Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Neuntes Kapitel.

Ein Sturm im Süden – Die Höhle der Hexe.

Als die Hitze des Tages allmählig von der Erde wich, machten Glaukus und Ione eine Spazierfahrt, der gekühlten und angenehmen Luft zu genießen. Zu jener Zeit waren verschiedene Arten von Fuhrwerken unter den Römern gebräuchlich; die reicheren Bürger bedienten sich gewöhnlich, wenn sie keine Begleitung bei ihren Ausflügen wollten, der im Anfange dieses Werkes bereits beschriebenen biga. Das Gefährt für die Frauen hieß carpentumFür öffentliche Feste und Spiele bediente man sich eines prachtvolleren und kostbareren Wagens, pilentum genannt, mit vier Rädern. und hatte gewöhnlich nur zwei Räder. Die Alten gebrauchten auch Sänften, die bequemer als die unsrigen eingerichtet waren, in sofern man sich in ihnen bequem niederlegen konnte, statt in senkrechter und steifer Stellung auf- und abgeschüttelt zu werden.Sie hatten übrigens auch die Sella oder den Tragsessel, worin sie saßen wie wir. Zum Reisen und zu Ausflügen aufs Land wurde ein anderes Fuhrwerk benützt; es war bequem, faßte drei bis vier Personen, und hatte ein Verdeck, das nach Belieben abgenommen werden konnte; kurz es entsprach, obwohl in der äußeren Form sehr verschieden, doch dem Zwecke unserer Droschken. Ein Fuhrwerk dieser Art nun benützten die Liebenden, nur von einer einzigen Sklavin Ione's begleitet, auf ihrem Ausfluge. Einige Stunden von der Stadt befand sich damals eine alte Ruine, die Überbleibsel eines Tempels, von augenscheinlich griechischem Ursprung; und da für Glaukus und Ione alles Griechische von Interesse war, so hatten sie doch verabredet, diese Ruinen zu besuchen.

Ihr Weg ging anfänglich zwischen Weinbergen und Olivenwäldchen hin, bis er, sich mehr und mehr den höheren Partien des Vesuvs zuwendend, allmählig rauher wurde. Die Maulthiere bewegten sich nur langsam und mühsam, und bei jeder Öffnung im Walde gewahrten sie jene grauen und schrecklichen Höhlen in den ausgebrannten Felsen, die Strabo beschrieben hat, die aber in Folge der verschiedenen Umwälzungen der Zeit, und durch die vulkanischen Ausbrüche sich jetzt dem Auge nicht mehr zeigten. Die Sonne, die sich ihrem Untergange näherte, warf lange und dichte Schatten über den Berg; da und dort härten unsere Freunde noch das ländliche Rohr des Hirten aus Gruppen von Buchen und wilden Eichen ertönen. Bisweilen bemerkten sie die Gestalt der silberhaarigen und anmuthigen Ziege mit ihrem gewundenen Horn und glänzendem grauen Auge, wie sie noch jetzt unter Ausoniens Himmel an den Hügeln weidet, und uns Virgil's Eklogen zurückruft; und die bereits vom Lächeln des vorgerückten Sommers gerötheten Trauben glühten aus den bogenförmigen Gewinden hervor, die von Baum zu Baum hingen. Über ihnen schwammen leichte Wolken am heiteren Himmel, die sich kaum zu bewegen schienen, während die Liebenden zu ihrer Rechten dann und wann die wogenlose See, auf deren Spiegel eine leichte Barke einherschwamm, erblickten und das Sonnenlicht sich über der Tiefe in den zahllosen und milden Tinten brach, die jenem herrlichen Meere so eigenthümlich sind.

