Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Zehntes Kapitel.

Was aus Ione im Haus des Arbaces wird – Der Egypter fühlt Mitleiden für Glaukus – Mitleiden ist oft ein sehr nutzloser Gast bei dem Schuldigen.

Der Leser wird sich erinnern, daß Nydia dem Arbaces, seinem Befehle gemäß, in seine Wohnung nachgefolgt war. Hier legte sie, im Verlaufe eines längeren Gespräches, von Verzweiflung und Gewissensbissen angetrieben, ihm das Bekenntnis ab, daß ihre Hand, und nicht die Julia's, dem Glaukus den verhängnisvollen Trank beigebracht habe. Zu jeder anderen Zeit hätte es den Egypter, schon vom philosophischen Standpunkte aus, interessirt. Tiefe und Ursprung der sonderbaren und verzehrenden Leidenschaft zu untersuchen, welche dieses seltsame Mädchen in seiner Blindheit und Sklaverei zu nähren gewagt hatte; gegenwärtig aber erheischte seine eigene Lage sein ganzes Nachdenken. Als die arme Nydia nach ihrem Geständnis sich vor ihm auf die Kniee warf und ihn anflehte, die Gesundheit des Glaukus wieder herzustellen und sein Leben zu retten – denn in ihrer Jugend und Unwissenheit hielt sie den dunklen Zauberer für mächtig genug, beides zu verwirklichen – da überzeugte sich Arbaces, ihr achtlos zuhörend, nur von der Nothwendigkeit, Nydia so lange in seinem Hause gefangen zu halten, bis das Schicksal des Glaukus entschieden sei. Denn hatte er es schon damals, als er sie bloß für die Mitschuldige Julia's bei Erlangung des Liebestrankes hielt, als für das völlige Gelingen seiner Rache gefährlich betrachtet, wenn sie frei bliebe, vielleicht als Zeugin auftrete, die Art und Weise, in welcher das Bewußtsein des Glaukus verdunkelt worden, eingestehe, und so für das Verbrechen, dessen der Grieche angeklagt war, nachsichtige Beurtheilung erwecke – wie viel wahrscheinlicher war es jetzt, daß sie, da ihre Hände den Trank gereicht, freiwillig ihr Zeugnis ablegen und begeistert von Liebe, selbst auf Kosten ihrer Ehre, einzig und allein ihren Irrthum wieder gut zu machen uns ihren Geliebten zu retten wünsche? Überdies, welchen Schimpf für den Rang und den Ruf eines Arbaces, als der Kuppler bei Julia's Leidenschaft, und als der Gehülfe bei den unheiligen Zaubereien der Saga des Vesuvs zu erscheinen! Nichts Geringeres fürwahr als sein Wunsch, den Glaukus zum Bekenntnis der Ermordung des Apäcides zu bestimmen, als der augenscheinlich für seine eigene zukünftige Sicherheit und für den günstigen Erfolg seiner Bewerbungen um Ione vortheilhafteste Ausweg, hatte ihn je bestimmen können, Julia's Geständnis als zulässig oder wünschenswerth zu betrachten.

Was Nydia betrifft, die durch ihre Blindheit schon von einer genauen Kenntnis des wirklichen Lebens ausgeschlossen war und die als Sklavin und Fremde die Strenge der römischen Gesetze nicht kannte, so dachte sie mehr an die Krankheit und den Wahnsinn des Atheners, als an das Verbrechen, dessen Beschuldigung sie nur unbestimmt vernommen hatte, oder an den möglichen Ausgang des bevorstehenden Prozesses. Was wußte die arme Unglückliche, mit der Niemand sprach, um die sich Niemand kümmerte, vom Senat und seinem Urtheil – von dem Wesen der Gesetze – von der Wildheit des Volkes – von der Arena und dem Löwen? Sie war gewöhnt, mit dem Gedanken an Glaukus alles Glückliche und Erhabene zu verbinden, und konnte sich somit nicht denken, daß außer dem Wahnsinn ihrer Liebe irgend eine Gefahr dieses geheiligte Haupt bedrohen könne. Glaukus schien ihr besonders für die Segnungen des Lebens bestimmt. Sie allein hatte den Strom seines Glückes getrübt; sie wußte nicht, sie träumte nicht, daß der einst so glänzende Strom der Dunkelheit und dem Tode zufließe. Also nur um den Verstand wieder herzustellen, den sie verwirrt, um das Leben zu retten, das sie gefährdet hatte, erflehte sie den Beistand des großen Egypters.

