Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Siebentes Kapitel.

In welchem der Leser Glaukus Lage kennen lernt. Freundschaft auf die Probe gestellt – Feindschaft gemildert – Liebe bleibt dieselbe, weil die Liebende blind ist.

Die Nacht war bereits etwas vorgerückt, aber die muntern Versammlungsorte der Pompejaner waren noch immer zahlreich besetzt. Auf den Gesichtern der verschiedenen Müßiggänger konnte man einen ernstern Ausdruck als gewöhnlich bemerken. Sie besprachen sich in großen Gruppen, als suchten sie durch ihre Anzahl die halb schmerzliche, halb angenehme Aufregung zu mildern, die der Gegenstand ihres Gespräches veranlaßte – ein Gegenstand, bei dem es sich von Leben und Tod handelte.

Ein junger Mann ging rasch an dem anmuthigen Säulengang des Fortunatempels vorüber, und zwar so rasch, daß er mit nicht geringem Ungestüm gegen die runde und imponirende Gestalt des ehrenwerthen Bürgers Diomed stieß, der gerade nach seiner Villa in der Vorstadt zurückkehrte.

»Halt!« stöhnte der Kaufmann, indem er nur mit Mühe das Gleichgewicht wieder gewann, »hast Du keine Augen, oder glaubst Du, ich habe kein Gefühl? Beim Jupiter! Du hast mir den göttlichen Funken beinahe aus dem Leibe getrieben; noch ein solcher Stoß, und meine Seele wird im Hades sein.«

»Ach, Diomed, bist Du's? Verzeih' meine Unachtsamkeit. Ich war ganz vertieft in Gedanken über die Wechselfälle des Lebens. Unser armer Freund Glaukus! Ach, wer hätte das geahnt!«

»Allerdings; aber sag mir doch, Klodius, soll er wirklich vor den Senat gebracht werden?«

»Ja; das Verbrechen ist, wie man sagt, so außerordentlicher Art, daß der Senat selbst darüber richten muß, und so werden die Liktoren den Angeklagten förmlich vorführen.«Plin. Ep. II. 11. 12. v. 4. 13.

»Er wurde also öffentlich angeklagt?« fragte der Kaufherr ferner.

»Gewiß; wo bist Du denn gewesen, daß Du nichts davon hörtest?«

»Nun, ich bin eben erst von Neapel zurückgekehrt, wohin ich gerade am Morgen nach seinem Verbrechen in Geschäften reiste. Das ist fürchterlich! Und er war noch denselben Abend, wo es geschah, in meinem Hause!«

»Seine Schuld ist außer allem Zweifel,« sprach Klodius die Achsel zuckend, »und da derartige Verbrechen vor allen kleineren Vergehen vorgenommen werden, so wird man sich beeilen, das Urtheil noch vor den Spielen zu fällen.«

»Den Spielen! Gute Götter,« antwortete Diomed mit einem leichten Schauder; »sollte man ihn zum Kampf mit den wilden Thieren verurtheilen – so jung, so reich!«

»Allerdings; aber er ist eben ein Grieche. Wäre er ein Römer, so wäre es jammerschade. Diese Fremden hingegen kann man dulden, so lang sie im Glücke sitzen; wenn sie aber ins Unglück kommen, dürfen wir nicht vergessen, daß sie eigentlich Sklaven sind. Wir übrigens von den höhern Klassen sind immer mitleidig, und er käme gewiß ganz ordentlich weg, wenn er uns überlassen wäre; denn was liegt, unter uns gesprochen, an einem elenden Isispriester? Was an der Isis selbst? Aber das gemeine Volk ist abergläubisch, es schreit nach dem Blut des Tempelschänders. Es ist gefährlich, der öffentlichen Meinung nicht nachzugeben.«

»Und der Gotteslästerer? Der Christ oder Nazarener oder wie er sonst genannt wird?«

»Oh, der arme Hund! Wenn er der Cybele oder Isis opfert, wird er begnadigt – wo nicht, so kriegt ihn der Tiger. So vermuthe ich wenigstens; die Sache wird übrigens ja bald durch das Gericht entschieden werden. Während wir mit einander plaudern, ist die Urne noch leer. Selbst der Grieche kann dem tödtlichen Θ Θ, der Anfangsbuchstabe von Θάνατος (Tod) der verurtheilende Buchstabe bei den Griechen, wie es das c (condemno) bei den Römern war. seines Alphabetes noch entgehen. Doch genug von diesem traurigen Gegenstand. Wie befindet sich die schöne Julia?«

