Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vorrede.

Beim Besuche der wieder an's Licht gebrachten Ueberreste einer alten Stadt, die den Reisenden mehr vielleicht in die Nähe von Neapel ziehen, als die köstliche Luft oder die wolkenlose Sonne, die Veilchenthäler oder Orangenhaine des Südens, beim Anblicke der noch immer frischen und lebhaften Häuser, Straßen, Tempel und Theater eines Platzes, aus dem stolzesten Zeitpunkte des römischen Reichs – war es vielleicht ganz natürlich, daß ein Schriftsteller, der früher schon, wenn auch nur mangelhaft, in der Kunst, wieder zu beleben und zu schaffen, sich versucht hat, den innigen Wunsch empfand, diese verlassenen Straßen noch einmal zu bevölkern, diese anmuthigen Ruinen wieder herzustellen, die Gebeine, die ihm zu sehen vergönnt war, wieder zu beleben, die Kluft von achtzehn Jahrhunderten zu überspringen und zu einer zweiten Existenz zu erwecken – die Stadt der Todten!

Der Leser kann sich fernerhin leicht denken, wie gewaltig dieses Verlangen in Einem werden mußte, der fühlte, daß er sein Unternehmen ausführen könne, dem Pompeji selbst nur wenige Meilen entfernt – die See, die einst seine Schiffe trug und seine Flüchtlinge aufnahm, zu Füßen – und der verhängnisvolle Berg Vesuv, noch immer Rauch und Feuer athmend, beständig vor Augen lag!Dieses Werk wurde beinahe vollständig im vorigen Winter zu Neapel niedergeschrieben. Bei meiner Rückkehr nach England war ich zu sehr mit politischen Gegenständen beschäftigt, um viele Zeit zu rein literarischen Arbeiten zu haben, außer allenfalls in den nicht unwillkommenen Zwischenräumen, wo das Parlament schlafen geht, und die anderen Gegenstände des menschlichen Lebens erwachen läßt, indem es nämlich seine ermüdeten Gesetzgeber entsendet, theils zu den verschiedenen Arten der Jagd nachzugehen, theils um Ochsen zu mästen, und endlich auch, um das Feld der Literatur zu bearbeiten.

Ich verhehlte mir übrigens von Anfang an die großen Schwierigkeiten nicht, mit denen ich zu kämpfen hatte. Die Sitten des Mittelalters darzustellen und seine Lebensweise zu beschreiben, erforderte die Hand eines großen Geistes und doch ist diese Aufgabe vielleicht leicht und bequem im Vergleich zu derjenigen, die sich's zum Ziele setzt, eine viel frühere, uns weniger vertraute Epoche darzustellen.

Für die Menschen und Gebräuche aus der Feudalzeit fühlen wir eine natürliche Sympathie; diese Menschen waren unsere Vorfahren – von diesen Gebräuchen überkamen wir die unsrigen – der religiöse Glaube unserer ritterlichen Ahnen ist noch heute der unsrige – ihre Gräber heiligen noch jetzt unsere Kirchen – die Ruinen ihrer Burgen schauen noch heutzutage zürnend auf unsere Thäler herab. In ihren Kämpfen für Freiheit und Gerechtigkeit finden wir den Keim unserer gegenwärtigen Institutionen und in den Elementen ihres gesellschaftlichen Zustandes erblicken wir den Ursprung unseres eigenen.

An die klassischen Zeiten hingegen knüpfte sich für uns keine häusliche oder vertraute Beziehung. Der Glaube jener entschwundenen Religionen, die Gebräuche jener vergangenen Civilisation bieten wenig dar, was für unsere nordische Einbildungskraft heilig oder anziehend wäre; auch werden sie uns durch die scholastischen Pedanterien, die uns zuerst mit ihrem Wesen bekannt machten, noch mehr entkleidet und stehen mit der Erinnerung an Studien in Verbindung, die eher als Arbeit auferlegt, denn als Sache des Vergnügens betrieben wurden.

Gleichwohl übrigens schien mir die Aufgabe trotz ihrer Schwierigkeiten des Versuches werth; und in dem von mir auserwählten Zeitpunkte und Schauplatze dürfte sicherlich Vieles gefunden werden, was die Neugierde des Lesers erweckt, und sein Interesse an die Schilderungen des Verfassers fesselt. Es war das erste Jahrhundert unserer Religion – die civilisirteste Periode Roms – die Geschichte spielt an Orten, deren Ueherbleibsel wir noch heute sehen – und die Katastrophe ist eine der fürchterlichsten, welche die Tragödien der alten Geschichte unserem Auge darbieten.

