Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Siebentes Kapitel.

Der weitere Verlauf der Verheerung.

Die Wolke, welche eine so tiefe Finsternis über die Stadt verbreitete, hatte sich jetzt in eine undringliche Masse verwandelt. Es war nicht das rabenschwarze Dunkel einer sternlosen Nacht, sondern die dichte Finsternis eines engen, des Lichts entbehrenden Zimmers.Plinius. Je dunkler es wurde, desto schrecklicher leuchteten die Blitze rings um den Vesuv. Ihre schauerliche Schönheit war übrigens nicht auf die gewöhnliche Farbe des Feuers beschränkt, sondern spielte in all den zaubervollen Nüancen des Regenbogens. Bald leuchteten sie glänzend blau, wie das tiefste Azur des südlichen Himmels, bald schossen sie blaßgrün, wie eine ungeheure Schlange durch die Lüfte; jetzt war es wieder ein trübes Roth, das aus den Rauchwolken hervorbrach und einen blutigen Schein über die Stadt ausgoß – dann aber plötzlich, wie der Geist ihres eigenen Lebens, in einer Todtenblässe erstarb.

In den Pausen zwischen dem Aschenregen hörte man ein unterirdisches Rollen, so wie das Toben der aufgeregten Wellen; etwas leiser und nur dem Ohre der Furcht vernehmlich war das Zischen der durch die Spalten des Vulkans entweichenden Gasarten. Manchmal schien die Wolke ihre feste Masse zu zertheilen und bei dem Scheine des Blitzes höchst drollige und wunderbare Menschen- und Thiergestalten anzunehmen, die gegeneinander losstürzten und dann schnell wieder in einem wirren Nebel verschwanden, so daß die Phantasie den Augen der erschrockenen Flüchtlinge grimmige Riesengestalten, gleichsam als die Werkzeuge des Schreckens und des Todes, vorspiegelte.Dio Cassius.

An manchen Stellen lag die Asche bereits knietief, und die heißen Regengüsse, welche der dampfende Athem des Vulkans nach allen Seiten hinsendete, drangen in die Häuser und verbreiteten einen scharfen, erstickenden Dunst. An mehren Orten hatten ungeheure, auf die Dächer der Häuser geschleuderte Felsenstücke durch ihre zerstörende Gewalt die Straßen mit Schutt angefüllt, der mit jeder Stunde zunahm und den Weg ganz versperrte; ferner wurde das Erdbeben immer stärker, jeder Schritt, den man thun wollte, war unsicher und weder ein Wagen, noch eine Sänfte konnte selbst auf dem ebensten Grunde im Gleichgewicht erhalten werden.

Hie und da zerbrachen die größeren Steine, wenn sie beim Niederfallen aneinander stießen, in zahllose Stücke, welche Funken umhersprühten, die alles Brennbare in ihrem Bereiche ergriffen. Auf einmal wich die Finsternis über dem Weichbilde der Stadt einer furchtbaren Helle; denn mehre Häuser und sogar Weinberge waren in Flammen gerathen, und zu verschiedenen Malen stieg ein wildes Feuer zu dem finstern, schwarzen Himmel auf. Um das Dunkel noch mehr zu überwältigen, hatten die Bürger da und dort, besonders an öffentlichen Plätzen, wie in den Säulengängen der Tempel und auf dem Forum, Reihen von Fackeln aufgesteckt, welche aber selten lang fortbrannten, indem der Wind und die Regengüsse sie auslöschten. Die plötzliche Finsternis, welche sodann auf das Erlöschen derselben folgte, hatte einen ganz eigenthümlich schauervollen Charakter, da sie dem Menschen die Unzulänglichkeit seiner Kräfte erst recht fühlbar machte.

