Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Siebentes Kapitel.

Ione in der Schlinge – Die Maus sucht das Netz zu zernagen.

»O theuerste Nydia!« rief Glaukus, als er den Brief Ione's las, »herrlichster Bote, der je zwischen Himmel und Erde verkehrte – wie soll ich Dir danken?«

»Ich bin schon belohnt,« sagte die arme Thessalierin.

»Morgen, morgen, wie werd' ich die Stunden bis dahin zubringen?«

Der liebeglühende Grieche wollte Nydia, obgleich sie mehremale das Zimmer zu verlassen suchte, nicht von sich fortlassen; sie mußte ihm jede Silbe der kurzen Unterredung, die zwischen Ione und ihr stattgefunden, zu wiederholten Malen vorsagen; tausendmal befragte er sie, ihren unglücklichen Zustand vergessend, nach den Blicken und der Miene seiner Geliebten; dann wieder plötzlich seinen Fehler entschuldigend, bat er sie, den ganzen hiedurch unterbrochenen Bericht noch einmal zu wiederholen. So vergingen rasch und entzückend für ihn, qualvoll aber für Nydia, die Stunden, und das Zwielicht war bereits eingebrochen, ehe er sie mit einem neuen Briefe und frischen Blumen zu Ionen zurücksandte. Kaum war sie fort, als Klodius und mehre seiner muntern Genossen zu ihm hereinstürmten; sie spotteten über seine Zurückgezogenheit während des ganzen Tages und über seine Abwesenheit von den sonst gewöhnlich besuchten Orten; sie luden ihn ein, sie nach den verschiedenen Vergnügungsplätzen jener lebhaften Stadt zu begleiten, die der Genußsucht Tag und Nacht Abwechslung boten. Damals wie noch jetzt im Süden (denn kein Land vielleicht hat so viel von seiner Größe verloren, und so viel von seinen Sitten beibehalten) war es eine Lieblingsgewohnheit der Italiener, sich an den Abenden zu versammeln, und während sie unter den Säulengängen der Tempel oder im Schatten der die Straßen bekränzenden Baumgruppen eine Musik oder den Vortrag irgend eines erfinderischen Erzählers anhörten, begrüßten sie den aufsteigenden Mond mit Libationen von gefrornem Wein und mit Gesängen. Glaukus fühlte sich zu selig, um ungesellig zu sein; er sehnte sich, dem Übermaß der Freude, das ihn erdrückte, Luft zu machen. Gerne ging er auf den Vorschlag seiner Freunde ein, und lachend schritten sie miteinander die belebten und schimmernden Straßen hinab.

Unterdessen hatte Nydia zum zweitenmale das Haus Ione's, die längst fortgegangen war, erreicht. Sie fragte gleichgültig, wohin sich Ione begeben habe.

Die Antwort, die sie empfing, befremdete und erschreckte sie.

»Nach dem Hause des Arbaces – des Egypters? Unmöglich!«

»Ganz gewiß, meine Kleine,« sagte die Sklavin, die auf ihre Frage geantwortet hatte, »sie kennt den Egypter schon lange.«

»Schon lange! Ihr Götter! Und doch liebt Glaukus sie!« murmelte Nydia bei sich selbst; »und hat,« sagte sie laut, »hat sie ihn früher schon oft besucht?«

»Nie zuvor,« antwortete die Sklavin. »Wenn übrigens all die Lästerungen, die ihn Pompeji über ihn im Umlaufe sind, Grund haben, so wäre es vielleicht besser, wenn sie sich auch heute nicht hingewagt hätte. Aber meine arme Herrin hört Nichts von dem, was zu uns gelangt; das Geplauder des Vestibulums dringt nicht in das Peristyl

»Nie zuvor,« wiederholte Nydia; »bist Du gewiß?«

»Gewiß! meine Kleine; aber was geht das Dich oder uns an?«

Nydia besann sich einen Augenblick, stellte sodann die Blumen, die sie trug, nieder, rief dem Sklaven, der sie begleitet und verließ das Haus, ohne ein weiteres Wort zu sprechen. Erst nachdem sie den halben Weg zu dem Hause des Glaukus zurückgelegt hatte, brach sie das Stillschweigen und selbst dann murmelte sie für sich nur die Worte: »Sie hat offenbar durchaus keine Ahnung von den Gefahren, in die sie sich stürzt. Ich Thörin – soll ich sie retten? – Ja, denn ich liebe Glaukus mehr als mich selbst.«

Als sie bei dem Haus des Atheners anlangte, erfuhr sie, daß er mit einigen seiner Freunde ausgegangen sei, wohin aber, wußte ihr Niemand zu sagen; nur vermutheten seine Leute, er werde nicht vor Mitternacht zurückkehren.

