Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Achtes Kapitel.

Die Einsamkeit und das Selbstgespräch des Egypters – Fernere Entwicklung seines Charakters.

Wir müssen im Verlaufe unserer Geschichte um einige Stunden zurückkehren. Beim ersten Grauen des Tages, den Glaukus bereits mit einem weißen Steine bezeichnet hatte, saß der Egypter schlafend und einsam auf der Spitze des hohen und pyramidenartigen Thurmes an der Seite seines Hauses. Eine hohe Brustwehr rings herum diente als Schutzmauer, und bot in Verbindung mit der Höhe des Gebäudes und den düsteren Bäumen, welche es umgaben, den forschenden Augen der Neugierde oder Beobachtung Trotz. Vor ihm stand ein Tisch, auf welchem eine mit geheimnisvollen Figuren beschriebene Rolle lag. Am Horizonte wurden die Sterne dunkel und bleich, und die Schatten der Nacht schwanden von den fahlen Bergspitzen; nur über dem Vesuv schwebte noch eine tiefe, schwere Wolke, die seit mehreren Tagen sich immer dunkler und dichter über seinem Gipfel zusammengezogen hatte. Noch sichtbarer war der Kampf der Nacht und des Tages über dem breiten Ocean, der sich wie ein ungeheurer See ruhig ausdehnte – im Halbkreise begrenzt durch das Gestade, das mit Weinbergen und Baumgruppen bedeckt und hie und da von den weißen Mauern schlummernder Städte strahlend zu den sich kaum kräuselnden Wogen sich sanft hinabsenkte.

Es war die vor allen andern der kühnen uralten Kunst des Egypters geweihte Stunde – jene Kunst, die unser wechselvolles Geschick in den Sternen lesen möchte.

Arbaces hatte seine Rolle beschrieben, den Augenblick und die Zeichen eingetragen, und sich jetzt, auf die Hand gelehnt, den Betrachtungen hingegeben, welche seine Berechnung hervorrief.

»Wiederum warnen mich die Gestirne! Eine Gefahr wartet meiner also sicherlich,« sprach er langsam; »eine gewaltsame und plötzliche Gefahr. Die Sterne zeigen mir dieselbe spöttische Drohung, die sie, wenn unsere Chroniken nicht irren, einst dem Pyrrhus zeigten – ihm, der dazu bestimmt war, nach Allem zu ringen – nichts zu genießen; – rastlos vom Schicksal umhergetrieben zu werden – Alles anzugreifen und Nichts zu gewinnen – Schlachten ohne Früchte zu liefern, Lorbeeren ohne Triumph zu erringen, Ruhm ohne Erfolg zu ernten; endlich durch seinen Aberglauben feige und wie ein Hund durch einen Ziegel aus der Hand eines alten Weibes erschlagen zu werden! Fürwahr, die Sterne schmeicheln mir sauber, wenn sie mir in diesem Kriegsnarren ein Vorbild geben – wenn sie der Glut meiner Weisheit dieselben Erfolge versprechen, wie der Raserei seines Ehrgeizes – fortwährendes Abmühen und kein bestimmtes Ziel – die Arbeit des Sisyphos, den Berg und den Stein! – den Stein, ein düsteres Bild! – Es erinnert mich, daß ich mit einem ähnlichen Tod wie der Epirote bedroht wurde. Sehen wir noch einmal nach. ›Nimm dich in Acht!‹ sagen die leuchtenden Propheten, ›wenn du unter alten Dächern oder belagerten Mauern oder überhängenden Felsen hingehst – ein Stein von oben geschleudert, ist mit dem Fluche des Geschicks gegen dich beladen!‹ Und in nicht ferner Zeit, von jetzt an, kommt die Gefahr; aber den Tag und die Stunde kann ich nicht genau lesen. Wohlan, wenn der Sand in meinem Stundenglase abläuft, soll er wenigstens bis zum letzten Augenblicke glänzen. Wenn ich aber dieser Gefahr entgehe – ja, wenn ich ihr entgehe, so glänzt die übrige Zeit meines Daseins klar und heiter, wie das Mondlicht auf den Gewässern. Ich sehe Ehre, Glück und Erfolg auf jeder Welle des dunklen Abgrunds leuchten, in welchen ich am Ende versinken muß. Wie, soll ich also bei solchen Bestimmungen jenseits der Gefahr dieser selbst unterliegen? Meine Seele flüstert mir Hoffnung zu; freudig schwebt sie über die drohende Stunde hinweg; sie schwärmt in der Zukunft – ihr eigener Muth ist ihr bestes Vorzeichen. Wenn ich so schnell und so früh untergehen sollte, würden die Schatten des Todes mich umdüstern, und ich müßte das eisige Vorgefühl meines Geschicks empfinden. Meine Seele, die jetzt in mir so lächelt, würde in Bangigkeit und Düsternheit ihre Ahnung des fürchterlichen Orakels ausdrücken. Sie lächelt – sie gibt mir die Gewißheit meiner Rettung.«