»Wie schön,« begann Glaukus halb flüsternd, »ist jener Name, mit dem wir die Erde unsere Mutter nennen. Mit welch gütiger und gleichmäßiger Liebe gießt sie ihre Segnungen über ihre Kinder aus: und selbst dieser öden Stätte, der die Natur Schönheit versagt hat, sucht sie ihr Lächeln zuzuwenden, wie dies der Erdbeerbaum und der Weinstock bisweilen, die sie um den trockenen und glühenden Boden jenes erloschenen Vulkans windet. Ach in einer solchen Stunde und Angesichts einer solchen Scene könnten wir uns wohl denken, das lachende Gesicht des Fauns blicke aus diesen grünen Rebengehängen hervor, oder wir folgen den Schritten der Bergnymphe durch die Irrgänge des Gehölzes. Aber die Nymphen starben, schöne Ione, als Du ins Leben tratest!«

Keine Zunge schmeichelt so wie die des Liebenden, und doch scheint im Übermaß seiner Gefühle Schmeichelei nur ein Gemeinplatz zu sein. Sonderbare und verschwenderische Fülle, die sich durch überströmen bald erschöpft! Man sagt, die Achtung, welche auf die Leidenschaft folge, mache uns glücklicher, als die leidenschaftliche Liebe selbst – es mag so sein – die Quellen der Phantasie, der Hoffnung, des Ehrgeizes, die alle in einen Kanal eingeengt waren, kehrten wieder in ihr natürliches Bett zurück. Die Liebe ist eine Revolution; – so lange sie dauert, gibt es keine Harmonie, keine Ordnung, und eben damit auch kein anhaltendes Glück; wenn aber die Revolution vorüber ist, erstaunen wir über die Überreizung, in der wir uns befunden. Vielleicht lieben wir noch, vielleicht werden wir noch geliebt, aber wir sind nicht mehr verliebt! Ich für meine Person glaube, daß es einige Arten unvollkommenen Glückes gibt, die dem vollkommenen vorzuziehen sind. Entzieh dem Herzen die Sehnsucht, und Du entziehst der Erde die Luft.

Sie kamen bei den Ruinen an, und untersuchten sie mit jener Liebe, mit welcher wir die heiligen und vertrauten Spuren unserer Vorfahren verfolgen; sie verblieben dort, bis der Abendstern am rosigen Himmel erschien; und als sie sodann im Zwielicht zurückkehrten, waren sie stiller als bisher, denn in den Schatten des Abends und unter den Gestirnen fühlten sie den Druck ihrer gegenseitigen Liebe nur um so lebhafter.

Um diese Zeit begann der vom Egypter vorausgesagte Sturm sichtbar über ihren Häuptern heraufzuschleichen. Zuerst kündete ein leiser und ferner Donner den bevorstehenden Kampf der Elemente an, und rollte hierauf schnell über die dunklen Lagen der gedrängten Wolken hin. Das plötzliche Ausbrechen von Stürmen unter diesem Himmel ist eine fast übernatürliche Erscheinung und mochte bei dem Aberglauben früherer Zeiten gar wohl den Gedanken einer besondern göttlichen Einwirkung erwecken. Einige große Tropfen fielen schwer durch die Zweige, die ihren Weg halb überhingen, und unmittelbar darauf zuckte rasch und blendend ein Gabelblitz dicht über die Augen unserer Freunde hin und ward von der zunehmenden Dunkelheit verschlungen.

»Schneller, guter Carrucarius,« rief Glaukus dem Wagenlenker zu, »der Sturm kommt zusehends heran.«

Der Sklave trieb die Maulthiere an; schnell ging es über die unebene und steinige Straße; die Wolken wurden dichter, näher und näher kam der Donner, und der platschende Regen goß sich in Strömen herab.

»Fürchtest Du Dich?« flüsterte Glaukus, dem das Gewitter zum Vorwand diente, näher an Ione zu rücken.

»Bei Dir nicht,« antwortete sie sanft.

In diesem Augenblick gerieth der Wagen, gebrechlich und schlecht gebaut, wie, trotz ihres anmuthigen Äußern, bei den meisten derartigen Erfindungen jener Zeit dem praktischen Gebrauche nicht die gebührende Rechnung getragen wurde, heftig in ein tiefes Geleise, über welchem ein gefallener Baumstamm lag; der Führer trieb mit einem Fluche seine Maulthiere noch stärker gegen das Hindernis an, das Rad wurde aus der Achse gehoben und der Wagen fiel plötzlich um.

