zu bereiten. Eine bewundernswerthe Einrichtung dieser Art kann man noch heutzutage im Museum zu Neapel sehen, nämlich eine tragbare Küche, ungefähr von der Größe eines Foliobandes, welche Töpfe für vier Platten und überdies einen Apparat zur Erwärmung von Wasser und sonstigen Getränken enthielt. So etwas wäre eine treffliche Zugabe zu unsern heutigen wohlfeilen Bibliotheken, da sie eben so viele Nahrung für den Leib böte, daß man mit größerer Befriedigung und weit häufiger zu der erstern als zu der letztern seine Zuflucht nehmen dürfte.

In der kleinen Küche flatterten eine Menge von Gestalten, welche das rasche Auge des Gebieters nicht erkannte.

»O ho,« murrte er vor sich hin, »der verfluchte Congrio hat eine ganze Legion von Köchen zu seinen Beistand berufen. Sie werden ihm nicht umsonst aushelfen, und das gibt einen neuen Posten in der Totalsumme meiner heutigen Ausgaben. Beim Bacchus! Dreimal glücklich werde ich sein, wenn die Sklaven nicht ein paar von den Trinkgefäßen mitlaufen lassen – ach, ihre Hände sind geschwind und ihre Tuniken weit – me miserum!«

Die Köche übrigens arbeiteten fort, ohne wie es schien, auf die Erscheinung des Diomed zu achten.

»He, Euklio, Deine Eierpfanne! Was, ist das die größte? Sie hält nur dreiundvierzig Eier. In den Häusern, wo ich gewöhnlich diene, hält die kleinste Pfanne fünfzig, wenn es sein muß!«

»Der gewissenlose Schuft,« dachte Diomed; »er spricht von Eiern, als ob man das Hundert für einen Sesterz bekäme!«

»Beim Merkur!« rief ein kleiner, vorwitziger Küchenzögling, der kaum erst sein Noviziat angetreten hatte, »wer sah je so veraltete Model für das Backwerk? Mit so rohen Materialien ist es gänzlich unmöglich, seiner Kunst Ehre zu machen. Ja, Sallusts geringster Model stellt die ganze Belagerung von Troja vor; Hektor und Paris und Helena mit dem kleinen Astyanax und dem hölzernen Pferde obendrein.«

»Still, Du Tölpel!« sprach Congrio, der Koch des Hauses, der den Haupttheil der Schlacht seinen Verbündeten zu überlassen schien, »mein Herr Diomed ist keiner jener verschwenderischen Taugenichtse, die Alles nach der neuesten Mode haben müssen, koste es was es wolle.«

»Du lügst, elender Sklave!« rief Diomed in großer Aufregung; »Du selbst hast mich schon genug gekostet, um sogar einen Lukull zu ruiniren. Komm hervor aus Deiner Höhle, ich habe mit Dir zu reden.«

Mit einem schlauen Zeichen gegen seine Verbündeten gehorchte der Sklave diesem Befehl.

»Mann der drei Buchstaben,«Der gewöhnliche Schimpfname von dem dreibuchstäbigen Wort Fur (Dieb). begann Diomed mit feierlichem Zorne, »wie konntest Du es wagen, alle diese Schurken in mein Haus zu berufen? Ich sehe den Dieb in jede Linie ihres Gesichtes geschrieben.«

»Dennoch versichere ich Dich, Herr, daß es Leute von höchst achtbarem Charakter sind – die besten Köche des Ortes – es ist ein großes Glück, wenn man sie bekommt – aber um meinetwillen –«

»Um Deinetwillen, unglücklicher Congrio,« unterbrach ihn Diomed – »und durch welches mir abgeführte Geld – durch welchen Unterschlag bei den Markteinkäufen – durch welche gute Speisen, die Du in Fett verwandelst und in den Vorstädten verkauftest – durch welche falsche Rechnungen für beschädigtes Kupfergeschirr und gebrochene Töpferwaare warst Du in den Stand gesetzt, sie um Deinetwillen hierherzubringen?«

»Nein, Herr, tritt meiner Ehrlichkeit nicht zu nahe. Mögen die Götter mich verlassen, wenn –«