Als der Egypter sein Selbstgespräch in dieser Weise endete, stand er unwillkürlich auf. Er schritt hastig über den engen Raum dieser Flur hin, deren Gewölbe die Sterne waren, und schaute, an der Brustwehr stille stehend, noch einmal auf den grauen und düsteren Himmel. Die Kühle der Morgendämmerung drang erfrischend auf seine Stirne, und nach und nach gewann sein Gemüth seine gewöhnliche Ruhe wieder. Er schaute nicht länger nach den Sternen, die nach einander in die Tiefen des Himmels verschwanden, auf die weite Fläche unter ihm fielen nunmehr seine Blicke. Matt stiegen aus dem stillen Hafen der Stadt die Masten der Galeeren empor; das gewaltige Summen um jenen Markt der Üppigkeit und Betriebsamkeit war verstummt: keine Lichter, außer hie und da vor den Säulen eines Tempels oder aus den Säulengängen des verlassenen Forums, brachen die bleiche und schwankende Helle des kämpfenden Morgens. Aus dem Herzen der erstarrten Stadt, die so bald von tausend Leidenschaften erzittern sollte, drang kein Laut hervor; die Ströme des Lebens kreisten noch nicht; sie lagen noch verschlossen und starr unter dem Eise des Schlafes. Aus der ungeheuren Masse des Amphitheaters mit seinen sich über einander erhebenden steinernen Sitzen – zusammengeringelt wie ein schlummerndes Ungeheuer – erhob sich ein schwacher und geisterartiger Nebel, der über dem zerstreuten Laubwerk, das in seiner Nähe dunkelte, sich finster und immer finsterer sammelte. Die Stadt schien, was sie nach dem fürchterlichen Wechsel von siebzehn Jahrhunderten noch heute dem Reisenden scheint – eine Stadt der Toten.Als Sir Walter Scott mit Sir William Gell Pompeji besuchte, war fast seine einzige Bemerkung: »Die Stadt der Todten – die Stadt der Toten!«

Der Ocean selbst – ein heiterer, der Ebbe und Flut nicht unterworfener See – lag fast eben so still da, ausgenommen, daß aus seinem tiefen Schooß durch die Entfernung gedämpft, ein schwaches und regelmäßiges Gemurmel, wie der Athem seines Schlafes, herübertönte, während er, wie mit ausgestreckten Armen in das grüne und schöne Land hineingreifend, unbewußt die an seinem Ufer schlummernden Städte – Stabiä, Herkulanum und Pompeji – diese Kinder und Pfleglinge der Tiefen – an seine Brust zu drücken schien.

»Ihr schlummert,« sprach der Egypter, während er düster über diese Städte, den Stolz und die Blüte Kampaniens hinschaute, »ihr schlummert; möchte es doch die ewige Ruhe des Todes sein! Was ihr jetzt seid, Juwelen in der Krone des Reiches, das waren einst die Städte des Nils! Ihre Größe ist von ihnen gewichen – sie schlafen unter ihren Ruinen – ihre Paläste und Tempel sind Gräber geworden – in dem Grase ihrer Straßen ringelt sich die Schlange – in ihren einsamen Hallen wärmt sich die Cidere. Nach jenem geheimnisvollen Gesetze der Natur, das den Einen erniedrigt, um den Andern zu erhöhen, seid ihr aus ihren Ruinen emporgestiegen – du stolzes Rom hast die Herrlichkeit des Sesostris und der Semiramis usurpirt – du bist ein Räuber, dich bekleidend mit deiner Beute! Und diese Städte hier – die Sklavinnen in deinem Triumphe – die ich, der letzte Sohn vergessener Monarchen, da unten erblicke, die Behälter deiner Alles durchdringenden Macht und Üppigkeit – ich verfluche sie, während ich auf sie hinabschaue! Die Zeit mag kommen, wo Egypten gerächt wird! wo das Roß der Barbaren im goldenen Hause Nero's gefüttert wird – und du, o Rom, die da den Wind mit Eroberungen besäet hast, sollst im Wirbelwind der Verödung ernten!«

