Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Sechszehntes Kapitel.

Die Theilnahme guter Freunde an unserem Unglück – Der Kerker und seine Opfer.

Der Abend des dritten und letzten Gerichtstages über Glaukus und Olinth war eingebrochen. Wenige Stunden, nachdem die Sitzung beendigt und das Urtheil gefällt worden, hatte sich eine Gesellschaft junger Pompejaner von gutem Ton um den ausgewählten Tisch des Lepidus versammelt.

»Glaukus läugnete also sein Verbrechen bis zum letzten Augenblick?« begann Klodius.

»Ja, aber das Zeugnis des Arbaces war überweisend; dieser sah, wie der Stoß geführt wurde,« antwortete Lepidus.

»Was mag wohl die Veranlassung gewesen sein?«

»Nun, der Priester war ein finsterer und mürrischer Kamerad. Wahrscheinlich machte er dem Glaukus arge Vorwürfe wegen seines heiteren Lebens und seines Hangs zum Spiel, und schwur endlich, er werde seine Zustimmung zu der Vermählung Ione's mit dem Griechen nie geben. Es kam zum Wortwechsel; Glaukus scheint des Weines voll gewesen zu sein und stieß dem Priester im Affect nieder. Die Aufregung des Weins, verbunden mit den sofort sich einstellenden Gewissensbissen, führte den Wahnsinn herbei, an welchem er mehre Tage litt, und ich kann mir leicht denken, daß der arme Junge, noch immer durch dieses Delirium verwirrt, selbst jetzt des Verbrechens unbewußt ist, das er begangen hat. So lautet wenigstens die schlaue Vermuthung des Arbaces, der in seiner Zeugenaussage sehr freundlich und nachsichtig zu Werke gegangen zu sein scheint.«

»Ja, er hat sich dadurch allgemein beliebt gemacht. Aber in Anbetracht dieser mildernden Umstände hätte der Senat seinen Spruch mildern sollen.«

»Das würde er auch gethan haben, wenn das Volk nicht wäre; aber dies ist ganz wüthend. Die Priester hatten keine Mühe gehabt, die Leute vom Volk aufzuregen, und diese blutdürstigen Bestien bildeten sich nun ein, Glaukus habe Aussicht, der Arena zu entgehen, weil er reich und vornehm ist, und gerade deshalb waren sie unerbittlich gegen ihn und doppelt versessen auf seine Verurtheilung. Der Senat mußte zugeben, daß er der Rechte eines Bürgers beraubt und so zum Tode verurheilt wurde, obgleich der Arme bei all dem nur eine Mehrheit von drei Stimmen gegen sich hatte. – He, Wein von Chios!«

»Er sieht arg verändert aus; aber doch, wie ruhig und furchtlos!«

»Nun, wir werden sehen, ob seine Festigkeit bis morgen anhält. Aber welchen Werth kann der Muth haben, wenn dieser atheistische Hund, der Olinth, die gleiche Standhaftigkeit zeigt?«

»Der Gotteslästerer!« rief Lepidus mit frommem Zorn; »ach da ist es freilich kein Wunder, daß vor zwei Tagen erst ein Dekurio durch einen Blitz aus heiterem Himmel getödtet wurde.Plinius erzählt diese Thatsache. Die Götter sind erzürnt über Pompeji, so lange der niederträchtige Beflecker ihres Heiligthums in seinen Mauern lebt.«

»Und doch war der Senat so mild, daß Olinth nur Reue bezeugt und einige Körner Weihrauch auf den Altar der Cybele gestreut hätte, er mit heiler Haut davon gekommen wäre. Ich zweifle, ob diese Nazarener, wäre ihre Religion die herrschende, sich so duldsam gegen uns zeigen würden , wenn wir das Bild ihres Gottes niedergeschlagen, ihre Gebräuche gelästert und ihren Glauben verläugnet hätten.«

»Auch dem Glaukus gestattet man, in Anbetracht der Umstände, eine Möglichkeit der Rettung; er darf gegen den Löwen denselben Stylus verwenden, mit dem er den Priester niederstieß.«

