Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Viertes Kapitel.

Der Isistempel – Dessen Priester – Der Charakter des Arbaces entwickelt sich.

Unsere Erzählung führt wieder auf den Egypter zurück. Wir verließen Arbaces am Nachmittage am Meeresufer, nachdem er von Glaukus und seinen Freunden hinweggegangen war. Als er sich dem besuchtesten Theile des Meerbusens näherte, blieb er stehen und betrachtete diese belebte Scene mit gekreuzten Armen und einem bittern Lächeln auf seinem düstern Angesichte.

»Thoren, Kurzsichtige und Narren, die ihr seid!« murmelte er leise bei sich selbst; »möget ihr den Geschäften oder dem Vergnügen, dem Handel oder der Religion euch widmen, ihr seid immer die Spielbälle der Leidenschaften, die ihr beherrschen solltet! Wie müßtet ihr mich anekeln, wenn ich euch nicht haßte; ja, ich hasse euch! Griechen oder Römer! – von uns, von der dunklen Weisheit Egyptens, habt ihr das Feuer gestohlen, das euch Seelen gibt – eure Wissenschaft – eure Poesie – eure Gesetze – eure Künste – eure barbarische Meisterschaft im Kriege; Alles (wie klein und verstümmelt im Vergleich zu dem gewaltigen Original) – habt ihr uns gestohlen, wie ein Sklave die Überbleibsel eines Gastmahls. Und jetzt seid ihr, ihr Nachäffer von Nachäffern, ihr Römer, die ausgeschossene Heerde von Räubern! – ihr seid unsere Herren! die Pyramiden blicken nicht mehr auf das Geschlecht des Ramases herab, der Adler schwebt über die Schlange des Nils hin. Unsere Herren? Nein, nicht die meinigen. Meine Seele ist euch durch die Macht der Weisheit überlegen, beherrscht euch und legt euch unsichtbare Fesseln an. So lange die List über die Stärke siegen und die Religion eine Höhle besitzen wird, aus deren Innerem die Orakel das Menschengeschlecht täuschen können, beherrscht der Weise die Erde. Selbst aus euern Lastern bereitet sich Arbaces Genüsse, die kein gemeines Auge entweiht – unermeßliche, reiche, unerschöpfliche Genüsse, die euer entnervtes Gemüth in seiner geistlosen Sinnlichkeit weder begreifen noch ahnen kann. Fahret in eurem Streben nur fort, ihr Sklaven des Ehrgeizes und der Habsucht; euer kleinlicher Durst nach Fasces, Quästuren und allen Mummereien der knechtischen Gewalt erregt nur mein Lachen und meinen Hohn. Meine Macht reicht so weit, als die Menschen glauben; ich herrsche selbst über Seelen, die der Purpur umhüllt. Theben mag fallen und Egypten nur noch ein Name sein; die Welt selbst liefert dem Arbaces seine Unterthanen.«

