Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Zweites Kapitel.

Die Mittagsfahrt auf dem kampanischen Meer.

»Aber erzähle mir Glaukus,« sagte Ione, als sie in ihrem Lustboote den kräuselnden Corpus hinabfuhren, »wie kamst Du mit Apäcides zu meiner Befreiung von jenem schändlichen Manne herbei?«

»Frage die Nydia dort,« antwortete der Athener, auf das blinde Mädchen deutend, das in einiger Entfernung von ihnen, nachdenkend auf seine Lyra gelehnt, saß. »Ihr mußt Du danken, nicht uns. Sie scheint in mein Haus gekommen zu sein, und da sie mich dort nicht traf, Deinen Bruder in seinem Tempel aufgesucht zu haben; er begleitete sie zu Arbaces; unterwegs trafen sei mich in einer Gesellschaft von Freunden, denen ich mich in der heitern Stimmung über Deinen freundlichen Brief angeschlossen hatte. Nydia's scharfes Ohr erkannte meine Stimme – wenige Worte genügten, mich zum Begleiter des Apäcides zu machen; meinen Gefährten übrigens sage ich nicht, warum ich sie verließ – konnte ich ihren leichten Zunge und ihrer Indiscretion Deinen Namen anvertrauen? Nydia führte uns an die Gartenthüre, durch welche wir Dich nachher trugen; wir traten ein und wollten uns eben in die Geheimnisse jenes argen Hauses stürzen, als wir Dein Geschrei in einer andern Richtung vernahmen. Das Übrige weißt Du.«

Ione erröthete tief; dann erhob sie ihre Augen zu Glaukus und in ihnen las er all den Dank, den sie nicht auszusprechen vermochte.

»Komm hierher, meine Nydia,« sprach Ione zärtlich zu der Thessalierin. »Sagte ich Dir nicht, Du sollest meine Schwester und Freundin sein? Bist Du nicht schon mehr gewesen – meine Beschützerin, meine Erretterin?«

»Das ist unbedeutend,« antwortete Nydia kalt, ohne aufzusehen.

»Ah, ich vergaß,« fuhr Ione fort, »daß ich zu Dir kommen muß.« Damit schritt sie längs der Schiffsbank hin, bis sie zu der Stelle kam, wo Nydia saß, schlang ihre Arme zärtlich um sie und bedeckte ihre Wangen mit Küssen.

Nydia war an diesem Morgen blässer als gewöhnlich und ihr Gesicht wurde sogar noch bleicher und farbloser, während die schöne Neapolitanerin sie umarmte. »Aber wie kam es denn, Nydia,« flüsterte Ione, »daß Du die Gefahr, der ich ausgesetzt war, so genau erriethest? Kanntest Du den Egypter schon?«

»Ja, ich kannte seine Laster.«

»Und woher?«

»Edle Ione, ich war eine Sklavin der Lasterhaften – die, denen ich diente, waren seine Gehülfen.«

»Du hast wohl sein Haus schon betreten, da Du jenen geheimen Eingang so genau kanntest?«

»Ich habe dem Arbaces auf meiner Leier gespielt,« erwiderte Nydia verlegen.

»Und Du bist der Gefahr entgangen, aus der Du Ione gerettet hast?« entgegnete die Neapolitanerin in einer Stimme, die für das Ohr des Glaukus zu leis war.

»Edle Ione, wir stehen weder Schönheit noch Rang zur Seite; ich bin ein Kind, eine Sklavin und blind; die Verachteten sind immer sicher.«

Nydia gab diese demüthige Antwort in einem schmerzlichen, stolzen und entrüsteten Tone, und Ione fühlte, daß sie durch längeres Besprechen dieses Gegenstandes das arme Kind nur verwunden würde. Sie blieb deshalb still und die Barke schwamm jetzt in die See hinaus.

»Gestehe, daß ich Recht hatte,« sprach Glaukus, »als ich Dich bestimmte, diesen schönen Mittag nicht in Deinem Zimmer zuzubringen – gestehe, daß ich Recht hatte.«

»Du hattest Recht, Glaukus,« fiel Nydia schnell ein.