»Gut, denk' ich.«

»Empfiehl mich ihr. Aber horch, die Thüre dort kracht in ihren Angeln, wer kommt heraus? Beim Bacchus! es ist der Egypter. Was kann er mit unserem hohen Freunde zu schaffen haben?«

»Vermuthlich eine Unterredung über den Mord,« antwortete Diomed. »Aber was hält man denn für die Veranlassung zu dem Verbrechen? Glaukus sollte ja des Priesters Schwester heirathen.«

»Ja, und Einige sagen, Apäcides habe seine Einwilligung zu der Verbindung versagt; deshalb ist vielleicht ein plötzlicher Streit zwischen ihnen entstanden. Glaukus war augenscheinlich betrunken, ja, in so hohem Grade, daß er, als man ihn aufhob, ganz bewußtlos war, und wie ich höre, noch immer nicht bei sich ist – ob in Folge des Weins, des Schreckens, der Reue, der Furien oder des Bacchanals, vermag ich nicht zu sagen.«

»Der arme Tropf, hat er einen guten Anwalt?«

»Den besten – Gajus Pollio, einen Advokaten von tüchtiger Beredsamkeit. Pollio hat alle heruntergekommene Patrizier und hochgeborene Verschwender von Pompeji gemiethet, um schäbige Kleider anzuziehen, umherzulaufen, ihre Freundschaft für Glaukus zu beschwören, und so wo möglich die steinernen Herzen der Bürger zum Mitleid zu bewegen. Es sind dies alles Leute, mit denen Glaukus nicht ein Wort gesprochen haben würde, und hätte er Kaiser dadurch werden können! Denn, um gerecht gegen ihn zu sein, er war äußerst difficil in der Wahl seiner Bekannten. Diese Bemühungen übrigens werden fruchtlos sein; Isis ist gerade im gegenwärtigen Augenblick ungeheuer beliebt.«

»Ach, da fällt mir ein, daß ich selbst noch Waaren in Alexandria liegen habe. Ja, Isis muß beschützt werden.«

»Ganz richtig. So lebe denn wohl, alter Herr, wir treffen uns bald wieder; wo nicht, so müssen wir im Amphitheater eine Wette machen. Alle meine Berechnungen sind durch dieses verfluchte Unglück des Glaukus vereitelt. Er hatte auf Lydon den Gladiator gehalten, ich muß jetzt eine andere Wette zu machen suchen. Vale!«

Klodius verließ eben den minder beweglichen Diomed, der seiner Villa zusteuerte, und setzte seinen Weg fort, ein griechisches Lied summend und die Nacht mit den Wohlgerüchen durchwürzend, welche seinen schneeweißen Gewändern und fließenden Locken entströmten.

»Wenn,« dachte er, »Glaukus vom Löwen verschlungen wird, hat Julia niemand mehr, den sie inniger lieben sollte als mich; sie wird sich dann gewiß in mich verlieben, und so muß ich sie wohl heirathen. Bei den Göttern! die zwölf Linien fangen an mir ungetreu zu werden – die Leute beginnen argwöhnisch auf meine Hand zu schauen, wenn sie die Würfel schüttelt. Der höllische Sallust flüstert von Betrug, und ist es entdeckt, daß das Elfenbein mit Blei ausgegossen, dann ist's aus mit lustigem Abendessen und duftenden Billets – Klodius ist verloren! Besser also, ich heirathe, so lange ich dem Spiel noch entsagen und mein Glück, oder vielmehr das der liebenswürdigen Julia am kaiserlichen Hof verfolgen kann.«

Also die Pläne seines Ehrgeizes besprechend, wenn nämlich die Projekte des Klodius diesen hohen Namen verdienen, wurde der Spieler plötzlich von Jemand angeredet; er wandte sich um und erblickte die dunkle Stirne des Arbaces.

