Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Drittes Kapitel.

Glaukus macht einen Kauf, der ihm später theuer zu stehen kommen wird.

»Holla! mein tapferer Bursche!« sagte Lepidus, indem er gebeugten Hauptes durch die niedrige Hausthüre Burbo's trat; »wir sind hieher gekommen, um zu sehen, wer von Euch seinem Lanista am meisten Ehre mache.«

Die Gladiatoren erhoben sich achtungsvoll vom Tische gegen die drei Ankömmlinge, die als die reichsten und muntersten unter den jungen Leuten von Pompeji bekannt waren, und im Amphitheater den Ton angeben.

»Welche herrlichen Thiere!« sagte Klodius zu Glaukus; »würdig, Gladiatoren zu sein.«

»Schade, daß sie keine Krieger sind!« versetzte Glaukus.

Es war sonderbar zu sehen, wie der weichliche und ekelige Lepidus, den bei einem Banket ein Lichtstrahl zu blenden, im Bade das leiseste Lüftchen zu versengen, in welchem die Natur so ganz jeden ursprünglichen Antrieb verloren und in ein zweifelhaftes, weibisches und künstliches Ding verwandelt zu haben schien; es war, sage ich, sonderbar zu sehen, wie dieser Lepidus jetzt voll Eifer, Kraft und Leben mit seiner weißen Mädchenhand die großen Schultern der Gladiatoren betastete, ihre eisernen Muskeln anfühlte, ganz verloren in Bewunderung dieser Mannhaftigkeit, die er von sich selbst sorgfältigst zu verbannen sein ganzes Leben hindurch bemüht gewesen war.

So sehen wir auch in unsern Tagen die unbärtigen Salonsschmetterlinge zu London sich um die Helden von Fives-Court drängen; so sehen wir sie dieselben begaffen und bewundern und eine Wette berechnen; so sehen wir in komischer, aber zugleich tragischer Vereinigung die beiden Extreme der civilisirten Gesellschaft: die Patrone des Vergnügens und seine Sklaven; die verächtlichsten aller Sklaven, zugleich wild und verkäuflich, männliche Miethlinge, die ihr derbes Fleisch und ihre Stärke wie Weiber ihre Schönheit verkaufen; wilde Thiere in ihrem Handeln, aber noch schlimmer als diese in ihren Beweggründen, denn letztere verstümmeln sich wenigstens nicht gegenseitig für Geld.

»Nun, Niger,« sagte Lepidus, »wie und mit wem wirst Du fechten?«

»Sporus hat mich herausgefordert,« antwortete der Riese, »ich hoffe, es soll ein Kampf auf Leben und Tod sein.«

»Ja, ja, ohne Zweifel,« entgegnete Sporus, und blinzelte dabei mit seinen kleinen Augen.

»Er nimmt das Schwert, ich das Netz und den Dreizack; es wird einen herrlichen Spaß geben; der Ueberlebende wird hoffentlich hinlänglich bezahlt werden, um die Würde der Krone behaupten zu können?«

»Sei unbesorgt, mein Hektor, wir wollen Deine Börse schon spicken,« sprach Klodius; »laß sehen, Du fichst gegen den Niger? Glaukus, eine Wette – ich halte auf den Niger.«

»Ich sagte es Dir ja,« rief Niger mit triumphirender Miene; »der edle Klodius kennt mich; rechne Dich bereits für Tod, mein Sporus.«

»Eine Wette von zehn Sestertien; was sagst Du dazu?«

»Die Wette gilt,« sagte Glaukus; »aber wen haben wir da? Diesen Helden sah ich noch nie.«

Mit diesen Worten sah er den Lydon an, dessen Glieder schlanker waren, als die seiner Kameraden, und in dessen Gesicht etwas Anmuthiges, ja sogar Edles lag, das sein Stand noch nicht ganz verwischt hatte.

»Dies ist Lydon,« antwortete Niger mit Herablassung, »ein junger Mensch, der sich bis jetzt bloß mit dem hölzernen Schwerte geschlagen hat; aber er hat Vollblut in seinen Adern und den Tetraides herausgefordert.