»Das liebe Kind spricht für Dich,« erwiderte der Athener. »Gestatte mir jedoch, mich Dir gegenüber zu setzen, sonst könnte unser leichtes Boot das Gleichgewicht verlieren.«

Mit diesen Worten nahm er seinen Sitz gerade Ione gegenüber und bildete sich, vorwärts lehnend, ein, es sei ihr Athem und nicht der Sommerwind, der die Wohlgerüche über das Meer hinströme.

»Du wolltest mir sagen,« sprach Glaukus, »weshalb mir Deine Thüre so viele Tage verschlossen war.«

»Oh, denke nicht mehr daran!« antwortete Ione schnell; »ich schenkte dem Gehör, was ich jetzt als boshafte Verleumdung erkenne.«

»Und mein Verleumder war der Egypter?«

Ione's Stillschweigen bejahte die Frage.

»Seine Beweggründe liegen klar genug am Tage.«

»Rede nicht mehr von ihm,« bat Ione, ihr Gesicht mit den Händen bedeckend, als ob sie selbst den Gedanken an ihn verbannen wollte.

»Vielleicht ist er jetzt schon an den Ufern des langsamen Styx.« hub Glaukus von Neuem an, »doch hätten wir in diesem Falle wahrscheinlich von seinem Tode gehört. Dein Bruder hat, wie es mir scheint, unter dem schlimmen Einfluß seines finstern Gemüthes gelitten. Als wir gestern Nacht in Deinem Hause ankamen, verließ er mich plötzlich. Wird er sich je herablassen, mein Freund zu sein?«

»Irgend ein geheimer Kummer nagt an ihm,« antwortete Ione unter Tränen. »Könnten wir ihn doch von sich selber abziehen! Laß uns gemeinschaftlich dieses Liebeswerk unternehmen.«

»Er soll mein Bruder sein,« erwiderte der Grieche.

»Wie ruhig,« sagte Ione, indem sie sich aus der düstern Stimmung zu erheben suchte, in welche sie der Gedanke an Apäcides gestürzt, »wie ruhig scheinen die Wolken am Himmel zu schweben und doch sagtest Du mir – denn ich selbst wußte es nicht – die Erde habe gestern Nacht unter unsern Füßen gebebt.«

»Allerdings, und zwar, wie man sagt, heftiger als je seit der großen Erschütterung vor 16 Jahren; das Land, worin wir leben, hegt manchen geheimnisvollen Schrecken, und das Reich Pluto's, das sich unter unseren brennenden Feldern ausbreitet, scheint von unsichtbarem Kampfe gerissen. Fühltest Du gestern Nacht auf der Stelle, wo Du saßest, das Erdbeben nicht, und war es nicht die Furcht, Nydia, die Dich weinen machte?«

»Ich fühlte wie der Boden unter mir schwankte und sich hob, wie eine ungeheure Schlange,« antwortete Nydia, »aber da ich nicht sah, so hatte ich auch keine Furcht und glaubte, die Erschütterung sei ein Zauber des Egypters. Man behauptet, er habe Gewalt über die Elemente.«

»Du bist eine Thessalierin, meine Nydia,« erwiderte Glaukus, »und hast daher ein Nationalrecht, an Magie zu glauben.«

»Magie – wer zweifelt daran?« entgegnete Nydia einfach, »etwa Du?«

»Bis vorige Nacht, in welcher ein nekromantisches Wunder mich allerdings erschreckte, glaubte ich, so viel mir bewußt, an keine andere Magie, als an die der Liebe!« sprach Glaukus mit zitternder Stimme, seine Blicke auf Ione geheftet.

»Ach!« sagte Nydia mit einer Art Schauder und griff mechanisch einige freundliche Töne auf ihrer Leier, deren Ton zu der Ruhe des Wassers und zu der sonnigen Stille des Mittags trefflich paßte.

»Spiele uns, liebe Nydia,« hub Glaukus an, »spiele und gib uns eines Deiner alten thessalischen Lieder, mag es nun von Magie handeln oder nicht, wie Du willst, wenn es nur von Liebe spricht.«

»Von Liebe!« wiederholte Nydia, ihre großen, unstäten Augen aufschlagend, die Alle, welche darein schauten, mit einem gemischten Gefühle des Mitleidens und der Furcht erfüllten. Nie konnte man sich an ihren Anblick gewöhnen; so sonderbar erschien es, daß diese dunklen, wilden Kreise den Tag nicht kennen sollten, und ihr tiefer, geheimnisvoller Blick war entweder so starr, oder ihr Glanz so unruhig und wirr, daß man, wenn man ihnen begegnete, denselben unbestimmten und unheimlichen, halb übernatürlichen Eindruck empfand, den die Gegenwart von Wahnsinnigen in uns hervorruft – von Menschen, die, obwohl ihr äußeres Leben dem unsern gleicht, doch im Innern ein unähnliches, unergründliches und unenträthselbares Leben führen!