»Tochter,« begann Arbaces, aus seiner Träumerei erwachend, »Du mußt hier bleiben; es ziemt sich nicht für Dich, durch die Straßen zu ziehen und durch den rohen Fuß der Sklaven von der Thürschwelle fremder Häuser gestoßen zu werden. Ich habe Mitleid mit Deinem Verbrechen, das die Liebe begangen – ich will Alles thun, um es wieder gut zu machen. Gedulde Dich einige Tage hier, und Glaukus soll wieder hergestellt werden.« Mit diesen Worten und ohne die Entgegnung abzuwarten, eilte er aus dem Zimmer, schob den Riegel vor die Thür und beauftragte denjenigen Sklaven, der in diesem Theile des Hauses Dienst hatte, mit der Verköstigung und Verpflegung seiner Gefangenen.

Allein und nachdenkend erwartete er nun die ersten Strahlen der Morgenröthe und verließ, wie wir gesehen haben, mit ihnen sein Haus, um sich der Person Ione's zu bemächtigen. Seine Hauptabsicht in Bezug auf die unglückliche Neapolitanerin war in der That, wie er sich gegen Klodius geäußert hatte, dahin gerichtet, sie von einem thätigen Eingreifen in die gerichtliche Verhandlung über Glaukus abzuhalten und ihr (was sie gewiß nicht unterlassen haben würde) die Erhebung einer Klage gegen ihn, wegen der neulich gegen seine Mündel begangenen Treuelosigkeit und Gewaltthat, um so mehr unmöglich zu machen, als eine solche Klage die Ursachen, die er zur Rache an Glaukus hatte, zur Kenntnis des Gerichtes bringen, die Heuchelei seines Charakters enthüllen und beträchtliche Zweifel auf die Wahrhaftigkeit seiner gegen den Athener erhobenen Beschuldigungen werfen mußte. Erst als er ihr an jenem Morgen begegnet, erst nachdem er ihre lauten Beschuldigungen vernommen, überzeugte er sich, daß ihm in Folge ihres Verdachtes gegen ihn eine weitere Gefahr drohe. Nunmehr aber schmeichelte er sich mit dem Gedanken, daß seine Zwecke erreicht seien; denn der Gegenstand seiner Liebe und seiner Furcht befand sich jetzt ja in seiner Gewalt. Mehr als je glaubte er an die günstigen Verheißungen der Sterne, und als er Ione in dem innersten Zimmer seines geheimnisvollen Hauses, das er ihr angewiesen hatte, aufsuchte – als er sie von so vielen aufeinander folgenden Schlägen überwältigt, von Ohnmacht in Ohnmacht, von Aufregung in Erschlaffung sinken und aus einem hysterischen Zustande in den andern gerathen sah, da dachte er mehr an die Lieblichkeit, die kein Wahnsinn entstellen konnte, als an das Wehe, das er über sie gebracht. In jener leichtgläubigen Eitelkeit, die denen eigen ist, die von jeher im äußeren Leben wie in der Liebe unabänderlich glücklich waren, schmeichelte er sich, wenn Glaukus erst vernichtet, wenn sein Name durch ein richterliches Urtheil feierlich gebrandmarkt, wenn sein Anrecht auf ihre Liebe durch die Verurtheilung zum Tode wegen der Ermordung ihres eigenen Bruders, für immer verwirkt sei – werde sich ihre Liebe in Abscheu verwandeln und seine Zärtlichkeit und Leidenschaft, unterstützt durch all die Künste, mit denen er die weibliche Einbildungskraft zu blenden verstund, ihn auf den Thron ihres Herzens erheben, von welchem sein Nebenbuhler so fürchterlich herabgestürzt werden sollte. Dies war seine Hoffnung; sollte sie aber auch vereitelt werden, so flüsterte ihm seine unheilige und glühende Leidenschaft zu: »Im schlimmsten Fall ist sie jetzt in meiner Gewalt.«

Bei alledem jedoch fühlte er jene Unbehaglichkeit und Bangigkeit, welche stets im Geleite der Möglichkeit einer Entdeckung sind, selbst wenn der Verbrecher gegen die Stimme des Gewissens taub ist – jenen unbestimmten Schrecken vor den Folgen des Verbrechens, den man oft irrthümlicher Weise für Reue über das Verbrechen selbst hält. Die elastische Luft Kampaniens lag schwer auf seiner Brust; er sehnte sich, von einem Schauplatze wegzueilen, wo die Gefahr vielleicht nicht ewig mit den Todten schlief; und da er nun Ione'n in seinem Besitze hatte, beschloß er im Stillen, sobald er die letzten Todeszuckungen seines Nebenbuhlers mit angesehen haben werde, seinen Reichthum und sie, den kostbarsten aller seiner Schätze, nach einer fernen Küste überzuführen.