»Hast Du den Löwen gesehen? Hast Du seine Zähne und Klauen betrachtet, und nennst Du das eine Möglichkeit? Selbst Schwert und Schild wären bloß Rohr und Papyrus gegen den Angriff des mächtigen Thieres! Nein – ich glaube die wahre Milde bestand darin, ihn nicht lange in Ungewißheit zu lassen, und es war deshalb ein Glück für ihn, daß unsere wohlwollenden Gesetze langsam in Fällung, aber rasch in Vollziehung der Urtheile sind, und daß die Spiele des Amphitheaters durch eine gewisse Vorsehung seit lange schon auf morgen festgesetzt waren. Auf den Tod warten, heißt zweimal sterben.«

»Was den Gottesläugner anbelangt,« sagte Klodius, »so muß er's mit dem Tiger mit unbewaffneter Hand aufnehmen. Unglücklicherweise kann man auf diese Kämpfe nicht wetten, oder will doch vielleicht Jemand die Wette halten?«

Ein schallendes Gelächter zeigte die Lächerlichkeit dieser Frage an.

»Armer Klodius!« rief der Wirth, »einen Freund zu verlieren, ist schon etwas; aber Niemand zu finden, der auf die Möglichkeit seiner Rettung mit Dir wettet, ist ein viel größeres Unglück für Dich!«

»Ja, das ist ärgerlich; für ihn und für mich wäre ein gewisser Trost in dem Gedanken gewesen, daß er selbst im Tode noch zu etwas nütze sei.«

»Das Volk,« hub der ernste Pansa an, »ist ganz entzückt von dem Ergebnis. Die guten Leute waren außerordentlich besorgt, die Spiele im Amphitheater möchten ohne einen Verbrecher für die Thier stattfinden müssen, und jetzt zwei solche Verbrecher zu bekommen, ist in der That eine Freude für die armen Burschen! Sie arbeiten hart und müssen deshalb auch einigen Spaß haben.«

»So spricht der Volksfreund Pansa, der nie ausgeht, ohne einen Schweif von Klienten, so lang als ein indischer Triumphzug. Er spricht immer vom Volke. Götter! am Ende wird er noch ein Grachus.«

»Jedenfalls bin ich kein anmaßender Aristokrat,« versetzte Pansa mit hochherziger Miene.

»Nun,« bemerkte Lepidus, »es wäre auch gewiß gefährlich, am Vorabend eines Thiergefechts den Mitleidigen zu spielen. Wenn je über mich ein hochnothpeinlicher Prozeß verhängt wird, so flehe ich zu Jupiter, daß entweder keine wilden Thiere in den öffentlichen Ställen, oder aber genug Verbrecher in den Kerkern sein mögen.«

»Und was,« fragte einer von den Gästen, »was ist aus dem armen Mädchen geworden, das Glaukus heirathen wollte? Eine Wittwe ohne Frau gewesen zu sein – das ist hart!«

»O,« entgegnete Klodius, »Sie ist sicher unter dem Schutz ihres Vormundes Arbaces. Es war natürlich, daß sie sich, nachdem sie Bräutigam und Bruder verloren, zu ihm begab.«

»Bei der Venus, Glaukus hatte Glück bei den Frauen! Man sagt, die reiche Julia sei auch in ihn verliebt gewesen.«

»Eine bloße Fabel, mein Freund,« sagte Klodius geckenhaft; »ich war heute bei ihr. Wenn sie je ein derartiges Gefühl empfand, so schmeichle ich mir, sie getröstet zu haben.«

»Still, Ihr Herren,« rief Pansa; »wißt Ihr nicht, daß Klodius gegenwärtig damit beschäftigt ist, in Diomeds Haus tüchtig auf die Fackel zu blasen? Sie fängt an zu brennen und wird bald hell leuchten an Hymens Altar.«

»Sieht es so aus?« fragte Lepidus; »was! Klodius ein Ehemann werden? Pfui!«

»Sie ohne Furcht,« antwortete Klodius, »der alte Diomed ist entzückt bei dem Gedanken, seine Tochter an einen Patrizier zu verheirathen und wird mit den Sesterzen nicht im Hinterhalt bleiben; daß ich sie aber nicht im Atrium verschließe, davon werdet Ihr Euch überzeugen. Der Tag, da Klodius eine Erbin heirathet, soll ein weißer für seine heitern Freunde sein.«

»Steht es so?« rief Lepidus, »komm, also einen vollen Becher auf das Wohl der schönen Julia!«

Während dieses Gesprächs, das mit der gewöhnlichen Denkungsart der Schwelger jener Zeit im Einklang stund, und das vielleicht vor hundert Jahren in gewissen Cirkeln von Paris ein Echo gefunden hätte, im heitern Triklinium des Lepidus stattfand, schaute eine ganz andere Umgebung den jungen Athener an.