Unter solchen Sprüchen schritt der Egypter langsam weiter; er kehrte in die Stadt zurück und seine über die auf dem Forum versammelte Menge emporragende Gestalt wandte sich nach dem kleinen, aber anmuthigen, der Isis geheiligten Tempel.Sylla soll den Gottesdienst der egyptischen Isis nach Italien verpflanzt haben. In den kampanischen Städten jedoch war vermuthlich der Handel mit Alexandrien wirksamer, die Verehrung der Liebesgöttin in Egypten einzuführen, als die Frömmigkeit Sylla's, die vielleicht kein populäres Beispiel gewesen wäre. Bald wurde dieser Gottesdienst Mode, und zwar besonders bei den römischen Damen. Seine Priester legten das Gelübde der Keuschheit ab, waren aber, wie alle solche Brüderschaften, wegen ihrer Zügellosigkeit berüchtigt. Juvenal nennt die Priesterinnen bei einem Namen (Isiacae lenae), der besagt, wie bequem sie für Liebende waren, und manche Liebesintrigue wurde unter dem Mantel der Nacht in dem Bezirke der heiligen Tempel ausgeführt. Gelobte eine Dame z.B. so und so viele Nächte am Altare der Isis zu wachen, so war dies ein Opfer der Enthaltsamkeit gegenüber von ihrem Gemahl, das in der Regel ihrem Liebhaber zu Statten kam. Während so die eine Leidenschaft der menschlichen Natur in Anspruch genommen wurde, zog man auch eine andere, kaum minder starke, in den Dienst der Gottheit – nämlich Leichtgläubigkeit. Die Priester der Isis behaupteten, die Magie zu verstehen und die Zukunft zu kennen. Frauen aus allen Ständen – und sogar manche aus dem stärkeren Geschlecht – befragten die egyptischen Zauberkünste und verehrten sie als Orakel. Voltaire sucht sehr sinnreich zu beweisen, daß die Zigeuner ein Ueberbleibsel der alten Priester und Priesterinnen der Isis, vermischt mit denen der syrischen Göttin, seien. Zur Zeit des Apulejus hatten diese heiligen Betrüger ihre Würde und Geltung verloren – verachtet und arm irrten sie von Ort zu Ort, ihre Prophezeihungen verkaufend und Krankheiten heilend. Voltaire macht uns mit Scharfsinn darauf aufmerksam, daß Apulejus ihre besondere Gewandtheit im Ausplündern von Nebengebäuden und Hofräumen nicht vergessen habe – später sagten sie aus der Hand wahr und führten eigenthümliche Tänze – vielleicht Zigeunertänze? – auf. »Dies,« sagt der in seinen Schlüssen voreilige Franzose, »war das Ende der alten Religion der Isis und des Osiris, deren bloße Namen uns heute noch mit Ehrfurcht erfüllen!« – Zu der Zeit übrigens, wo meine Geschichte spielt, war der Gottesdienst der Isis noch im Ansehen. Die reicheren Verehrer derselben ließen sich sogar von dem geheimnisvollen Wasser des Nils holen, um die Altäre der Göttin damit zu besprengen. Ich habe den Ibis in den Tempel der Isis eingeführt, obgleich man glaubt, daß dieser Vogel, wenn man ihn aus Egypten fortnehme, verschmachte und sterbe. Aus verschiedenen Gründen jedoch, deren Aufzählung hier zu weitläufig wäre, glaube ich, daß der Ibis in den italienischen Tempeln der Isis keineswegs selten war, obgleich er gewöhnlich nicht lange lebte und unter einem fremden Klima sich durchaus nicht fortpflanzte.

Dieses Gebäude war damals erst seit kurzer Zeit errichtet; der alte Tempel wurde durch das sechszehn Jahre vorher stattgefundene Erdbeben zerstört, und der neue Bau kam bei den unbeständigen Pompejanern so bald in die Mode, wie bei uns eine neue Kirche oder ein neuer Prediger. Die Orakel der Göttin zu Pompeji waren durch die geheimnisvolle Sprache, in der sie ertheilt wurden, ebenso ausgezeichnet, als durch das Zutrauen, das ihre Befehle und Vorhersagungen genossen. Waren sie auch nicht von einer Gottheit diktirt, so zeugten sie wenigstens von tiefer Menschenkenntnis; sie entsprachen mit der größten Genauigkeit den Verhältnissen jedes Individuums und boten in dieser Beziehung einen merkwürdigen Gegensatz zu den allgemeinen Aussprüchen der mit ihnen rivalisirenden Tempel.

Als Arbaces an das Gitter gelangte, das die Personen von dem geheiligten Raume ausschloß, war eine Menge Menschen aus allen Ständen, hauptsächlich aber Kaufleute, ehrfurchtsvoll vor den zahlreichen Altären, die sich im offenen Hofe befanden, in athemloser Stille versammelt. Nischen, die in den Mauern der Cella angebracht waren, zu der sieben Stufen von parischem Marmor hinanführten, enthielten mehr Statuen, und sogar die Wände waren mit dem der Isis geheiligten Granatapfel geschmückt. Im Innern des Gebäudes befand sich ein längliches Piedestal mit zwei Statuen, deren eine die Isis selbst, die andere aber den schweigsamen und geheimnisvollen Orus vorstellte. Noch mehrere andere Gottheiten schienen hier zur Bildung des Hofstaats der egyptischen Göttin vereinigt zu sein, – der ihr verwandte und vielnamige Bacchus, die cyprische Venus (eine griechische Nachahmung der Isis), wie sie aus dem Bade steigt, Anubis mit dem Hundskopfe, der Ochse Apis und eine Menge egyptischer Götzenbilder von wundersamer Gestalt und unbekannten Namen.