»Schwöre nicht,« unterbrach ihn von Neuem der jähzornige Diomed, »denn die Götter möchten Dich als einen Meineidigen zerschmettern, und ich verlöre gerade vor dem Beginn des Essens meinen Koch. Habe ein scharfes Auge auf Deine verdächtigen Gehülfen und schwatz' mir morgen nichts von zerbrochenen Vasen und wunderbar verschwundenen Bechern vor, oder Dein ganzer Rücken soll eine einzige Wunde sein – und hör' mich wohl an, Du weißt, Du hast mir für diese phrygischen AttageneDer Attagen aus Phrygien oder Jonien, wurde bei den Römern besonders hochgeschätzt: Attagen carnis suavissimae. (Athen. lib. IX. cap. 8 u. 9) Er war ein wenig größer als ein Rebhuhn. eine Summe abgenommen, die beim Herkules groß genug wäre, um einen mäßigen Menschen ein ganzes Jahr dafür zu speisen – sieh zu, daß sie nicht um ein Jota zu stark gebraten wird. Das letztemal, o Congrio, als ich meinen Freunden ein Gastmahl gab, und Deine Eitelkeit so kühn versprach, einem Kranich aus Melos das gehörige Ansehen zu geben, da kam er, wie Du wohl weißt, wie ein Stein aus dem Aetna auf den Tisch, als ob alle Feuer des Phlegeton seinen Saft ausgebraten hätten. Sei diesmal bescheiden, Congrio – vorsichtig und bescheiden. Bescheidenheit ist die Amme großer Thaten, und wenn Du, wie in allen Dingen, so auch hier Deines Herrn Börse nicht schonen willst, so trage wenigstens für Deines Herrn Ruhm Sorge.«

»Seit den Tagen aus Herkules soll man kein solch Essen in Pompeji erlebt haben!«

»Still, still – schon wieder Deine verfluchte Prahlerei. Aber ich sage, Congrio, jener Homunculus – jener erbärmliche Angreifer meiner Geschirre – jener vorlaute Küchenjunge – war er nicht im höchsten Grade unverschämt, als er die Schönheit meiner Kuchenformen tadelte? Ich möchte nicht gern aus der Mode sein mit meinen Sachen, Congrio.«

»Es ist nur der Brauch bei uns Köchen,« antwortete Congrio ernst, »unsere Geräthe herabzusetzen, um die Produkte unserer Kunst in desto glänzenderem Lichte erscheinen zu lassen. Der Kuchenmodel ist von schöner und lieblicher Form; aber ich möchte meinem Herrn anempfehlen, bei der ersten Gelegenheit einige neue zu kaufen, von –«

»Schon gut,« rief Diomed, der entschlossen schien, seinen Sklaven keinen seiner Sätze vollenden zu lassen – »jetzt geh wieder an Dein Geschäft – glänze – übertriff Dich selbst – mach', daß die Leute den Diomed um seinen Koch beneiden – daß die Sklaven von Pompeji Dich ›Congrio den Großen‹ nennen! Geh – doch Halt – Du hast noch nicht all das Geld ausgegeben, das ich Dir für den Markt gab?«

»Alles! – Ach, die Nachtigallenzungen und die römische Tomakula»– – Candiculi divina timacula porci.« Juvenal X. 355. Eine reiche und feine Wurst. und die brittischen Austern und verschiedene andere Dinge, zu zahlreich, um hier aufgeführt zu werden, sind noch unbezahlt; aber was liegt daran – Jedermann borgt dem Archimagirus des reichen Diomed!«

»O gewissenloser Verschwender – welche Vergeudung! welcher Luxus! Ich bin ruinirt – aber geh, eile, sieh' nach, koste, schaff' – übertriff Dich selbst! Sorg', daß der römische Senator den armen Pompejaner nicht verachtet – fort Sklave – und gedenke der phrygischen Attagene.«

Der Küchentyrann verschwand in sein natürliches Gebiet und Diomed wälzte seine stattliche Persönlichkeit in die vornehmeren Gemächer zurück. Alles war nach seinem Wunsch. Die Blumen waren frisch, die Springbrunnen spielten munter, die Mosaikböden waren blank wie Spiegel.

»Wo ist meine Tochter Julia?« fragte er.

