Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Neuntes Kapitel.

Die Verzweiflung der Liebenden – Das Schicksal der Menge.

Glaukus wandte sich dankbar, aber durchaus mit Schrecken von dieser Scene ab, schloß Ione wieder in seine Arme und floh durch die Straßen, welche noch hell erleuchtet waren. Plötzlich lagerte sich ein dunklerer Schatten über die Atmosphäre. Unwillkürlich blickte der Athener nach dem Berge und siehe! einer von den beiden Riesengipfeln, in welche die Spitze des Vulkans sich gespalten hatte, wankte hin und her und stürzte dann mit einem Krachen, dessen Furchtbarkeit keine Sprache beschreiben kann, von seiner brennenden Grundlage losgerissen, als eine Feuerlawine den Berg hinunter. In demselben Augenblicke erhob sich eine Wolke des schwärzesten Rauches, der Luft, See und Erde umhüllte.

Ein weiterer Aschenregen, noch reichlicher, als zuvor, verbreitete aufs Neue Verheerung über die Stadt. Finsternis umgab sie wie ein Schleier, und Glaukus, dessen kühnes Herz endlich verzweifeln wollte, sank unter einen Bogen nieder und erwartete, Ione (eine Braut auf diesem Ruinenlager) an seine Brust schließend, ruhig den Tod.

Mittlerweile hatte Nydia nach ihrer Trennung von Glaukus und Ione sich vergebens bemüht, dieselben wieder aufzufinden. Vergebens ließ sie jenen klagenden, den Blinden so eigenthümlichen Ruf erschallen; er verlor sich unter dem tausendstimmigen Geschrei eines mehr selbstsüchtigen Schreckens. Immer wieder kehrte sie an jene Stelle zurück, wo sie von den Freunden getrennt worden war; jeden Flüchtling hielt sie an und fragte nach Glaukus, aber stets wurde sie von den Forteilenden auf die Seite gestoßen. Wer dachte in dieser Stunde an seinen Nachbar? Vielleicht gibt es unter den Scenen allgemeinen Schreckens nichts Schrecklicheres, als die unnatürliche Selbstsucht, welche sie erzeugen! Endlich fiel es dem Mädchen ein, daß Glaukus entschlossen gewesen war, nach dem Meere zu fliehen und in dieser Richtung hoffte sie ihn noch am wahrscheinlichsten zu finden. An ihrem Stab, den sie fortwährend trug, sich haltend, vermied Nydia mit unglaublicher Geschwindigkeit die Trümmerhaufen, welche den Pfad versperrten, und schlug, ohne fehlzugehen (denn ein so trauriges Loos die Blindheit im gewöhnlichen Leben für sie war, ebenso großen Nutzen brachte sie ihr jetzt) den nächsten Weg nach dem Meere ein.

Armes Mädchen! Ihr Muth war so kühn und das Schicksal schien eine so Hülflose zu begünstigen. Die heißen Wassergüsse berührten sie nicht, außer bei dem allgemeinen Regen, der dieselben begleitete; die schweren Schlacken rissen das Pflaster vor und neben ihr auf, verschonten aber ihre zarte Gestalt, und wenn die feinere Asche auf sie fiel, schüttelte sie dieselbe durch eine leichte Bewegung schnell ab,Es fiel ein schwerer Aschenregen auf uns, den wir von Zeit zu Zeit abschütteln mußten, sonst wären wir darunter begraben worden. Plinius. und setzte furchtlos ihren Weg fort.

Schwach, vielen Gefahren ausgesetzt, jedoch unerschrocken, und nur durch einen Wunsch aufrecht erhalten, war sie ein Bild der Psyche auf ihren Wanderungen; der Hoffnung, die durch das Thal der Schatten wandert; und der Seele selbst, allein stehend, aber nicht trostlos, mitten unter den Gefahren und Mühen des Lebens.

