Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Sechstes Kapitel.

Kalmus und Burbo – Diomed und Klodius – Das Mädchen des Amphitheaters und Julia

Die plötzliche Katastrophe, welche natürlich die Bande der Gesellschaft gelöst und jeden Unterschied zwischen den Gefangenen und den Gefängniswärtern aufgehoben hatte, befreite auch den Kalenus bald von den Wachen, deren Aufsicht er von dem Prätor übergeben worden war. Als nun die Finsternis und das Gedränge den Priester von seinen Wächtern trennte, eilte er wankenden Schrittes nach dem Tempel seiner Göttin. Während er sich so dahinschleppte und ehe die Finsternis vollständig war, wurde er plötzlich an dem Kleide gefaßt und eine Stimme flüsterte ihm ins Ohr:

»St! Kalenus – eine schreckliche Stunde!«

»Ja, bei meines Vaters Haupt! Wer bist Du? Dein Gesicht ist dunkel und Deine Stimme mir fremd.«

»Kennst Du Deinen Burbo nicht? – Pfui!«

»Götter! wie die Finsternis zunimmt. Sieh! sieh! Welch strahlende Blitze erleuchten plötzlich jenen furchtbaren Berg!Vulkanische Blitze. Diese Erscheinung fand besonders bei einem Ausbruche im Jahre 1779 statt; daß sie aber auch bei dem Untergange Pompeji's vorkam, läßt sich aus mehren Umständen vermuthen. Wie sie zucken und sprühen! Der Hades ist gegen die Erde losgegangen.«

»Schweige! Du glaubst doch solche Dinge nicht, Kalenus! Jetzt haben wir Gelegenheit, unser Glück zu machen!«

»Wie?«

»Höre! Dein Tempel ist voll von Gold und sonstigen Kostbarkeiten. Laß uns dieselben zusammenraffen und damit nach dem Meere eilen. – Nie wird man von dem, was heute geschieht, Rechenschaft verlangen.«

»Burbo, Du hast Recht! Nur stille! Folge mir in den Tempel. Wer kümmert sich jetzt darum, wer sieht es jetzt, ob Du Priester bist oder nicht? Folge mir! Dann wollen wir theilen!«

Im Vorhofe des Tempels hatten sich mehre Priester betend, weinend und händeringend um die Altäre geschaart. Betrüger, wenn es ihnen wohl ging, waren sie in Gefahren abergläubisch. Kalenus schlich an ihnen vorbei und trat in das Gemach, welches man noch an der Südseite des Vorhofes erblickt. Burbo folgte ihm; der Priester zündete das Licht an. Auf dem Tische befanden sich Wein und Fleisch, die Überbleibsel eines Opfermahles.

»Ein Mann, der achtundvierzig Stunden hungerte, hat auch in solcher Zeit Appetit,« murmelte Kalenus. Er machte sich über die Speise her und verzehrte sie mit Heißgier.

Nichts konnte vielleicht unnatürlicher und abscheulicher erscheinen, als die selbstsüchtige Niederträchtigkeit dieser Schurken. Denn nichts ist widerwärtiger, als der Muth des Habgierigen. Wie sehr können die Schrecken der Natur noch durch die Laster der Menschen gesteigert werden!

»Willst Du ewig fortmachen?« sagte Burbo ungeduldig; »Dein Gesicht ist von einer purpurnen Röthe überflogen und Deine Augen funkeln bereits.«

»Nicht jeden Tag hat man ein solches Recht zum Hunger. O Jupiter! was für ein Geräusch ist das? ähnlich dem Zischen des siedenden Wassers. Wie! kommt aus der Wolke zugleich Regen und Feuer! Ha! was für ein Geschrei? Und Burbo, wie still ist Alles jetzt! Sieh doch nach!«

Eine neue Schreckensscene. Wirklich warf jetzt der Berg auch ganze Säulen kochenden Wassers aus. Mit halbverbrannter Asche vermischt fielen die Wasserströme auf die Straßen. Und gerade dahin, wo die Priester der Isis jetzt die Altäre umringten, auf welchen sie vergeblich Feuer anzuzünden und Weihrauch zu verbrennen sich bemühten, fiel einer jener tödtlichen, mit schweren Steinen vermischten Regengüsse, und zwar auf die knieenden Priester. Jenes Geschrei, das Kalenus vernahm, war ein Geschrei des Todes; jenes Schweigen ein Schweigen der Ewigkeit. Die Asche, der pechige Strom, bespritzten die Altäre, bedeckte den Fußboden und begrub zur Hälfte die zuckenden Leiber der Priester.