Nach seiner Verurtheilung wurde Glaukus nicht mehr der milden Haft Sallusts, des einzigen Freundes in seinem Unglück, überantwortet. Man führte ihn über das Forum, bis die Wächter an einem Pförtchen neben dem Jupitertempel hielten. Die Thüre öffnete sich in der Mitte auf eine etwas sonderbare Art, indem sie sich wie ein moderner Triller um ihre Angeln drehte, so daß immer nur der halbe Raum zu einer und derselben Zeit offen stand. Durch diese enge Öffnung schoben sie den Gefangenen, setzten ein Brod und einen Krug Wasser vor ihn und überließen ihn der Finsternis und, wie er glaubte, der Einsamkeit. So plötzlich war die Umwälzung eingetreten, die ihn von der Palmenhöhe jugendlicher Freude und begünstigter Liebe in den tiefsten Abgrund der Schande und in die Schrecken eines blutigen Todes hinabgeworfen, daß er mehr als einmal glaubte, er liege in den Banden eines fürchterlichen Traumes. Seine elastische und kräftige Constitution hatte über einen Trank gesiegt, den er glücklicherweise nur zum kleineren Theile zu sich genommen. Sinne und Bewußtsein hatten sich wieder eingestellt, aber noch immer lag ein schwerer Nebel auf seinen Nerven, der seinen Geist verdunkelte. Sein natürlicher Muth und der edle griechische Stolz befähigten ihn, jede unpassende Bangigkeit zu überwinden und seinem entsetzlichen Schicksal im Gerichtssaal mit standhafter Haltung und unerschrockenem Auge entgegenzusehen. Dann aber reichte das Bewußtsein der Unschuld kaum mehr hin, ihn aufrecht zu erhalten, wenn der Blick der Menge seinen hohen Muth nicht länger erweckte und er der Stille und Einsamkeit überlassen wurde. Er fühlte, wie der Dunst des Kerkers seinen geschwächten Körper durchschauerte – ihn – den wählerischen, üppigen, versteinerten Menschen – der bis daher keiner Strapaze getrotzt, keinen Kummer gekannt hatte! Das herrliche Vögelchen, das er war! Warum hatte es seinen fernen und sonnigen Himmel – die Olivenhaine seiner vaterländischen Berge – die Musik ihrer unsterblichen Ströme verlassen? Warum sein glänzendes Gefieder unter diesen harten und ungleichartigen Fremdlingen entfaltet, ihr Auge mit seinen prachtvollen Farben geblendet und ihr Ohr mit seinem fröhlichen Gesang entzückt, um also plötzlich gefangen, in Finsternis geworfen, ein Opfer und eine Beute zu werden – seinen heiteren Flug für immer enden, seine munteren Lieder für immer zum Schweigen bringen zu lassen? Der arme Athener! Seine Fehler sogar waren das Übermaß einer milden und heiteren Natur geworden, und wie wenig hatte ihn seine Vergangenheit für die Prüfungen, die er erstehen sollte, vorbereitet! Das Geschrei des Volks, unter dessen Jubelruf er so oft seinen anmuthigen Wagen und seine bäumende Rosse dahingeführt hatte, klang noch immer schmerzhaft in seinem Ohre nach. Die kalten und steinernen Gesichter seiner früheren Freunde, der Genossen seiner heiteren Gelage, tauchten noch immer vor seinem Auge auf. Niemand war jetzt da, den bewunderten, den geschmeichelten Fremden zu trösten, zu ermuthigen. Diese Mauern öffneten sich für ihn nur, um auf der gefürchteten Arena einen gewaltsamen und schmählichen Tode entgegenzugehen. Und Ione! Auch von ihr hatte er nichts gehört; kein ermuthigendes Wort, keine Botschaft des Mitleidens; und sie hatte ihn verlassen; sie hielt ihn für schuldig – und zwar welches Verbrechens? – der Ermordung ihres Bruders! Er knirschte mit den Zähnen – er stöhnte laut – und eine schreckliche Besorgnis durchzuckte ihn. Konnte er nicht in jenem vollendeten und wilden Wahnsinn, der sich seiner Seele in so unerklärlicher Weise bemächtigt, sein verwirrtes Gehirn zerstört hatte, konnte er da nicht das Verbrechen, dessen er angeklagt war, ohne sein Bewußtsein wirklich begangen haben? So schnell jedoch dieser Gedanke in ihm auftauchte, eben so schnell war er auch unterdrückt. Denn trotz des die Vergangenheit umhüllenden Nebels glaubte er sich deutlich an den dämmernden Hain der Cybele, an das aufwärts gerichtete Gesicht des blassen Todten, an sein Verweilen zur Seite des Leichnams und an den plötzlichen Stoß zu erinnern, der ihn zu Boden geworfen. Er war von seiner Unschuld überzeugt; aber wer mochte ihn selbst in der fernsten Zeit, wenn seine zerfleischten Überreste längst mit den Elementen vermischt waren, für schuldlos halten, oder seinen guten Namen vertheidigen? Wenn er sich an seine Unterredung mit Arbaces und an die Ursachen zur Rache, die in dem Herzen dieses dunklen und fürchterlichen Mannes aufgeweckt worden waren, erinnerte, so konnte er nicht umhin, zu glauben, daß er das Opfer einer tief angelegten und geheimnisvollen Hinterlist sei, deren Faden er jedoch durchaus nicht zu entdecken vermochte; und Ione – Arbaces liebte sie – sollte vielleicht sein Untergang dem Siege seines Nebenbuhlers zur Grundlage dienen? Dieser Gedanke war qualvoller für ihn, als alle übrigen und sein edles Herz wurde mehr von Eifersucht verwundet, als durch Furcht entmuthigt. Von Neuem stöhnte er laut.