Wir dürfen jedoch keineswegs vermuthen, daß die Isis in den Städten Großgriechenlands unter den Formen und Ceremonien verehrt worden sei, auf die sie gerechten Anspruch haben durfte; die gemischten und neueren Nationen des Südens vermengten theils aus Stolz, theils aus Unwissenheit die Culte aller Zeiten und Länder. Auch die tiefen Geheimnisse des Nils waren durch hunderterlei ausgeartete, leichtsinnige Neuerungen, die den Glaubensbekenntnissen am Cephissus und der Tiber entnommen waren, entstellt. Der Isistempel zu Pompeji wurde von römischen und griechischen Priestern bedient, die der Sprache und der Gebräuche der alten Verehrer dieser Göttin gleichmäßig unkundig waren, und der Nachkömmling jener mächtigen egyptischen Könige lachte unter dem Scheine der tiefsten Ehrfurcht heimlich über die kleinlichen Mummereien, durch die man den feierlichen und deutungsreichen Gottesdienst seines heißen Himmelsstriches nachzuahmen suchte.

In weißen Gewändern hatte sich die Opferschaar zu beiden Seiten der Außentreppe in Reihen aufgestellt, während oben zwei Unterpriester standen, deren einer einen Palmzweig, der andere einen kleinen Ährenbüschel hielt. Der enge Durchgang des Vordergrundes war von Zuschauern umlagert.

»Und welcher Beweggrund,« fragte Arbaces leise einen Kaufmann, der beim Handel mit Alexandrien – ein Verkehr, der vor Allem zur Einführung des Cultus der egyptischen Göttin in Pompeji beigetragen haben mochte – betheiligt war, »welcher Beweggrund versammelt Euch in diesem Augenblicke vor den Altären der ehrwürdigen Isis? Nach den weißen Gewändern der Gruppe vor mir scheint es, daß ein Opfer gebracht werden soll, und nach der Versammlung von Priestern, daß Ihr auf ein Orakel harret. Auf welche Frage soll es antworten?«

»Wir sind Kaufleute,« antwortete der Gefragte (der kein Anderer war als Diomed) in demselben Tone; »wir suchen das Schicksal zu erfahren, das unsern Schiffen vorbehalten ist, die morgen nach Alexandrien segeln sollen. Wir wollen der Göttin ein Opfer bringen und sie um eine Antwort anflehen. Du kannst an meiner Kleidung sehen, daß ich nicht zur Zahl derer gehöre, die das Opfer veranstalten, aber es liegt mir doch Etwas an der guten Fahrt der Flotte ... ja, beim Jupiter! ich habe einen kleinen Handel; wie könnte ich sonst in diesen schwierigen Zeiten leben?«

Der Egypter erwiderte mit Würde, obgleich die Isis eigentlich die Göttin des Ackerbaues sei, so sei sie doch nicht weniger die Beschützerin des Handels. Dann wandet er sein Haupt gegen Morgen und schien in tiefe Andacht versunken.

In diesem Augenblicke erschien auf der Mitte der Treppe ein von Kopf bis Fuß weiß gekleideter Priester. Zwei andere Priester, die bis auf die Mitte ihrer Brust entblößt, am übrigen Körper aber mit weißen, wallenden Gewändern bedeckt waren, lösten diejenigen ab, die bis jetzt an den beiden Ecken gestanden hatten. Zu gleicher Zeit stimmte ein unten an der Treppe sitzender Priester auf einem langen Blasinstrumente eine feierliche Weise an; auf der halben Höhe der Treppe befand sich ein zweiter Flamen, mit einem Votivkranze in der einen, und einem weißen Stabe in der andern Hand, während endlich, um den malerischen Eindruck dieser morgenländischen Feierlichkeit zu vervollständigen, der stattliche Ibis (ein dem egyptischen Cultus geheiligter Vogel), von der Höhe der Mauer still den gottesdienstlichen Gebräuchen zuschaute, oder am Fuße der Stufen um den Altar umherschritt.

An diesem Altare stund jetzt der Opferpriester.Man zeigt im Museum zu Neapel ein Gemälde, das ein egyptisches Opfer vorstellt.