»Heil Dir, edler Klodius; verzeih, daß ich Dich störe! Sag' mir doch gefälligst, wo ist das Haus des Sallust?«

»Es ist nur wenige Schritte von hier, weiser Arbaces. Aber gibt Sallust heute Abend ein Essen?«

»Ich weiß es nicht,« antwortete der Egypter, »und bin auch wohl keiner von Denjenigen, die er als gute Gesellschafter auswählen würde. Aber Du weißt, daß in seinem Hause der Mörder Glaukus verwahrt wird.«

»Ach ja, der gutherzige Epikuräer glaubt an des Griechen Unschuld! Du erinnerst mich da, daß er für ihn Bürge geworden und also bis zur gerichtlichen Verhandlung für seine Person verantwortlich ist.Wenn ein Verbrecher Bürgen (in Kapitalfällen Vades genannt) stellen konnte, so durfte er erst nach gefälltem Erkenntnis ins Gefängnis wandern. Nun, Sallust's Haus ist immer besser als ein Gefängnis, besonders als das erbärmliche Loch auf dem Forum. Aber, was kannst Du mit Glaukus zu schaffen haben?«

»Sieh, edler Klodius, es wäre doch gut, wenn wir ihn vom Tode retten könnten. Die Verurtheilung eines Reichen ist ein Schlag auf die ganze Gesellschaft. Ich möchte mich gerne mit ihm besprechen – denn wie ich höre, ist er wieder bei Sinnen – und mich über die Beweggründe seines Verbrechens genau erkundigen; vielleicht sind sie mildernd genug, um mich zu seiner Vertheidigung zu bestimmen.«

»Das ist sehr wohlwollend, Arbaces.«

»Wohlwollen ist die Pflicht dessen, der nach Weisheit strebt,« antwortete Arbaces bescheiden. »Wo ist Sallust's Wohnung?«

»Ich will sie Dir zeigen,« entgegnete Klodius, »wenn Du mir erlaubst, Dich einige Schritte zu begleiten. Aber sage mir, was ist aus dem armen Mädchen geworden, das den Athener heirathen sollte – der Schwester des ermordeten Priesters.«

»Ach, sie ist beinahe wahnsinnig. Bisweilen stößt sie Verwünschungen gegen den Mörder aus – dann hält sie plötzlich inne und ruft: ›Aber warum fluchen? Oh, mein Bruder, Glaukus war nicht dein Mörder, nie werde ich es glauben!‹ Dann beginnt sie von Neuem, hält wiederum an und flüstert schaudernd vor sich hin – ›ach, wenn er es doch wäre!‹

»Unglückliche Ione!«

»Es ist übrigens ein Glück für sie, daß die heiligen, von er Religion gebotenen Pflichten gegen den Verstorbenen bis jetzt ihre Aufmerksamkeit von Glaukus und von ihr selbst zum größten Theile abgezogen haben; in der Dunkelheit ihres Bewußtseins nämlich scheint sie es kaum zu ahnen, daß Glaukus verhaftet und seine gerichtliche Aburtheilung so nahe ist. Wenn die Begräbnisfeierlichkeiten vorüber sind, wird ihr klares Bewußtsein zurückkehren, und dann fürchte ich sehr, daß es ihren Freuden unangenehm sein wird, zu sehen, wie sie dem Mörder ihres Bruders auf jede Weise zu helfen sucht.«

»Einem solchen Skandal sollte man vorbeugen.«

»Ich hoffe zu diesem Zwecke bereits die nöthigen Maßregeln getroffen zu haben. Ich bin ihr gesetzlicher Vormund, und habe so eben die Erlaubnis erhalten, sie nach dem Begräbnis des Apäcides in mein Haus zu führen; dort, wenn es den Göttern gefällt, wird sie sicher sein.«

»Da hast Du wohl gethan, weiser Arbaces. So, dort ist das Haus des Sallust. Die Götter mögen Dich behüten! Doch höre, Arbaces – warum so düster und ungesellig? Die Leute sagen, Du könntest heiter sein – warum erlaubst Du mir nicht, Dich in die Genüsse Pompeji's einzuweihen? Ich schmeichle mir, sie besser zu kennen als irgend Einer.«

»Ich danke Dir, edler Klodius; unter Deiner Leitung könnte ich es wohl wagen, die Philyra zu tragen; aber in meinem Alter würde ich ein unbeholfener Lehrling sein.«

»Oh, sei ohne Furcht; ich habe schon Burschen von sechzig Jahren bekehrt. Überdies sind die Reichen nie alt.«