Nie schwebte den Träumen eins Malers oder Dichters ein feierlicheres oder unheimlicheres Bild vor, als der Egypter jetzt darbot, da er eine Weissagung aussprach, die das Schicksal so fürchterlich erfüllt hat. Das Morgenlicht, das selbst der jungen Wange der Schönheit eine so zarte Blässe verleihen kann, gab seinen majestätischen und stattlichen Zügen fast die Tinten des Grabes; das schwarze Haar aber fiel in schweren Massen um dieselben, das dunkle Gewand flatterte lang und lose herab, der Arm war von der luftigen Höhe ausgestreckt, und die feurigen Augen funkelten von wilder Freude – so stand Arbaces da, halb ein Prophet, halb ein böser Geist.

Er wandte seinen Blick von der Stadt und dem Ocean ab – vor ihm lagen die Weinberge und Auen des reichen Kampaniens. Die alten halb pelasgischen Thore und Mauern der Stadt schienen ihren Umfang keineswegs zu begrenzen. Landhäuser und Dörfer erhoben sich auf beiden Seiten den Abhang des Vesuvs hinauf, der damals noch nicht ganz so steil und hoch war, wie jetzt. Wie nämlich Rom selbst auf einem ausgebrannten Vulkan erbaut wurde, so hatten in ähnlicher Sorglosigkeit die Bewohner des Südens die grünen und mit Trauben bepflanzten Stellen um einen Vulkan her inne, dessen Feuer sie für immer erloschen glaubten. Von dem Thore her dehnte sich die lange, nach Größe und Bauart sehr mannigfaltige Gräberstraße aus, auf welcher man sich noch jetzt von dieser Seite her der Stadt nähert. Über die gesammte Umgegend ragte der sich in die Wolken verlierende Gipfel des fürchterlichen Berges empor, mit seinen halb dunkleren, halb helleren Schatten die moosigen Höhlen und aschfarbigen Felsen zeigend, die von den früheren Verheerungen Kunde gaben und, wenn der Mensch nicht blind wäre, die noch bevorstehenden hätte voraussagen können.

Damals und dort war es schwer, die Ursachen zu errathen, warum die an diese Stelle sich knüpfende Tradition eine so düstere und ernste Farbe trug; warum die Dichter in diese, auf mehre Meilen in die Runde – bis Bajä und Misenium – so heiteren Ebenen den Eingang und die Schwelle ihrer Hölle, ihren Acheron und ihren fabelhaften Styx verlegten; warum sie in diese jetzt vom Weinstocke lachenden PhlegräOder Phlegraei campi, d.h. versengte oder verbrannte Felder. die Schlachten der Götter versetzten, und die kühnen Titanen gerade hier den Himmel versucht haben sollten; schwer, sagen wir, war die Ursache zu errathen, wenn nicht etwa die Phantasie in jenem versengten und zerstörten Gipfel die Wirkung des olympischen Donnerkeils erblicken mochte.

Doch weder die rauhe Höhe des stillen Vulkans, noch die Fruchtbarkeit der sich an ihm abdachenden Felder, noch die melancholische Straße der Gräber, noch die glänzende Villen eines verfeinerten und genußsüchtigen Volkes zogen in diesem Momente die Blicke des Egypters auf sich. An der einen Seite der Landschaft senkte sich der Vesuv in einem schmalen und unbebauten Bergrücken, und hie und da durch zackige Klippen und wildes Gebüsch unterbrochen, zur Ebene herab. Am Fuße dieses Bergrückens lag ein sumpfiger und ungesunder, jetzt ausgetrockneter Pfuhl, und das forschende Auge des Arbaces gewahrte die Umrisse eines lebenden Wesens, das sich an dem Moraste bewegte und sich hin und wieder beugte, wie um die gemeinen Gewächse des letzteren zu pflücken.