Eine Stimme aus dem Hintergrunde der Finsternis antwortete auf diesen Ausbruch des Schmerzes. »Wer,« begann sie, »ist mein Gefährte in dieser fürchterlichen Stunde? Athener Glaukus, bist Du es?«

»So nannte man mich allerdings in den Tagen des Glücks, jetzt aber haben sie vielleicht andere Benennungen für mich, und Dein Name, Fremdling?«

»Ist Olinth, Dein Genosse im Gefängnis wie vor Gericht.«

»Was! der, den man den Atheisten nennt? Hat etwa die Ungerechtigkeit der Menschen Dich gelehrt, die Vorsehung der Götter zu läugnen?«

»Ach!« antwortete Olinth, »Du – nicht ich – bist der eigentliche Gottesläugner; denn Du läugnest den einzig wahren Gott – den Unbekannten – dem Deine Väter zu Athen einen Altar errichteten. In dieser Stunde fühle ich meinen Gott. Er ist bei mir in Kerker; sein Lächeln durchdringt die Finsternis; am Vorabend des Todes flüstert mir mein Herz von Unsterblichkeit und die Erde tritt nur von mir zurück, um die milde Seele dem Himmel näher und näher zu bringen.«

»Sag mir,« rief Glaukus plötzlich, »hörte ich im Verlaufe meines Prozesses nicht Deinen Namen in Verbindung mit dem des Apäcides nennen? Hältst Du mich für schuldig?«

»Gott allein liest im Herzen; aber mein Verdacht ruhte nicht auf Dir.«

»Auf wem denn?«

»Auf Deinem Ankläger Arbaces.«

»Ha, Du ermuthigst mich – und weshalb auf Arbaces?«

»Weil ich des Mannes böses Herz kenne, und er Ursache hatte, den zu fürchten, der jetzt todt ist.«

Nunmehr berichtete Olinth dem Glaukus über diejenigen Umstände, die dem Leser bereits bekannt sind – über seine Unterredung mit Apäcides, so wie über den Plan, den er mit diesem zur Enthüllung der Betrügereien der egyptischen Priesterschaft und der von Arbaces gegen die jugendliche Schwäche des Neubekehrten angewandten Verführungskünste entworfen hatte. »Ist daher,« schloß Olinth, »der Verstorbene dem Arbaces begegnet, hat er ihm seinen Verrath vorgeworfen und mit Entdeckung gedroht, so mochten Ort und Stunde den Zorn des Egypters begünstigt, und Leidenschaft und List den Todesstoß geführt haben.«