»Er hat mich herausgefordert,« sagte Lydon, »und ich habe die Forderung angenommen.«

»Und wie fichst Du?« fragte Lepidus. »Gedulde Dich noch eine Weile, mein Junge, ehe Du Dich mit dem Tetraides einläßt.«

Lydon lächelte mit verächtlicher Miene.

»Ist er ein Bürger oder ein Sklave?« fragte Klodius.

»Ein Bürger, wie wir Alle hier,« antwortete Niger.

»Strecke Deinen Arm aus, Lydon,« sprach Lepidus mit Kennermiene.

Der Gladiator warf einen bedeutungsvollen Blick auf seine Kameraden und streckte einen Arm aus, der zwar nicht so gewaltig im Umfange war, als die seiner Genossen, dagegen so feste Muskeln und eine so vollkommene Symmetrie in seinen Verhältnissen zeigte, daß die drei jungen Männer gleichzeitig einen Ruf der Bewunderung ausstießen.

»Nun gut! was ist Deine Waffe?« fragte Klodius mit einer Schreibtafel in der Hand.

»Wir werden zuerst mit dem Cestus kämpfen; hierauf, wenn wir Beide noch am Leben sind, mit dem Schwerte,« sagte Tetraides spitzig und mit neidischem Gesichte.

»Mit dem Cestus!« rief Glaukus; »da handelst Du thöricht, Lydon. Der Cestus ist eine griechische Kampfart, ich kenne sie wohl. Dazu hast Du nicht Fleisch genug, Du bist zu mager dafür, glaube mir, gib den Cestus auf.«

»Ich kann nicht,« sagte Lydon.

»Und warum nicht?«

»Ich habe es Dir schon gesagt, er hat mich herausgefordert.«

»Aber er wird Dich nicht gerade zu dieser Waffe zwingen.«

»Meine Ehre zwingt mich,« versetzte Lydon stolz.

»Ich wette auf Tetraides, Zwei gegen Eins auf den Cestus,« sagte Klodius, »soll es gelten, Lepidus? und auf gleiche Wette mit den Schwertern.«

»Wenn Du mir Drei gegen Eins anbötest, so nähme ich die Wette nicht an,« versetzte Lepidus. »Lydon wird nie zum Schwerte kommen. Du bist außerordentlich gütig.«

»Was meinst Du, Glaukus?« fragte Klodius.

»Ich nehme die Wette Drei gegen Eins an.«

»Zehn SestertienMan verwechsle Sestertien nicht mit Sesterzen; erstere waren eine nur nominelle Münze, im Betrage von tausend Sesterzen, letztere dagegen eine cursirende Münze im Werthe von wenigen Kreuzern. gegen Dreißig?«

»Ja.«

Klodius schrieb die Wette in seine Tafel.

»Verzeihe mir, mein edler Patron,« sagte Lydon leise zu Glaukus, »wie viel glaubst Du, daß der Sieger gewinnen werde?«

»Wieviel? Nun, vielleicht sieben Sestertien.«

»Weißt Du gewiß, daß es so viel sein wird?«

»Wenigstens. Aber, pfui über Dich! an das Geld und nicht an die Ehre zu denken. O Römer, ihr seid doch überall Römer!«

Die braune Wange des Gladiators bedeckte sich mit einer dunklen Röthe.

»Thue mir nicht Unrecht, edler Glaukus; ich denke an Beides; aber ohne das Geld wäre ich nie ein Gladiator geworden.«

»Elender! mögest Du fallen; ein Knicker war nie ein Held.«

»Ich bin kein Knicker,« sagte Lydon stolz und zog sich ans andere Ende des Zimmers zurück.

»Aber ich sehe den Burbo nicht. Wo ist Burbo? Ich habe mit ihm zu reden,« rief Klodius.

»Er ist da drinnen,« sagte Niger, indem er mit dem Finger nach der Thüre im Hintergrunde zeigte.

»Und Stratonice, die tapfere Alte, wo ist sie?« sprach Lepidus.