»Ha!« rief er laut, »ich habe also eine Gefährtin in diesen überirdischen Nachtwachen. Die Hexe des Vesuvs streicht herum. Wie, vernimmt sie auch, wie die Leichtgläubigen sich einbilden – vernimmt sie auch Belehrung von großen Sternen? hat sie gräuliche Zaubersprüche gegen den Mond ausgestoßen oder sucht sie, wie ihr häufiges Stillstehen bezeugt, garstige Kräuter aus diesem giftigen Sumpf? Wohlan, ich muß die Bekanntschaft dieser Mitarbeiterin machen. Wer immer nach Wissen strebt, lernt, daß keines Menschen Wissen verächtlich ist. Verächtlich seid bloß ihr, ihr feisten und aufgedunsenen Wesen, Sklaven der Üppigkeit, Müßiggänger im Denken, die ihr, nichts als die unfruchtbaren Sinne anbauend, euch einbildet, ihr dürftiger Boden könne die Myrte und den Lorbeer zugleich hervorbringen. Nein, der Weise allein vermag zu genießen! – Uns allein ist der wahre Genuß verliehen, wenn Geist, Kopf, Erfindung, Erfahrung, Nachdenken, Wissenschaft und Einbildungskraft sich wie Ströme vereinigen, um das Meer der Empfindung anzuschwellen! – Ione!«

Als Arbaces dieses letzte bezaubernde Wort ausgesprochen, versanken seine Gedanken auf einmal in eine noch geheimnisvollere Tiefe. Er stand stille, verwandte seine Augen nicht vom Boden, lächelte ein- oder zweimal freudig und sagte dann, als er den Weg seiner Nachtwache verließ und sein Lager suchte, vor sich hin; »Wenn der Tod mir so nahe droht, so will ich wenigstens sagen können, daß ich gelebt habe – Ione soll mein werden.«

Der Charakter des Arbaces gehörte zu jenen verwickelten, aus zahllosen Fäden bestehenden Geweben, in welchen selbst der darin wohnende Geist bisweilen irre geleitete und verwirrt wird. In ihm, dem Sohne eines gefallenen Herrscherhauses, dem Auswurfe eines gesunkenen Volkes, herrschte jener Geist unbefriedigten Stolzes, der stets an einem kräftigen Gemüthe nagt, das sich unerbittlich aus der Sphäre ausgeschlossen sieht, in welcher seine Väter glänzten und zu welcher Natur sowohl als Geburt auch ihm alle Ansprüche verliehen. Dieses Gefühl läßt durchaus kein Wohlwollen zu; es führt Krieg mit der Gesellschaft, sieht Feinde in den Menschen. Im gegenwärtigen Falle jedoch ging mit diesem Gefühle seine gewöhnliche Gefährtin, die Armuth, nicht Hand in Hand. Arbaces besaß einen Reichthum, der dem der meisten römischen Edeln gleichkam, und dies setzte ihn in den Stand, seinen Leidenschaften, die weder in Geschäften, noch in Ehrenstellen einen Ableitungskanal fanden, im höchsten Grade zu fröhnen.