»So muß es gewesen sein,« rief Glaukus voll Freude; »ich bin glücklich.«

»Was hilft Dir übrigens jetzt, diese Entdeckung, o Unglücklicher? Du bist unwiderruflich verurtheilt und wirst bei all Deiner Unschuld untergehen.«

»Aber ich selbst werde wissen, daß ich schuldlos bin, während ich bisher in meinem geheimnisvollen Wahnsinn fürchterliche, wenn auch nur augenblickliche, Zweifel hege. Aber sag' mir, Du Mann eines fremden Glaubens, denkst Du, daß wir für kleine Vergehen oder für angestammte Fehler von den Mächten da oben, wie Du sie auch heißen magst, auf immer verstoßen und verflucht sind?«

»Gott ist gerecht und verstößt seine Geschöpfe um bloßer menschlicher Schwäche willen nicht. Gott ist gnädig und verflucht nur die Sünder, die nicht bereuen.«

»Doch schien es mir, als ob ich im göttlichen Zorn von plötzlichem Wahnsinn – einer übernatürlichen, nicht durch menschliche Mittel bereiteten Selbstzerrüttung heimgesucht worden wäre.«

»Es gibt,« antwortete der Nazarener, »böse Geister auf Erden, so gut es einem Gott und seinem Sohn im Himmel gibt, und da Du die letzteren nicht anerkennst, so haben vielleicht die ersteren Macht über Dich gehabt.«

Glaukus antwortete nicht und es trat jetzt eine Stille von mehren Minuten ein. Endlich begann der Athener mit veränderter, sanfter und halb zaudernder Stimme: »Christ, glaubst Du nach den Lehren Deiner Religion, daß die Todten zu neuem Leben erstehen – – daß die, welche hier geliebt, in einer andern Welt vereinigt werden – daß jenseits des Grabes unser guter Name, befreit von dem Nebel der Sterblichkeit, der ihn vor dem groben Auge der Welt ungerechterweise verdunkelte, in seinem wahren Lichte leuchtet, und daß die durch Wüste und Felsen getrennten Ströme im heiligen Hades zusammentreffen und wieder in einem Bette fließen?«

»Ob ich das glaube, Athener? Nein, ich glaube es nicht: ich weiß es. Und diese schöne und beseligende Gewißheit ist es, die mich jetzt aufrecht erhält. O Cyllene,« fuhr Olinth begeistert fort, »Braut meines Herzens! mir im ersten Monat unserer Ehe entrissen, werd' ich Dich nicht in wenigen Tagen schon wiedersehen? Willkommen, willkommen Tod, der mich in den Himmel und zu Dir führt!«

In diesem plötzlichen Ausbruch menschlicher Liebe lag etwas, das eine verwandte Saite in der Seele des Griechen berührte. Zum erstenmal fühlte er eine größere Sympathie, als die bloße Gemeinschaft des Unglücks zu erwecken vermag. Er kroch näher zu Olinth hin; denn so roh auch die Italiener in einigen Punkten waren, so zeigten sie doch in andern keine unnöthige Grausamkeit; sie verschonten den Gefangenen mit abgesonderter Zelle und überflüssiger Kette, und gönnten den Opfern der Arena den traurigen Trost einer Freiheit und Gesellschaft, wie sie das Gefängnis zu bieten vermag.

»Ja,« fuhr der Christ mit heiligem Eifer fort, »die Unsterblichkeit der Seele – die Auferstehung – die Wiedervereinigung der Todten ist die große Grundlehre unseres Glaubens – die große Wahrheit, zu deren Verkündung und Bezeugung ein Gott selbst den Tod erlitt. Kein gefabeltes Elysium – kein dichterischer Orkus; sondern eine reine und strahlendere Ererbung des Himmels selbst ist der Antheil der Guten.«

»Sage mir also Deine Lehren und theile mir Deine Hoffnungen mit,« sprach Glaukus mit feierlicher Rührung.

Olinth zögerte nicht, dieser Bitte zu entsprechen und wie so oft in den ersten Jahrhunderten des Christenthums, ergoß auch hier das dämmernde Evangelium in die Dunkelheit des Kerkers und auf die herannähernden Schatten des Todes seiner sanften und heiligenden Strahlen.


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