Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Achtes Kapitel.

Ein klassisches Leichenbegängnis.

Während Arbaces in dieser Weise sich rührte, waren Kummer und Tod in dem Hause Ione's. Es war die Nacht vor dem Morgen, an welchem die irdische Hülle des ermordeten Apäcides begraben werden sollte. Der Leichnam war aus dem Isistempel nach dem Hause seiner nächsten Verwandten gebracht worden und Ione hatte in demselben Augenblicke den Tod ihres Bruders und die Anklage gegen ihren Verlobten erfahren. Der erste heftige Schmerz, der das Bewußtsein gegen alles Andere abgestumpft, sowie das schonende Schweigen ihrer Sklavinnen, hatte sie verhindert, etwas Genaues über die Lage ihres Geliebten zu erfahren. Seine Krankheit, seine Raserei und sein bevorstehender Prozeß waren ihr unbekannt. Sie hörte bloß von der Anklage gegen ihn, verwarf aber sofort mit Entrüstung jeden Glauben an dieselbe, und als sie erfuhr, daß Arbaces der Ankläger sei, da bedurfte es keines weiteren Grundes mehr, um sie zu dem festen und entschiedenen Glauben zu bestimmen, daß der Egypter selbst der Verbrecher sei. Aber die große und allgegenwärtige Wichtigkeit, mit der die Alten jede auf den Tod eines Verwandten bezügliche Ceremonie behandelten, hatte bis daher ihren Gram und ihre Überzeugung auf das Zimmer, in welchem der Tode ruhte, beschränkt. Ach, es war ihr nicht vergönnt gewesen, jene zärtliche und rührende Pflicht zu erfüllen, die den nächsten Verwandten gebot, den letzten Athem, die scheidende Seele des Geliebten aufzufassen; aber sie durfte wenigstens die starren Augen, die verzerrten Lippen schließen, bei der heiligen Hülle wachen, wie sie so frisch gebadet und gesalbt in festlichen Kleidern auf dem elfenbeinernen Bette lag; das Lager mit Blättern und Blumen bestreuen und den geweihten Cypressenzweig an den Thürpfosten erneuern. In diesem traurigen Dienste nun, unter Wehklagen und Gebet, vergaß Ione sich selbst. Einer der lieblichsten Bräuche der Alten war, die jungen Leute in der Morgendämmerung zu begraben; denn wie sie überhaupt dem Tode die mildeste Deutung zu geben bemüht waren, so dachte sich ihr poetischer Sinn, Aurora, welche die Jugend liebe, habe jene gestohlen, um sie in ihre Arme zu schließen, und obschon diese Fabel sich auf den ermordeten Priester nicht anwenden ließ, so wurde doch die allgemeine Sitte beibehalten.Dies war eigentlich eher eine griechische als römische Sitte; der Leser wird jedoch in Erwägung ziehen, daß in den Städten Großgriechenlands griechischer Brauch und Aberglaube mit dem römischen gewaltig vermischt war.

Die Sterne verbleichten einer nach dem andern am Grauen Himmel und langsam wich die Nacht vor dem annähernden Morgen zurück, als eine dunkle Gruppe vor Ione's Thür stand. Hohe und dünne Fackeln, durch die unreife Morgendämmerung noch blässer gemacht, warfen ihr Licht auf verschiedene Gesichter, die in ihrer tiefsten Stille für den Augenblick einen Ausdruck feierlichen Ernstes an sich trugen. Bald erhob sich eine langsame und wehmüthige Musik, die zu der düstern Feierlichkeit paßte und durch die verschlossenen und geräuschlosen Straßen hinschwebte, während ein Chor von weiblichen Stimmen (die von den römischen Dichtern so oft erwähnten Praeficae, begleitet von der Tibia und der mystischen Flöte, folgendes Lied sangen:

Tritt über deines Hauses Trauerschwelle,
Wo statt der Rose die Cypresse winkt;
Du bist ein Wandrer nach Cocytus Quelle
In die die Oberwelt vor dir versinkt!
Wir laden dich mit Thränen und mit Klagen,
Es geht zum Schmause, wo der Tod kredenzt;
Des Charons Kahn wird dich hinübertragen,
Das Haus der Nacht ist schon für dich bekränzt.
Dort werden alle Freuden dir verschwinden,
Der Glanz des Tages und der Nächte Last;
Dafür wirst du die Töchter Argos finden,
Dafür den Geier an Prometheus Brust;
Seryon mit dem Haupt, dem dreigestalten,
Den falschen Aeoliden, der den Stein,
Den Berg hinaufwälzt, der ihn nie will halten,
Und Tantalus in seiner heißen Pein –
Sie wirst du sehen bei dem trüben Lichte,
Das Pluto's Strand in matte Dämmrung hüllt
Du stehst am Kahn mit bleichem Angesichte,
Er wartet nur, daß wir die Pflicht erfüllt!Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, daß dem Glauben der Alten zufolge der Schatten erst nach der Leichenfeierlichkeit übe den Styx geschifft wurde.
So komm denn, zögre nicht, der Schatten weilet,
Ein Unbegrabner vor dem letzten Haus;
Die Fackel dunkelt und der Morgen eilet,
Komm, Klagende, der Todte strebt hinaus!

