Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Drittes Kapitel.

Sallust und Nydia's Brief.

Dreimal bereits war Sallust aus seinem Morgenschlummer erwacht und dreimal hatte er in der Erinnerung, daß sein Freund heute sterben müsse, mit einem tiefen Seufzer sich wieder in eine kurze Vergessenheit zu versenken gesucht. Sein ganzes Streben war gewöhnlich darauf gerichtet, das Unangenehme zu vermeiden, und wo ihm dies nicht gelang, es wenigstens zu vergessen.

Da er seine peinlichen Gedanken nicht länger in Schlummer zu wiegen vermochte, so richtete er sich im Bette auf und sah seinen geliebten Freigelassenen, wie immer, gleich daneben sitzen; denn Sallust war, wie ich bereits gesagt, nach Art der Vornehmen, ein Freund der schönen Wissenschaften und ließ sich jeden Morgen, ehe er aufstund, ungefähr eine Stunde lang vorlesen.

»Keine Bücher heute! Nichts von Tibull! Nichts von Pindar! Pindar! Ach, sein Name schon erinnert mich an jene Spiele, wovon unsere Arena nur eine traurige, rohe Abart darbietet. Hat es begonnen, das Amphitheater?«

»Schon längst, o Sallust! Hörtest Du nicht die Trompeten und den Lärmen der Volksmenge?«

»Ja, ja! aber den Göttern sei Dank, ich war schlaftrunken und kaum hatte ich mich umgewendet, so schlummerte ich wieder ein.«

»Die Gladiatoren müssen schon lange im Kampfe begriffen sein.«

»Die Unglücklichen! ist keiner von meinen Leuten ins Theater gegangen?«

»Nein; Du verbotest es auf's Bestimmteste.«

»Ganz richtig; ich wollte, der Tag wäre vorüber! Was für ein Brief liegt dort auf dem Tische?«

»Nun, jenen Brief brachte man Dir gestern Nacht doch Du warst zu – zu –«

»Betrunken, um ihn zu lesen, willst Du sagen. Gleichviel, er kann von keiner großen Wichtigkeit sein.«

»Soll ich ihn für Dich öffnen, Sallust?«

»Ja, wenn ich nur Zerstreuung finde. Armer Glaukus!«

Der Freigelassene erbrach das Siegel. »Wie! Griechisch?« sagte er, »wahrscheinlich von einer gelehrten Dame.« Er durchlief den Brief und sein Gesicht nahm plötzlich den Ausdruck des Staunens und der Rührung an. »O ihr Götter! Edler Sallust, warum haben wir dies Schreiben nicht früher gelesen! Höre.«

»› Nydia, die Sklavin, an Sallust, den Freund des Glaukus. Ich bin eine Gefangene in dem Hause des Arbaces. Eile zu dem Prätor. Bewirke meine Befreiung und wir können vielleicht Glaukus noch von dem Löwen retten. Es lebt noch ein anderer Gefangener in diesen Mauern, dessen Zeugnis die Klage gegen den Athener widerlegen kann. Dieser Gefangene sah das Verbrechen begehen, und zwar durch einen Schurken, auf den bis jetzt noch kein Verdacht fiel. Eile! Schnell! Schnell! Bringe Bewaffnete mit, für den Fall, daß Widerstand geleistet werden sollte; desgleichen einen gewandten Schmied; denn die Kerkerthüre meines Mitgefangenen ist dick und stark. Ach! bei Deiner Rechten und bei Deines Vaters Asche verliere keinen Augenblick.‹«

»Große Götter!« rief Sallust bebend aus, »und heute noch, nein, vielleicht in dieser Stunde stirbt er. Was ist zu thun? Ich will augenblicklich zu dem Prätor gehen.«

»Nein; das geht nicht. Der Prätor so gut als der Editor Pansa selbst sind vom Pöbel abhängig. Der Pöbel aber wird nichts von Aufschub hören wollen; er würde es sehr übel aufnehmen, wenn man seine Erwartung im Augenblicke der höchsten Gespanntheit täuschte. Insofern könnte der schlaue Egypter dadurch eine Warnung erhalten und dann Vorkehrungen treffen. Sicherlich hat er nicht ohne Grund die um sein Geheimnis Wissenden in Gewahrsam gebracht. Nein, gehe nicht zum Prätor; glücklicher Weise sind Deine Sklaven daheim.«

»Ich stimme Deiner Meinung bei,« unterbrach Sallust seinen Freigelassenen; »bewaffne augenblicklich die Sklaven. Die Straßen sind leer. Wir wollen nach dem Hause des Arbaces eilen und die Gefangenen befreien. Schnell! Schnell! Auf! Davus, mein Kleid, und meine Sandalen; bring auch Papyrus und ein Rohr.Das Rohr (calamus) diente zum Schreiben auf Papyrus und Pergament, der Griffel (stilus) zum Schreiben auf Wachstafeln, Baumblätter, Metallplatten u.s.w. – Die Briefe wurden halb auf Papyrus, halb auf Wachstäfelchen geschrieben. Ich will an den Prätor schreiben und ihn ersuchen, das Urtheil des Glaukus aufzuschieben, bis wir in einer Stunde seine Unschuld beweisen. Ja, auf diese Weise geht es. Spute Dich, Davus, und trage diesen Brief zum Prätor ins Amphitheater. Aber er muß ihm eigenhändig übergeben werden. Nun gut! Oh, ihr Götter, deren Verfehlung Epikur läugnet, begünstigt mich jetzt, und ich will den Epikur einen Lügner nennen!


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