»Du schmeichelst mir. Später will ich Dich an Dein Versprechen erinnern.«

Du kannst jeder Zeit über Markus Klodius verfügen – und jetzt lebe wohl!«

»Ich bin,« sagte der Egypter zu sich selbst, »denn doch kein blutdürstiger Mensch; ich will gerne diesen Griechen retten, wenn er sich dazu versteht, durch ein Geständnis des Verbrechens Ione für immer zu verlieren und mich von der Möglichkeit einer Entdeckung für immer zu befreien; und ich kann ihn retten, dadurch, daß ich Julia überrede, den Liebestrank einzugestehen, der zu seiner Entschuldigung dienen wird. Wenn er aber das Verbrechen eingesteht, nun, so muß Julia von einem solchen Bekenntnis abgehalten werden und er sterben! – sterben, damit er mein Stellvertreter bei den Todten werde. Wird er ein solches Bekenntnis ablegen? – Könnte man ihn vielleicht nicht überreden, er habe in seinem Wahnsinn den tödtlichen Streich geführt? Mir würde es größere Sicherheit gewähren, als selbst sein Tod. Hm, wir müssen den Versuch wagen.«

Durch die enge Straße hinschreitend, näherte sich Arbaces jetzt dem Hause des Sallust, als er in eine dunkle, in einen Mantel gehüllte Gestalt der Länge nach auf der Thürschwelle liegen sah.

So still lag die Gestalt und in so trübem Lichte erschienen ihre Umrisse, daß jeder Andere als Arbaces voll Aberglauben befürchtet hätte, hier eine jener grimmigen Lemuren zu erblicken, die vor allen andern Orten auf den Thürschwellen der früher von ihnen besessenen Wohnungen sich aufhielten; für Arbaces aber waren dergleichen Träumereien nicht.

»Steh auf,« sagte er, die Gestalt mit dem Fuß berührend, »Du versperrst den Weg.«

»Ha, wer bist du?« rief diese mit scharfem Ton, und als sie sich vom Boden aufrichtete, fiel das Sternenlicht auf das blasse Gesicht und die starren, aber blinden Augen Nydia's, der Thessalierin. »Wer bist Du? Ich kenne den Klang Deiner Stimme.«

»Kleine Blinde! Was thust Du hier zu so später Stunde? Pfui – paßt sich das für Dein Geschlecht und Alter? Geh nach Haus, Mädchen!«

»Ich kenne Dich,« sagte Nydia mit leiser Stimme, »Du bist Arbaces der Egypter.« Dann warf sie sich, wie durch eine plötzliche Eingebung veranlaßt, ihm zu Füßen,. umschlang seine Kniee und rief in wildem leidenschafchtlichem Ton: »O furchtbarer und mächtiger Mann, rette ihn – rette ihn; er ist nicht schuldig – ich bins's! In diesem Hause hier liegt er krank – sterbend, und ich – ich bin die verabscheuungswürdige Ursache. Und sie wollen mich nicht zu ihm lassen – sie jagen das blinde Mädchen aus der Halle fort, o heile ihn! Du kennst gewiß ein Kraut – einen Zauber – ein Gegengift; denn es ist ein Trank, den diese Raserei hervorgebracht hat.«

»Still, Kind! Ich weiß Alles – Du vergißt, daß ich Julia in die Höhle der Saga begleitete. Ohne Zweifel hat sie ihm den Trank beigebracht; aber ihr guter Name erheischt Dein Stillschweigen. Mach Dir keine Vorwürfe – was geschehen muß, geschieht! Unterdessen will ich den Verbrecher besuchen – vielleicht kann man ihn noch retten! Weg! –«

Mit diesen Worten machte sich Arbaces von der Umschlingung der verzweifelten Thessalierin los und klopfte laut an die Thüre.

Bald darauf hörte man, wie die schweren Riegel zurückgeschoben wurden und, die Thüre halb öffnend, fragte der Pförtner, wer da sei.