Als die letzten Töne der Hymne verhallten, theilte sich die Gruppe in zwei Reihen und die Leiche des Apäcides wurde auf einem Ruhebette mit einer purpurnen Decke, die Füße voran, herausgebracht. Der Designator oder Marschall der düstern Ceremonie, gefolgt von seinen schwarzgekleideten Fackelträgern gab das Zeichen und langsam bewegte sich der Zug vorwärts.

Zuerst kamen die Musikanten, einen langsamen Marsch spielend, in welchem der feierliche Ton der sanften Instrumente oft durch ein lautes und wildes Schmettern der Leichentrompete unterbrochen wurde, dann die gemietheten Klagefrauen, Grablieder auf den Verstorbenen singend, und in die weiblichen Stimmen mischten sich die von Knaben, deren zarte Jahre den Gegensatz zwischen Leben und Tod, zwischen dem stoischen Laub und dem verwelkten noch schärfer hervorhoben. Die Schauspieler jedoch, die Possenreißer, der Archimimus (dem es oblag, die Rolle des Verstorbenen zu spielen), die die gewöhnlichsten Leichen regelmäßig erschienen, waren von einer Begräbnisfeier ausgeschlossen, an die sich so schauderhafte Erinnerungen knüpften.

Sodann kamen die Priester der Isis in ihren weißen Gewändern, baarfuß und Kornbüschel in den Händen; während vor der Leiche die Bilder des Verstorbenen und seiner zahlreichen athenischen Vorfahren getragen wurden. Hinter der Bahre aber folgte, umgeben von ihren Sklavinnen, die einzige noch lebende Verwandte des Verstorbenen: das Haupt bloß, die Haare fliegend, das Gesicht blässer als Marmor, aber gefaßt und still, außer daß sie dann und wann, wenn, erweckt durch die Musik, irgend ein zärtlicher Gedanke über den dunkeln Schlaf des Kummers hinzuckte, das Gesicht mit ihren Händen bedeckte und ungesehen schluchzte; denn nicht ihre Sache war der laute Kummer, die kreischende Klage, die unbeherrschte Geberde – die unterscheidenden Merkmale Derer, deren Trauer weniger aufrichtig war. Damals wie zu allen Zeiten floß der Strom des tiefen Kummers leis und still.

So bewegte sich der Zug vorwärts, bis er die Straßen durchzogen, das Stadtthor passirt und außerhalb der Mauern den Platz der Gräber erreicht hatte, den der Wanderer noch jetzt sieht.

Aus rauhem Fichtenholz, in dessen Zwischenräumen brennbare Materialien vorsorglich gelegt worden waren, hatte man den Scheiterhaufen errichtet, der sich in Form eines Altares erhob, und rings herum schwankten die schwarzen, düstern Cypressen, welche die Poesie seit langen Zeiten dem Grabe geweiht hat.

Sobald die Bahre auf den Scheiterhaufen gestellt war, machte das Leichengefolg auf beiden Seiten Platz, und Ione schritt zum Todtenbett hinan. Regungslos und still blieb sie einige Augenblicke vor der entseelten Hülle stehen. Die Züge des Todten hatten den ersten krampfhaften Ausdruck des gewaltigen Todes verloren. Zum ewigen Schweigen gebracht waren Schrecken und Zweifel, der Kampf der Leidenschaften, die heilige Scheu der Religion, der Streit der Vergangenheit mit der Gegenwart, die Hoffnungen und Befürchtungen der Zukunft. Von Allem, was die Brust dieses jungen Ringers nach dem Heiligsten des Lebens gepeinigt und verheert hatte – welche Spur war in der ernsten Heiterkeit dieser unerforschlichen Stirne und athemlosen Lippe noch sichtbar? Die Schwester schaute ihn an und kein Laut war hörbar unter der Menge; es lag etwas Schreckliches und doch zugleich Sänftigendes in dem Stillschweigen; als es aber gebrochen wurde, geschah dies plötzlich und schnell – mit einem lauten und leidenschaftlichen Schrei – dem Ausbruch lange zurückgehaltener Verzweiflung.