»Sie sind todt,« sagte Burbo, jetzt erst von Schrecken erfaßt und in die Zelle zurückeilend; »ich hielt die Gefahr nicht für so nah und verderblich.«

Die beiden Unglücklichen starrten einander an; ihr Herz klopfte laut. Kalenus, der von Natur minder Kühne, aber Habgierigere, erholte sich zuerst wieder.

»Wir müssen unser Geschäft ins Reine bringen und dann hinwegeilen!« sagte er mit kaum hörbarem Flüstern, aber doch über seine eigene Stimme erschrocken. Er ging an die Schwelle, stund hierauf ein wenig stille, schritt sodann über die heiße Flut und seine todten Brüder nach der heiligen Kapelle, und hieß den Burbo ihm folgen. Der Gladiator aber zauderte und blieb zurück.

»Um so besser,« dachte Kalenus, »meine Beute wird jetzt nur desto größer sein.« Schnell belud er sich mit den tragbarsten Schätzen des Tempels, und eilte sodann, ohne an seinen Kameraden zu denken, von der heiligen Stätte hinweg. Ein jäher, von dem Berge herabschießender Blitzstrahl, zeigte Burbo, der bewegungslos an der Schwelle stand, den schwerbeladenen, fliehenden Priester. Er faßte Muth und wollte ihm gerade nachgehen, als ein entsetzlicher Aschenregen dicht vor seinen Füßen niederfiel. Der Gladiator wankte noch einmal zurück. Finsternis schloß ihn ein. Der Aschenregen fiel immer dichter; zu einer furchtbaren Höhe stieg der Haufen und verbreitete erstickende Dämpfe. Der Unglückliche konnte kaum mehr athmen und suchte in der Verzweiflung noch einmal zu fliehen; aber die Asche hatte den Ausweg versperrt und er stieß ein schmerzhaftes Gewinsel aus, als seine Füße von der kochenden Flüssigkeit benetzt wurden. Wie konnte er nun entfliehen? Es war ihm nicht möglich, die Straße zu gewinnen, und wäre es ihm auch gelungen, so konnte es ja im Freien ebenso verderblich sein. Am räthlichsten schien es ihm endlich, in der Zelle zu bleiben, wo er wenigstens gegen die verpestete Luft geschützt war. Zähneknirschend setzte er sich nieder. Allmählig drang die erstickende und giftige Luft von außen in sein Gemach. Er konnte es nicht länger aushalten. Seine Blicke schweiften rings umher und hefteten sich endlich auf eine Opferaxt, welche ein Priester in der Zelle zurückgelassen hatte. Diese ergriff er und suchte in verzweifelter Anstrengung mit seinem riesigen Arm sich einen Weg durch die Wände zu bahnen.

Mittlerweile waren die Straßen leer geworden; die Volkshaufen hatten Schutz und Obdach gesucht und die Asche begann die niedrigen Theile der Stadt zu füllen; nur hier und da hörte man die Schritte von Flüchtigen, die jeder Gefahr Trotz boten, oder sah ihre bleichen, verzweiflungsvollen Gesichtszüge bei dem blauen Scheine des Blitzes oder dem unsteten Lichte von Fackeln, vermittelst derer sie ihre Flucht zu bewerkstelligen suchten. Aber das heiße Wasser, der Aschenregen, oder geheimnisvolle, schnell entstehende und eben so schnell wieder ersterbende Windstöße löschten diese wandernden Lichter aus und erstickten mit ihnen die letzte Hoffnung derer, welche sie trugen.