»Im Bad.«

»Ach, das erinnert mich – die Zeit verstreicht und ich muß auch noch baden.«


Unsere Geschichte kehrt zu Apäcides zurück. Als er heute aus dem unterbrochenen und fieberhaften Schlafe erwachte, der auf seine Annahme eines Glaubens gefolgt war, welcher mit dem seiner Jugend in so scharfem und strengem Widerspruch stund, konnte sich der junge Priester kaum überzeugen, daß er nicht noch träume; er hatte den verhängnisvollen Strom überschritten – die Vergangenheit sollte hinfort keine Verwandtschaft mit der Zukunft haben; die zwei Welten – das was geschehen war, und das was da kommen sollte – waren gänzlich von einander getrennt. Welch kühnem und gewagtem Unternehmen hatte er sein Leben gewidmet – die Geheimnisse wollte er enthüllen, an denen er selbst Theil genommen, die Altäre entheiligen, deren Diener er gewesen – die Göttin anklagen, deren priesterliches Gewand er trug! Allmählig fühlte er, welchen Haß und welches Grauen er, selbst im Falle des Gelingens, unter den Frommen erwecken würde; schlug ihm dagegen sein kühner Plan fehl, – welchen Strafen setzte er sich nicht für ein bisher unerhörtes Verbrechen aus, für welches kein bestimmtes, aus der Erfahrung abgeleitetes Gesetz vorhanden war, und auf welches gerade aus diesem Grunde gewaltsam herbeigezogene Vorgänge aus der grausamsten Rüstkammer einer veralteten und unbrauchbaren Gesetzgebung wahrscheinlich angewendet wurden? Seine Freunde – seine Schwester – konnte er Gerechtigkeit von ihnen erwarten, obwohl sie ihn vielleicht bemitleideten? – Ihre heidnischen Augen mochten diese tapfere und heilige That vielleicht als eine gehässige Apostasie, im günstigsten Falle als eine bejammernswerthe Verrücktheit ansehen.

Er wagte Alles und entsagte Allem in dieser Welt, in der Hoffnung, sich in der andern jene Ewigkeit zu erwerben, die ihm so plötzlich enthüllt worden war. Während diese Gedanken von der einen Seite in seine Brust einzogen, verbanden sich auf der andern sein Stolz, sein Muth und seine Tugend, vereint mit dem nicht entschwundenen Rachedurst für erlittene Täuschung und einem gewaltigen Ekel an dem bisher selbst verübten Betrug, um ihn zu erheben und zu stützen.

Der Kampf war scharf und hitzig. Aber seine neuen Gefühle siegten über seine alten, und ein mächtiger Beweis zu Gunsten des Streiters gegen die Heiligkeit alter Meinungen und hergebrachter Formen liegt in dem Siege, den dieser geringe Priester über Beide davontrug. Hätten sich die ersten Christen mehr von den Rücksichten für das Herkommen leiten lassen, wären sie weniger Demokraten, in der reinen und erhabenen Bedeutung dieses mißbrauchten Wortes, gewesen – das Christenthum wäre schon in der Wiege gestorben!

Da jeder Priester der Reihe nach mehre Nächte hintereinander in den Gemächern des Tempels schlafen mußte, so war die dem Apäcides bestimmte Zeit noch nicht abgelaufen, und als er sich von seinem Lager erhoben, wie gewöhnlich sein Priestergewand angelegt und sein Zimmerchen verlassen hatte, fand er sich wieder vor den Altären des Tempels.

Erschöpft von der Aufregung der letzten Tage, hatte er weit in den Morgen hineingeschlafen und schon sandte die Sonne ihre glühenden Strahlen senkrecht auf die heilige Stätte.

»Salve, Apäcides,« sprach eine Stimme, deren natürliche Rauheit durch lange Kunst in eine fast unangenehme Milde verwandelt worden war, »Du kömmst spät heraus; hat sich die Göttin Dir im Traume enthüllt?«

»Könnten sie ihr wahres Selbst dem Volke enthüllen, Kalenus, kein Weihrauch würde auf diesen Altären gebrannt werden.«

»Das möchte wohl wahr sein,« antwortete Kalenus, »aber die Göttin ist weise genug, um nur mit Priestern zu verkehren.«

»Die Zeit dürfte kommen, wo sie ohne ihre Einwilligung enthüllt wird.«

»Das ist nicht wahrscheinlich,« versetzte Kalenus; »sie hat zahllose Jahrhunderte hindurch triumphirt, und was so lange die Probe der Zeit ausgehalten hat, das unterliegt selten der Neuerungssucht. Aber höre, mein junger Bruder, solche Redensarten sind sehr unpassend.«

»Dir wenigstens kommt es nicht zu, ihnen Stillschweigen zu gebieten,« antwortete Apäcides stolz.