Glaukus wand sich schnell aus dem Fuhrwerk heraus und eilte Ione zu Hülfe, die glücklicherweise unverletzt geblieben war; mit einiger Schwierigkeit richteten sie die Carruca wieder auf und sahen, daß sie sogar zum bloßen Obdach nicht länger dienen konnte; die Federn, welche das Verdeck festhielten, waren gebrochen, und der Regen ergoß sich wild und in Strömen in das Zimmer.

Was war in dieser Verlegenheit zu thun? Sie waren noch ziemlich weit von der Stadt entfernt – kein Haus, keine Hülfe schien nahe.

»Eine kleine halbe Stunde von hier,« sagte der Fuhrmann, »wohnt ein Schmied; ich könnte ihn holen, damit der das Rad wieder an die Carruca befestigt; aber beim Jupiter, wie der Regen schlägt! meine Gebieterin wird durchnäßt sein, bis ich wiederkomme.«

»Lauf wenigstens hin,« entgegnete Glaukus; »wir müssen uns so gut wir können bis zu Deiner Rückkehr zu schützen suchen.«

Der Weg war mit Bäumen überschattet, unter deren dichtesten Glaukus seine Ione führte. Indem er seinen eigenen Mantel auszog, suchte er sie besser gegen den strömenden Regen zu schützen, aber dieser stürzte mit einer Wuth herab, die alle solche kleine Hindernisse durchbrach, und während Glaukus seiner schönen Begleiterin Muth zuflüsterte, schlug plötzlich der Blitz in einen der unmittelbar vor ihnen stehenden Bäume und spaltete seinen gewaltigen Stamm mit ungeheuerem Krachen entzwei. Dieses fürchterliche Ereignis zeigte, welche Gefahr ihnen unter ihrem gegenwärtigen Obdache drohe, und Glaukus sah sich ängstlich nach einem weniger gefährlichen Zufluchsorte um.

»Wir sind jetzt,« sagte er, »auf der halben Höhe des Vesuvs; es muß hier in den rebenbedeckten Felsen irgend eine Grotte oder Höhle sein, in welcher uns die entflohenen Nymphen eine Zufluchtsstätte gelassen haben, – wenn wir sie nur finden könnten.«

Während er so sprach, trat er unter den Bäumen vor und entdeckte, seine spähenden Blicke nach dem Berge lenkend, durch die zunehmende Dunkelheit ein rothes, zitterndes Licht in nicht beträchtlicher Ferne. »Das muß,« meinte er, »vom Herd eines Hirten oder Winzers kommen – es wird uns zu einem gastlichen Obdach führen. Willst Du hier bleiben, während ich – doch nein – das hieße Dich der Gefahr preiszugeben.«

»Gerne will ich mit Dir gehen,« sprach Ione; »scheint auch die Stätte unbedeckt, so ist sie doch jedenfalls besser, als das verrätherische Dach dieser Zweige.«

Ionen halb führend, halb tragend, schritt Glaukus von der zitternden Sklavin begleitet dem Lichte zu, das noch immer blau und fest brannte. Endlich war der Pfad nicht mehr offen, wilde Weinstöcke verwirrten ihre Schritte und entzogen, einige lichte Stellen ausgenommen, den leitenden Strahl ihrem Auge. Aber schneller und wilder stürzte der Regen herab und der Blitz nahm seine tödtlischste und schrecklichste Gestalt an; unsere Freunde aber sahen sich hiedurch nur zu noch größerer Eile angetrieben, in der Hoffnung, auch wenn das Licht sie äffen sollte, doch endlich zu einer Hütte oder freundlichen Höhle zu gelangen. Immer verwachsener wurden die Reben – das Licht war ihnen gänzlich entschwunden, aber ein schmaler Pfad, den sie, nur von den beständigen und lang hinziehenden Blitzen geleitet, mit Mühe und Anstrengung verfolgten, blieb fortwährend ihr Leitfaden. Plötzlich hörte der Regen auf; abschüssige und rauhe Klippen von ausgebrannter Lava schauten ihnen finster entgegen, durch den Blitz, der den dunkeln und gefährlichen Boden erleuchtete, nur noch fürchterlicher gemacht. Bisweilen schwebte die Flamme über den eisgrauen, theils mit altem Moos oder verkrüppelten Blumen bedeckten Felsen, als suche sie vergeblich ein ihres Zornes würdigeres Erzeugnis der Erde, biswelen aber ließ der Blitz diesen ganzen Theil des Schauplatzes in Dunkelheit, und hing einem breiten Tuche gleich roth über dem tief unten tobenden Ocean, bis seine Wogen im Feuer zu glühen schienen, und so hell war die Flamme, daß sie selbst die scharfen Umrisse der ferneren Krümmungen der Bucht vom ewigen Misenum mit seiner stolzen Stirne bis zum schönen Sorrent und den riesigen Bergen dahinter lebhaft vor's Auge führte.