»Willst Du, daß ich von Liebe singe?« sagte sie, diese Augen auf Glaukus richtend.

»Ja!« antwortete er und blickte zu Boden.

Sie entfernte sich ein wenig aus dem sie noch immer umfassenden Arme Ione's, als ob diese sanfte Umarmung ihr hinderlich wäre, setzte ihr leichtes und anmuthiges Instrument auf ihr Knie und sang nach einem kurzen Vorspiel folgendes Lied:

Der Wind und der Lichtstrahl liebten die Rose,
Die Rose, sie liebte das Licht;
Wen fesselt der Wind, der haltungslose?
Wer liebt die Sonne nicht?

Wer weiß es, wohin der Wind sich stehle,
Der Wolken willenlos Spiel?
Wer träumt sich in sein Geächz' eine Seele,
Sein Murren ein zartes Gefühl?

O glückliches Licht, wie leicht kannst du malen
Das Feuer, von welchem du glühst,
Das Bild deiner Liebe, es liegt in den Strahlen,
Womit du den Liebling begrüß'st!

Doch wie kann der Wind seine Liebe bezeugen,
Vor dessen Gestöhn man erschrickt?
Laß zu der Geliebten ihn nieder sich beugen:
Sieh, seine Umarmung erstickt.

»Das ist ein trauriges Lied, süßes Mädchen,« sagte Glaukus, »Deine Jugend fühlt bis jetzt bloß den dunkeln Schatten der Liebe; eine ganz andere Begeisterung aber erweckt sie, wenn sie selbst hervorbricht und auf uns leuchtet.«

»Ich singe, wie ich gelehrt wurde,« antwortete Nydia seufzend.

»Dein Lehrer war also unglücklich in der Liebe – versuch' doch ein heitereres Lied. Doch nein, Mädchen, gib mir das Instrument.« Während Nydia gehorchte, streifte ihre Hand die seinige und bei dieser leichten Berührung hob sich ihre Brust, röthete sich ihre Wange. Ione und Glaukus bemerkten, ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, diese Zeichen sonderbarer und frühreifer Regungen nicht, die ein Herz verzehrten, das, durch die Einbildungskraft genährt, der Hoffnung entsagte.

Und jetzt dehnte sich breit, blau und hell vor ihnen, das halcyonische Meer aus, schön wie ich es in diesem Augenblicke, siebzehn Jahrhunderte später, dieselben göttlichen Küsten bespülen sehe. Himmel, der noch jetzt durch einen sanften Zauber wie zur Zeit der Circe, verweichlicht – der uns unbewußt und geheimnisvoll zur Harmonie mit sich selbst umgestaltet, jeden Gedanken an härtere Arbeit, die Stimme des wilden Ehrgeizes, den Kampf und Lärm des Lebens verbannt – der uns mit anmuthigen und überwältigenden Träumen erfüllt und unserer Natur das zum Bedürfnisse macht, was am wenigsten irdisch an ihr ist, so daß die Luft selbst uns die Sehnsucht und den Durst nach Liebe einhaucht. Jeder, der dich besucht, scheint die Erde und ihre bittern Sorgen hinter sich zu lassen – durch das elfenbeinerne Thor in das Land der Träume zu treten! Die jungen und lockenden Horen der Gegenwart – die Horen, jene Kinder des Saturn, welche dieser immer zu verschlingen trachtet, scheinen hier vor ihm gesichert zu sein. Die Vergangenheit wie die Zukunft sind vergessen, wir genießen bloß den Augenblick. Blumen im Garten der Welt, Quelle des Entzückens, Italien von Italien, schönes, mildes Kampanien! – übermüthig fürwahr waren die Titanen, wenn sie an dieser Stelle noch um einen andern Himmel kämpften! Wer sehnte sich nicht, wenn Gott dieses Werktagsleben zu einem beständigen Festtag bestimmt hätte, wer sehnte sich alsdann nicht, hier für immer zu leben – nichts wünschend, nichts hoffend, nichts fürchtend, so lange dein Himmel über ihm schwebt, so lange deine Meere zu seinen Füßen funkeln, so lange dein Luft ihm süße Botschaften von Veilchen und Orangen bringt, und so lange das Herz, mit einer einzigen Empfindung sich begnügend, die Lippen und Augen finden kann, die ihm (Eitelkeit der Eitelkeiten!) mit der Versicherung schmeicheln, die Liebe könne der Abnützung trotzen und ewig sein?