»So hitzig – doch ich will nicht mit Dir streiten. – Hat Dich denn der Egypter nicht von der Nothwendigkeit überzeugt, daß wir in Eintracht zusammenleben müssen? Hat er Dich nicht überzeugt, wie weise es ist, wenn wir das Volk täuschen und unser Leben genießen? Wo nicht, mein Bruder, so ist er auch nicht der große Zauberer, für den er gilt.«

»Du hast also auch seinen Unterricht empfangen?« fragte Apäcides mit hohlem Lächeln.

»Ja, aber ich bedurfte dessen weniger als Du. Die Natur hat mich bereits mit der Liebe zum Vergnügen und mit der Sehnsucht nach Gewinn und Macht begabt. Lang ist der Weg, der den Genußsüchtigen zu einem strengen Leben führt, aber es ist nur ein Schritt von den Wonnen der Sünde zum Dach der Heuchelei. Fürchte die Rache der Göttin, wenn die Kürze dieses Schrittes entdeckt werden sollte!«

»Fürchte Du die Stunde, wo das Grab sich aufthut und die Fäulnis an den Tag kommt,« antwortete Apäcides feierlich. »Vale!«

Mit diesen Worten überließ er den Flamen seinen Betrachtungen. Einige Schritte vom Tempel entfernt, schaute er sich noch einmal um. Kalenus hatte sich bereits in das Eingangszimmer der Priester begeben, denn es nahte jetzt die Stunde der Mahlzeit, welche die Alten Prandium nannten, und die, hinsichtlich der Zeit, unserm Frühstück entspricht. Der weiße und anmuthige Tempel strahlte hell in der Sonne, auf den Altären vor ihm stieg der Weihrauch auf und blühten die Blumenkränze. Der junge Priester blickte lange und wehmüthig auf den Schauplatz – es war das letztemal, daß er ihn sah.

Dann wandte er sich und verfolgte langsam seinen Weg zu dem Hause Ione's; denn ehe vielleicht das letzte Band, das sie umschlang, zerschnitten wurde, ehe er sich in die ungewisse Gefahr des nächsten Tages begab, sehnte er sich, noch einmal seine einzige Verwandte, seine zärtlichste und froheste Freundin zu sehen. Er kam an ihrem Hause an und traf sie mit Nydia im Garten.

»Das ist gut von Dir, Apäcides,« rief Ione freudig, »oh, wie innig habe ich gewünscht, Dich zu sprechen – wie vielen Dank bin ich Dir schuldig! Wie unartig, daß Du keinen meiner Briefe beantwortet – daß Du Dich seither nicht bei mir eingefunden hast, den Ausdruck meines Dankes zu empfangen! Oh, Du halfst Deine Schwester vor Entehrung retten! Mit welchen Worten kann sie Dir danken, jetzt, da Du endlich gekommen bist!«

»Meine süße Ione, Du bist mir keinen Dank schuldig; denn Deine Sache war die meinige; vermeiden wir diesen Gegenstand, sprechen wir nicht mehr von jenem gottlosen, für uns Beide so verhaßtem Mann; bald vielleicht habe ich Gelegenheit, der Welt das Wesen seiner vorgeblichen Weisheit und heuchlerischer Strenge zu enthüllen. Aber laß uns niedersitzen, meine Schwester, ich bin ermüdet von der Sonnenhitze; setzen wir uns in jenen Schatten und seien wir einander für eine kleine Zeit noch einmal, was wir uns bis daher gewesen sind!«