Die Thessalierin seufzte schwer; sie sank auf einen Sitz in der Halle, und bedeckte das Gesicht mit den Händen, als ob sie ihre Gedanken sammeln wollte.

»Da ist keine Zeit zu verlieren,« dachte sie, und sprang auf. Zu dem Sklaven, der sie begleitet hatte, wandte sie sich mit den Worten: »Weißt Du nicht, ob Ione einen Verwandten oder einen vertrauteren Freund in Pompeji hat?«

»Wie, beim Jupiter!« antwortete der Sklave, »bist Du einfältig genug, um so Etwas zu fragen? Jedermann in Pompeji weiß, daß Ione einen Bruder hat, der, obwohl jung und reich, (unter uns gesprochen) närrisch genug war, ein Priester der Isis zu werden?«

»Ein Isispriester! o Götter! Sein Name?«

»Apäcides.«

»Jetzt weiß ich Alles,« flüsterte Nydia, »Bruder und Schwester sollen also Beide geopfert werden. Apäcides. Ja, den Namen hörte ich in – – ha! er kennt also die Gefahr, die seine Schwester umringt, genau; ich will zu ihm.«

Bei diesem Gedanken sprang sie auf, ergriff den Stab, der immer ihre Schritte lenkte, und eilte zu dem benachbarten Altare der Isis.

Bis sie unter dem Schutz des freundlichen Griechen gekommen war, hatte dieser Stab hingereicht, das arme blinde Mädchen von einem Ende Pompeji's zum andern zu leiten. Jede Straße, jede Wendung in den belebteren Theilen waren ihr bekannt, und da die Einwohner eine zärtliche, halb abergläubische Verehrung für solche Unglückliche hegten, so hatten die Vorübergehenden jederzeit ihren ängstlichen Schritten Platz gemacht. Das arme Mädchen ließ sich nicht einfallen, daß sie in ganz kurzer Zeit in ihrer Blindheit eine Beschützerin und Führerin finden sollte, die sicherer war, als das schärfste Auge.

Seit sie jedoch unter dem Dache des Glaukus lebte, hatte dieser einen Sklaven angewiesen, sie überall hin zu begleiten; und der arme, hiezu bestimmte Teufel, der zu den fetteren gehörte, und sich jetzt, nachdem er schon zweimal den Weg zu Ione's Haus zurückgelegt, zu einem dritten Ausfluge (wohin, wußten nur die Götter) verdammt sah, keuchte, sein Schicksal beklagend, hinter ihr her und betheuerte feierlich bei Kastor und Pollux, er glaube, das blinde Mädchen besitze die Flügel des Merkurs, so wie die Gebrechen des Kupido.

Nydia bedurfte übrigens seines Beistandes nur in geringem Grade, um ihren Weg zu dem bei dem Volke so beliebten Isistempel zu finden; der Raum vor demselben war jetzt leer, und sie gelangte ohne Hindernis bis zu dem heiligen Gitter.

»Es ist niemand hier,« sagte der fette Sklave; »was oder wen willst Du? Weißt Du nicht, daß die Priester nicht im Tempel wohnen?«

»Rufe nur,« sagte sie ungeduldig, »Tag und Nacht wacht immer wenigstens ein Flamen am Altare der Isis.«

Der Sklave rief, aber es kam Niemand.

»Siehst Du Niemand?«

»Niemand.«

»Du irrst Dich; ich höre einen Seufzer – sieh noch einmal nach.«

Erstaunt und brummend warf der Sklave seine schweren Augen umher, und erblickte nun vor einem der Altäre, deren Überbleibsel noch heute den engen Raum ausfüllen, eine dem Anscheine nach in Betrachtung versunkene Gestalt.

»Ich sehe eine Figur,« sagte er, »und nach den weißen Kleidern ist es ein Priester.«

»O Flamen der Isis,« rief Nydia, »Diener der ältesten Gottheit höre mich!«

»Wer ruft?« sprach eine leise, melancholische Stimme.

»Eine, die einem Mitgliede Deiner Körperschaft nicht gewöhnliche Nachrichten mitzutheilen hat; ich komme, Orakel auszusprechen, nicht um sie zu befragen.«

»Mit wem willst Du sprechen? Dies ist keine Stunde für Dein Gesuch; gehe fort und störe mich nicht länger, die Nacht ist den Göttern geweiht, der Tag den Menschen.«

»Mir däucht, ich kenne Deine Stimme; Du bist der, den ich suche, obwohl ich Dich nur einmal reden gehört habe. Bist Du nicht der Priester Apäcides?«

»Der bin ich,« erwiderte der Priester, vom Altare aufstehend und dem Gitter sich nähernd.

