Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Sechstes Kapitel.

Die glückliche Schönheit und die blinde Sklavin.

Eine Sklavin trat in das Zimmer der Ione, mit der Meldung, daß eine Botin von Glaukus vorgelassen zu werden wünsche.

Ione zauderte einen Augenblick.

»Die Botin ist blind,« sagte die Sklavin, »und will ihren Auftrag nur an Dich selbst ausrichten.«

Niedrig ist das Herz, welches das Unglück nicht achtet. Kaum hatte Ione gehört, daß die Botin blind sei, als sie die Unmöglichkeit fühlte, eine unfreundliche Antwort zu geben. Glaukus hatte einen Herold gewählt, der in der That heilig war – einen Herold, der nicht zurückgewiesen werden konnte.

»Was kann er von mir wollen? Welche Botschaft kann er senden?« fragte sich Ione selbst und ihr Herz schlug schneller. Der Vorhang an der Thüre ward zurückgezogen; ein sanfter und echoloser Tritt bewegte sich über den Marmor hin, und geführt von einer der Dienerinnen trat Nydia mit ihrer kostbaren Gabe ein.

Sie stand einen Augenblick still, als wenn sie auf einen Laut horchte, um ihre Richtung darnach zu nehmen.

»Will die edle Ione,« hub sie mit sanfter und leiser Stimme an, »mich eines Wortes würdigen, damit ich weiß, wohin ich diese umnachteten Schritte zu lenken habe, um ihr meine Gabe zu Füßen zu legen?«

»Schönes Kind,« sprach Ione gerührt und milde, »gib Dir nicht die Mühe, über diesen schlüpfrigen Boden zu gehen, meine Dienerin wird mir das bringen, was Du zu überreichen hast.« Und sie winkte ihrem Mädchen, die Vase in Empfang zu nehmen.

»Ich darf sie Niemanden als Dir geben,« antwortete Nydia, schritt, geleitet von ihrem Ohr, langsam der Stelle zu, wo Ione saß, und überreichte ihr knieend die Blumenvase.

Ione nahm sie aus ihrer Hand und stellte sie auf den Tisch zu ihrer Seite. Hierauf hob sie Nydia sanft empor und wollte sie auf das Polster setzen; aber das Mädchen weigerte sich bescheiden.

»Ich habe mich meines Auftrags noch nicht vollständig entledigt,« sprach sie und zog den Brief des Glaukus aus ihrem Gewande hervor. »Die Zeilen erklären vielleicht, warum Derjenige, der mich gesandt, eine so unwürdige Botin für Ione auserwählte.«

Die Griechin ergriff den Brief mit einer Hand, deren Zittern Nydia fühlte; dieses Gefühl entlockte der armen Sklavin sofort einen Seufzer. Mit übereinandergelegten Armen und niedergeschlagenen Blicken stund sie vor der stolzen und stattlichen Ione; – nicht minder stolz vielleicht in ihrer unterwürfigen Haltung. Ione winkte mit ihrer Hand und die Dienerinnen entfernten sich; noch einmal blickte sie in Verwunderung und schöner Theilnahme auf die junge Sklavin, trat sodann etwas von ihr zurück, eröffnete und las folgenden Brief:

»Glaukus sendet der Ione mehr, als er zu äußern wagt. Ist Ione unwohl? Deine Sklavinnen sagen mir nein, und diese Versicherung tröstet mich. Hat Glaukus Ione beleidigt? Ach, diese Frage mag ich nicht an die Sklavinnen richten. Seit fünf Tagen bin ich aus Deiner Gegenwart verbannt. Hat die Sonne geschienen? – Ich weiß es nicht; hat der Himmel gelächelt? – Für mich hat er kein Lächeln. Meine Sonne und mein Himmel sind ferne. Beleidige ich Dich? Bin ich zu kühn? Spreche ich das auf dem Schreibtäfelchen aus, was meine Zunge nicht zu äußern wagte? Ach, gerade in Deiner Abwesenheit fühle ich erst ganz den Zauber, durch den Du mich überwunden hast. Diese Abwesenheit jedoch, die mich der Freude beraubt, gibt mir Muth. Du willst mich nicht sehen, und hast auch die gemeinen Schmeichler verbannt, die Dich umlagern. Aber kannst Du mich mit ihnen vermengen? Es ist nicht möglich! Du weißt zu gut, daß ich nicht zu ihnen gehöre – daß ich von anderem Stoffe bin, als sie. Denn selbst wenn ich von dem niedrigsten Schlage wäre, so hat mich der Duft der Rose durchdrungen, und der Geist Deines Wesens ist in das meinige übergegangen, um es zu durchduften, zu heiligen, zu begeistern. Hat man mich bei Dir verleumdet, Ione? Du wirst es nicht glauben. Sagte mir das delphische Orakel selbst, Du seiest unwürdig, so würde ich ihm nicht glauben: und ich bin weniger ungläubig als Du? Ich denke an unser letztes Beisamemnsein – an das Lied, das ich Dir sang – an den Blick, mit dem Du mir darauf antwortetest. Verberge es, wie Du willst, Ione, es herrscht eine gewisse Verwandtschaft zwischen uns, und unsre Augen gestunden es, obwohl unsre Lippen schwiegen. Habe doch die Huld, mich zu sehen, mich anzuhören, und dann verbanne mich, wenn Du es willst. Ich gedachte nicht, so frühe es auszusprechen, daß ich liebe, aber diese Worte stürzen sich in mein Herz herein – sie wollen einen Ausweg haben. Empfange daher meine Huldigung und mein Gelübde. Wir trafen uns zuerst an dem Altare der Pallas; sollten wir nicht an einem älteren und milderen Altare zusammentreffen?

«Schöne angebetete Ione! wenn meine heiße Jugend und mein athenisches Blut mich irre leiteten und verlockten, so haben diese Irrwege mich nur gelehrt, die Ruhe, den Hafen, den ich nunmehr erreichte, zu würdigen. Ich hänge meine triefenden Kleider an dem Altare des Meergottes auf. Ich bin dem Schiffbruch entgangen; ich habe Dich gefunden. Ione, gestatte mir huldvoll den Zutritt; Du bist gütig gegen Fremdlinge, willst Du grausamer gegen Deine eigenen Landsleute sein? Ich erwarte Deine Antwort. Empfange die Blumen, die ich sende – ihr süßer Odem hat eine beredtere Sprache, als die der Worte. Die Düfte, die sie aushauchen, ziehen sie aus der Sonne; sie sind das Sinnbild der Liebe, die empfängt und zehnfach vergilt – das Sinnbild des Herzens, das Deine Strahlen einsog, und Dir den Keim zu jenen Schätzen verdankt, die es Deinem Lächeln darbringt. Ich sende Dir diese Blumen durch eine Botin, die Du, wenn nicht um meinetwillen, doch um ihretwillen aufnehmen wirst. Sie ist gleich uns eine Fremde; ihrer Väter Asche ruht unter einem freundlicherem Himmel; aber weniger glücklich als wir, ist sie blind und eine Sklavin. Arme Nydia! indem ich um die Erlaubnis bitte, sie in Deine Nähe zu bringen, suche ich die Grausamkeit der Natur und des Geschickes gegen sie so viel als möglich gut zu machen. Sie ist sanft, behende und gelehrig, in Musik und Gesang geübt, und für die Blumen eine wahre Chloris. Sie hofft, Ione, Du werdest sie lieb gewinnen; wo nicht, so schicke sie mir zurück.