Unter einer großen Platane, umgeben von Cistus Arbutus, den lebendigen Springbrunnen vor sich, der grünen Rasen unter ihren Füßen, auf dessen Gras da und dort die fröhliche, einst den Athenern so theure, Cikade umherhüpfte; der Schmetterling, ein schönes der Psyche gewidmetes Sinnbild der Seele, das auch christlichen Sängern so reichen Stoff lieferte – in all den glühenden, dem sicilianischen HimmelIn Sicilien findet man vielleicht die schönsten Schmetterlingsarten. entnommenen Farben – selbst einer geflügelten Blume gleich – auf den sonnigen Blumen schwebend – auf dieser Stätte und an diesem Schauplatze saßen Bruder und Schwester das letztemal auf Erden beisammen. Man kann dieselbe Stätte noch heute betreten, aber der Garten ist nicht mehr, die Säulen sind eingestürzt, der Springbrunnen hat aufgehört zu spielen. Möge der Reisende unter den Ruinen von Pompeji nach dem Hause Ione's forschen. Seine Überbleibsel sind noch immer sichtbar, aber dem Auge der Alltagsreisenden will ich sie nicht verrathen. Wer gefühlvoller ist, als die Heerde, wird sie leicht entdecken, und wenn ihm dies gelungen, möge er das Geheimnis für sich behalten.

Sie setzten sich, und Nydia, froh, allein zu sein, zog sich nach dem entgegengesetzten Ende des Gartens zurück.

»Ione, meine Schwester,« begann der junge Neubekehrte; »lege Deine Hand auf meine Stirne und laß mich Deine kühle Berührung fühlen. Sprich auch mit mir, denn Deine sanfte Stimme ist wie ein zartes Lüftchen, das erfrischt und wohlthut. Sprich mit mir, aber segne mich ja nicht! Laß mich nicht eine Silbe von jenen Redeformen hören, die wir in unserer Kindheit als heilig zu betrachten gelehrt wurden!«

»Ach, was soll ich denn sagen? Die Sprache der Liebe ist für uns mit der Sprache unserer Gottesverehrung so verwoben, daß die Worte frostig und gemein werden, wenn ich jede Anspielung auf unsere Götter daraus verbanne.«

»Unsere Götter,« murmelte Apäcides mit einem Schauder; »schon berücksichtigst Du meine Bitte nicht.«

»Soll ich denn bloß von Isis zu Dir sprechen?«

»Dem bösen Geist! Nein; lieber sei stumm auf ewig, Du könntest denn – doch weg, weg mit solchem Gespräch! Nicht jetzt wollen wir mit einander streiten, nicht jetzt hart über einander urtheilen, während Du mich vielleicht als einen Abtrünnigen betrachten würdest, und ich nur Schmerz und Scham über Dich als eine Götzendienerin fühlte! Nein, meine Schwester, laß uns solche Gegenstände und solche Gedanken vermeiden. In Deiner süßen Gegenwart kommt eine Ruhe über meinen Geist; für eine kleine Weile vergesse ich mich. Während ich so Deine Schläfe an meine Brust lege, wenn ich mich je von Deinem sanften Arm umschlungen fühle, da däucht mir, wir seien wieder Kinder und der Himmel lächle mit gleicher Heiterkeit auf uns Beide. Denn ach, wenn ich die bevorstehende strenge Probe – frage mich nicht weiter darüber – bestehen, und wenn es mir vergönnt sein sollte, über einen heiligen und hehren Gegenstand mit Dir zu sprechen, und wenn ich dann Dein Ohr verschlossen und Dein Herz verhärtet fände: welche Hoffnung für meine Zukunft könnte meine Verzweiflung über die Deinige aufwiegen? In Dir, meine Schwester, erblicke ich ein schöneres, edleres Bild meiner selbst. Soll der Spiegel ewig leben, während die Form wie der Thon des Töpfers zerbrochen wird? Ach nein – nein – Du wirst auf mich hören! Erinnerst Du Dich noch, wie wir Hand in Hand die Fluren bei Bajä durchwandelten, um die Blumen des Frühlings zu pflücken; ebenso werden wir auch Hand in Hand in den ewigen Garten eintreten und uns selbst mit unvergänglichen Asphodillen schmücken!«