»Arbaces – wichtige Geschäfte bei Sallust, in Bezug auf Glaukus, ich komme vom Prätor.«

Halb gähnend, halb stöhnend ließ der Pförtner die hohe Gestalt des Egypters ein. Nydia stürzte vor mit dem Ausruf: »Wie geht's ihm? Sag' es mir – sag' es mir!«

»Ah, närrisches Mädchen, bist Du's noch immer? – Schäme Dich doch. Nun ja, sie sagen, er sei wieder bei Verstand.«

»Die Götter seien gepriesen! – Und Du willst mich nicht einlassen? Ach ich bitte Dich –«

»Dich einlassen! – Nein. Einen saubern Gruß würd' ich diesen Schultern bereiten, wenn ich Geschöpfe Deiner Art einließe! Geh heim!«

Die Thüre wurde verschlossen und mit einem tiefen Seufzer legte sich Nydia noch einmal auf die kalten Steine nieder, hüllte das Gesicht in ihren Mantel und begann von Neuem ihre traurige Nachtwache.

Unterdessen war Arbaces bereits in das Triklinium eingetreten, wo Sallust mit seinem Lieblingsfreigelassenen noch spät zu Abend speiste.

»Was, Arbaces! Und um diese Stunde – nimm diesen Becher!«

»Mein guter Sallust, um eines Geschäftes, nicht um des Vergnügens willen, wage ich Dich zu stören. Wie befindet sich Glaukus? – In der Stadt sagt man, er sei wieder zur Besinnung gekommen.«

»Ach ja,« antwortete der gutmütige, aber gedankenlose Sallust, sich eine Thräne aus dem Auge wischend; »aber so erschüttert sind seine Nerven und seine ganze Constitution, daß ich den glänzenden und munteren Zecher, der er bis daher war, kaum wieder erkannte. Das Sonderbarste jedoch ist, daß er über die Ursache des plötzlichen Wahnsinns, der über ihn kam, durchaus keine Rechenschaft zu geben vermag – er hat nur eine dunkle Erinnerung dessen, was vorgegangen ist, und betheuert, trotz Deines Zeugnisses, weiser Egypter, seine Unschuld an dem Tode des Apäcides.

»Sallust,« erwiderte Arbaces ernst, »in der Lage Deines Freundes liegt Manches, das besondere Rücksicht verdient und könnten wir aus seinem Munde das Bekenntnis und die Beweggründe seines Verbrechens erfahren, so ließe sich noch viel von der Gnade des Senats hoffen; denn der Senat hat, wie Du weißt, die Macht, das Gesetz zu mildern oder zu schärfen. Deshalb nun habe ich mich mit der ersten obrigkeitlichen Person der Stadt besprochen und die Erlaubnis ausgewirkt, heute Nacht eine Privatunterredung mit dem Athener zu halten. Morgen, wie Du weißt, wird die gerichtliche Verhandlung stattfinden.«

»Gut,« sagte Sallust, »Du wirst Dich Deines morgenländichen Namens und Rufes würdig erzeigen, wenn Du irgend etwas von ihm herausbringen kannst – aber versuch's; armer Glaukus – er hatte einen so vortrefflichen Appetit! Jetzt ißt er nichts.«

Der gemüthliche Epikuräer ward bei diesem Gedanken sichtbar gerührt. Er seufzte und befahl seinem Sklaven, seinen Becher wieder zu füllen.

»Die Nacht schwindet,« sagte der Egypter, »gestatte mir also jetzt Deinen Gefangenen zu sehen.«

Sallust nickte bejahend und führte den Advokaten nach einem kleinen Gemach, das von außen durch zwei schläfrige Sklaven bewacht wurde. Die Thüre ging auf; auf das Begehren des Egypters zog sich Sallust zurück – der Egypter war allein bei Glaukus.

Auf einem jener hohen und anmuthigen Kandelabern, die damals gebräuchlich waren, brannte eine einzige Lampe neben dem kleinen Bett. Blaß fielen ihre Strahlen auf das Gesicht des Atheners, und sogar Arbaces ward gerührt, als er sah, welch beträchtliche Veränderung in diesem Gesichte vorgegangen war. Die blühende Farbe war verschwunden, die Wangen eingefallen, die Lippen verzerrt und bleich; erbittert war der Kampf zwischen Vernunft und Wahnsinn, Leben und Tod gewesen; die Jugendkraft des Glaukus hatte den Sieg davongetragen; aber die Frische des Blutes und der Seele – des Lebens Leben, seine Herrlichkeit und seine Würze waren für immer entschwunden.