»Sie war noch kurz vor Euch da; aber sie hörte Etwas, das ihr mißfiel und entfernte sich. Beim Pollux! Der alte Burbo hat vielleicht im Hinterstübchen ein junges Mädchen unter den Klauen. Ich habe eine weibliche Stimme schreien hören; die alte Dame ist so eifersüchtig wie Juno.«

»Ah! herrlich!« rief Lepidus lachend: »Vorwärts, Klodius, wir wollen mit Jupiter theilen; vielleicht hat er eine Leda gefunden.«

In diesem Augenblicke erschreckte ein lauter Schrei des Schmerzes und Entsetzens die ganze Versammlung.

»Oh, schone, schone mich! Ich bin ja nur ein Kind, ich bin blind – ist das nicht Strafe genug?«

»O Pallas! diese Stimme kenne ich; es ist die meines armen Blumenmädchens,« rief Glaukus und pfeilschnell stürzte er auf die Gegend zu, woher die Klagetöne kamen.

Er stieß die Thüre auf, und erblickte nun Nydia, wie sie sich unter den Mißhandlungen der wüthend gewordenen Hexe wand; der Strick, schon mit Blut gefärbt, schwebte von Neuem in der Luft, – wurde aber sofort von kräftiger Hand aufgehalten.

»Furie!« sagte Glaukus und befreite Nydia mit der linken Hand aus der Gewalt der Alten; »wie wagst Du ein junges Mädchen, eine Person Deines Geschlechts, ein Kind, so zu behandeln? Meine Nydia, mein armes Kind!«

»Oh, bist Du es? ist es Glaukus?« rief das Blumenmädchen im Hochgefühl der Freude. Die Thränen standen still auf ihren Wangen; sie lächelte, schmiegte sich an seine Brust und küßte sein Kleid.

»Und wie kannst Du es wagen, vorwitziger Fremdling, in das Verfahren einer Frau gegen ihre Sklavin Dich zu mischen? Bei den Göttern! Trotz Deiner schönen Tunika und Deiner erbärmlichen Wohlgerüche zweifle ich, ob Du, Männlein, ein römischer Bürger bist!«

»Höflich, Herrin! hübsch höflich!« sagte Klodius, der jetzt mit Lepidus eintrat, »dies ist mein Freund und Bruder, er muß gegen Deine Zunge unter Dach gebracht werden, sie regnet ja Steine!«

»Gib mir meine Sklavin!« rief die Amazone, indem sie mit kräftiger Faust den Griechen bei der Brust faßte.

»Nicht, wenn alle Furien, Deine Schwestern, Dir beistünden,« versetzte Glaukus. »Fürchte Nichts, süße Nydia, ein Athener verläßt die Unglücklichen nie.«

»Hoho!« rief Burbo, mit verdrießlicher Miene sich erhebend; »was ist das für ein Lärmen um eine Sklavin? Weib, laß diesen jungen Herrn gehen, laß ihn gehen – und verzeihe diesmal ihm zu Liebe der kleinen Unverschämten.«

Mit diesen Worten zog oder schleppte er vielmehr seine wilde Gefährtin hinweg.

»Mir schien, bei unserm Eintritte sei noch ein Mann hier gewesen,« sagte Klodius.

»Ja, aber er ist fortgegangen.«

Der Isispriester hatte es in er That für hohe Zeit gehalten, sich zu entfernen.

»Oh!« sagte Burbo gleichgültig, »es war ein Freund, ein Zechbruder, ein ruhiger Hund, der solche Händel nicht liebt.« Hierauf setzte er, sich an Nydia wendend, hinzu: »Aber geh doch, Kind, Du wirst die Tunika dieses Herrn zerreißen, wenn Du sie festhältst; geh, Du hast Verzeihung.«

»Oh! verlaß mich nicht, verlaß mich nicht,« rief Nydia, sich noch fester an das Gewand des Atheners anklammernd.

Gerührt durch ihre traurige Lage, durch die Anflehung seines Mitleidens und durch ihre zahllosen und rührenden Reize, setzte sich der Grieche auf einen der plumpen Stühle. Er zog sie auf seine Kniee, wischte ihr mit seinem eigenen Haaren das Blut von den Schultern – küßte die Thräne von ihren Wangen – flüsterte ihr tausende von den besänftigenden Worten zu, mit denen man den Schmerz eines Kindes zu stillen sucht, und so schön erschien er in diesem freundlichen und tröstenden Geschäft, daß sogar das Herz der Stratonice davon gerührt wurde. Seine Gegenwart schien über diese gemeine und schmutzige Wohnung einen gewissen Glanz zu verbreiten. Jung, schön, glanzvoll, bot er ein Bild des höchsten irdischen Glücks, indem er ein Wesen zu trösten suchte, das von der Welt verlassen war.