Häufig begegneten bei dem momentanen Scheine dieser Fackeln große Schaare von Flüchtlingen einander, indem die einen nach dem Meere eilten, die andern von der See wieder nach dem Lande flohen; denn das Wasser hatte sich plötzlich von dem Ufer zurückgezogen; der Ocean war in dichteste Nacht eingehüllt und auf seinen tobenden und brausenden Wogen konnte man gegen den Aschen- und Steinregen nicht den Schutz finden, welchen die Straßen und Häuser auf dem Lande gewährten. Mit dem wilden, geisterhaften Ausdrucke der äußersten Angst und Verzweiflung begegneten diese Gruppen einander, aber ohne zu sprechen und ohne sich gegenseitig Raths zu erholen; denn die Regen- und Aschengüsse fielen jetzt häufiger, obwohl nicht anhaltend, erstickten die Lichter, welche einer jeden Gruppe die todtenähnlichen Gesichter der andern zeigte, während alle zusammen eine Zuflucht unter den nächsten Dächern suchten. Die Elemente des geselligen Zustandes waren völlig aufgelöst. Manchmal sah man einen Dieb an den höchsten obrigkeitlichen Personen, mit seiner Beute beladen, ängstlich vorübereilen. Wenn in der Finsternis die Gattin von dem Gatten oder die Mutter von dem Kinde getrennt wurde, so mußte man die Hoffnung auf Wiedervereinigung schwinden lassen. Kurz, es war eine blinde, verworrene Flucht. Von der künstlichen Maschine des gesellschaftlichen Lebens war jetzt nur noch das Triebwerk der Selbsterhaltung geblieben!

Mitten unter diesen Scenen des Schreckens bewerkstelligte auch der Athener, von Ione und dem blinden Mädchen begleitet, seine Flucht. Plötzlich begegnete ihnen eine, mehre hundert Personen starke, Gruppe, welche der See zueilte. Nydia ward von der Seite des Glaukus, der, nebst Ione, in das Gedränge hineingerieth, mit fortgerissen; und als der Schwarm (aus dem sich keine einzelne Gestalten unterscheiden ließen, so dicht war die Finsternis) vorübergezogen war, hatte Nydia ihre beiden Gefährten noch nicht wieder finden können. Glaukus rief ihren Namen. Keine Antwort. Sie kehrten zurück, vergebens; keine Spur von ihr ließ sich entdecken, denn ohne allen Zweifel hatte der Menschenstrom sie nach einer entgegengesetzten Richtung mit fortgerissen. Sie hatten in ihr eine Freundin, eine Beschützerin verloren; denn bis jetzt war Nydia ihre Führerin gewesen. Gerade vermöge ihrer Blindheit vermochte sie am leichtesten sich zurecht zu finden. Denn da sie von jeher die Straßen und Pfade der Stadt immer nur im Dunkel hatte gehen müssen, so konnte sie jetzt den Athener am sichersten zum Meeresufer leiten, wohin er seine Flucht zu nehmen beschlossen hatte. Welchen Weg sollt er nun einschlagen? Nirgends ein Licht, das ihm die Richtung gezeigt hätte! In der Verzweiflung eilte er indes mit Ione auf gerathewohl weiter, während sie von dem Aschenregen fortwährend überschüttet wurden, und zerbröckelte Steine vor ihren Füßen niederstürzten.

»Ach! ach!« jammerte Ione, »ich kann nicht weiter; meine Kniee brechen mir in der heißen Asche zusammen. Fliehe, theuerster Geliebter! Fliehe! und überlaß mich meinem Schicksale!«

»Muth, meine Braut! Der Tod mit Dir ist süßer, als das Leben ohne Dich! Doch wohin, wohin sollen wir uns wenden in dieser Finsternis? Ich glaube fast, wir haben nur einen Kreis beschrieben und sind jetzt gerade wieder an der Stelle, die wir vor einer Stunde verlassen.«

»O Götter! jenes Felsenstück hat das Dach neben uns zu Boden gerissen. Hier in den Straßen werden wir den Tod finden!«

»Gesegneter Blitz! Sieh, Ione, sieh! der Porticus des Tempels der Fortuna, steht gerade vor uns. Er wird uns gegen den Aschenregen schützen.«

Glaukus nahm seine Geliebte in die Arme und erreichte nicht ohne große Schwierigkeit und Anstrengung den Tempel. Er trug Ione in den sichersten Theil der Säulenhalle und beugte sich über sie her, um mit seinem eigenen Körper die Geliebte gegen den Aschenregen und den Blitz zu schützen. Die Schönheit und Selbstverläugnung der Liebe konnte also selbst die Stunde des Unglücks und Verderben heiligen.