Von den mir reichlich vorliegenden Materialien war ich bemüht, diejenigen auszuwählen, die für einen Leser der neueren Zeit am anziehendsten sein dürften; die ihm am wenigsten fremden Gebräuche und religiösen Meinungen – Schatten, die – wieder belebt, – ihm Bilder darstellten, welche, obschon die Repräsentanten der Vergangenheit, dennoch auch den Betrachtungen der Gegenwart am wenigsten uninteressant erschienen. Es erforderte fürwahr eine größere Selbstbeherrschung, als sich der Leser auf den ersten Blick denken mag, um so Vieles von der Hand zu weisen, was an und für sich höchst einladend war, was aber, obschon es einzelnen Theilen des Werkes Anziehungskraftt verliehen hätte, dennoch die Symmetrie des Ganzen beeinträchtigt haben würde. So spielt z.B. meine Geschichte unter der kurzen Regierung des Titus, als Rom auf seiner stolzesten und riesenhaftesten Höhe ungezügelten Luxus und unbeschränkter Macht stand. Es war darum eine höchst einladende Versuchung für den Verfasser, die Personen seiner Geschichte im Verlaufe der Ereignisse von Pompeji nach Rom zu führen. Was könnte solchen Stoff zur Schilderung, oder ein solches Feld für die Eitelkeit der Darstellung bieten, als jene prachtvolle Weltstadt, deren Größe der Einbildungskraft eine so herrliche Begeisterung – der Forschung eine so vortheilhafte und feierliche Würde verleihen müßte? Da ich mich jedoch bei der Wahl von Zeit und Schauplatz für den Untergang von Pompeji entschieden hatte, so bedurfte es nur einer geringen Einsicht in die höheren Prinzipien der Kunst, um zu begreifen, daß die Erzählung sich durchaus auf Pompeji selbst beschränken müsse.

In Gegensatz zu dem mächtigen Pompe Roms gebracht, wären der Luxus und Schimmer der lebhaften campanischen Stadt zur Unbedeutendheit herabgesunken. Ihr entsetzliches Geschick würde nur als ein kleiner und vereinzelter Schiffbruch auf den ungeheuern Meeren des Kaiserreiches erschienen sein, und die zu Erhöhung des Interesses meiner Schilderung herbeigerufene Hülfsmacht würde lediglich die Sache, zu deren Unterstützung sie aufgeboten wurde, zernichtet und überwältigt haben. Ich sah mich deshalb genöthigt, auf einen an und für sich so verlockenden Ausflug zu verzichten und unter strenger Beschränkung meiner Geschichte auf Pompeji Andern die Ehre zu überlassen, die hohle, aber majestätische Civilisation Roms zu schildern.

Die Stadt, deren Geschick mir eine so erhabene und fürchterliche Katastrophe darbot, gab mir auch auf den ersten Blick auf ihre Ueberbleibsel unschwer diejenigen Charaktere an die Hand, die dem Stoff und Schauplatz am besten anpaßten. Die halbgriechische Colonie des Herkules, die mit den Gebräuchen Italiens so viele aus Hellas entlehnte Sitten vermischte, wies von selbst auf die Personen des Glaukus und der Ione hin. Der Gottesdienst der Isis, ihr vorhandener Tempel, mit den falschen, entschleierten Orakeln; der Handel Pompeji's mit Alexandria, die Verbindungen des Sarnus mit dem Nil führten auf den Egypter, Arbaces, den niederträchtigen Kalenus, und den feurigen Apäcides. Die frühen Kämpfe des Christenthums mit dem heidnischen Aberglauben ließen den Olinthus erstehen und die verbrannten Felder Campaniens, längst bekannt durch die Künste der dortigen Zauberinnen, riefen die Saga des Vesuvs ganz von selbst hervor. Den Gedanken, das blinde Mädchen auftreten zu lassen, verdanke ich einer zufälligen Unterredung mit einem Herrn, der wegen seiner vielseitigen Kenntnisse und Erfahrungen unter den zu Neapel lebenden Engländern wohl bekannt ist. Als er nämlich von der tiefen Finsternis, welche den ersten von der Geschichte uns aufbewahrten Ausbruch des Vesuvs begleitete, und von dem weiteren Hindernisse sprach, das dieselbe für die Flucht der Einwohner bildete, bemerkte er, daß die Blinden in einem solchen Falle am besten daran sein und sich am leichtesten retten würden. Diese Bemerkung nun bewirkte die Erschaffung der Nydia.