Von Land zu Land reisend und überall nur Rom erblickend, erhöhte er seinen Haß gegen die Gesellschaft und seine Hang zum Genusse. Er lebte in einem ungeheuren Gefängnis, das er übrigens mit den Dienern seiner Schwelgerei auszufüllen in der Lage war. Da er aus diesem Kerker nicht entfliehen konnte, so ging sein einziges Streben dahin, denselben zu einem Palaste umzuschaffen. Seit den frühesten Zeiten waren die Egypter den sinnlichen Genüssen ergeben; Arbaces erbte sowohl ihre Gier nach Sinnengenuß, als auch die Glut ihrer Einbildungskraft, die selbst der Fäulnis dieser Genüsse ein Licht zu entlocken weiß. Aber still, ungesellig in seinen Vergnügungen, wie in seinen ernsteren Studien, und einen Andern weder über sich noch neben sich duldend, zog er nur Wenige in seine Gesellschaft, ausgenommen die willigen Sklaven seiner Verworfenheit. Er war der einsame Herr eines großen Harems. Bei alle dem jedoch fühlte er sich zu jener Übersättigung verdammt, die stets der Fluch von Männern sein wird, deren Geist über ihr Treiben erhaben ist, und was ursprünglich Antrieb der Leidenschaft gewesen, gefror bald zur bloßen Gewohnheit. Enttäuscht in seinen Erwartungen vom Sinnengenuß, suchte er sich durch wissenschaftliche Studien zu erheben; da es jedoch nicht sein Zweck war, den Menschen zu dienen, so verachtete er alles praktische und nützliche Wissen. Seine dunkle Phantasie fand ein Wohlbehagen daran, jenen geisterartigen und geheimnisvollen Forschungen sich hinzugeben, die einem verkehrten und zurückgezogenen Gemüth stets den höchsten Genuß gewähren, und zu welchen ihn überdies seine kühne, stolze Natur und die mysteriösen Überlieferungen seines Vaterlandes hinzogen. Allem Glauben an die verwirrten Religionssysteme der heidnischen Welt entsagend, setzte er den höchsten Glauben in die Macht menschlicher Weisheit. Die Grenzen, welche die Natur unsern Forschungen steckt, kannte er so wenig, als vielleicht irgend Jemand in jener Zeit. Da er fand, daß wir, je höher wir im Wissen steigen, desto mehr Wunder erblicken, so bildete er sich ein, daß die Natur nicht nur in ihrem gewöhnlichen Laufe Wunder vollbringe, sondern daß sie auch durch die Cabbala eines erhabenen Geistes von diesem Laufe abgelenkt werden könne. So verfolgte er die Wissenschaft über ihre festgesetzten Schranken hinaus, bis in das Land der Schatten und Irrthümer. Von den Wahrheiten der Astronomie ging er zu den Täuschungen der Astrologie über. Von den Geheimnissen der Chemie irrte er in das gespenstische Labyrinth der Magie, und er, der an der Macht der Götter zweifeln konnte, hegte eine höchst abergläubische Meinung von der Macht des Menschen.

Die Magie, welche damals unter den vorgeblichen Weisen sehr stark getrieben wurde, war eigentlich morgenländischer Abkunft; der früheren Philosophie der Griechen ferne stehend, fand sie bei diesen erst dann günstige Aufnahme, als Oethanes, der das Heer des Xerxes begleitete, in den einfachen Glauben der Hellenen den feierlichen Aberglauben des Zoroaster einführte. Unter den römischen Kaisern übrigens war die Magie – ein passender Gegenstand für Juvenals feurige Satire – auch in Rom einheimisch geworden. Im engsten Zusammenhange mit der Magie stund der Gottesdienst der Isis, und die egyptische Religion war das Mittel, wodurch sich der Glaube an das egyptische Zauberwesen verbreitete. Die Theurgie oder weiße (gutartige) Magie, sowie die Goëtie, oder schwarze (bösartige) Zauberkunst, waren im ersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung gleich stark im Ansehen, und die Wunder eines Faust halten keinen Vergleich aus mit denen des Apollonius.Während der ersten Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung war die heidnische Philosophie, insbesondere die des Pythagoreas und des Plato, nicht nur durch den wildesten Mysticismus, sondern auch durch die vernunftlosesten Träumereien der Magie entwürdigt und verfälscht worden. Pythagoreas verdiente in der That kaum ein besseres Schicksal; denn obwohl er ein überaus geistvoller Mann, war er doch im höchsten Grade Marktschreier und ganz dazu geschaffen, der Vater einer Schule von Magiern zu werden. Er befaßte sich entweder selbst mit der Magie oder maßte sich wenigstens ihre Attribute an, und seine Jünger erzählten sich wunderbare Geschichten, wie er auf die Mondscheibe geschrieben, und an mehren Orten zu gleicher Zeit sich gezeigt habe. Seine goldenen Regeln genossen in Großgriechenland besondere Verehrung, und aus seiner Lehre von den geheimen Zahlen zogen seine Schüler eine Menge anderer geheimer Lehren. Der merkwürdigste der Betrüger, die auf ihn nachfolgten, war der im Texte erwähnte Apollonius von Tyana; alle Arten von Wundern begleiteten diesen Herrn. Proteus, der egyptische Gott, verkündete seiner Mutter vor ihrer Niederkunft, daß er selbst (Proteus) durch ihre Vermittlung von Neuem in der Welt erscheinen werde, wornach man allerdings dem Proteus die Gabe der Verwandlung zugestehen müßte. Apollonius kannte die Sprache der Vögel, las die Gedanken von Menschen in ihrer Brust und verkehrte mit einem Spiritus familiaris. Er ward an einem vom Teufel besessenen Burschen zum Teufel und veranlaßte einst den Pöbel, einen armen Dämon von ehrbarem und bettelhaften Aussehen, der sich nach dieser Operation in einen großen Hund verwandelte, zu steinigen. Er weckte Todte auf, verbrachte eine Nacht bei Achilles, und als Domitian ermordet wurde, rief er, obgleich er sich in jenem Augenblicke zu Ephesus befand, mit lauter Stimme: »Nieder mit dem Tyrannen!« Das Ende eines so großen Mannes war seines Lebens würdig. Er scheint in den Himmel gefahren zu sein. Was ließ sich auch Geringeres erwarten von einem Manne, der den Teufel gesteinigt hatte? Sollte ein englischer Schriftsteller einen neuen Faust schreiben wollen, so empfehle ich ihm den Apollonius. Könige, Hofleute und Weise, Alles zitterte vor den Meistern der gefürchteten Wissenschaft. Und keineswegs der berühmteste seines Stammes war der fürchterliche, tiefe Arbaces. Sein Ruf und seine Entdeckungen waren Allen, die Magie trieben, bekannt, und sie überlebten ihn sogar; doch nicht unter seinem wirklichen und weltlichen Namen wurde er von den Zauberern wie von den Weisen geehrt. Ihre Huldigung gab ihm einen geheimnisvolleren Namen, und lange lebte er in Großgriechenland und in den Ebenen des Morgenlandes unter dem Titel: »Hermes, der Herr des flammenden Gürtels,« im Andenken fort. Seine spitzfindigen Forschungen und seine gepriesenen, in mehren Werken mitgetheilten Entdeckungen befanden sich unter jenen Abhandlungen über die geheimen Künste, welche die neubekehrten Christen zwar freudig, aber nicht ohne Furcht in Ephesus verbrannten, und so der Nachwelt die Zeugnisse von der List des höllischen Feindes entzogen.