Das Gesicht des Arbaces schien, während die Opferschauer die Eingeweide untersuchten, seine ganze strenge Ruhe zu verlieren und in frommer Besorgnis zu schweben – dann aber freudig sich aufzuhellen, als die Zeichen für günstig erklärt wurden und die glühenden Flammen die heiligen Theile des Opferthieres unter dem Wohlgeruche der Myrrhen und des Weihrauchs zu verzehren begannen. Plötzlich folgte dem Geflüster der Menge ein tiefes Stillschweigen, die Priester versammelten sich um die Cella herum, und ein anderer Priester, ganz nackt bis auf einen Gürtel um die Lenden, trat schnell vor, tanzte unter wunderlichen Geberden und flehte die Göttin um eine Antwort an. Endlich hörte er, vor Mattigkeit erschöpft, auf und in dem Körper der Statue ließ sich ein leises Gemurmel vernehmen; dreimal nickte sie mit dem Kopfe, ihre Lippen öffneten sich und hierauf sprach eine Grabesstimme folgende geheimnisvolle Worte aus:

»Ich sehe die Wogen im Kampfe sich wälzen,
Ich sehe ein Grab im umfluteten Felsen;
Die Stirne der Zukunft, sie brütet Gefahren,
Doch euch wird die Schiffe das Schicksal bewahren.«

Die Stimme schwieg, die Menge athmete leichter und die Kaufleute sahen einander an.

»Nichts kann deutlicher sein,« sprach Diomed leise; »auf dem Meere wird es einen Sturm geben, wie es beim Eintritte des Herbstes sehr häufig geschieht; aber unsere Schiffe werden gerettet werden. O wohlthätige Isis!«

»Gelobt sei die Göttin in Ewigkeit!« riefen die Kaufleute; »was kann unzweideutiger sein, als ihre Vorhersagung?«

Der Oberpriester hob eine seiner Hände in die Höhe, zum Zeichen des Stillschweigens (denn die gottesdienstlichen Gebräuche der Isis heischten einen, den lebhaften Pompejanern beinahe unmöglichen Stillstand der Sprachwerkzeuge) und vollzog die Libation auf dem Altare; nach einem kurzen Schutzgebete war die Ceremonie zu Ende und die Versammlung wurde entlassen. Nachdem die Menge sich zerstreut hatte, blieb der Egypter gleichwohl bei dem Gitter zurück, und als der Weg frei genug war, näherte sich ihm einer der Priester und grüßte ihn mit allem Anschein großer Vertraulichkeit.

Das Gesicht dieses Priesters war auffallend widrig. Sein glattrasierter Schädel war vorn so platt und schmal, daß er fast dem eines afrikanischen Wilden gleichkam, ausgenommen gegen die Schläfe zu, wo er in jenem Organ, das die Jünger einer dem Namen nach neuen, praktisch jedoch den Alten, wie wir an ihren Bildhauerarbeiten sehen, vollkommen bekannten Wissenschaft, das Organ des Erwerbssinnes nennen, zwei ungeheuer große, beinahe übernatürliche Erhöhungen zeigte, welche diesen mißgestalteten Kopf noch häßlicher machten. Um die Augenbrauen herum bildete die Haut ein Gewebe von tiefen und verwirrten Runzeln; die schwarzen und kleinen Augen rollten in gelbschmutzigen Höhlen; die kurze aber dicke Nase war an den Nüstern ausgespannt, wie bei einem Satyr, während die aufgeworfenen, blassen Lippen, die hohen Backenknochen, die bleichen und hautscheckigen Farben, die auf der pergamentartigen Haut sichtbar waren, eine Physiognomie vollendeten, die Niemand ohne Widerwillen und nur Wenige ohne Schrecken und Mißtrauen betrachten konnten. Welches auch die Wünsche des Geistes sein mochten – jedenfalls war ein solcher Körper fähig, sie alle zu vollführen. Die eisernen Kehlmuskeln, die breite Brust, die nervigten Hände und dürren Arme, die bis über die Ellenbogen entblößt waren, deuteten auf einen Körperbau hin, der in Stand setzte, sowohl mit großer Energie zu handeln, als auch mit Ausdauer zu leiden.