Die Personen sind also die natürlichen Kinder des Schauplatzes und der Zeit, und auch die Ereignisse dürften meines Erachtens mit der damals existirenden Gesellschaft im Einklange stehen; denn nicht bloß, um die gewöhnlichen Gebräuche des Lebens, die Feste und das Forum, die Bäder und das Amphitheater, den allgemein bekannten, damals herrschenden Luxus zu schauen, rufen wir die Vergangenheit zurück; gleich wichtig und noch unendlich interessanter sind die Leidenschaften, die Verbrechen und die Wechselfälle, die die Schatten, die wir hiermit zum Leben rufen, bewegt haben mögen. Wir verstehen eine Weltepoche nur sehr schlecht, wenn wir das Romantische in ihr vernachlässigen; – in der Poesie des Lebens liegt eben so viel Wahrheit, als in seiner Prosa.

Da bei Behandlung einer wenig gekannten und weit hinter uns liegenden Zeit die größte Schwierigkeit darin liegt, die eingeführten Personen vor dem Auge des Lesers »leben und weben« zu lassen, so sollte dies ohne Zweifel das erste Bestreben bei einem derartigen Werke sein; und alle Versuche zu Entfaltung erlernter Kenntnisse dürfen nur als untergeordnete Mittel zu Erreichung dieses Haupterfordernisses der Dichtung betrachtet werden. Die erste Kunst des Dichters (des Schöpfers) ist, seinen Geschöpfen Lebensathmen einzuhauchen – die zweite, ihre Worte und Handlungen der Epoche, in welcher sie sprechen und handeln sollen, anzupassen. Letztere Kunst wird vielleicht dadurch am besten in Anwendung gebracht, daß man die Kunst selbst dem Leser nicht beständig vor Augen führt, nicht jede Seite mit Citaten, nicht den Rand mit Noten füllt. Beständige Verweisungen auf gelehrte Autoritäten haben den Werken der Dichtung etwas Ermüdendes und Anmaßendes an sich. Sie erscheinen wie Lobreden, die der Verfasser seiner eigenen Genauigkeit und seinem Wissen hält; sie dienen nicht dazu, seine Gedanken in ein klares Licht zu setzen, sondern lassen nur seine Gelehrsamkeit strahlen. Der Anschauungsgeist jedoch, der antiken Bildern antike Farben zu verleihen weiß, ist wohl die wahre Gelehrsamkeit, welche ein derartiges Werk erfordert, – ohne jenen Geist ist die Pedanterie störend und ärgerlich, mit demselben aber unnöthig. Niemand, der genau weiß, was die prosaische Dichtung nunmehr geworden ist, der ihre Würde, ihren Einfluß, die Art, wie sie allmählig alle ähnlichen Zweige der Literatur absorbirt hat, ihr Vermögen, zu belehren sowohl, als zu unterhalten, völlig erkennt, kann ihre Beziehung zur Geschichte, zur Philosophie, zur Politik, – ihre gänzliche Uebereinstimmung mit der Poesie und ihre Unterwürfigkeit unter die Wahrheit so weit verkennen, um sie zu scholastischer Frivolität herabwürdigen zu wollen; sie erhebt ja die Schulwissenschaft zur schaffenden Kraft, und ist weit entfernt, die letztere unter das Joch der ersteren zu beugen.