Das Gewissen des Arbaces war durchaus nur das Gewissen des Verstandes; es wurde durch keine moralischen Gesetze zurückgeschreckt. Er glaubte, wenn der Mensch solche Schranken der Masse setze, so könne er sich auch durch eine höhere Weisheit über dieselben erheben. »Wenn ich,« so folgerte er, »Geist genug besitze, um Gesetze aufzulegen, habe ich da nicht auch das Recht, über meine eigenen Schöpfungen zu gebieten? Noch mehr, habe ich nicht das Recht, die Gegengriffe von niedrigen Geistern zu beherrschen, zu umgeben, zu verachten?« Wenn er somit ein Bösewicht war, so rechtfertigte er seine Schlechtigkeit gerade durch das, was ihn hätte tugendhaft machen sollen, nämlich durch das Übergewicht seiner Intelligenz.

Wie alle Menschen mehr oder weniger eine leidenschaftliche Neigung nach Macht in sich tragen, so entsprach diese Neigung in Arbaces seinem übrigen Charakter vollkommen. Es war übrigens nicht das Verlangen nach einer äußerlichen und rohen Gewalt, er verlangte nicht nach Purpur und Fasces, den äußeren Zeichen gewöhnlicher Herrschaft. Sein Stolz, seine Verachtung für Rom, welches damals die Welt ausmachte, und dessen stolzen Namen er mit derselben Verachtung anschaute, mit der Rom gegen Barbaren so freigebig war, würde ihm nie gestattet haben, nach äußerer Herrschaft über Andere zu streben, da ihn ja eine solche zum Werkzeug oder Geschöpf des Kaisers gemacht hätte. Er, der Sohn des großen Stammes des Ramases – er, die Befehle Anderer vollziehen, von Anderen seine Macht empfangen! Der bloße Gedanke erfüllte ihn mit Wuth. Während er jedoch einen Ehrgeiz verwarf, der nach bloßen nominellen Auszeichnungen strebte, fröhnte er nur um so mehr dem Ehrgeize, die Herzen zu beherrschen. Da er in der geistigen Macht die größte der irdischen Gaben verehrte, so liebte er es, diese Macht dadurch in sich selbst am deutlichsten zu fühlen, daß er sie über Alle, mit denen er verkehrte, ausdehnte. Darum hatte er von jeher die Jugend aufgesucht, darum sie verblendet und beherrscht. Er liebte es, in den Seelen der Menschen seine Unterthanen zu finden, über ein unsichtbares und körperloses Reich zu gebieten! –

