Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Elftes Kapitel.

Die Ereignisse schreiten vor – Das Complott gewinnt an Ausdehnung – Das Gewebe ist fertig, aber das Netze geht in andere Hände über.

»Und hast Du also den Muth, Julia, heute Abend die Hexe des Vesuvs, und dazu in Begleitung jenes fürchterlichen Mannes zu besuchen?«

»Wie so, Nydia?« erwiderte Julia ängstlich; »glaubst Du in der That, es sei etwas dabei zu fürchten? Diese alten Hexen mit ihren Zauberspiegeln, ihren Sieben und ihrem im Mondschein gesammelten Kräutern, sind, glaube ich, nur schlaue Betrügerinnen, die vielleicht nichts gelernt haben, als die Verfertigung des Liebestranks, um den ich mich an ihre Kunst wende, und die sie der Kenntnis der Kräuter und Gewächse des Feldes verdanken. Weshalb sollte ich mich fürchten?«

»Fürchtest Du Deinen Begleiter nicht?«

»Wie, den Arbaces? Ich sah, bei der Diana! nie einen so höflichen Liebhaber, als diesen Zauberer und wäre seine Farbe nicht so dunkel, würde er sogar hübsch sein.«

Bei all ihrer Blindheit war Nydia scharfsinnig genug, um zu bemerken, daß Julia's Geist durch die Galanterien des Arbaces sich nicht wohl in Schrecken jagen lasse. Sie rieth ihr deshalb nicht länger ab, hegte aber in ihrem aufgeregten Herzen den wilden und immer heftigeren Wunsch, zu erfahren, ob es wirklich ein Zaubermittel gebe, um Liebe an Liebe zu fesseln.

»Laß mich mit Dir gehen edle Julia,« bat sie endlich; »meine Begleitung ist zwar kein Schutz, aber ich möchte gern bei Dir sein, bis die Sache vorüber ist.«

»Dein Anerbieten gefällt mir sehr,« antwortete die Tochter des Diomed, »aber wie kannst Du es ausführen? – wir können erst spät zurückkehren – man wird Dich vermissen.«

»Ione ist nachsichtig,« antwortete Nydia. »Wenn Du mir erlauben willst, unter Deinem Dache zu schlafen, so will ich sagen, Du, eine frühere Gönnerin und Freundin, habest mich eingeladen, den Tag bei Dir zu verbringen und Dir thessalische Lieder zu singen; ihre Höflichkeit wird Dir eine so kleine Gunst leicht gewähren.«

»Nein, bitte Du für Dich selbst,« sagte die hochmüthige Julia, »ich beuge mich nicht herab, die Neapolitanerin um eine Gunst anzusprechen.«

»Gut, sei es so; ich will Dich jetzt verlassen, meine Bitte vorbringen, die mir zuversichtlich gewährt wird, und bald wieder zurückkehren.«

»Thu' das und Dein Bett soll in meinem eigenen Zimmer bereitet werden.«

Hierauf verließ Nydia die schöne Pompejanerin.

Auf ihrem Rückweg zu Ione begegnete sie dem Wagen des Glaukus, dessen muthige, bäumende Rosse die Bewunderung der ganzen vollgedrängten Straße fesselten.

Freundlich hielt er einen Augenblick an, um mit den Blumenmädchen zu sprechen.

»Du blühst ja wie Deine Rosen, meine niedliche Nydia, und wie befindet sich Deine schöne Gebieterin? – hoffentlich wieder erholt von den Folgen des Gewitters?«

»Ich habe sie heute Morgen noch nicht gesprochen,« antwortete Nydia, »aber –«

»Aber was? tritt ein wenig zurück – Du bist zu nahe bei den Pferden.«

»Aber glaubst Du, Ione werde mir erlauben, den heutigen Tag bei Julia, der Tochter Diomeds, zuzubringen? Sie wünscht es und war stets gütig gegen mich, als ich noch wenige Freunde hatte.«

»Mögen die Götter Dein dankbares Herz segnen! ich will die Erlaubnis auf mich nehmen.«

»Darf ich auch die Nacht dort bleiben und erst morgen zurückkehren?« fragte Nydia, vor dem Lobe zurückbebend, das sie so wenig verdiente.