»Wer ist hier?« fragte die zitternde und hohle Stimme eines Mannes, der noch vor ihnen diesen Zufluchtsort ausgesucht hatte. »Doch was liegt daran? Unter den Ruinen der Welt gibt es weder Freunde noch Feinde.«

Ione wandte sich bei dem Klang dieser Stimme um, schmiegte aber sich mit einem schwachen Schrei an die Brust des Glaukus, welcher, nach der Richtung, von der die Stimme herkam, blickend, sogleich die Ursache ihres Schreckens erkannte. Durch die Finsternis leuchteten zwei glühende Augen, ein Blitzstrahl erhellte den Tempel und Glaukus bemerkte mit Schaudern gerade unter den Pfeilern liegend den Löwen, welchem er hätte vorgeworfen werden sollen und dicht daneben lag, ohne seinen gefährlichen Nachbarn zu kennen, die riesige Gestalt des Gladiators Niger.

Bei dem hellen Blitze hatten das Thier und der Gladiator einander gesehen; doch war der Instinkt Beider ganz verändert. Der Löwe näherte sich dem Niger, wie einem alten Bekannten, und der Gladiator wich vor dem wilden Thiere nicht zurück. Die Revolution der Natur hatte nicht nur ihre gewohnten Bande aufgelöst, sondern es kamen auch ihre geringeren Schrecknisse gar nicht mehr in Betracht.

Indem sich die Flüchtlinge unter der Tempelhalle eines so furchtbaren Beschützers zu erfreuen hatten, zog eine Gruppe von Männern und Weibern, welche Fackeln trugen, an ihnen vorüber. Sie gehörten zur Sekte der Nazarener und eine erhabene, überirdische Begeisterung hatte ihnen jede Empfänglichkeit für die Furcht benommen. Sie waren dem Irrthum der ersten Christen zufolge schon längst der Meinung gewesen, daß der jüngste Tag bevorstehe, und jetzt glaubten sie fest, dieser Tag sei gekommen.

»Wehe! wehe!« rief mit lauter, durchdringender Stimme der Aelteste, welcher den Zug führte. »Sehet, der Herr steigt zum Gerichte hernieder! Er läßt Feuer vom Himmel fallen vor den Augen der Menschen! Wehe! wehe! ihr Starken und Mächtigen! Wehe euch, mit den Fasces und dem Purpurkleide! Wehe den Götzendienern und den Anbetern des Thieres! Wehe denen, die das Blut der Heiligen vergießen und über die Todesqualen des Sohnes Gottes frohlocken! Wehe der Hure des Meeres! Wehe! wehe!«

Unter den Schrecknissen der Natur stimmte jetzt der volle Chor in die letzten Worte ein: »Wehe der Hure des Meeres! Wehe! wehe!« Die Nazarener schritten langsam vorbei. Noch lange sah man den Glanz ihrer Fackeln und hörte ihre feierliche Warnung und Drohung, bis sie endlich in den Wendungen der Strafen verschwanden, worauf wieder Finsternis und Todesstille sich über die Scene verbreitete.

Jetzt ließ der Aschenregen etwas nach und Glaukus ermuthigte Ione zum Weitergehen. Während sie noch zaudernd auf der untersten Stufe des Portikus standen, wankte ein alter Mann, mit einem Beutel in der rechten Hand, und auf einen Jüngling sich stützend, vorbei. Der Jüngling trug eine Fackel. Glaukus erkannte die beiden als Vater und Sohn: der Vater war ein Geizhals und der Sohn ein Verschwender.

»Vater,« sagte der Jüngling, »wenn Du nicht schneller gehen kannst, so muß ich Dich zurücklassen, oder wir kommen Beide um!«

»Fliehe, Junge, fliehe, und verlasse Deinen Vater!«

»Aber ich kann nicht fliehen, um zu verhungern; gib mir Deinen Beutel voll Gold!« und der Jüngling streckte die Hand darnach aus.

»Elender! willst Du Deinen Vater berauben?«

»Nun, wer kann in dieser Stunde mich anklagen? Stirb, Du Geizhals!«

Der Sohn streckte den greisen Vater zu Boden, riß ihm den Beutel aus der Hand und eilte mit einem gellenden Schrei davon.

»O Götter!« rief Glaukus; »seid ihr denn auch blind in dieser Finsternis? Solche Frevelthaten werden den Schuldlosen mit dem Schuldigen ins Verderben stürzen. Auf, Ione, wir wollen weiter!«


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