Der Egypter setzte sich leise neben das Bett; Glaukus lag noch immer stumm und ohne seine Gegenwart zu bemerken, da. Endlich begann Arbaces nach langer Pause: »Glaukus, wir sind Feinde gewesen. Ich komme zu Dir allein und in der Stille der Nacht – als Dein Freund, vielleicht Dein Retter.«

Wie das Roß, wenn es die Nähe des Tigers wittert, erschrickt, so sprang Glaukus auf – athemlos, beunruhigt, keuchend bei der unerwarteten Stimme; der plötzlichen Erscheinung seines Feindes. Ihre Augen begegneten sich und mehre Sekunden lang hatte Keiner die Macht, seinen Blick zurückzuziehen. Eine fliegende Röthe überzog das Gesicht des Atheners und die dunkle Wange des Egypters wurde noch tiefer. Endlich wandte sich Glaukus mit einem Seufzer ab, fuhr mit der Hand über die Stirne und sank zurück mit dem Ausruf: »Träume ich immer noch?«

»Nein, Glaukus, Du wachst. Bei dieser rechten Hand und meines Vaters Haupt, Du siehst einen Mann vor Dir, der Dein Leben retten kann. Höre, ich weiß, was Du gethan hast, aber ich kenn auch die Milderungsgründe Deiner That, die Du selbst nicht kennst. Du hast zwar einen Mord begangen – einen gotteslästerlichen Mord; runzle die Stirn nicht – fahre nicht zurück – diese Augen sahen es. Aber ich kann Dich retten – kann beweisen, wie Du Deiner Sinne beraubt und in die Unmöglichkeit, frei zu denken und frei zu handeln, versetzt wurdest. Damit ich Dich aber retten kann, mußt Du Dein Verbrechen eingestehen. Unterzeichne nur dieses Papier, bekenne durch Deine eigenhändige Unterschrift, daß Du am Tod des Apäcides schuldig bist und Du sollst der verhängnisvollen Urne entgehen!«

»Was sind das für Worte? – Mord und Apäcides! – Sah ich ihn nicht, blutend und eine Leiche auf dem Boden hingestreckt? Und Du möchtest mich überreden, daß ich die That begangen habe? Mann, Du lügst! – Hinweg von mir!«

»Nicht so rasch, Glaukus – übereile Dich nicht; die That ist erwiesen. Es ist allerdings durchaus nicht befremdend, daß Du Dich an eine Handlung nicht mehr erinnerst, die Du im Wahnsinn begangen hast, und die Du bei voller Besinnung selbst nicht mit anzusehen im Stande gewesen wärest. Aber ich will versuchen, Dein erschöpftes und ermattetes Gedächtnis aufzufrischen. Du weißt, Du gingst mit dem Priester, in lebhaftem Gespräch über seine Schwester begriffen, auf und ab; Du weißt, er war unduldsam und suchte als ein halber Nazarener Dich zu bekehren und so kam es zwischen Euch zu einem Wortwechsel; er schmähte Deine Lebensweise und schwur, er werde in die Verbindung Ione's mit Dir nie einwilligen, und dann in Deinem Zorn und Wahnsinn brachtest Du ihm den tödtlichen Stoß bei. Dessen wirst Du Dich doch erinnern? Lies dieses Papier, es enthält diese Erklärung – unterzeichne und Du bist gerettet.«

»Barbar, gib mir die Lüge geschrieben, damit ich sie zerreiße! Ich der Mörder von Ione's Bruder! Ich bekennen, ein Haar auf dem Haupte dessen gekrümmt zu haben, den sie liebte! Lieber will ich tausendmal zu Grunde gehen.«

»Sieh Dich wohl vor,« sagte Arbaces mit leiser, zischender Stimme; »hier ist bloß eine Wahl – Dein Bekenntnis und die Unterschrift – oder das Ampthitheater und der Löwenrachen!«

Seine Blicke auf den Leidenden heftend, begrüßte der Egypter mit Freuden die Merkmale der sichtbaren Bewegung, welche den Letztern bei diesen Worten ergriff. Ein leichter Schauder zuckte über den Körper des Atheners hin – seine Lippe sank herab – ein Ausdruck plötzlicher Furcht und Verwunderung verrieth sich auf Stirn und Auge.