Wäre er weniger sinnlich und weniger reich gewesen, so hätte er vielleicht versucht, der Stifter einer neuen Religion zu werden; so aber wurde seine Thatkraft durch seine Genußsucht gehemmt. Neben dem allgemeinen Verlangen nach geistiger Herrschaft (eine dem Weisen so eigenthümliche Eitelkeit) beseelte ihn zugleich eine seltsame, traumartige Ehrfurcht vor Allem, was mit dem mystischen Lande, über das seine Vorfahren geherrscht, in Verbindung stand. Obgleich er nicht an seine Gottheiten glaubte, so glaubte er doch an die Allegorien, welche sie darstellten, oder vielmehr, er legte sich dieselben neu aus. Er wünschte den Gottesdienst Egyptens aufrecht zu erhalten, weil er dadurch zugleich den Schatten und die Erinnerung seiner Macht aufrecht erhielt. Darum bedachte er die Altäre der Isis und des Osiris mit königlichen Schenkungen, und war stets überaus bemüht, die Würde ihrer Priesterschaft durch neue und reiche Convertitten zu wahren. War einmal das Gelübde abgelegt, der Priesterstand ergriffen, so wählte er gewöhnlich die Genossen seiner Schwelgereien aus Denjenigen, die er zu seinen Opfern gemacht; theils weil er sich hierdurch ihrer Verschwiegenheit versicherte, theils weil er seine eigenthümliche Gewalt über sie hiedurch noch mehr befestigte. Daher denn auch die Gründe zu seinem Benehmen gegen Apäcides, die im vorliegenden Falle durch seine Leidenschaft für Ione verstärkt wurden.

Er hat selten lange an einem Orte gelebt; je mehr er jedoch in den Jahren vorschritt, desto überdrüssiger wurde er des beständigen Wechsels des Schauplatzes, und schon hatte er in den herrlichen Städten Kampaniens sich so lange aufgehalten, daß er sich selbst darüber wunderte. Allerdings beschränkte ihn auch sein Stolz einigermaßen in der Wahl seines Aufenthaltes. Er konnte das Leben in jenem heißen Lande nicht ertragen, das er als sein eigenes, rechtmäßiges Erbe ansah, und das jetzt gebeugt und gesunken unter den Fittigen des römischen Reiches zitterte. Rom an sich selbst war seiner entrüsteten Seele verhaßt, und eben so wenig wünschte er seine Reichthümer etwa durch die Günstlinge des Hofes überwogen und durch die übermäßige Pracht des Hofes selbst zu verhältnismäßiger Armuth gestempelt zu sehen. Die kampanischen Städte boten ihm Alles, wornach seine Natur begehrte; die Annehmlichkeiten eines unvergleichlichen Klimas und alle Verfeinerungen einer genußsüchtigen Civilisation. Er sah hier keinen vermöglicheren Mann vor Augen, fand keinen Nebenbuhler für seinen Reichthum, und war frei vor dem Spionirsystem eines eifersüchtigen Hofes. So lange er reich war, kümmerte sich Niemand um sein Treiben und ungestört und sicher setzte er seinen dunkeln Pfad fort.

Es ist der Fluch sinnlicher Menschen, nie zu lieben, als bis die Freuden der Sinne ihre Kraft zu verlieren beginnen, als bis ihre glühende Jugend unter zahllosen Begierden vertändelt ist, ihre Herzen erschöpft sind. So hatte auch der Egypter, stets nach Liebe jagend, und durch eine rastlose Einbildungskraft vielleicht zu Überschätzung ihrer Reize veranlaßt, seine schönsten Jahre vergeudet, ohne das Ziel seiner Wünsche zu erreichen. Die Schönheit von Morgen folgte auf die Schönheit von Heute, und in seinem Haschen nach dem Wesen verwirrten ihn die Schatten. Als er zwei Jahre vor dem gegenwärtigen Zeitpunkte Ione erblickte, sah er zum erstenmale ein Weib, von dem er sich dachte, daß er es lieben könne. Er stand damals auf jener Brücke des Lebens, von welcher der Mensch zur einen Seite deutlich eine vergeudete Jugend, zur andern aber die Dunkelheit des herannahenden Alters gewahrt; eine Zeit, in welcher wir uns vielleicht mehr als je das vor Thorschluß zu sichern wünschen, was wir durch Erfahrung belehrt, als notwendig zu dem Genuß eines Lebens betrachten, dessen freundlichere Hälfte bereits entschwunden ist.