Auf ihrem Wege wurde sie beständig angehalten durch die Schaaren, welche bald im Finstern umhertappten, bald bei dem kurzen Scheine der Blitze vorbeieilten, und endlich ward Nydia durch eine Gruppe Fackelträger, die gerade ihr entgegen rannten, mit ziemlicher Heftigkeit zu Boden geworfen.

»Was?« rief eine Stimme aus der Schaar, »ist dies das brave, blinde Mädchen? Beim Bacchus, sie darf hier nicht als die Beute des Todes zurückgelassen werden! Auf! meine Thessalierin! So! Hoffentlich bist Du doch nicht beschädigt? Nun, das ist gut! Komm mit uns! Wir gehen nach der Küste.«

»O Sallust! ist es Deine Stimme? Den Göttern sei Dank! Glaukus! Glaukus! Hast Du ihn nicht gesehen?«

»Nein! Ohne Zweifel ist er jetzt nimmer in der Stadt. Die Götter, welche ihn von dem Löwen erretteten, werden ihn auch von dem feuerspeienden Berge erretten.«

Auf diese Weise ermuthigte der freundliche Epikuräer die arme Nydia, und führte sie mit sich nach dem Meere zu, trotz ihrer leidenschaftlichen Bitten, noch ein wenig zu verweilen und den Glaukus aufzusuchen. Indes rief sie fortwährend in verzweiflungsvollem Tone mit lauter Stimme den geliebten Namen, der mitten unter dem Toben der Elemente für ihr Herz einen harmonischen Klang hatte.

Die plötzliche Stille, der Ausbruch der Lavaströme und das Erdbeben, welches wir bereits beschrieben, fanden statt, als Sallust und seine Gesellschaft so eben den von der Stadt nach dem Hafen führenden Weg betreten hatten; hier aber wurden sie durch einen ungeheuer großen, aus mehr als der Hälfte der Einwohner bestehenden Schwarm aufgehalten. Auf freiem Felde irrten Tausende und aber Tausende umher, unentschlossen, wohin sie fliehen sollten. Die See war von der Küste weit zurückgewichen, und diejenigen, welche sich hatten einschiffen wollen, wurden durch die Bewegung und durch das ungewöhnliche Toben der Elemente, so wie durch das Zappeln der von den Wogen auf dem Sande zurückgelassenen Seethiere und durch den Fall der schweren Steine, die der Berg bis in das Meer hineinschleuderte, so sehr erschreckt, daß sie wieder auf das Land zurückkehrten, das einen weniger furchtbaren Anblick darbot, als die See. Die beiden Menschenströme, von denen der eine seewärts, der andere von er See zurückflutete, waren also zusammengestoßen, und fanden in der großen Anzahl der von der Furcht und Verzweiflung Ergriffenen einen thörichten Trost.

»Die Welt soll durch Feuer zerstört werden,« sagte ein alter Mann in langen Kleidern, ein Philosoph aus der stoischen Schule. »Stoische und epikuräische Weisheit haben in dieser Vorhersagung übereingestimmt, und die Stunde ist gekommen.«

»Ja, die Stunde ist gekommen!« rief eine laute, feierliche, aber feste, unerschrockene Stimme.

Die Umstehenden schauten sich staunend um. Es war die Stimme des Olinth, der in der Mitte seiner christlichen Brüder auf einer jähen Anhöhe stand, auf welcher die alten griechischen Kolonisten dem Apollo einen, jetzt halb zerstörten, Tempel erbaut hatten.

Als er noch sprach, trat plötzlich jene Helle ein, welche den Tod des Arbaces verkündet hatte. Als sie die gewaltige, athemlose, erschrockene Menschenmenge beleuchtete, da sah man nie auf Erden so viele bleiche, gespensterhafte Gesichter; nie fand eine Versammlung sterblicher Wesen statt, die gleich dieser den Stempel des Schreckens und der Erhabenheit trug, und nie bis zum letzten Posaunenschall wird eine solche Versammlung wieder stattfinden! Über ihren Häuptern erhob sich die Gestalt des Olinth, mit ausgestrecktem Arme und prophetischer Stirne, umgürtet mit dem lebendigen Feuer. Das Volk erkannte das Antlitz Dessen, den sie den Krallen des Tigers hatten übergeben wollen – damals ihr Schlachtopfer, jetzt ihr warnender Seher; und durch die Stille vernahm man abermals seine verhängnisvolle Stimme: »Die Stunde ist gekommen!«