»Wie es Dir und der schönen Julia beliebt. Empfiehl mich ihr; – und halt, Nydia, wenn Du sie sprechen hörst, so merke Dir den Unterschied ihrer Stimme gegen die Silbertöne Ione's. Vale!«

Seine Lebensgeister gänzlich erholt von den Ereignissen der vergangenen Nacht – seine Locken im Wind wehend – sein elastisches Herz freudig aufschlagend bei jedem Sprung seiner parthischen Rosse, – ein wahres Abbild des Gottes seines Vaterlandes – voll Jugend und Liebe – fuhr Glaukus rasch der Gebieterin seines Herzens zu.

Genießet die Gegenwart so lang ihr könnt – wer vermag in der Zukunft zu lesen!

Als der Abend dunkelte, ließ sich Julie in ihrer Sänfte, die geräumig genug war, um auch ihre blinde Gefährtin aufzunehmen, nach den von Arbaces bezeichneten, ländlichen Bädern bringen. Ihrem von Natur leichten Sinne gewährte diese Unternehmung nicht sowohl Angst, als vielmehr Aufregung und vor Allem glühte sie bei dem Gedanken an ihren zukünftigen Triumph über die verhaßte Neapolitanerin.

Eine kleine heitere Gruppe stund an dem Thor der Villa, als die Sänfte nach dem besondern Eingang der für das weibliche Geschlecht bestimmten Bäder getragen wurde.

»So viel ich in der Dämmerung sehen kann,« bemerkte einer der dort Stehenden, »glaube ich die Sklavin des Diomed zu erkennen.«

»Ganz richtig, Klodius,« sagte Sallust, »es ist vermuthlich die Sänfte seiner Tochter Julia. Sie ist reich, mein Freund, warum bewirbst Du Dich nicht um sie?«

»Nun, ich hoffte früher, Glaukus würde sie heirathen. Sie verhehlt ihre Liebe zu ihm nicht und da er hoch und unglücklich spielt –«

»So würden die Sesterzen zu Dir übergegangen sein, weiser Klodius; es ist doch etwas Gutes um eine Frau – wenn sie einem Andern gehört.«

»Aber,« fuhr Clodius fort, »da Glaukus, wie ich höre, im Begriffe steht sich mit der Neapolitanerin zu vermählen, so muß ich wohl mein eigenes Glück bei der Verschmähten versuchen. Jedenfalls wird Hymens Lampe vergoldet sein und das Gefäß mich mit dem Geruch der Flamme aussöhnen. Nur dagegen werde ich mich verwahren, mein Sallust, daß Diomed Dich zum Depositar über seiner Tochter Vermögen mache.«Es war ein altes römisches Gesetz, das Niemand eine Frau zur Erbin einsetzen durfte. Dieses Gesetz wurde dadurch umgangen, daß der Vater sein Vermögen einem Freunde vermachte, um es seiner Tochter auszufolgen; aber dieser Vormund oder Depositar konnte, wenn er wollte, das Geld behalten. Das Gesetz war übrigens schon vor der Zeit dieser Geschichte in Abgang gekommen.

»Haha, laß uns hineingehen, mein Commissator, Wein und Kränze harren unser.«

Ihre Sklavinnen nach demjenigen Theile des Hauses entlassend, der zu ihrem Aufenthaltorte angewiesen war, trat Julia mit Nydia in die Bäder und ging, die Anerbietungen der Aufwärterin ablehnend, durch eine besondere Thüre in den hinter dem Hause gelegenen Garten.

»Sie kommt sicherlich zu einem Stelldichein hieher,« sagte eine der Sklavinnen.

»Was geht Dich das an?« rief eine Aufseherin zornig, »sie zahlt für ein Bad und verschwendet den Saffran nicht. Solche Zusammenkünfte tragen am meisten ein. Horch, hörst Du nicht, daß die Wittwe Fulvia in die Hände klatscht! Lauf, dummes Ding, rasch!«

Den besuchteren Theil des Gartens vermeidend, langten Julia und Nydia an der vom Egypter bezeichneten Stelle an. Auf einem kleinen runden Grasplatze beschienen die Sterne die Bildsäule Silens; der heitere Gott lehnte sich auf ein Felsstück; der bacchische Luchs lag zu seinen Füßen und über seinen Mund hielt er mit ausgestrecktem Arm einen Büschel Trauben, die er, bevor er sie verzehrte, lächelnd zu beliebäugeln schien.

»Ich sehe den Zauberer nicht,« begann Julia sich umschauend; aber noch während sie sprach, trat der Egypter langsam aus dem benachbarten Gebüsch hervor und das Sternenlicht fiel bleich auf sein weites Gewand.