Verlegen und unentschlossen hielten unsere Liebenden an, als sie plötzlich, von der Finsternis, die zwischen die wilden Blitzstrahlen hineindunkelte, von Neuem eingehüllt, nahe, aber in einiger Höhe über sich, das geheimnisvolle Licht erblickten. Ein neuer Strahl, der Himmel und Erde röthete, ließ sie die ganze Umgebung deutlich erkennen; zwar kein Haus zeigte sich in der Nähe, aber da, wo sie das Licht gewahrten, glaubten sie im Hintergrunde einer Höhle die Umrisse einer menschlichen Gestalt zu erblicken. Wiederum kehrte die Dunkelheit zurück, aber der Lichtstrahl, nicht länger vom Feuer des Himmels geschwächt, zeigte sich von Neuem. Sie beschlossen, zu demselben hinanzusteigen, und mußten sich ihren Weg zwischen großen Felsstücken hindurchbahnen, die da und dort von wildem Gebüsche überhangen waren; doch sie gelangten immer näher und näher zum Lichte, und endlich stunden sie der Oeffnung einer Höhle gegenüber, die augenscheinlich durch gewaltige quer übereinandergefallene Felsensplitter gebildet war; als sie aber in den Schlund hineinblickten, fuhren Beide unwillkürlich mit abergläubischer Furcht und Bangigkeit zurück.

Ein Feuer brannte im Hintergrund der Höhle, und über diesem stund ein kleiner Kessel; auf einer hohen, dünnen Säule von Eisen erblickte man eine rohe Lampe, und an demjenigen Theile der Wand, and deren Fuß das Feuer brannte, hing in mehrfachen Reihen eine Fülle der verschiedenartigsten Kräuter, augenscheinlich zum Trocknen. Ein vor dem Feuer liegender Fuchs starrte die Fremdlinge mit seinem glänzenden, röthlichen Auge an; sein Haar sträubte sich und ein leises Knurren stahl sich zwischen seinen Zähnen hervor. Im Mittelpunkt der Höhle stund eine irdene Statue mit drei Köpfen von sonderbarer, phantastischer Gestalt; sie wurden nämlich durch die wirklichen Schädel eines Hundes, eines Pferdes und eines Bären gebildet. Ein kleiner Dreifuß stund vor dieser wilden Darstellung der Hekate.

Es war übrigens nicht sowohl diese Zugabe und Einrichtung der Höhle, die das Blut der voll Entsetzen Hineinschauenden erstarrte, als vielmehr das Gesicht ihrer Bewohnerin. Vor dem Feuer saß, die Züge von dem vollen Lichte beschienen, ein Weib von beträchtlichem Alter. In keinem Lande vielleicht sieht man so viele häßliche alte Weiber, als in Italien; in keinem Lande verwandelt sich Schönheit im Alter so grauenhaft zur schrecklichsten und abstoßendsten Höflichkeit. Die Alte vor ihnen jedoch gehörte keineswegs zu jenen Mustern des Culminationspunktes menschlicher Höflichkeit; im Gegentheil, ihr Gesicht verrieth die Überbleibsel regelmäßiger, wenn auch stolzer und adlerartiger Züge. Steinerne Augen starrten mit Blicken, welche die ihrigen bannten und bezauberten, unsere Freunde an, die in diesem fürchterlichen Gesichte das vollendete Bild eines Leichnams sahen; hatten sie doch hier das gläserne und glanzlose Auge, die blauen, eingeschrumpften Lippen, die hohlen Wangen, das abgestorbene, dünne, graue Haar, die bleifarbige, grünliche und geisterartige Haut, wie nur das Grab sie zu bilden und zu färben vermag, vor sich!