»Mein Bruder, mein Bruder!« rief die arme Waise, sich auf das Ruhebett hinwerfend; »Du, den der Wurm auf Deinem Pfade nicht fürchtete – welchen Feind konntest Du reizen? Oh, es ist wirklich dahin gekommen? Erwache, erwache; wir wuchsen zusammen auf! Sollen wir so auseinander gerissen werden? Du bist nicht todt – Du schläfst nur. Erwache, erwache!«

Der Ton ihrer durchdringenden Stimme erweckte das Mitgefühl der Leidtragenden und sie brachten in lautes und wildes Wehklagen aus. Dies schreckte Ione auf und rief sie in das Reich der Wirklichkeit zurück; hastig und verwirrt schaute sie auf, als gewahrte sie jetzt zum erstenmal die Anwesenheit ihrer Umgebung.

»Ach,« flüsterte sie schaudernd, »wir sind also nicht allein!«

Hiemit erhob sie sich nach einer kurzen Pause, und ihr blasses und schönes Antlitz war wieder ruhig und starr. Mit sanften und zitternden Händen lüftete sie die Augenlieder des VerstorbenenPlin. II. 37. ; als aber das dunkle gläserne Auge, hinfort nicht mehr von Liebe und Leben strahlend, dem ihrigen begegnete, da schrie sie auf, als ob sie ein Gespenst gesehen hätte. Doch von Neuem sich fassend, küßte sie wieder und wieder die Augenlieder, die Lippen und die Stirne, und nahm mechanisch und bewußtlos aus der Hand des Oberpriesters der Isis die Leichenfackel.

Der plötzliche Ausbruch der Musik, das sofort ertönende Lied der Leidtragenden, verkündeten die Geburt der heiligenden Flamme.

1.

Aus den Wolken, die dein Lager sind,
Stehe auf, o sanfter heil'ger Wind!
Sanft und heilig wollen wir dich nennen,
Ob wir auch dein Heimathland nicht kennen.
Jagest du mit Eurus wild davon,
Oder seist du Auster's düstrer Sohn,
Oder dessen, dem der Norden bebt,
Wenn er seinen Donnersturm erhebt;
Bist du uns so lieb, o heil'ger Wind,
Wie noch je des Wesens zartes Kind,
Schlich es durch des Zwielichts milden Thau,
Zu der Nymphe auf die feuchte Au.

2.

Sieh uns unsre Silberschalen schwingen,
Unsre Huldigung dir darbringen;
Nie noch strömten über Tempe's Felder,
Nie noch über Cyperns Cedernwälder.
Oder über Rhodus blaues Meer,
Deiner würdigere Düfte her.
Rings aus unserem heiligen Geschirre
Dampfen Narde, Cassia und Myrrhe
Ihre Wohlgerüche zu dir auf,
Zu umwogen deinen Silberlauf!

3.

Ew'ge Quelle aller Lebensfülle,
Luft, zu dir erhebet sich der Blick,
Nimm, o nimm aus dieser stummen Hülle,
Was du einst gesäet nun zurück!
Lodre denn, o heilge Flamme lodre!
Wache auf, o wilder Wind!
Sieh, es ist dein Eigenthum, o fordre,
Forde es zurück dein Kind!

4.

Horch er kommt schon! horch, er kommt und brauset,
Den wir vorgerufen, schon heran!
Und er stürmet und er drückt und sauset,
Und die Flamme lodert himmelan!
Wie sich unterm Schlage seiner Schwingen
Schnell die Elemente wild verschlingen!
Wie es wirbelt, wie es zischt und sprüht!
Wie die Flammenschlange glüht!
Steige hohe,
Heil'ge Lohe!
Schlage deine ries'gen Glieder
Um des Windes Sturmgefieder!
Und es nehmen von des Todes Thron
Nun die Elemente ihren Sohn!

5.

Laßt die Schalen weitre Kreise schwingen,
Laßt Die Saiten sanfter, weicher klingen!
Sieh! Die Hand der Flamme rettet dich!
Von der Erde, die gekettet dich,
Von der Menschheit eisernem Verhängnis,
Aus des Körpers finsterem Gefängnis
Schwingt empor die freie Seele sich!