Auf der nach dem herkulanischen Thore führenden Straße sah man den Klodius mit ganz verstörter Miene dahin irren. »Vor der Stadt draußen,« dachte er, »werde ich ohne Zweifel verschiedene Gefährte treffen, und Herkulanum ist nicht weit entfernt. Dank Dir, Merkur! Ich habe wenig zu verlieren, und dieses Wenige trage ich bei mir.«

»Holla! Zu Hülfe! Zu Hülfe!« rief eine jammernde Stimme. »Ich bin gefallen, meine Fackel ist erloschen, meine Sklaven haben mich verlassen; ich bin Diomed, der reiche Diomed; zehntausend Sestertien Dem, der mir hilft!«

In demselben Augenblicke fühlte sich Klodius bei dem Fuße gefaßt. »Zum Henker mit Dir! Laß mich gehen, Du Narr!« rief der Spieler.

»O hilf mir auf! gib mir Deine Hand!«

»Hier, steh' auf.«

»Ist dies Klodius? Ich kenne die Stimme! Wohin fliehst Du?«

»Nach Herkulanum.«

»Dank den Göttern! Unser Weg ist alsdann der gleiche, wenigstens bis zum Thore. Willst Du keine Zuflucht in meiner Villa suchen? Du kennst die lange Reihe unterirdischer Keller; dahin kann wohl der Aschenregen nicht dringen.«

»Ganz richtig,« sagte Klodius nachdenklich, »und wenn wir Lebensmittel in die Keller schaffen, können wir dort mehre Tage bleiben, wenn auch diese stürmischen Verheerungen noch eine Zeitlang andauern sollten.«

»O, gesegnet sei, wer Stadtthore erfunden hat!« rief Diomed. »Sieh! dort in jenen Bogen haben sie ein Licht gestellt; das wird uns den Weg zeigen.«

Die Luft war jetzt einige Minuten ruhig; die Thorlampe sendete weithin ihren hellen Schein. Die Flüchtlinge eilten darauf zu, gelangten ans Thor und gingen an der römischen Schildwache vorbei. Ein Blitz flammte über das bleiche Gesicht und den polirten Helm des Soldaten; aber selbst der Schrecken hatte seine scharfen, strengen Züge unverändert gelassen. Aufrecht und bewegungslos stund er auf seinem Posten. Sogar eine solche Stunde hatte die Maschine der unerschütterlichen Majestät Roms zu keinem selbstdenkenden und selbsthandelnden Wesen umgeschaffen. Da stand er unter dem Wüthen und Toben der Elemente, denn er hatte ja von seinem Centurio noch nicht die Erlaubnis erhalten, den Posten aufzugeben und sich zu retten!Die Skelette von mehr als einer Schildwache wurden auf ihren Posten gefunden.

Diomed und sein Gefährte eilten herbei, als plötzlich eine weibliche Gestalt ihnen den Weg vertrat. Es war das Mädchen, dessen Stimme schon so oft und in so heiterer Weise, »das lustige Spiel der Arena« gepriesen hatte.

»O Diomed,« rief sie, »ich flehe Dich um Schutz an! Sieh'« (hiebei zeigte sie auf ein, an ihrer Brust geschlossenes, Kind), »sieh', diesen Kleinen! Er ist mein! Das Kind der Schande! Ich habe es bis zu dieser Stunde verheimlicht! Aber jetzt erinnere ich mich, daß ich Mutter bin! Ich habe es aus der Wiege seiner Amme gerissen; sie war entflohen. Wer konnte zu solcher Zeit an das arme Kind denken, als die, welche es geboren hat! – Rette es! rette es!«

»Verdammtes Gekreisch! Hinweg, Dirne!« murmelte Klodius zwischen den Zähnen.

»Nein, Mädchen,« tröstete der menschlicher gesinnte Diomed; »folge uns, wenn Du willst! Hieher! Hieher in die Gewölbe!«

Sie eilten weiter, kamen im Hause des Diomed an und lachten laut, als sie die Thürschwelle überschritten, denn sie hielten sich nun gegen jede Gefahr geborgen.

Diomed befahl seinen Sklaven, eine Menge Lebensmittel und Lampenöl in die unterirdischen Gewölbe zu schaffen, wohin sich sodann Julia, Klodius, die Mutter mit dem Kinde, die meisten Sklaven und einige erschrockene Bekannte und Klienten aus der Nachbarschaft begaben.


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