Die Christen wiederholten diesen Ruf. Auf allen Seiten hallte derselbe wieder; Männer, Weiber, Kinder und Greise murmelten mit leiser, dumpfer Stimme: »Die Stunde ist gekommen!«

In diesem Augenblicke ward die Luft von einem wilden Geheul erschüttert: der furchtbare Tiger aus der afrikanischen Wüste rannte, nur auf seine Flucht denkend, durch die überall vor ihm zurückweichende Menschenmenge. Hierauf folgte das Erdbeben und dann trat abermals dichte Finsternis ein.

Jetzt kamen neue Flüchtlinge an. Mit den, nicht länger für ihren Herrn bestimmten, Schätzen beladen, stürzen die Sklaven des Arbaces zu der versammelten Volksmenge. Von ihren Fackeln brannte nur noch eine. Sosia trug dieselbe, und als auch ihr Schein auf das Antlitz Nydia's fiel, erkannte er die Thessalierin.

»Welchen Nutzen hat jetzt Deine Freiheit, blindes Mädchen?« sagte der Sklave.

»Wer bist Du – Weißt Du nichts von Glaukus?«

»Ja, ich sah ihn erst vor wenigen Minuten.«

»Gesegnet sei Dein Haupt! Wo?«

»Unter dem Bogen auf dem Forum liegend, todt oder sterbend. Er wird wohl den Arbaces aufsuchen, der auch nicht mehr ist.«

Nydia sprach kein Wort, sondern schlich von der Seite Sallust's hinweg, schritt schweigend durch die Volksmasse und kehrte nach der Stadt zurück. Sie kam auf das Forum und zu dem Bogen: sie beugte sich nieder, sie fühlte ringsumher und rief den Namen des Glaukus.

Eine schwache Stimme antwortete: »Wer ruft mich? Ist es die Stimme der Schatten? Wohlan! ich bin bereit.«

»Stehe auf! Folge mir! Nimm meine Hand! Glaukus, Du sollst gerettet werden!«

Erstaunt und von neuer Hoffnung belebt, erhob sich Glaukus mit den Worten: »Nydia! Du bist also doch noch wohlbehalten!«

Die zärtliche Freude, welche in seiner Stimme lag, that dem Herzen der armen Thessalierin unendlich wohl, und sie segnete ihn dafür, daß er ihrer gedachte.

Ione halb führend, halb führend, folgte Glaukus dem blinden Mädchen. Mit bewunderungswürdiger Vorsicht vermied sie den Pfad, welcher zu dem so eben von ihr verlassenen Volkshaufen führte, und suchte auf einem andern Wege das Ufer.

Nach unglaublicher Anstrengung, wobei sie öfters ausruhten, gelangte die kleine Gesellschaft ans Meer, und fand dort eine Gruppe, welche, kühner als die Übrigen, fest entschlossen war, lieber jeder Gefahr auf dem Wasser zu trotzen, als noch länger unter den Scenen des Schreckens zu verweilen. In der Finsternis schifften sie sich ein; als sie aber beim Abfahren noch einmal nach dem Berge schauten, verbreiteten seine Lavaströme wieder eine theilweise Röthe über die Wogen.

Äußerst erschöpft schlummerte Ione an der Brust des Glaukus und Nydia lag zu seinen Füßen. Inzwischen wurde das Verdeck mit Asche und Staub, welche noch immer reichlich herabfielen, ganz überschüttet. Die Winde trugen die feine Asche des Vulkans nach den entferntesten Gegenden: denn man fand sie sowohl in dem schwarzen Afrika, als auf dem antiken Boden Syriens und Egyptens.Dio Cassius.


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