»Salve, süßes Mädchen! aber ha! wen hast Du da? Wir dürfen keine Begleiter haben!«

»Es ist nur das blinde Blumenmädchen, weiser Zauberer; sie ist ebenfalls eine Thessalierin.«

»Ah, Nydia,« sagte der Egypter, »ich kenne sie wohl.«

Nydia fuhr schaudernd zurück.

»Du bist, däucht mir, in meinem Hause gewesen,« sagte er, seine Stimme dem Ohre Nydia's nähernd, »Du kennst den Eid – Stillschweigen und Geheimhaltung, jetzt wie damals, oder wehe Dir!«

»Doch,« setzte er nachdenklich gegen sich selbst hinzu, weshalb sogar einer Blinden mehr vertrauen, als nöthig ist? – Julia kannst Du Dich mir allein anvertrauen? Glaube mir, der Magier ist nicht so furchtbar als er scheint.«

Während er sprach, zog er Julia sanft auf die Seite und fuhr dann fort: »Die Hexe sieht nicht gerne mehre Gäste zugleich; laß Nydia hier, bis Du zurückkehrst; helfen kann sie uns nichts und zum Schutz – reicht Deine Schönheit hin – Deine Schönheit und Dein Rang – ja, Julia, ich kenne Deinen Namen und Stand, komm! vertraue Dich mir an, schöne Nebenbuhlerin der jüngsten der Najaden!«

Die eitle Julia war, wie wir bereits gesehen, nicht leicht zu erschrecken; die Schmeichelei des Arbaces verfehlte ihres Eindruckes nicht und gerne willigte sie ein, Nydia bis zu ihrer Rückkehr hier warten zu lassen; diese selbst aber drängte sich keineswegs auf. Sobald sie nämlich die Stimme des Egypters vernahm, schien ihr all der Schrecken, den sie vor ihm empfand, in die Seele zurückzukehren, und sie war deshalb nur erfreut zu hören, daß sie nicht mit ihm zu gehen habe. Sie begab sich nach dem Hause zurück und wartete in einem der Dienstbotenzimmer auf die Rückkehr des Arbaces und der Julia. Vielfach und bitter waren die Gedanken dieses armen Mädchens, während sie in ihrer ewigen Finsternis dasaß. Sie dachte an ihr eigenes, trauriges Loos, ferne von dem Lande ihrer Geburt, ferne von der sanften Pflege, die einst die Frühlingsschauer ihrer Kindheit sänftigte, des Tageslichtes beraubt, nur Fremde zu Führer ihrer Schritte – elend durch das einzige sanfte Gefühl ihres Herzens – liebend, aber ohne Hoffnung, ausgenommen den matten und unheiligen Strahl, der ihr Gemüth durchzuckte, als ihre thessalische Phantasie über die Kraft der Liebeszauber und die Gaben der Magie nachdachte!

Die Natur hatte in das Herz dieses armen Mädchens Samen von Tugenden ausgesäet, die nie zu reifen bestimmt waren; die Lehren des Unglücks sind nicht immer heilsam; bisweilen mildern und bessern sie, aber eben so oft verhärten und verkehren sie nur. Wenn wir uns vom Schicksal rauher behandelt sehen, als unsere Umgebung und in unserem eigenen Thun einen gerechten Grund für diese Strenge nicht erkennen, so werden wir nur zu geneigt, die Welt für unsere Feindin zu halten, uns in Trotz zu hüllen, gegen unser milderes Selbst anzukämpfen, und uns den dunkleren Leidenschaften hinzugeben, die durch das Gefühl erlittenen Unrechts so leicht in Gährung kommen. Die von Natur in Nydia's Brust so reichlich wohnenden Gefühle der Milde und Freundlichkeit waren dadurch, daß man sie frühe in die Sklaverei verkaufte, einem schmutzigen Zuchtmeister preisgab, und daß sich endlich ihre Lage nur änderte, um ihr Loos noch mehr zu verbittern, erstickt und vernichtet. Ihr Gefühl für Recht und Unrecht wurde durch eine Leidenschaft verwirrt, der sie sich so thörichterweise hingegeben, und dieselben glühenden und tragischen Regungen, die wir bei den Frauen der klassischen Zeit, einer Myrrha, einer Medea finden – Regungen, die die ganze einmal der Liebe hingegebene Seele gewaltsam fortrissen – herrschten und tobten in ihrer Brust.