»Es ist etwas Todtes,« begann Glaukus.

»Nein, es rührt sich, es ist ein Geist oder eine Larva,« stammelte Ione und schmiegte sich an die Brust des Atheners.

»O fort, fort!« stöhnte die Sklavin, »es ist die Hexe des Vesuvs.«

»Wer seid Ihr?« fragte eine hohle und geisterartige Stimme, »und was thut Ihr hier?«

Der fürchterliche und todtenhafte Ton, der mit dem Gesichte der Sprechenden im Einklange stund, und eher die Stimme eines körperlosen Wanderers, als die eines lebenden Menschen zu sein schien, würde Ione in die erbarmungslose Wuth des Sturmes zurückgetrieben haben, hätte sie nicht Glaukus – obgleich selbst nicht frei von schlimmen Ahnungen – in die Höhle gezogen.

»Wir sind vom Sturm verschlagene Reisende aus der benachbarten Stadt,« sagte er, »und von jenem Lichte hierher gelockt, bitten wir Dich um freundliches Obdach an Deinem Herd.«

Während der Grieche sprach, erhob sich der Fuchs vom Boden und trat gegen die Fremden vor, indem er seine weißen Zähne der ganzen Länge nach zeigte und immer drohender knurrte.

»Ruhig, Sklave,« rief die Hexe, und auf den Ton ihrer Stimme legte sich das Thier sofort nieder, bedeckte sein Gesicht mit dem Schweif und hielt nur sein reges, wachsames Auge auf die Störer seiner Ruhe gerichtet.

»Kommt ans Feuer, wenn Ihr wollt,« sprach die Alte zu Glaukus und seinen Begleiterinnen. »Ich bewillkommne nie ein lebendiges Wesen, außer die Eule, den Fuchs, die Kröte und die Schlange, und deshalb kann ich auch Euch nicht willkommen heißen; tretet aber ohne Willkomm ans Feuer – warum auf Förmlichkeiten einen Werth legen?«

Die Sprache, in welcher die Hexe sie anredete, war ein sonderbares, barbarisches Latein, untermengt mit vielen Worten eines rauheren und älteren Dialektes. Sie rührte sich nicht von ihrem Platz, sondern starrte ihre Gäste steinern an, da Glaukus nunmehr Ionen ihren Mantel abnahm und sie auf einen Holzhaufen – den einzigen Sitz, den er gewahrte – sich niederzulassen einlud und mit seinem Athem die Kohlen zu einer glühenderen Flamme anfachte. Durch die Kühnheit ihrer Gebieter ermuthigt, legte auch die Sklavin ihre lange Palla ab und schlich ängstlich auf die andere Seite des Feuers.

»Ich fürchte, wir stören Dich,« sprach die Silberstimme Ione's begütigend.

Die Hexe antwortete nicht; sie sah aus wie ein Wesen, das für einen Augenblick vom Tode erwacht ist, und sodann wieder in den ewigen Schlummer zurücksinkt.

»Sagt mir,« begann sie plötzlich nach einer langen Pause, »seid Ihr Bruder und Schwester?«

»Nein,« antwortete Ione erröthend.

»Seid ihr verheirathet?«

»Auch nicht,« entgegnete Glaukus.

»Ho, ho, Verliebte! ha, ha, ha,« und die Hexe lachte so laut und so lange, daß die Höhle wiederhallte.

Ione's Herz stund still bei dieser sonderbaren Heiterkeit. Glaukus murmelte schnell einen Gegenzauber wider das Omen, und die Sklavin wurde so bleich wie die Wange der Hexe selbst.