Unter diesem Himmel also und auf diesen Meeren, schaute der Athener in ein Antlitz, das der Nymphe, des Schutzgeistes des Ortes, würdig gewesen wäre. An den wechselnden Rosen dieser zarten Wangen seine Augen weidend, fühlte er sich glücklich über das Maaß des gewöhnlichen Lebensglückes, denn er liebte und wußte, daß er geliebt wurde.

Die Beschreibung menschlicher Leidenschaften aus früheren Zeiten gewinnt gerade durch die Entfernung der Zeiten ein besonderes Interesse. Wir freuen uns, das Band, das die entferntesten Zeiten verknüpft, in uns zu fühlen. Menschen, Völker, Gebräuche vergehen. Die Neigungen sind unsterblich! – Sie sind der sympathische Reif, der alle Generationen umschlingt. Die Vergangenheit lebt wieder auf, wenn wir ihre Gefühle betrachten – sie lebt ins uns selbst! Was war, ist immer. Der Talisman, der die Tödten belebt, den Staub vergessener Gräber neu beseelt, liegt nicht in der Geschicklichkeit des Schriftstellers, sondern im Herzen des Lesers.

Noch immer vergebens die Blicke Ione's suchend, welche halb niedergeschlagen, halb abgewendet die seinigen mieden, drückte der Athener die Gefühle, welche durch beseligendere Gedanken hervorgerufen werden, als diejenigen waren, welche dem Gesange der Nydia die Färbung gegeben, mit sanfter und leiser Stimme folgendermaßen aus:

Die Barke schwebt auf dem glühenden Meer,
Mein Herz auf den Wogen der Liebe daher;
Im Raume verloren, erschrickt es doch nicht,
Denn klar wie dein Aug ist der Fluten Gesicht.
Bald schwellend, bald hohl ist's über den Tiefen,
Dein Lächeln, dein Seufzen bestimmt sein Geschick;
Das Zwillingsgestirn, das die Schiffer sonst riefen,
Der Leitstern, der Gott für das Herz – ist dein Blick.

Die Barke mag sinken, wenn Wolken erstehn,
Was soll sie auch, kann sie den Leitstern nicht sehn?
Dein Lächeln, dein Licht ist ihr Leben und Lust,
Dein Zürnen, dein Dunkeln des Daseins Verlust.
O sänk' sie, so lang sie kann Liebe noch lesen,
Im Auge, das frei vom Gewölke noch ist!
Ich möcht' nicht beweinen, was du mir gewesen,
Möcht streben, so lang ich noch weiß, was du bist.

Als die letzten Worte dieses Liedes über die See hinzitterten, erhob Ione die Augen und begegnete denen ihres Geliebten. Glückliche Nydia! – glücklich in deinem Leben, daß du diesen bezaubernden und entzückenden Blick nicht sehen konntest, der so viel sagte, der das Auge zur Stimme der Seele machte, der die Unmöglichkeit eines Wechsels gelobte.

Obgleich übrigens die Thessalierin diesen Blick nicht bemerken konnte, so errieth sie doch dessen Bedeutung an dem Schweigen der beiden Liebenden, an ihren Seufzern. Sie drückte ihre Hände fast kreuzweise gegen die Brust, als ob sie die bittern und eifersüchtigen Regungen derselben niederdrücken wollte, und beeilte sich sodann, zu sprechen – denn dieses Stillschweigen war ihr unerträglich.