»Du bist es! Gepriesen seien die Götter!« Mit der Hand winkte sie dem Sklaven, sich Etwas zurückzuziehen, und dieser, der natürlich dachte, nur irgend ein religiöser, vielleicht mit der Sicherheit Ione's in Verbindung stehender Grund könne Nydia in den Tempel geführt haben, gehorchte und setzte sich in einiger Entfernung auf den Boden nieder.

»Stille!« sagte sie, indem sie leise und schnell sprach; »bist Du wirklich Apäcides?«

»Wenn Du mich kennst, so kannst Du Dir doch wohl meine Gesichtszüge zurückrufen.«

»Ich bin blind,« antwortete Nydia, »meine Augen liegen in meinem Gehör, und das erkennt Dich; schwöre übrigens, daß Du es bist.«

»Ich schwöre es bei den Göttern, bei meiner rechten Hand und bei dem Monde.«

»Pst! Sprich leise – neige Dich näher herab – gib mir Deine Hand: kennst Du den Arbaces? – Hast Du Blumen zu den Füßen des Todten niedergelegt? – Ach, Deine Hand ist kalt – höre doch! – Hast Du das fürchterliche Gelübde abgelegt?«

»Woher bist Du und woher kommst Du, blasses Mädchen?« sprach Apäcides erschrocken; »ich kenne Dich nicht, an Deiner Brust hat dieses Haupt nicht gelegen; ich habe Dich nie zuvor gesehen.«

»Aber Du hast meine Stimme gehört; doch lassen wir das. Wir Beide müssen uns schämen, diese Erinnerungen zurückzurufen. Höre einmal, Du hast eine Schwester.«

»Sprich, sprich, was ist mit ihr?«

»Du kennst die Festmahle des Todten, Fremdling – es macht Dir vielleicht Vergnügen, daran Theil zu nehmen – würde es Dir aber auch gefallen, wenn Deine Schwester daran Theil nähme? – Würde es Dir gefallen, wenn Arbaces ihr Wirth wäre?«

»Oh, Götter, er wagt es nicht! Mädchen, wenn Du Deinen Spott mit mir treibst, so zittere. Ich zerreiße Dich in tausend Stücke.«

»Ich rede die Wahrheit, und während ich spreche, ist Ione in den Hallen des Arbaces – Du weißt, ob in diesem erstenmale Gefahr liegt! Lebe wohl! Ich habe mein Amt erfüllt.«

»Halt, halt,« rief der Priester, mit seiner mageren Hand über die Stirne fachend, »wenn das wahr ist, was kann geschehen, um sie zu retten? Man wird ich dort nicht einlassen, und ich kenne auch nicht alle Irrgänge jenes verwickelten Palastes. O Nemesis! meine Strafe ist gerecht.«

»Ich will jenen Sklaven entlassen, sei Du mein Führer und Gefährte; ich will Dich zu der geheimen Thüre des Hauses führen, und Dir das Einlaßwort zuflüstern. Nimm eine Waffe mit; sie könnte vielleicht nöthig sein.«

»Warte einen Augenblick,« sagte Apäcides, zog sich in eine der Zellen an den Seiten des Tunnels zurück und erschien bald wieder in einen großen Mantel gehüllt, wie ihn damals alle Stände häufig trugen, und der seine heilige Kleidung verbarg. »Jetzt,« sprach er zähneknirschend, »wenn Arbaces es gewagt hat – doch er wagt es nicht, er wagt es nicht! Warum sollte ich ihn auch im Verdachte haben? Ist er ein so niedriger Bösewicht? Ich will es nicht glauben – doch ein Sophist, ein dunkler Betrüger der Vernunft ist er. O Götter, schützt! Still! Gibt es denn Götter? Ja es gibt wenigstens eine Göttin, über deren Stimme ich gebieten kann, und diese ist – Rache!«

Solche unzusammenhängende Sätze vor sich hinmurmelnd, eilte Apäcides, gefolgt von seiner schweigenden und blinden Gefährtin, auf den einsamsten Pfaden nach dem Hause des Egypters.

Der von Nydia so plötzlich fortgeschickte Sklave zuckte die Achseln, murmelte einen Fluch und begab sich, über seine Entlassung durchaus nicht ärgerlich, nach Haus in sein Cubiculum.


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