Was die Redeweise der eingeführten Personen anbelangt, so war ich sorgfältig bemüht, das zu vermeiden, was mir von jeher als ein unglücklicher Irrthum derer erschienen ist, die in unseren Tagen Menschen aus der klassischen Zeit vorzuführen versuchten.Was das klare und scharfe Urtheil Sir Walter Scotts in seiner Vorrede zu Ivanhoe (erste Ausgabe) so trefflich ausgedrückt hat, scheint mir wenigstens eben so gut seine Anwendung auf einen Schriftsteller zu finden, der seinen Stoff aus dem klassischen Alterthum, als auf einen, der ihn aus den Feudalzeiten schöpft. Möge mir gestattet sein, mich hier der betreffenden Worte zu bedienen, und mir dieselben für den Augenblick achtungsvoll und ehrwürdig anzueignen: Die Autoren haben denselben meistens die hochtrabenden Sentenzen, die kalte und didaktische Feierlichkeit der Sprache in den Mund gelegt, die sie in den vorsätzlich bewunderten klassischen Schriftstellern finden; Römer im gewöhnlichen Leben in den Perioden Cicero's sprechen zu lassen, ist aber eben so widersinnig, als wenn ein Novellendichter seinen englischen Charakteren die langen Phrasen Johnson's oder Burke's zuschreiben wollte. Der Fehler ist sogar um so größer, weil er unter der Maske von Gelehrsamkeit und Wahrheit nur den gänzlichen Mangel einer richtigen Beurtheilungskraft verräth; weil er ermüdet, langweilt, ärgert, und weil wir beim Gähnen nicht einmal die Befriedigung haben, zu denken, daß wir gelehrt gähnen. Um den Gesprächen klassischer Personen einige Treue zu verleihen, müssen wir uns namentlich hüten, die Gelegenheit zu klassischen Redensarten an den Haaren herbeizuziehen. Nichts kann einem Schriftsteller ein steiferes und unbehaglicheres Ansehen geben, als das hastige und plötzliche Umwerfen der Toga. Wir müssen zu unserer Aufgabe die vertraute Bekanntschaft vieler Jahre mitbringen; die Anspielungen, die Wendungen und Ausdrücke, so wie die Sprache überhaupt, müssen aus einem längst angefüllten Strome fließen; die Blumen müssen aus natürlichem Boden versetzt und nicht etwa aus zweiter Hand auf dem nächsten Marktplatze gekauft werden. Dieser Vorzug nun, der allerdings lediglich in der genauen Bekanntschaft mit dem Stoffe liegt, ist fast mehr Sache des Zufalls als des eigenen Verdienstes; denn er hängt von dem Umfange ab, in welchem die Klassiker in unsere Jugenderziehung und in das Studium unserer reiferen Jahren hineingezogen wurden. Wäre übrigens ein Schriftsteller sogar im Besitze der höchsten Vorzüge, die Erziehung und Studium hiebei an die Hand gehen können, so dürfte er doch kaum im Stande sein, sich in ein von dem seinigen so gänzlich verschiedenes Zeitalter zu versetzen, ohne daß einige Ungenauigkeiten, einige durch Unachtsamkeit oder Vergeßlichkeit entstandene Fehler in seine Zeichnungen sich einschlichen. Wenn fernerhin sogar in Werken über die Gebräuche der Alten, die von der ernstesten und ausgearbeitesten Art und von den gelehrtesten Männern verfaßt sind, einzelne derartige Unvollkommenheiten oft durch einen verhältnismäßig nur oberflächlich unterrichteten Kritiker entdeckt werden, so müßte es denn doch von mir allzu anmaßend erscheinen, wenn ich hoffen wollte, daß ich glücklicher gewesen sei, als unendlich gelehrtere Männer, und zwar in einem Werke, bei welchem die Gelehrsamkeit unendlich weniger erforderlich ist. Genug, wenn dieses Buch trotz aller seiner Unvollkommenheiten als ein in der Farbengebung vielleicht ungeübtes, in der Zeichnung mangelhaftes, aber gleichwohl nicht völlig unähnliches Gemälde der Zeit erfunden wird, die ich zu schildern unternommen – so möchte es fernerhin (was weit wichtiger ist) eine richtige Darstellung der menschlichen Leidenschaften und des menschlichen Herzens bieten, deren Grundstoffe zu allen Zeiten dieselben sind! Möge mir endlich gestattet sein, den Leser zu erinnern, daß, wenn es mir gelungen ist, einer Beschreibung klassischer Gebräuche und einer Geschichte aus der klassischen Zeit einiges Interesse und Leben zu verleihen, mir etwas gelang, was bis daher Allen mißlang;Man muß mir verzeihen, wenn ich selbst Barthelemy nicht ausnehme. Sein Anarchasis ist ein Werk voll wunderbarer Gewandtheit, Sorgfalt, Eleganz und Forschung; aber es ist kein Leben darin! Es macht allerdings keinen Anspruch darauf, ein wirklicher Roman zu sein; aber selbst als fingierte Reiseschilderung ist es schwerfällig und ermüdend. Aeußere Gelehrsamkeit findet sich in Menge, aber der innere Geist fehlt. Barthelemy wurde nicht vom Wein des Alterthums entzückt, aber er hat eine gewaltige Menge von Weinlisten zusammengetragen. »Anacharsis,« sagte Schlegel treffend und witzig, »sieht Alles auf seinen Reisen nicht wie ein junger Scythe an, sondern wie ein alter Pariser!« Ja, und wie ein Pariser, der nie in dem Leser den Gedanken erweckt daß er überhaupt gereist sei – außer allenfalls in seinem Armstuhl. aus diesem Vordersatze aber entwickelt sich nothwendigerweise als ebenso tröstliches, obwohl minder glorreiches Correlat, daß, wenn mein Unternehmen fehl schlug, ich da unterlag, wo Alle scheiterten! Nach solchem Ausspruche weiß ich nichts Besseres zu thun, als sogleich zu schließen. Kann ich etwas Sprechenderes sagen, um zu beweisen, daß ein Schriftsteller nie halb so viel Scharfsinn entwickelt, als wenn er bemüht ist, seine eigene Schöpfung ins bestmöglichsten Licht zu stellen?


 << zurück weiter >>