Die Zeit verging; endlich trat ein leichter Schritt in das Gemach, wo Nydia sich noch immer ihren düsteren Betrachtungen überließ.

»Oh, Dank sei den unsterblichen Göttern!« sagte Julia, »ich bin zurück, ich habe jene fürchterliche Höhle verlassen; komm Nydia, wir wollen sogleich weiter.«

Erst als sie in der Sänfte waren, sprach Julia wieder.

»Oh,« rief sie zitternd, »welch eine Scene, welch fürchterliche Zauberformeln und das Leichengesicht der Hexe! Aber reden wir nicht davon. Ich habe den Trank erhalten – sie steht mir für die Wirkung. Meine Nebenbuhlerin wird seinem Aug' sofort gleichgültig werden und ich, ich allein werde der Abgott des Glaukus sein!«

»Glaukus,« rief Nydia.

»Ja, Mädchen, ich sagte Dir zwar anfänglich, es sei nicht der Athener, den ich liebe – aber ich sehe nun, daß ich Dir vollkommen trauen darf – es ist der schöne Grieche!«

Was waren nunmehr Nydia's Gefühle! sie hatte zugelassen, ja sogar mitgewirkt, Glaukus von Ione abzuziehen; aber nur, um mit der ganzen Kraft der Magie seine Liebe, noch hoffnungsloser für sie, auf eine Andere überzutragen. Ihr schwellendes Herz war dem Ersticken nahe, sie schnappte nach Luft; in der dunklen Sänfte aber bemerkte Julia die Aufregung ihrer Begleiterin nicht, sondern schwatzte mit rascher Zunge ein Weites und Breites über die versprochene Wirkung ihres erworbenen Schatzes und ihren bevorstehenden Triumph über Ione, indem sie von Zeit zu Zeit plötzlich zu den Schrecken des eben verlassenen Schauplatzes, zu der regungslosen Miene des Arbaces und seiner Gewalt über die fürchterliche Saga abschweifte.

Unterdessen gewann Nydia die Herrschaft über sich selbst wieder; ein Gedanke durchzuckte sie; sie sollte im Zimmer Julia's schlafen – konnte sie sich des Trankes nicht bemächtigen?

Sie kamen am Hause Diomeds an und stiegen in Julia's Gemach hinab, wo die Nachtmahlzeit für sie bereit stund.

»Trink, Nydia, Du mußt kalt haben; die Luft war heute Nacht so schaurig, mir wenigstens ist das Blut noch ganz erstarrt.«

Und ohne sich zu bedenken, trank Julia den gewürzten Wein in langen Zügen.

»Du hast den Trank,« sagte Nydia, »gestatte mir, ihn in den Händen zu halten – wie klein das Flächschen ist! welche Farbe hat die Flüssigkeit?«

»Sie ist klar wie Krystall,« antwortete Julia und nahm den Trank zurück, »und Du könntest sie nicht von diesem Wasser unterscheiden. Die Hexe versichert mich, sie sei geschmacklos. So klein auch das Gläschen ist, genügt sein Inhalt doch, um die Treue des Geliebten für das ganze Leben zu fesseln. Man gießt die Flüssigkeit in irgend ein Getränk, und Glaukus wird nur durch die Wirkung erfahren, was er geschluckt hat.«

»Also dem Ansehen nach ganz wie dieses Wasser?«

»Ja, hell und farblos wie dieses. Wie klar es aussieht! gerade als wäre es der Extrakt aus vom Monde beschienen Thau. Heller Trank! wie leuchtest du auf meine Hoffnungen durch dein Krystalgefäß!«

»Und wie ist es verschlossen?«

»Nur durch einen kleinen Stöpsel – zieh ihn heraus – der Trank ist ganz geruchlos. Seltsam, das, was zu keinem Sinne spricht, über alle gebieten soll.«

»Ist die Wirkung augenblicklich?«

»Gewöhnlich – bisweilen tritt sie aber erst nach einigen Stunden ein.«

»Oh, wie lieblich ist dieser Geruch,« sagte Nydia plötzlich, indem sie eine kleine Flasche vom Tische nahm und sich über ihren duftenden Inhalt niederbeugte.

»Findest Du das? Die Flasche ist mit Edelsteinen von einigem Werth besetzt; gestern Morgen schlugst Du das Armband aus – wirst Du die Flasche annehmen?«

»Solche Wohlgerüche müssen es sein, um eine, die nicht sehen kann, an die großmüthige Julia zu erinnern – wenn die Flasche nicht zu kostbar ist –«

»Oh, ich habe tausend kostbarere, behalte sie, Kind.«

Nydia verneigte sich zum Zeichen der Dankbarkeit und steckte die Flasche in ihr Gewand.