Wie der Wind in ungehemmtem Zuge
Rastlos durch die freien Lüfte zieht,
Eilt die Seele nun in freiem Fluge
Durch des Raumes grenzenlos Gebiet.
Darum freue dich, in stiller Ruh
Führt Dich Charons Kahn der Freiheit zu.
Wo dich die, so dir vorangegangen,
Wo dir fern vom düsteren Kocyt
Der Genuß des Wiedersehens blüht.
Du bist nicht mehr Sklave dieser Erden,
Seele, du bist frei – doch werden wir,
Werden wir auch bald befreiet werden,
Um zu ruhn auf ewig dann bei dir?

Und hoch und weit erhob sich jetzt in den dämmernden Himmel das duftende Feuer; leuchtend schlug es durch die dunklen Cypressen, flog über die dichten Mauern der Stadt empor, und der früh beschäftigte Fischer sah mit Schrecken, wie die Flamme die Wogen der gleitenden See röthete.

Aber Ione saß entfernt und allein und sah, das Gesicht auf ihre Hände gestützt, die Flamme nicht, hörte weder das Wehklagen noch die Musik. Sie empfand nur das Gefühl der Einsamkeit – sie war noch nicht zu jener trostreichen und beseligenden Stimmung gelangt, in der wir wissen, daß wir nicht einsam, daß die Todten bei uns sind!

Der Wind kam den im Scheiterhaufen angebrachten brennbaren Materialien schnell zu Hülfe. Allmählig schwankte die Flamme, ward niederer und trüber und starb nach und nach, nachdem sie noch einigemale flüchtig aufgelodert, dahin – ein Bild des Lebens selbst! Wo gerade zuvor noch Flamme und Regung, da lag jetzt die dumpfe rauchende Asche.

Die letzten Funken wurden durch die Sklaven gelöscht, die Asche aber gesammelt. Mit den seltensten Weinen und den köstlichsten, wohlriechenden Flüssigkeiten getränkt, wurden die Überreste in eine silberne Urne gelegt, die man feierlich in einem der benachbarten Grabmale an der Straße aufstellte, nachdem man auch das Fläschchen voll Thränen und die kleine Münze hineingelegt hatte, welche die Poesie noch immer dem finstern Fährmann bestimmte. Das Grab aber wurde mit Blumen und Kränzen bedeckt, Weihrauch auf dem Altar angezündet und rings umher eine Schaar von Lampen aufgehängt.

Als jedoch am folgenden Tage der Priester mit frischen Gaben auf das Grab zurückkehrte, da fand er, daß den Geschenken des heidnischen Glaubens unbekannte Hände einen grünen Palmenzweig hinzugefügt hatten. Er ließ ihn liegen, indem er nicht wußte, daß dies das Begräbniszeichen der Christen war.

Nachdem die eben erwähnten Ceremonien vorüber waren, besprengte eine der Praeficæ die Leidtragenden mit dem reinigenden Lorbeerzweig, indem sie das letzte Wort ausrief: »ilicet!« (du darfst gehen) und die Feier war zu Ende.

Doch hielten sie noch einmal an, weinend und oft das rührende Lebewohl »salve eternum! aussprechend. Und als Ione noch immer auf der Stätte verweilte, erhoben sie das Abschiedslied:

Salve eternum

1.

Lebe wohl, entschwebter Geist!
Lebe wohl, was wir verbrennen!
Schmerzergriffen und verwaist
Müssen wir von dir uns trennen!
Dich hat nach dem dunkeln Strand
Das Geschick vorausgesandt;
Doch die raschen Horen tragen
Uns dir nach in kurzen Tagen!
Salve – salve!
Heil'ge Urne, theurer Staub,
Lebe wohl, des Todes Raub!
Salve – salve!

2.

Ilicet – ire licet!
Ach, umsonst entschwebst du uns;
Denn im Herzen lebst du uns!
Und auf jedem unsrer Schritte
Bist du stets in unsrer Mitte.
Und umsonst hat uns gefeuchtet
Unsre reinigende Flut,
Und umsonst hat uns geleuchtet
Unsrer Läuterungsfackel Glut.
Denn kein Zauber ist im Stand,
Daß er dein Gedächtnis bannt.
Deine Leichenfeier ist der Schmerz,
Und der Trauerpriester unser Herz.
Salve – salve!

3.

Ilicet – ire licet!
Leergebrannt ist nun der Herd,
Und die Flamme ist entschwunden;
Und dein Körper ist verzehrt,
Und dein Geist im Hades unten.
Unser Schmerz wird dich erheben,
Fühlest du der Schatten Noth;
Ist die Liebe kurz im Leben
Dauert ewig sie im Tod.
Salve – salve!
Eine Stunde blüht die Rose
In des Festes heitrem Schooße;
Die Cypresse grünt fort
An des Grabes düstrem Ort!
Salve – salve!


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