Mit einem Ernst und einer Geduld, wie er sie nie zuvor auf seine Vergnügungen verwendet hatte, widmete sich Arbaces der Eroberung von Ione's Herzen. Es genügte ihm nicht zu lieben, er wünschte, geliebt zu werden. In dieser Hoffnung hatte er die sich entwickelnde Jugend der schönen Neapolitanerin bewacht, und vertraut mit dem Einflusse, den der Geist auf diejenigen ausübt, die selbst zu einer Ausbildung ihres Geistes angehalten werden, bereitwillig das Seinige gethan, um das Genie Ione's zu bilden und ihren Verstand aufzuklären, von der Hoffnung beseelt, daß sie hiedurch das zu würdigen im Stande sein würde, was er für sein bestes Anrecht auf ihre Neigung hielt, nämlich einen Geist, der, wenn auch lasterhaft und verkehrt, doch reich an ursprünglichen Elementen der Stärke und Größe war. Als er fühlte, daß dieser Geist Anerkennung fand, da gestattete er ihr gerne, ja ermuthigte er sie sogar, mit den leeren Anhängern weltlicher Genüsse zu verkehren, von der Voraussetzung ausgehend, daß ihre Seele, für höheren Umgang geschaffen, seine Gesellschaft vermissen und daß sie so durch die Vergleichung mit Andern ihn lieben lernen werde. Er hatte vergessen, daß, wie die Sonnenblume zur Sonne, so die Jugend sich zur Jugend kehrt, bis ihn plötzlich seine Eifersucht gegen Glaukus seines Irrthums überführte. Von diesem Augenblicke an nahm, obgleich er, wie wir wissen, den ganzen Umfang der Gefahr noch nicht kannte, seine lange zurückgehaltene Leidenschaft, ein wilderes und stürmischeres Wesen an. Nichts zündet das Feuer der Liebe besser an, als ein Funke aus der Angst der Eifersucht; die Liebe gestaltet sich sodann zu einer wilderen und unwiderstehlicheren Flamme, vergißt ihre Sanftmuth, hört auf, zärtlich zu sein, und nimmt Etwas von der Heftigkeit, von der Wildheit des Hasses an.

Arbaces beschloß, mit vorsichtigen und gefährlichen Prophezeihungen keine Zeit mehr zu verlieren; er beschloß zwischen sich und seinen Nebenbuhler eine unwiderrufliche Schranke zu setzten; er beschloß, sich der Person Ione's zu bemächtigen. Allerdings hatte er sich keine gegenwärtige Liebe, die so lange gepflegt und durch reinere Hoffnungen, als bloß die der Leidenschaft genährt worden war, nicht mit diesem bloßen Besitze begnügte, denn er verlange eben so sehr nach dem Herzen und nach der Seele Ione's, als nach ihrer Schönheit; aber er bildete sich ein, wenn sie einmal durch ein kühnes Verbrechen von den übrigen Menschen losgerissen, und durch ein unauflösbares Band an ihn geknüpft sei, so werde sie gezwungen sein, alle ihre Gedanken in ihm zu concentriren; seine Künste, hoffte er, würden die Eroberung vollenden, und wie einst bei den Römern und Sabinern, die durch Gewalt errungene Herrschaft sich durch mildere Mittel befestigen. In diesem Entschlusse wurde er noch mehr bestärkt durch seinen Glauben an die Weissagungen der Sterne; längst schon hatten sie ihm dieses Jahr und sogar den gegenwärtigen Monat als den Zeitpunkt eines fürchterlichen, sein Leben selbst bedrohenden Unglücks bezeichnet. In einen bestimmten und sehr kurzen Termin eingeengt, beschloß er, wie ein Monarch, auf seinem Scheiterhaufen Alles, was seiner Seele am theuersten war, aufzuhängen, oder wie er sich selbst ausdrückte, wenn er sterben sollte, wenigstens zu fühlen, daß er gelebt habe, und also Ione zu der Seinigen zu machen.


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