»Und ist der Liebestrank,« fragte sie, »gleich wirksam, von wem er auch beigebracht werde?«

»Seine Kraft ist, wie man mich versichert, so groß, daß, selbst wenn ihn die häßlichste Hexe unter der Sonne reichte, Glaukus sie, und keine Andere für schön halten würde!«

Erwärmt vom Wein und der in ihrem Innern vorsichgehenden Reaktion, war Julia jetzt voll Leben und Wonne; sie lachte laut und sprach über hunderterlei Gegenstände, und erst als die Nacht sich stark dem Morgen näherte, rief sie ihre Sklavinnen und ließ sich ausziehen.

Als diese wieder entlassen waren, sagte sie zu Nydia: »Ich will diesen heiligen Trank nicht aus meiner Nähe lassen, bis die Stunde kommt, da ich ihn anwende. Lieg unter meinem Kopfkissen, glänzender Geist, und gib mir glückliche Träume.«

Mit diesen Worten legte sie das Fläschchen unter ihr Kissen. – Nydia's Herz klopfte gewaltig.

»Weshalb trinkst Du bloß dieses unvermischte Wasser, Nydia? Nimm von dem Wein daneben.«

»Ich habe ein wenig Fieber,« antwortete das blinde Mädchen, »und das Wasser kühlt mich. Ich will diese Flasche neben mein Bett stellen; das Wasser erfrischt in diesen Sommernächten, wenn der Thau des Schlafes nicht auf unsere Lippen fällt. Schöne Julia, ich muß Dich sehr früh verlassen – so will es Ione – vielleicht ehe Du wach bist: empfange deshalb jetzt meinen Glückwunsch.«

»Danke – wenn wir uns das nächstemal treffen, wirst Du wohl Glaukus zu meinen Füßen finden.«

Sie hatte sich niedergelegt, und Julia, von der Aufregung des Tages ermattet, schlief bald ein; aber unruhige und glühende Gedanken wälzten sich im Geist der Thessalierin und hielten sie wach. Sie horchte auf den ruhigen Athem Julia's und ihr an die feinsten Nüanen des Tones gewöhntes Ohr versicherte sie halb des tiefen Schlafes ihrer Gefährtin.

»Jetzt sei mir günstig, Venus,« sagte sie leise.

Behutsam stand sie auf und goß die wohlriechende Essenz aus dem Fläschchen, das ihr Julia geschenkt hatte, auf den Marmorboden – sie spülte es mehrmals sorgfältig mit Wasser aus, das neben ihr stund, fand sodann Julia's Bett leicht – denn die Nacht war für sie wie der Tag – und bemächtigte sich des Trankes. Julia rührte sich nicht, ihr Athem koste regelmäßig die glühende Wange des blinden Mädchens. Das Fläschchen öffnend goß Nydia seinen Inhalt in das ihrige, das ihn leicht faßte; füllte sodann das letzte Gefäß mit dem klaren Wasser, das nach Julia's Versicherung dem Liebestranke so sehr glich, und legte es an seine frühere Stelle. Dann stahl sie sich wieder auf ihr Lager und erwartete, mit welchen Gedanken! das Grauen des Tages.

Die Sonne war aufgegangen, Julia schlief noch, Nydia kleidete sich stille an, steckte ihren Schatz sorgfältig in ihr Gewand, nahm ihren Stab und eilte, das Haus zu verlassen.

Der Pförtner Medon grüßte sie freundlich, als sie die Stufen hinaufstieg, die auf die Straße führten; sie aber hörte ihn nicht, ihr Gemüth war verwirrt und verloren im Strudel stürmischer Gedanken – jeder Gedanke eine Leidenschaft. Sie fühlte die reine Morgenluft auf ihren Wangen, aber ihre brennenden Adern vermochte sie nicht zu kühlen.

»Glaukus,« murmelte sie, »alle Liebeszauber des gewaltigsten Magiers könnten nicht bewirken, daß du mich so liebtest, wie ich dich – Ione – ha! hinweg Zaudern, hinweg Gewissensbisse! Glaukus in deinem Lächeln ruht mein Schicksal, und das deinige – o Hoffnung! o Freude! o Entzücken – dein Schicksal liegt in diesen Händen!«


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