»Große Götter!« rief er mit leiser Stimme, »welch ein Umsturz! Kaum ein Tag, däucht es mir, daß mir das Leben noch aus Rosen entgegenlachte – Jugend, Gesundheit und Liebe ihre Schätze über mich ergießend, und jetzt Schmerz, Wahnsinn, Schande, Tod! Und wofür? Was habe ich gethan? Oh, ich bin noch immer wahnsinnig!«

»Unterzeichne und Du bist gerettet,« ließ sich der Egypter mit sanfter, einschmeichelnder Stimme vernehmen.

»Nun und nimmermehr, Versucher!« rief Glaukus in einem neuen Anfall von Wuth. »Du kennst mich nicht; kennst nicht die stolze Seele eines Atheners. Das plötzlich auftauchende Antlitz des Todes konnte mich auf einen Augenblick erschrecken, aber die Furcht ist vorüber. Die Schrecken der Entehrung hingegen währen ewig! Wer wird seinen Namen beschimpfen, um sein Leben zu retten? Wer ein reines Bewußtsein gegen befleckte Tage hingeben? Wer sich selbst in die Schande hineinlügen und beschimpft in den Augen der Ehre und Liebe dastehen? Gibt es einen so elenden Feigling, der um einige Jahre eines befleckten Lebens zu gewinnen, dies thut, so laß Dir nicht einfallen, schwachköpfiger Barbar des Ostens, ihn in einem Manne zu suchen, der denselben Boden betreten hat wie Harmodius, dieselbe Luft eingeathmet hat wie Sokrates. Geh, laß mich ohne Selbstverachtung leben – aber ohne Furcht untergehen.«

»Bedenk es wohl! die Klauen des Löwen, das Hohngeschrei des rohen Pöbels, das Hinstarren der Menge auf Deinen Todeskampf und Deine verstümmelten Glieder, Dein Name entehrt; Dein Leichnam unbeerdigt; die Schande, der Du entgehen möchtest, sich für immer und ewig an Dein Andenken knüpfend.«

»Du rasest, Du bist der Wahnsinnig! Die Schande besteht nicht in dem Verlust der Achtung anderer Menschen – sondern in dem Verlust unserer Selbstachtung. Willst Du gehen? Du bist meinem Auge ein Gräuel! Von jeher haßte, jetzt aber verachte ich Dich!«

»Ich gehe,« sagte Arbaces, im Innern verwundet und erbittert, aber nicht ohne eine gewisse bemitleidende Bewunderung seines Opfers; »ich gehe, wir treffen uns noch zweimal – einmal vor Gericht – das anderemal vor dem Tod! Lebe wohl!«

Der Egypter erhob sich langsam, schlug sein Gewand um sich und verließ das Zimmer. Für einen Augenblick begab er sich zu Sallust, dem der Wein tüchtig zugesetzt hatte. »Er ist noch immer bewußtlos, oder verstockt; es gibt keine Hoffnung für ihn.«

»Sage das nicht,« erwiderte Sallust, der nur geringen Groll gegen des Atheners Ankläger fühlte; war er doch selbst nicht von sehr strenger Tugend und eher von seines Freundes Unglück gerührt als von dessen Unschuld überzeugt; »sage das nicht, mein Egypter! Ein so tüchtiger Trinker soll wo möglich gerettet werden. Bacchus gegen Isis!«

»Wir werden sehen,« versetzte der Egypter.

Plötzlich wurden die Riegel von Neuem zurückgeschoben, die Thüre geöffnet. Arbaces befand sich auf der offenen Straße und noch einmal fuhr die arme Nydia von ihrer langen Wache auf.

»Willst Du ihn retten?« rief sie, die Hände faltend.

»Kind, folge mir nach Hause; ich möchte mit Dir sprechen – um seinetwillen verlange ich es.«

»Und du willst ihn retten?«

Keine Antwort drang zu dem Ohr des gierigen Mädchens; Arbaces war bereits eine gute Strecke vorausgegangen; sie besann sich einen Augenblick und folgte sodann seinen Schritten stillschweigend nach.

»Ich muß dieses Mädchen in Sicherheit bringen,« sagte er nachdenklich, »damit sie nichts von dem Liebestrank aussagt. Was die eitle Julia anbelangt, so wird sie sich nicht selbst verrathen.«


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