Erstaunt und verwirrt durch Worte, die sie nicht fassen konnte, aber bis zu Thränen gerührt durch den klagenden Ton ihres Bruders, hörte Ione diesen Ergüssen eines vollen und gedrückten Herzens zu. Apäcides zeigte sich in der That weit sanfter als sonst; seine gewöhnliche Stimmung nämlich war dem Anscheine nach entweder verschlossen oder ungestüm. Denn gerade die edelsten Empfindungen sind eifersüchtiger Natur – sie erfüllen die Seele, bemächtigen sich ihrer, und lassen oft die düsteren Launen stockend und unbeachtet auf der Oberfläche zurück. Weil wir den kleinlichen Gegenständen, die uns umgeben, keine Aufmerksamkeit schenken, werden wir für mürrisch gehalten, und weil wir über jede Unterbrechung irdischer Träume ungeduldig werden, für reizbar und unfreundlich erklärt. Denn wie überhaupt kein Hirngespinst eitler ist als die Hoffnung, ein Menschenherz werde in einem andern Sympathien finden, so faßt auch Niemand unser Treiben richtig auf, und Niemand erträgt uns mit Rücksicht – selbst unsere nächsten und theuersten Freunde nicht ausgenommen! Wenn wir aber gestorben sind und die Reue zu spät kommt, dann wundern sich Freund und Feind, wie wenig man eigentlich uns zu verzeihen gehabt habe.

»So will ich denn von unsern früheren Jahren mit Dir sprechen,« sagte Ione; »soll Dir jenes blinde Mädchen von den Tagen der Kindheit singen? Ihre Stimme ist süß und wohltönend, und sie weiß ein Lied über diesen Gegenstand, das keine jener Andeutungen enthält, die Du nicht gerne hörst.«

»Erinnerst Du Dich der Worte, meine Schwester?« fragte Apäcides.

»Ich glaube wohl, die einfache Melodie hat sie meinem Gedächtnis eingeprägt.«

»So sing' sie mir selbst. In meinem Ohr klingen ungewohnte Stimmen nicht an, und die Deinige, Ione, voll heimischer Erinnerungen, tönt mir süßer als alle die Miethlingsgesänge Lyciens oder Kreta's: sing' mir!«

Ione winkte einer Sklavin, die im Säulengange stund, ließ ihre Laute holen und sang, als diese herbeigebracht war, zu einer zarten und einfachen Melodie folgende Verse:

Nicht daß in unsern Frühlingstagen
Die Wolken immer ferne sind,
Die Rosen keine Dornen tragen
Dem arglos selbstvergeßnen Kind.
Ach nein, auch auf das schönste Blatt,
Das uns der Lenz geboren hat,
Stürmt der erbarmungslose Wind!

So jung wir sind, sucht uns zu quälen
Vergangenheit und Gegenwart;
Doch sieh, der Hoffnungsstrahlen stehlen
Sich stets in das, was unser harrt;
Und ist der Schatten noch so dicht,
So drängt sich doch das Sonnenlicht
Hindurch auf unsre Pilgerfahrt.

Nicht daß in unsern spätern Jahren
Der Gram das Leben ganz durchwebt;
Nur daß sie mehr die Rosen sparen,
Und daß die Thräne länger bebt;
Und daß der Schmerz der wunden Brust,
Ob der Vergangenheit Verlust
Dumpf über jener Freude schwebt.

Verschwunden ist der Irisbogen,
Der durch die Wolken sanft gelacht,
Und wenn die Stürme uns umwogen,
So ist es ringsum dunkle Nacht;
Und mit dem Tande kind'scher Lust
Zerbrechen wir uns unbewußt
Den Stab, der unsre Stütze macht!

So traurig auch der Schlußvers dieses Liedes schien, hatte es doch mit ebenso viel Weisheit als Zartgefühl ausgewählt; denn wenn wir so recht traurig sind, hat gerade die Stimme der Freude den größten Mißton für uns. Der geeignetste Zauber ist der, welcher der Wehmuth selbst abgeborgt wird, denn düstere Gedanken können, wenn man sie nicht zu erhellen vermag, wenigstens gemildert werden; nur so verlieren sie die scharfen und harten Umrisse der Wahrheit, und ihre Farben verschmelzen sich mit dem Ideal. Wie der Arzt als Heilmittel gegen einen inneren Schaden einen äußern Reiz anwendet, der durch eine leichte Wunde das tödtliche Gift hinwegzieht, so besteht auch bei den fressenden Geschwüren der Seele unsere Kunst darin, den Schmerz, der am Innern nagt, in eine mildere Trauer auf der Oberfläche zu verwandeln. So erging es auch dem Apäcides: dem Einfluße der Silberstimme sich hingebend, die ihn an die Vergangenheit erinnerte und nur halb von den Schmerzen der Gegenwart sprach, vergaß er die unmittelbaren und sprudelnden Quellen qualvoller Gedanken. Er verbrachte mehrere Stunden damit, Ione halb singen zu lassen, halb sich mit ihr zu unterreden; und als er aufstund, um sie zu verlassen, geschah es mit einem ruhigen und besänftigten Gemüth.