»Ja,« sagte er, in seinem einsamen Zimmer auf und abgehend; »ja, das Gesetz, das mir die Person meiner Mündel überantwortet, bringt mich auch in den Besitz meiner Braut. Weit über den breiten Ocean wollen wir ziehen, um neue Herrlichkeiten und noch ungekannte Genüsse zu suchen. Von meinen Sternen ermuthigt, von den Ahnungen meines Geistes getragen, wollen wir zu jenen großen und herrlichen Welten dringen, die, wie mich mein Wissen lehrt, noch unentdeckt, an den fernsten Enden des allumgebenden Meeres liegen. Dort kann dieses Herz, im Besitz von Liebe, endlich auch dem Ruhme wieder leben – dort kann ich vielleicht, unter Nationen, die das römische Joch nicht beugt, und zu deren Ohr der römische Name noch nicht gedrungen ist, ein Reich gründen und den Glauben meiner Väter fortpflanzen; dort kann ich vielleicht die Asche von Thebe's untergegangener Dynastie neu beleben, den Stamm meiner geliebten Ahnen auf noch größeren Küsten fortpflanzen und in dem edlen Herzen Ione's das dankbare Bewußtsein erwecken, daß sie das Loos eines Mannes theilt, der ferne von der überlebten Fäulnis dieser sklavischen Civilisation die ursprünglichen Elemente der Größe wieder herstellt und in einer mächtigen Seele die Eigenschaften des Propheten und des Königs vereinigt.«

Aus diesem hochtönenden Selbstgespräch wurde Arbaces erweckt, um dem Verhör des Atheners beizuwohnen.

Die eingefallene und blasse Wange seines Opfers rührte ihn weniger, als die Festigkeit seiner Nerven und die Unerschrockenheit seiner Stirne; denn Arbaces war ein Mann, der nur geringes Mitleid mit dem Unglück, aber ein lebhaftes Mitgefühl für den Muth hatte. Die geistige Verwandtschaft, die uns an Andere bindet, hat stets ihren Ursprung in den Eigenschaften unseres eigenen Wesens. Nicht sowohl über den Sturz seines Feindes, als über den Muth, womit er das Unglück erträgt, weint der Held. Wir alle sind Menschen, und auch Arbaces hatte, bei all seiner Lasterhaftigkeit, seinen Antheil an unsern gemeinsamen Gefühlen, an unserer Muttererde. Hätte er nur von Glaukus das schriftliche Bekenntnis seines Verbrechens herausgebracht, das diesen sicherer, als das Urtheil Anderer aus dem Herzen Ione's verdrängt und die Möglichkeit einer künftigen Entdeckung des wahren Thäters hinweggeräumt hätte, so würde Arbaces alle seine Kräfte zur Rettung des Glaukus aufgeboten haben. Selbst jetzt war sein Haß vorüber – sein Durst nach Rache gestillt; er zertrat seine Beute nicht aus Feindschaft, sondern als ein Hindernis auf seinem Wege. Gleichwohl verfolgte er mit nicht geschwächter Entschlossenheit, mit nicht verminderter List den Pfad, den er zur Vernichtung eines Mannes eingeschlagen, dessen Untergang zur Erreichung seiner Zwecke unerläßlich nothwendig war, und während er mit anscheinendem Widerstreben und Mitleid das verdammende Zeugnis gegen Glaukus ablegte, nährte er insgeheim und durch Vermittlung der Priester jene Entrüstung des Volkes, welche dem Mitleiden des Senats eine gewaltige Schranke setzte. Er hatte Julia besucht, ihr das Geständnis Nydia's mitgetheilt und dadurch unschwer jede Bedenklichkeit ihres Gewissens eingeschläfert, welche sie etwa hätte verleiten können, das Verbrechen des Glaukus durch ein Geständnis der zunächst von ihr ausgegangenen Veranlassung zu mildern; es ward ihm dies um so leichter, als ihr eitles Herz das Ansehen und das Glück des Glaukus, nicht den Glaukus selbst geliebt hatte; für einen unglücklichen Mann fühlte sie keine Liebe, ja, sie freute sich beinahe seines Falles, da er die verhaßte Ione demüthigte. Konnte Glaukus ihr Sklave nicht sein, so konnte er doch auch ihre Nebenbuhlerin nicht mehr anbeten. Dies war ein hinreichender Trost für jeden Kummer über sein Schicksal. Flüchtig und wankelmüthig, fing sie schon an, der plötzlichen und ernstlichen Bewerbung des Klodius Gehör zu schenken und war keineswegs geneigt, die Verbindung mit diesem niedrigdenkenden oder hochgeborenen Patrizier durch ein öffentliches Geständnis ihrer früheren Schwäche und ungezügelten Leidenschaft für einen andern auf's Spiel zu setzen. Somit lächelte Alles auf Arbaces, und Alles schaute finster auf den Athener.


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