»Im Grunde genommen, o Glaukus,« sprach sie, »liegt nichts besonders Heiteres in Deinem Liede.«

»Und doch wollte ich etwas Heiteres geben, als ich Deine Leier nahm. Hübsches Kind, vielleicht gestattet uns das Glück nicht, fröhlich zu sein.«

»Wie sonderbar,« begann Ione, ein Gespräch ändernd, das sie zugleich beengte und entzückte, »daß seit mehren Tagen jene Wolke bewegungslos über dem Vesuv hängt, oder eigentlich nicht ganz bewegungslos, denn bisweilen wechselt sie ihre Form, und gerade jetzt erscheint sie mir wie ein gewaltiger Riese, der einen Arm über die Stadt ausstreckt; kommt sie Dir auch so vor, oder ist dieses Bild nur das Kind meiner Einbildungskraft?«

»Schöne Ione! Auch ich finde diese Ähnlichkeit, und sie ist wirklich erstaunlich scharf ausgeprägt. Der Riese scheint auf der Spitze des Berges zu sitzen, die verschiedenen Schatten der Wolke stellen ein weißes und flatterndes Kleid um seine gewaltige Brust und seine Glieder vor; mit festem Blicke scheint er auf die Stadt hinabzuschauen, mit einer Hand, wie Du sagtest, auf ihre schimmernden Straßen hinzudeuten, die andere aber – bemerkst Du es nicht? – gegen den Himmel zu erheben. Man möchte sagen, es sei der Geist eines riesenhaften Titanen, der über die schöne Welt brütet, die er verloren; trauernd um die Vergangenheit, zugleich aber auch eine gewisse Drohung für die Zukunft aussprechend.«

»Sollte dieser Berg in einigem Zusammenhang zu dem Erdbeben der vorigen Nacht stehen? Man sagt, vor vielen Jahrhunderten, fast in der frühesten Epoche, deren Andenken uns überliefert wurde, habe er Feuer ausgeworfen, wie noch jetzt der Aetna. Vielleicht lauern und glühen die Flammen immer noch in seiner Tiefe.«

»Das ist möglich!« entgegnete Glaukus nachdenklich.

»Du sagtest, Du glaubest nicht sehr an Magie?« fiel Nydia plötzlich ein. »Ich habe gehört, eine mächtige Hexe wohne inmitten der ausgebrannten Höhlen des Berges, und jene Wolke ist vielleicht der dunkle Schatten des bösen Geistes, mit dem sie verkehrt.«

»Du hast den Kopf voll von phantastischen Ideen Deines Heimathlandes Thessalien,« antwortete Glaukus, »und zeigst eine sonderbare Mischung von Verstand und all dem widerstrebenden Aberglauben.«

»Im Dunkeln sind wir immer abergläubisch,« entgegnete Nydia. »Sage mir,« fügte sie nach einer kleinen Pause hinzu, »sage mir, Glaukus, gleichen Alle, die schön sind, einander? Man sagt, Du seiest schön und Ione ebenfalls. Sind Eure Gesichter also dieselben? Ich glaube nicht, obgleich ich es vielleicht sollte.«

»Füge Ionen kein so schweres Unrecht zu,« antwortete Glaukus lachend, »denn ach, wir gleichen einander nicht einmal in der Weise, in welcher sich der Häßliche und der Schöne bisweilen gleichen. Ione's Haar ist dunkel, das meinige hell; Ione's Augen sind – von welcher Farbe, Ione? Ich kann sie so nicht sehen, wende sie mir zu. Oh, sind sie schwarz? Nein, sie sind zu sanft. Sind sie blau? Nein, sie sind zu tief; sie wechseln mit jedem Strahl der Sonne – ich weiß ihre Farbe nicht – aber die meinigen, süße Nydia, sind grau und glänzen nur, wenn Ione auf sie scheint! Ione's Wange ist ...«

»Ich verstehe auch nicht ein Wort von Deiner Beschreibung,« fiel Nydia verdrießlich ein, »ich begreife bloß, daß Ihr einander nicht gleicht, und bin erfreut darüber.«

»Wie so, Nydia?« sagte Ione.

Nydia erröthete leicht; »weil ich,« antwortete sie kalt, »mir Euch immer unter verschiedenen Formen gedacht habe, und man sich freut, zu erfahren, daß man Recht habe.«

»Und welchem Gegenstand dachtest Du, daß Glaukus gleiche?« fragte Ione sanft.

»Der Musik,« antwortete Nydia, die Augen niedersenkend.

»Du hast Recht,« dachte Ione.