»Kalenus«, sagte der Egypter zu diesem liebenswürdigen Flamen. »Du hast durch Befolgung meines Rathes die Stimme der Statue sehr verbessert, und Deine Verse sind vortrefflich. – Du magst immerhin günstigen Erfolg prophezeihen, wofern die Erfüllung einer solchen Vorhersagung nicht eine absolute Unmöglichkeit ist.«

»Überdies,« setzte Kalenus hinzu, »wenn der Sturm eintritt und den Untergang der verwünschten Schiffe zur Folge hat, werden wir es nicht vorhergesagt haben, und sind die Schiffe nicht bewahrt, wenn sie in Ruhe liegen? Sagt uns nicht Horaz, daß der Schiffer auf dem ägäischen Meere die Götter um Ruhe anflehe; an welcher Stelle im Meere aber kann er sie nun besser finden, als auf seinem Grunde?«

»Ganz richtig, Kalenus, auch wünschte ich, daß sich Apäcides Deine Weisheit zum Muster nehme; doch ich möchte mit Dir noch über ihn und einige andere Gegenstände sprechen. Kannst Du mich in eines Eurer wenigen heiligen Gemächer führen?«

»Ja wohl,« versetzte der Priester, indem er ihm in eines der kleinen Zimmer voranging, die das offene Thor umgaben. Hier setzten sie sich an einen kleinen Tisch, auf den man Platten mit Obst, Eiern und verschiedenen kalten Speisen, so wie Gefäße voll herrlichen Weines gestellt hatte. Während nun die Beiden hievon genossen, entzog sie zwar ein Vorhang, der an dem zum Hofe führenden Eingang herabhing, dem Auge der Neugierigen, erinnerte sie übrigens durch seine Dünne, daß sie nur durch leises Sprechen ihre Geheimnisse unbescheidenen Ohren entziehen könnten, oder gar nicht von solchen reden dürften. Sie entschieden sich für das Erstere.

»Du weißt,« sagte Arbaces, mit so weicher und verhaltener Stimme, daß sie kaum die Luft umher bewegte, »daß ich es mir immer zum Grundsatze gemacht habe, mich an die Jugend zu halten. Aus ihren biegsamen und ungebildeten Gemüthern schnitzle ich mir meine passendsten Werkzeuge. Ich bereite, knete und forme sie nach meinem Willen. Die Männer mache ich bloß zu Anhängern oder Dienern, die Weiber –«

»Zu Geliebten,« sagte Kalenus, dessen häßliche Züge ein bleifarbiges Lächeln in diesem Augenblicke nur noch mehr entstellte.

»Ja, ich verhehle es nicht, das Weib ist das erste Ziel – das große Verlangen meiner Seele; wie Du die Opferthiere für die Schlachtbank mästest, so liebe ich es, die Wesen, die meinen Lüsten dienen sollen, heranzubilden. Ich liebe es, ihren Geist heranzuziehen, zur Reise zu fördern und die zarte Blüte ihrer verborgenen Leidenschaften zu entwickeln, um die Frucht für meinen Geschmack vorzubereiten. Ich verachte ausgelernte und überreife Lustdirnen. Der wahre Reiz der Liebe besteht für mich nur in dem sanften und unbewußten Fortschritte von der Unschuld zum Verlangen; – so trotze ich der Übersättigung, und in dem ich die Frische der Gefühle Anderer betrachte, bewahre ich die Frische der meinigen. Aus dem jungen Herzen meiner Schlachtopfer nehme ich die Ingredienzien für den Kessel, worin ich mich selbst verjünge. Aber genug hievon; laß uns zu dem Gegenstande übergehen, der vor uns liegt. Du weißt, daß ich vor einiger Zeit Ione und Apäcides, Schwester und Bruder, die Kinder eines in Neapel ansäßigen Atheners, daselbst traf. Durch den Tod ihrer Eltern, die mich kannten und achteten, wurde ich ihr Vormund, und ich vernachlässigte mein Amt nicht. Der gelehrige und sanfte Jüngling war für die Eindrücke empfänglich, die ich ihm einzuprägen suchte. Nach den Frauen geht mir die Erinnerung an das Land meiner Väter über Alles; es macht mir Vergnügen, seinen dunkeln und geheimnisvollen Glauben zu erhalten, ihn an ferne Ufer, die ihre Kolonien vielleicht einst bewohnen, zu verpflanzen. Mit dem Vergnügen, den Göttern zu dienen, paart sich vielleicht dasjenige, die Menschen zu täuschen. Ich unterrichtete also den Apäcides in der heiligen Religion der Isis; ich enthüllte ihm einige jener erhabenen, in ihrem Cultus enthaltenen Allegorien, ich weckte in seinem, für religiöse Glut besonders empfänglichen Gemüthe jenen Enthusiasmus, der aus der Einbildungskraft Glauben erzeugt. Ich habe ihn zu Euch gebracht; er ist einer der Eurigen.«