»Wer hätte je geglaubt, daß unsre blinde Nydia eine solche Ehre genießen würde?« sagte die Alte, ihre erhitzte Stirne abtrocknend.

Glaukus schaute den Burbo an und sagte: »Mein guter Mann, dies ist Deine Sklavin, sie singt gut und versteht sich auf die Pflege der Blumen; ich wünschte einer Dame mit einer solchen Sklavin ein Geschenk zu machen. Willst Du sie mir verkaufen?«

Während er sprach, fühlte er, wie das arme Mädchen vor Freude an allen Gliedern zitterte. Sie sprang auf, strich sich die fliegenden Haar aus dem Gesichte und blickte um sich, wie wenn sie wirklich im Stande gewesen wäre, zu sehen.

»Unsere Nydia verkaufen! Nein, nein,« sagte Stratonice mit brutalem Ton.

Nydia sank mit einem langen Seufzer zurück und ergriff von Neuem das Gewand ihres Beschützers.

»Tollheiten!« sprach Klodius mit gebieterischem Tone, »Ihr müßt mir zu gefallen sein. Was, Burbo? Was, alte Dame? Bedenket Ihr nicht, daß Euer Gewerbe ruinirt ist, wenn Ihr mich beleidigt? Ist Burbo nicht ein Klient meines Vetters Pansa? Bin ich nicht das Orakel des Amphitheaters und seiner Helden? Ein Wort von mir, und Ihr könnt Eure Weinkrüge getrost zerschlagen, denn Ihr verkaufet Nichts mehr. Glaukus, die Sklavin gehört Dir.«

Burbo kratzte sich in sichtbarer Verlegenheit hinter den Ohren.

»Das Mädchen ist für mich so viel werth als es in Gold wiegt.«

»Nenne Deinen Preis, ich bin reich,« sagte Glaukus.

Die alten Italiener waren, wie die heutigen, stets bereit, Alles zu verkaufen, um so mehr als ein armes, blindes Mädchen.

»Ich habe sechs Sestertien für sie bezahlt; sie ist jetzt zwölf werth,« murmelte Stratonice.

»Ich will Euch zwanzig geben, kommt auf der Stelle mit mir zur Obrigkeit und von da in meine Wohnung, um Euer Geld in Empfang zu nehmen.«

»Wenn es nicht aus Gefälligkeit gegen den edlen Klodius geschehe, so hätte ich dieses hilflose Kind nicht für hundert Sestertien verkauft,« sagte Burbo mit weinerlichem Tone; »Du, edler Klodius, wirst hoffentlich bei Pansa wegen der Stelle eines Designator im Amphitheater reden; sie würde gerade für mich passen.«

»Du sollst sie bekommen,« sagte Klodius, und flüsterte dem Burbo ferner ins Ohr: »Dieser Grieche da kann Dein Glück machen; das Geld läuft bei ihm wie durch ein Sieb. Du darfst diesen Tag mit weißer Kreide bezeichnen, mein Priamus.«

»An dabis?« fragte Glaukus, in der gebräuchlichen Frage des Käufers an den Verkäufer.

»Dabitur,« antwortete Burbo.

»Ich werde also mit Dir gehen – mit Dir? Oh, welches Glück!« murmelte Nydia.

»Ja, mein hübsches Kind, und Dein härtestes Geschäft soll künftig sein, der liebenswürdigsten Frau in Pompeji griechische Lieder vorzusingen.«

Das junge Mädchen wand sich aus seinen Armen los; ihr Gesicht verlor plötzlich den Glanz, der es so eben noch belebt hatte, sie seufzte tief, ergriff hierauf noch einmal seine Hand, und sagte: »Ich glaubte, ich würde in Dein Haus gehen.«

»Dies soll auch für jetzt geschehen; komm – wir verlieren hier nur die Zeit.«


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