Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Vierzehntes Kapitel.

Nydia redet den Kalenus an.

Welche Worte des Schreckens, zugleich aber auch der Hoffnung, hatte Nydia vernommen! Den folgenden Tag sollte Glaukus verurtheilt werden, aber noch lebte einer, der ihn retten und den Arbaces an seine Stelle bringen konnte, und dieser Eine athmete nur wenige Schritte von ihrem Versteck entfernt! Sie hörte sein Schreien und Jammern, sein Fluchen, sein Beten, obgleich die Töne nur gedämpft und halb erstickt zu ihrem Ohre drangen. Er war eingesperrt, aber sie kannte das Geheimnis seiner Haft. Konnte sie nur entfliehen – konnte sie den Prätor aufsuchen, so war der Gefangene noch immer zeitig genug ans Tageslicht zu bringen, um den Athener zu retten. Die Bewegung ihres Gemüthes erstickte sie fast, ihr Gehirn schwindelte – sie fühlte wie ihre Sinne wichen – aber durch eine gewaltsame Anstrengung ward sie wieder Herrin ihrer selbst und nachdem sie mehrere Minuten aufmerksam gehorcht, bis sie gewiß war, daß Arbaces diese Stätte der Einsamkeit und ihr überlassen habe – kroch sie, von ihrem Ohr geleitet, zu der Thür hin, hinter welcher Kalenus eingesperrt war. Da vernahm sie jene Töne des Schreckens und der Verzweiflung noch deutlicher. Dreimal versuchte sie zu sprechen, und dreimal war ihre Stimme nicht stark genug, um durch die Flügel der schweren Thüre zu dringen. Endlich fand sie das Schloß, legte ihre Lippen an seine kleine Öffnung, und nun hörte der Gefangene deutlich seinen Namen von einer sanften Stimme aussprechen.

Sein Blut gerann – seine Haare stunden ihm z u Berge. Welch geheimnisvolles und übernatürliches Wesen mochte in diese fürchterliche Einsamkeit gedrungen sein.

»Wer da?« rief er in neuer Unruhe, »welches Gespenst, welche entsetzliche Larva ruft den verlorenen Kalenus?«

»Priester,« antwortete die Thessalierin, »dem Arbaces unbewußt war ich durch die Zulassung der Götter Zeugin seiner Niederträchtigkeit. Wenn ich selbst aus diesen Mauern zu entkommen vermag, kann ich auch Dich retten. Aber laß Deine Stimme durch diese kleine Öffnung an mein Ohr dringen und antworte auf meine Fragen.«

»Ah, gesegneter Geist!« rief der Priester, voll Freude, der Aufforderung Nydia's nachkommend, »rette mich, und ich will sogar die Gefäße des Altars verkaufen, um Deine Güte zu lohnen.«

»Ich will nicht Dein Gold – ich will Dein Geheimnis. Hörte ich recht? – Kannst Du den Athener Glaukus von der Anklage, die sein Leben bedroht, befreien?«

»Ich kann – ich kann deshalb – mögen die Furien den niederträchtigen Egypter ewig verfolgen! – deshalb hat Arbaces mich hieher gelockt um mich verhungern und verfaulen zu lassen.«

»Man klagt den Athener des Mordes an; kannst Du diese Beschuldigung widerlegen?«

»Befreie mich nur, und das stolzeste Haupt in Pompeji ist nicht sicherer als das seinige. Ich sah das Verbrechen begehen – ich sah, wie Arbaces den Stoß führte; ich kann den wahren Mörder überweisen und die Freisprechung des Unschuldigen bewirken; wenn aber ich umkomme, so stirbt er auch. Interessirst Du Dich für ihn? O gepriesene Fremde, in meinem Herzen ist die Urne, die ihn verdammt oder losspricht.«

»Und willst Du alles, was Du weißt, rücksichtslos bekennen?«

»Ob ich will? Öffnete sich die Hölle unter meinen Füßen – ja! Rache an dem falschen Egypter – Rache, Rache, Rache!«

Während Glaukus diese letzten Worte zähneknirschend ausrief, fühlte Nydia, daß gerade in seiner unreinen Leidenschaft die beste Sicherheit für die Rettung des Atheners liege. Ihr Herz schlug. Wie, sollte ihr das stolze Loos bestimmt sein, ihren Abgott, den Gegenstand ihrer Anbetung zu retten? »Genug,« sagte sie, »die Mächte, die mich hierher führten, werden mich auch fernerhin geleiten. Ja, ich fühle, daß ich Dich befreien werde. Warte in Geduld und Hoffnung.«

»Aber sei vorsichtig, sei klug, süße Unbekannte. Versuche nichts bei Arbaces – sein Herz ist von Marmor. Begib Dich zum Prätor – sag' was Du weißt – wirke einen Befehl zur Haussuchung aus; bring Soldaten und gewandte Schmiede – diese Schlösser sind erstaunlich stark! Die Zeit verstreicht – ich kann verhungern, wenn Du Dich nicht beeilst – geh – geh! Doch halt – es ist fürchterlich, allein zu sein – die Luft ist hier wie in einem Leichenhaus – und die Skorpionen – ha, und die bleichen Larven! O bleib, bleib!«

»Nein,« entgegnete Nydia durch den Schrecken des Priesters beängstigt, und voll Verlangen, mit sich selbst zu Rathe zu gehen; »nein, um Deinetwillen muß ich fort. Nimm die Hoffnung zu Deiner Gefährtin – – Lebe wohl!«

Mit diesen Worten schlich sie weg und tappte mit ausgestreckten Armen längs der Pfeiler hin, bis sie das entgegengesetzte Ende der Halle und die Mündung des Ganges erreichte, der nach oben führt. Hier aber blieb sie stehen; sie hielt es für sicherer, zu warten, bis die Nacht so weit gegen die Stunden des Morgens vorgeschritten sein würde, bis das ganze Haus im Schlag begnaden läge und sie es dann unbeachtet verlassen könne.

Sie legte sich also noch einmal nieder und zählte die trägen Minuten. In ihrem sanguinischen Herzen war Freude die vorherrschende Regung. Glaukus war in Todesgefahr – aber sie sollte ihn retten!


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