»Ione,« sagte er, ihre Hand drückend, »solltest Du hören, wie mein Name angeschwärzt und verleumdet wird, würdest Du dann der Schmähung Glauben schenken?«

»Nie, mein Bruder, nie!«

»Hast Du nach Deinem Glauben die Überzeugung, daß der Übelthäter in einem andern Leben bestraft, der Gute aber belohnt werde?«

»Kannst Du daran zweifeln?«

»Glaubst Du also, daß der, welcher wahrhaft gut ist, in seinem Eifer für die Tugend jeden selbstsüchtigen Vortheil opfern sollte?«

»Wer so handelt, ist das Ebenbild der Götter!«

»Und du glaubst, daß das Maaß seiner Seligkeit jenseits des Grabes nach der Reinheit und dem Muthe, womit er also handelt, gemessen werde?«

»So lehrt man uns zu hoffen.«

»Küsse mich, meine Schwester. Noch eine Frage: Du stehst im Begriffe, Dich mit Glaukus zu vermählen; vielleicht trennt uns diese Heirath noch hoffnungsloser – doch nicht hievon spreche ich jetzt – Du stehst im Begriff, Dich mit Glaukus zu vermählen, liebst Du ihn? Nein, meine Schwester, antworte mir mit bestimmten Worten.«

»Ja,« lispelte Ione erröthend.

»Fühlst Du, daß Du um seinetwillen dem Stolz entsagen, der Entehrung trotzen und dem Tode entgegengehen könntest? Ich habe gehört, daß, wenn ein Weib wirklich liebe, ihre Liebe bis zu diesem Übermaß gehe.«

»Mein Bruder, alles dies könnte ich für Glaukus thun und fühlen, daß es kein Opfer wäre. Alles was wir für den Geliebten dulden, ist kein Opfer für das liebende Herz.«

»Genug! soll ein Weib so für einen Mann fühlen und ein Mann weniger aufopfernden Sinn für seinen Gott besitzen!«

Er sprach nicht weiter – sein ganzes Gesicht schien von einem göttlichen Leben bewegt und begeistert – seine Brust hob sich stolz – seine Augen glühten – auf seiner Stirne war die Majestät eines Mannes geschrieben, der es wagen kann, edel zu sein! Er wandte sich, um den ernsten, tiefsinnigen und bangen Blicken Ione's zu begegnen; er küßte sie zärtlich, drückte sie mit Inbrunst an seine Brust und einen Augenblick darauf hatte er das Haus verlassen.

Lange verblieb Ione an derselben Stelle stumm und gedankenvoll. Ihre Mädchen erinnerten sie mehremale, daß der Tag vorgeschritten, und die Stunde von Diomeds Gastmahl nahe sei. Endlich erwachte sie aus ihrer Träumerei und kleidete sich, nicht mit dem Stolz der Schönheit, sondern gleichgültig und wehmüthig zu dem Feste an. Nur ein Gedanke versöhnte sie mit dem versprochenen Besuch: sie sollte Glaukus treffen – ihm konnte sie ihre Unruhe und Bangigkeit um ihren Bruder mittheilen.

Liebe! Eine Segnung ist es, die vor allen andern deine keuschen und heiligen Verbindungen von den sündhaften und unerlaubten, den Eros von dem Anteros unterscheidet; – nur Denen, die wir ohne Verbrechen lieben, theilen wir alle unsere geheimen, häuslichen Sorgen mit. Für die Unreinen ist Liebe nur eine Leidenschaft; es gibt da nur eine Gebieterin und einen Liebhaber; für die Reinen aber schließt dieses Band die Zärtlichkeit, die Heftigkeit und die Treue aller andern Verhältnisse in sich! Nicht in dem Mund der Helena, sondern in den der Andromache legte Homer jene rührenden, in der Empfindung von er frühesten bis zur spätesten Zeit so wahren Worte:

Während Du Hektor mich liebst, erblicket mein liebendes Auge
Vater und Mutter nicht nur, Bruder und Alles in Dir.


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