»Was lachst Du, altes Weib?« fragte Glaukus in etwas strengem Tone, nachdem er seinen Spruch vollendet hatte.

»Lachte ich?« fragte die Hexe zerstreut.

»Sie ist wahnsinnig,« flüsterte Glaukus, gewahrte aber, noch während er sprach, wie die Augen der Hexe boshaft und funkelnd auf ihn gerichtet waren.

»Du lügst,« rief sie ungestüm.

»Und Du bist eine unhöfliche Wirthin,« erwiderte ihr Glaukus.

»Still, reize sie nicht, theurer Glaukus,« lispelte Ione.

»Ich will Dir sagen, weshalb ich lachte, als ich erfuhr, daß Ihr Liebende seid,« sprach das alte Weib. »Weil es für Alte und Verwelkte eine Freude ist, auf junge Herzen, wie die Eurigen zu schauen – und zu wissen, daß die Zeit kommen wird, wo Ihr einander verabscheuen werdet – verabscheuen, verabscheuen – ha, ha, ha!«

Jetzt war es an Ione, ein Gebet gegen die unfreundliche Prophezeihung zu sprechen.

»Dii avertite Omen – die Götter verhüten es!« sagte sie, »aber Du, arme Frau, kennst wohl wenig von der Liebe, sonst würdest Du wissen, daß sie sich nie verändert.«

»Glaubt Ihr, ich sei nicht auch einmal jung gewesen?« entgegnete die Hexe hastig, »und bin ich jetzt nicht alt und häßlich und wie ein Skelet? Wie die Gestalt, so das Herz.«

Nach diesen Worten versank sie wieder in ein tiefes und fürchterliches Stillschweigen, als ob das Leben selbst in ihr aufgehört hätte.

»Wohnst Du schon lange hier?« fragte nach einer Pause Glaukus, der sich unter dem Drucke eines so schrecklichen Stillschweigens unheimlich fühlte.

»Ach ja, schon lang!«

»Es ist denn doch ein trauriger Aufenthalt.«

»Ha, das kannst Du mit Recht sagen – die Hölle ist unter uns,« erwiderte die Hexe, mit ihrem knöchernen Finger nach der Erde zeigend, »und ich will Dir ein Geheimnis mittheilen – das Dunkel da unten bereitet seinen Zorn gegen Euch hier oben – gegen Euch, die Jungen, Gedankenlosen und Schönen.«

»Du sprichst nur böse Worte,« sagte Glaukus, »die der Gastfreundschaft schlecht anstehen, und in Zukunft will ich lieber dem Sturme mich aussetzen, als Deiner Bewillkommnung.«

»Da wirst Du wohl daran thun. Niemand sollte mich aufsuchen, als die Unglücklichen.«

»Und weshalb die Unglücklichen?« fragte der Athener.

»Ich bin die Herrin des Berges,« antwortete die Zauberin mit geisterhaftem Grinsen; »mein Geschäft ist Hoffnungslosen Hoffnung zu geben; für unglücklich Liebende habe ich Zaubertränke; für die Habsüchtigen Verheißungen von Schätzen; für die Boshaften Rachetränke; für die Glücklichen und Guten aber, wie das Leben selbst, nur – Flüche! Störe mich hinfort nicht mehr.«