»Er ist es,« sagte Kalenus; »aber indem Du seinen Glauben so steigertest, hast Du ihn seiner Weisheit beraubt; ein Schrecken befällt ihn bei dem Gedanken, nicht länger getäuscht zu sein. Unsere frommen Täuschungen, unsere redenden Statuen und unsere geheimen Treppen erschrecken, und empören ihn; zugleich seufzt er, zehrt ab, spricht unaufhörlich mit sich selbst und weigert sich, an unsern Ceremonien Theil zu nehmen. Es ist bekannt, daß er Leute besucht, die der Anhänglichkeit an diese neue und atheistische Lehre verdächtig sind, welche alle unsere Götter läugnet und unsere Orakel für die Eingebungen jenes bösen Geistes erklärt, von dem die Sagen des Morgenlandes erzählen. Unsere Orakel, ach! wir wissen wohl, wessen Eingebungen die sind.«

»Gerade das befürchte ich – nach einigen Vorwürfen, die er mir bei unserem letzten Beisammensein machte,« sagte Arbaces nachdenkend. »Er weicht mir seit neuerer Zeit aus, aber ich muß ihn aufsuchen, ich muß meinen Unterricht fortsetzen und ihn in das Heiligthum der Weisheit einführen. Ich muß ihn lehren, daß es zwei Stufen der Heiligkeit gibt, die erste Glauben – die zweite Täuschung – jene für den Pöbel, diese für den Weisen.«

»Ich kam nie über die erste Stufe,« sagte Kalenus, »und mir däucht, auch Du nicht, mein Arbaces.«

»Du bist im Irrthum,« versetzte der Egypter mit Würde; »ich glaube jetzt noch, zwar nicht das, was ich lehre, sondern das, was ich nicht lehre. In der Natur liegt etwas Heiliges, dem ich weder widerstehen kann, noch will. Ich glaube an mein eigenes Wissen, und dies hat mir geoffenbart ... Doch genug davon! Jetzt zu fröhlicheren und lockenderen Gegenständen. Wenn ich also bei Apäcides meinem Zwecke nachkam, was waren dann meine Absichten bei hinsichtlich der Ione? Du weißt schon, daß ich sie zu meiner Königin, meiner Braut, zur Isis meines Herzens bestimmte. Nie, bevor ich sie sah, wußte ich, wie großer Liebe meine Natur fähig ist.«

»Von tausend Lippen höre ich, sie sei eine zweite Helena,« sagte Kalenus, indem er mit den Lippen schmatzte; ob aber dieses Schmatzen sich auf den genossenen Wein oder auf den ausgesprochenen Gedanken bezog, ist schwer zu entscheiden.

»Ja, sie ist von einer Schönheit, die Griechenland selbst nie übertraf,« fuhr Arbaces fort; »aber dies ist noch nicht Alles; ihre Seele ist würdig, sich mit der meinigen zu vermählen. Ihr Geist übertrifft den eines Weibes – is scharf, blendend, kühn. Die Poesie schwebt unwillkürlich über ihre Lippen; sprich eine auch noch so verwickelte und tiefe Wahrheit aus, so erfaßt und beherrscht sie ihren Verstand. Ihre Einbildungskraft und Vernunft sind nie im Widerspruche mit einander; sie harmoniren und leiten sie wie die Winde und Wogen ein hohes Schiff leiten. Hiemit vereinigt sie eine kühne Unabhängigkeit der Gedanken; sie bedarf keiner Stütze in der Welt und kann eben so muthvoll sein als sanft. Dies ist die Natur, die ich mein ganzes Leben hindurch beim Weibe suchte und jetzt erst fand. Ione muß die Meinige werden, ich empfinde eine doppelte Leidenschaft für sie; ich wünsche in ihr eine Schönheit des Geistes wie des Körpers zu besitzen.«

»Sie ist also noch nicht die Deinige?« fragte der Priester.