»Und welche Ähnlichkeit hast Du Ione zugeschrieben?«

»Ich kann es noch nicht sagen,« antwortete das blinde Mädchen; »ich kenne sie noch nicht lange genug, um Gestalt und Zeichen für meine Muthmaßungen aufzufinden.«

»Dann will ich es Dir sagen,« sprach Glaukus leidenschaftlich; »sie ist die Sonne, die erwärmt, wir die Woge, die erfrischt.«

»Die Sonne verbrennt und die Woge ertränkt bisweilen,« antwortete Nydia.

»So nimm die Rose,« sprach Glaukus, »möge ihr Duft Dir ein Bild von Ione geben.«

»Ach, die Rosen verwelken,« rief die Neapolitanerin boshaft.

Unter solchem Gespräche verbrachten sie die Stunden – die Liebenden nur des Glanzes und des Lächelns der Liebe bewußt, das blinde Mädchen aber nur ihre Dunkelheit und ihre Qualen, die Wuth der Leidenschaft und ihre Wehen fühlend.

Während sie so von den Wellen hingetrieben wurden, ergriff Glaukus von Neuem die Laute und ließ ihre Saiten mit leichter Hand von einem so ungekünstelten und heiter schönen Liede ertönen, daß selbst Nydia aus ihren Träumen aufgeweckt wurde und einen Schrei der Bewunderung ausstieß.

»Du siehst, mein Kind,« rief Glaukus, »daß ich den Charakter der Liebesmusik noch retten kann, und daß ich Unrecht hatte, als ich sagte, das Glück könne nicht heiter sein. Höre Nydia! höre, theure Ione! höret

Die Geburt der Liebe.Eingegeben durch ein von Pompeji hinweggenommenes und nunmehr im Museum zu Neapel sich befindendes Gemälde der Venus, wie sie aus dem Meere aufsteigt.

1.

Ein Stern aus des Gewölkes Siebe,
Ein Traumbild aus der Nächte Lauf,
So stieg die fleischgewordene Liebe
Aus der entzückten Tiefe auf.
Und neudurchglühte Strahlen baden
Sich an den cyprischen Gestaden;
Und durch die grünen Wipfel zittert
Ein neues Leben luftumwittert,
Ein Leben, das mit Glutverlangen
Sogleich die ganze Welt umfangen.
Heil dir, Heil!
Ihr huldigten des Meeres Tiefen,
Die Reife ihr am Sternenzelt,
In ihrem hohen Schweigen riefen
Sie: Heil der Königin der Welt!
Heil dir, Heil!
Der Zephyr schwamm auf Silberlocken
An sie heran mit Liebeslust,Nach der Mythologie der Alten entstieg Venus dem Meere in der Nähe von Cypern, wohin sie sodann von den Zephyren geweht wurde. Hier warteten die Jahreszeiten ihrer, um sie zu bewillkommnen.
Und koste mit den goldnen Locken
Und koste mit der Schwanenbrust.
Und auf des Ufer's weichem Sand
Drehn sich die Horen Hand in Hand,
Sie zu empfangen auf der Erden,
Die ihr soll unterwürfig werden.

2.

Sieh, wie sie in der Muschel ruht,
Die Königsperle in der Flut!
Und dieser Muschel Rosenschimmer
Sich auf dem Schnee des Nackens gießt,
Und mit verschämten Glutgeflimmer
Die zarten Glieder überfließt.
Indem sie leise durch die Tänze
Der Silberwogen ringt,
Der Tochter seine Freudenkränze
Das Licht entgegenschlingt.
Heil, Heil!
Dein sind wir Alle für und für,
Kein Ländchen auf dem Land ist hier,
Kein Tropfen in den Meeren,
Kein Seufzer in des Himmels Plan,
Und keine Perle in dem Thau,
Die dein nicht ewig wären.

3.

Und du, Geliebte, die ich meine,
Mir ist, als müßt ich aus dem Scheine,
Dem tiefen, deiner blauen Augen,
Die Göttin in das Herz mir saugen.
Die Lieder sind die Muschelschaale,
Worin die junge Liebe glüht;
Sieh, wie sie mir mit Einemmale
Aus dem Gehäus entgegensprüht!
Heil, Heil, Heil!
Sie steigt, wie sie der See entstiegen,
Ins Herz hinab aus deinen Zügen,
Ins Herz hinab, ins Herz hinab.
Sie steigt wie sie der See entstiegen
Ins Herz hinab aus deinen Zügen,
Ins Herz hinab, ins Herz hinab.


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