Nach diesen Worten versank die grimmige Bewohnerin der Höhle wiederum in ein so hartnäckiges und eigensinniges Schweigen, daß alle Bemühungen des Glaukus, ein weiteres Gespräch mit ihr anzuknüpfen, fruchtlos waren. Sie zeigte auch nicht einmal durch eine Veränderung ihrer verschlossenen und starren Züge, daß sie ihn nur höre. Glücklicherweise begann jetzt der Sturm, der eben so kurz als heftig war, sich zu legen; der Regen ließ allmählig in seiner Wuth nach, und als endlich die Wolken sich theilten, trat der Mond an der purpurnen Öffnung des Himmels hervor, und strömte klar und voll auf diese einsame Höhle nieder. Nie vielleicht hatte er eine der Kunst des Malers würdigere Gruppe beschienen. Die junge, überaus schöne Ione neben diesem auf bloßer Erde brennenden Feuer sitzend – ihr Geliebter, bereits die Anwesenheit der Hexe vergessend, zu ihren Füßen – zu ihr emporschauend und süße Worte flüsternd; die bleiche und ängstliche Sklavin in einiger Entfernung, und die geisterhafte Hexe sie insgesamt mit unheilvollem Blicke anstarrend. Aber dem Anscheine nach heiter und furchtlos – (denn solche Macht übt die Liebe in der Gesellschaft des Geliebten) – waren diese schönen Wesen, Geschöpfe einer andern Sphäre, in dieser dunklen und unheiligen Höhle mit ihrem düstern und sonderbaren Zubehör. Der Fuchs betrachtete sie aus seinem Winkel mit scharfem und glühenden Auge, und als sich jetzt Glaukus nach der Hexe wandte, bemerkte er zum erstenmale gerade unter ihrem Sitz den glänzenden Blick und den gekrönten Kopf einer großen Schlange. Sei es nun, daß die lebhafte Farbe des Mantels, den der Athener über Ione's Schulter geworfen, den Zorn des Thieres reizte, genug, sein Kamm fing an zu glühen und zu schwellen, als ob es sich drohend zu einem Sprung gegen die Neapolitanerin bereite. Glaukus griff schnell nach einem der halb verbrannten Stämme im Feuer, und nun brach die Schlange, wie erzürnt über diese Handlung, unter ihrem Obdach hervor und erhob sich mit lautem Gezisch, bis ihre Höhe der des Griechen beinahe gleich kam.

»Hexe,« rief Glaukus, »bring Deine Bestie zur Ruhe, oder Du siehst sie todt zu Deinen Füßen.«

»Sie ist ihres Giftes beraubt,« antwortete die Hexe, durch diese Drohung aufgeschreckt.

Aber noch ehe sie die Worte ausgesprochen, war die Schlange auf Glaukus zugeschnellt. Schnell und wachsam sprang der gelenkige Grieche leicht auf die Seite, und brachte dem Thiere einen so kräftigen und gewandten Streich bei, daß es niederfiel und sich in der Asche krümmte.

Die Hexe sprang auf und stellte sich Glaukus gegenüber, mit einem Gesicht, wie es selbst der grimmigsten der Furien würdig gewesen wäre, so bösartig und zornig war sein Ausdruck, obwohl es selbst in seiner schrecklichen Schauderhaftigkeit die Umrisse und Spuren früherer Schönheit beibehielt und von jenen grotesken und rohen Formen ferne blieb, worin die Einbildungskraft des Nordens die Quelle des Schreckens gesucht hat.

»Du hast,« sprach sie mit langsamer und fester Stimme, welche durch ihre Leidenschaftslosigkeit und Ruhe den Ausdruck ihres Gesichtes Lügen strafte; »Du hast unter meinem Dache Schutz gefunden, und an meinem Herde Dich gewärmt – Du hast Gutes mit Bösem vergolten – Du hast das Wesen, das mich liebte und mein war, ja, noch mehr, das Geschöpf, das vor allen andern den Göttern geheiligt ist, und von den Menschen für verehrungswürdig erachtet wird,Die Römer legten, wie vielleicht jedes ältere Volk, den Schlangen eine besondere Heiligkeit bei, hielten dieselben gezähmt in ihren Häusern und nahmen sie oft zu Tisch mit. geschlagen und vielleicht getödtet – höre jetzt Deine Strafe. Beim Mond, dem Beschützer der Zauberinnen, beim Orkus, dem Bewahrer der Rache, ich verfluche Dich und Du bist verflucht! Möge Deine Liebe verdorren, möge Dein Name verachtet werden, mögen die Unterirdischen Dich bezeichnen, möge Dein Herz verwelken und verbrennen, möge Deine letzte Stunde Dir die Prophetenstimme der Saga des Vesuvs zurückrufen. Und Du,« setzte sie hinzu, sich hastig gegen Ione wendend und ihren rechten Arm aufhebend, als Glaukus ihr ungestüm in die Rede fiel.