»Nein, sie liebt mich, aber nur als Freund, und nur mit ihrem Geiste. Sie glaubt bei mir jene untergeordneten Tugenden zu finden, die ich aus höherer Tugend verachte. Aber laß mich in meiner Erzählung fortfahren. Bruder und Schwester waren jung und reich; Ione ist stolz und ehrgeizig; stolz auf ihren Geist, auf den Zauber ihrer Poesie und die Reize ihrer Unterhaltung. Als ihr Bruder mich verließ, um in Euren Tempel einzutreten, kam auch sie nach Pompeji, um ihm näher zu sein. Sie hatte ihre Talente bekannt werden lassen; Alles strömt zu den Festen, die sie gibt; ihre Stimme bezaubert die Gäste und ihre Poesie überwältigt sie. Sie findet eine Freude darin, für die Nachfolgerin der Korinna zu gelten.«

»Oder der Sappho?«

»Aber einer Sappho ohne Liebe! Ich habe sie ermuthigt in dieser kühnen Laufbahn – in diesem Schwelgen in Eitelkeit und Vergnügen; ich sah es gerne, wenn sie sich der Zerstreuung und dem Luxus dieser verdorbenen Stadt überließ. Denn wisse, Kalenus, ich wünschte ihren Geist zu entnerven; er war zu rein geblieben, um den Hauch anzunehmen, der den krystallenen Spiegel nicht bloß berühren, sondern durch's Feuer hinein geätzt werden sollte. Ich wünschte sie von hohlen und lüsternen Liebhabern, die ihre Natur verachten mußte, umschwärmt zu sehen, um ihr das Bedürfnis der Liebe fühlbar zu machen. In jenen ruhigen Augenblicken der Leere, die auf die Aufregung folgen, kann ich meine Zaubernetze weben, ihre Theilnahme erregen, ihre Leidenschaft auf mich ziehen und mich ihres Herzens bemächtigen; denn nicht der Junge, der Schöne, der Muntere allein ist es, der Ione zu fesseln vermöchte; man muß sich ihrer Einbildungskraft bemeistern, und das ganze Leben des Arbaces war ja nur ein Triumph über die Einbildungskraft seiner Mitmenschen.«

»Fürchtest Du denn Deine Nebenbuhler gar nicht? Die Liebhaber in Italien sind in der Kunst, zu gefallen, sehr erfahren.«

»Durchaus nicht! Ihre griechische Seele verachtet die barbarischen Römer und würde sich selbst verachten, wenn sie nur einen Gedanken von Liebe zu Einem aus diesem Geschlechte zuließe.«

»Aber Du bist ein Egypter und kein Grieche!«

»Egypten,« erwiderte Arbaces, »ist Athens Mutter; Minverva, Athens Schützerin, ist auch unsere Göttin, und sein Gründer, Cekrops, war ein Flüchtling aus dem egyptischen Sais. Dies habe ich Ihnen bereits mitgetheilt, und sie verehrt in meinem Blute die älteste Dynastie der Erde. Indessen gestehe ich doch, daß seit einiger Zeit ein beunruhigender Verdacht in meiner Seele aufgetaucht ist. Sie ist verschlossener als gewöhnlich, liebt traurige und schmachtende Musik, und seufzt ohne irgend einen äußeren Grund. Dies kann entweder der Beweis von einer entstehenden Liebe oder von dem Bedürfnisse nach Liebe sein. In beiden Fällen ist es für mich Zeit, meine Operationen auf ihre Einbildungskraft und auf ihr Herz zu beginnen; im ersten Falle, um die Quelle der Liebe auf mich zu lenken, in dem zweiten, um sie zu erwecken, und deshalb habe ich Dich aufgesucht.«

»Und in wie fern kann ich Dir beistehen?«

»Ich bin im Begriff, sie zu einem Feste in meinem Hause einzuladen. Ich wünsche ihre Sinne zu blenden, aufzuregen und zu entflammen. Unsere Künste – die Künste, durch die Egypten seine Novizen bildete, müssen angewendet werden, und unter dem Schleier der Mysterien der Religion will ich ihr die Geheimnisse der Liebe enthüllen.«

»Ach! jetzt verstehe ich. Eines jener üppigen Bankette, an denen wir Isispriester, trotz unserer abgeschmackten Gelübde strengster Enthaltsamkeit, in Deiner Wohnung schon Antheil nahmen.«

»Nein, nein! Denkst Du, ihre keuschen Blicke seien für solche Scenen reif? Nein ... doch, wir müssen mit der Verführung des Bruders beginnen ... Eine leichtere Aufgabe! Vernehme denn meine Anweisungen.«


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