»Hexe,« rief er, »halt ein, mich hast Du verflucht, und ich stelle mein Schicksal den Göttern anheim – ich trotze Dir und verachte Dich: aber sprich nur ein Wort gegen jene Jungfrau und ich mache den Fluch auf Deinen elenden Lippen zu Deinem Todesgestöhn – hüte Dich!«

»Ich bin fertig,« erwiderte die Hexe wild lachend, »denn mit dem Fluch über Dein Geschick, ist auch die, welche Dich liebt, verflucht; und das um so mehr, als ich ihre Lippen Deinen Namen nennen hörte, und nun weiß, mit welchen Worten ich Dich den Dämonen zu übergeben habe. Glaukus – Du bist verflucht!«

Mit diesen Worten wandet sich die Hexe vom Athener ab, kniete neben ihrem verwundeten Liebling, den sie vom Herde wegnahm, nieder und würdigte ihre Gäste hinfort keines Blickes mehr.

»O Glaukus,« sprach Ione voll Entsetzen, »was haben wir gethan, laß uns von dieser Stätte eilen! der Sturm hat sich gelegt. Gute Frau, vergib ihm – nimm Deine Worte zurück – er gedachte sich bloß zu verheidigen – empfange diese Friedensgabe, um das, was Du gesagt zu widerrufen.« Damit beugte sich Ione und legte ihre Börse in den Schooß der Hexe.

»Hinweg,« rief diese bitter; »hinweg, die einmal ausgesprochene Verwünschungen können nur die Parzen lösen – fort!«

»Komm, Theure,« bat Glaukus ungeduldig, »glaubst Du, die Götter über oder unter uns hören das unmächtige Rasen des Wahnsinns? – Komm!«

Lang und laut warf das Echo er Höhle das fürchterliche Lachen der Saga – die einzige Antwort, zu der sich die Alte bequemte – zurück.

Die Liebenden athmeten freier als sie in die frische Luft traten – aber die Scene, deren Zeugen sie gewesen, die Worte und das Lachen der Hexe hatten in Ione's Herz ein Gefühl der Bangigkeit zurückgelassen, dessen sich selbst Glaukus nicht gänzlich zu erwehren vermochte. Der Sturm hatte sich gelegt; nur dann und wann rollte ein schwacher Donner durch die dunkeln Wolken in der Ferne, oder ein Blitzstrahl trat für einen Augenblick der Alleinherrschaft des Mondes entgegen. Mit einiger Mühe erreichten sie die Straße, wo sie ihren Wagen, der zur Heimkehr genügend ausgebessert, so wie den Carrucarius trafen, der laut den Herkules befragte, wohin denn seine Herrschaft verschwunden sei.

Vergebens bemühte sich Glaukus die erschöpften Lebensgeister Ione's aufzuheitern, und fast ebensowenig gelang es ihm, selbst wieder in seine angeborene heitere Stimmung zu kommen. Bald gelangten sie an das Stadtthor, und als es ihnen geöffnet wurde, trat ihnen eine kleine, von Sklaven getragene Sänfte in den Weg.

»Es ist zu spät um ausgelassen zu werden,« rief die Schildwache dem Inhaber der Sänfte zu.

»Nicht doch,« antwortete eine Stimme, welche die Liebenden wohl erkannten und mit Entsetzen hörten; »ich muß nach der Villa des Markus Polphius und werde bald wieder zurückkehren. Ich bin Arbaces, der Egypter.«

Hiermit waren die Bedenklichkeiten der Schildwache beseitigt, und die Sände wurde dicht neben dem Wagen, in welchem das junge Paar saß, vorbeigetragen.

»Arbaces zu dieser Stunde, und wohl kaum wieder genesen – wohin und wozu kann er die Stadt verlassen?« fragte Glaukus.

»Ach,« antwortete Ione in Thränen ausbrechend, »meine Seele empfindet immer mehr und mehr das Vorgefühl eines Unglücks. Beschützt uns, o Götter, oder wenigstens,« murmelte sie bei sich selbst, »beschützt meinen Glaukus!«


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