»Noch ein Wort – laß mich kühn sein, Ione. Warum denkst Du so hoch von jenem dunkeln Egypter? Er hat durchaus nicht das Wesen eines redlichen Mannes an sich. Wir Griechen lernen die Menschen von unsrer Wiege an kennen; wir sind nicht weniger tief, wenn wir auch keine höhere Miene annehmen; unsre Lippen lächeln, aber unsre Augen sind ernst – sie beobachten – merken – studiren. Arbaces ist nicht der Mann, dem man so unbedingt trauen darf; könnte es der Fall sein, daß er mich bei Dir verleumdet hat? Ich glaube es, denn ich ließ ihn bei Dir zurück; Du sahst, wie sehr ihm meine Gegenwart zuwider war, und seit der Zeit hast Du mich nicht wieder vorgelassen. Glaube nichts, was er etwa zu meinem Nachtheile sagt; wenn Du es aber glaubst, so sage es mir ohne Weiteres, denn dies ist Ione dem Glaukus schuldig. Lebe wohl! Diesen Brief berührt Deine Hand; diese Buchstaben begegnen Deinem Auge – sollen sie glücklicher sein, als ihr Urheber? Noch einmal, lebe wohl!«

Während Ione diesen Brief las, war ihr, als ob ein Nebel vor ihren Augen verschwinde. Was war die vermeintliche Beleidigung des Glaukus gewesen? – daß er sie nicht in der That liebte! Und jetzt gestund er gerade heraus und in unzweideutigen Ausdrücken seine Liebe. Von diesem Augenblicke an, war seine Macht über sie wieder vollkommen hergestellt. Bei jedem zärtlichen Worte in diesem von poetischer und vertrauungsvoller Leidenschaft glühenden Briefe machte ihr Herz ihr Vorwürfe. Hatte sie nicht an seiner Treue gezweifelt und einem Andern geglaubt? Hatte sie ihm denn auch nur das Recht des Verbrechers zugestanden, sein Verbrechen zu erfahren, zu seiner Vertheidigung zu sprechen? – Thränen rollten ihr die Wangen herab – sie küßte den Brief, steckte ihn in ihren Busen und wandte sich zu Nydia, die noch an demselben Platze und in derselben Stellung da stund, mit den Worten: »Willst Du nicht sitzen, mein Kind, während ich eine Antwort auf diesen Brief schreibe?«

»Du willst ihn also beantworten?« sagte Nydia kalt.

»Gut; der Sklave, der mich begleitete, wird Deine Antwort zurücknehmen.«

»Was Dich anbelangt,« sprach Ione, »so bleibe bei mir – glaube mir, Dein Dienst soll leicht sein.«

Nydia neigte das Haupt.

»Wie heißt Du, schönes Mädchen?«

»Sie nennen mich Nydia.«

»Deine Heimath?«

»Das Land des Olympus – Thessalien.«

»Du sollst mir eine Freundin sein,« sagte Ione liebkosend, »wie Du mir eine halbe Landsmännin bist. Einstweilen bitte ich Dich, bleibe nicht länger auf diesem kalten und glatten Marmor stehen – Jetzt, da Du sitzest, kann ich Dich für einen Augenblick verlassen.«

Sie schrieb nun folgendes:

»Ione grüßt den Glaukus – komm zu mir, Glaukus, komm morgen zu mir; – ich mag ungerecht gegen Dich gewesen sein, aber ich will Dir wenigstens den Fehler sagen, der Dir zur Last gelegt wurde. – Fürchte hinfort den Egypter nicht mehr – fürchte Niemand. Du sagst, Du habest zu viel ausgedrückt – ach, in diesen hastig niedergeschriebenen Worten habe ich bereits dasselbe gethan. – Lebe wohl!«

Als Ione mit dem Brief wieder erschien, den sie, nachdem sie ihn geschrieben hatte, nicht zu überlassen wagte – (Raschheit und Ängstlichkeit, wie eigenthümlich seid ihr der Liebe!) fuhr Nydia von ihrem Sitze auf.

»Du hast an Glaukus geschrieben?«

»Ja.«

»Und wird er dem Boten danken, der ihm Deinen Brief bringt?«

Ione vergaß, daß Nydia blind war; sie erröthete von der Stirne bis an den Nacken, und blieb still.

»Ich meine nämlich,« fügte Nydia in ruhigem Tone hinzu, »das leichteste unfreundliche Wörtchen von Dir würde ihn betrüben – die kleinste Freundlichkeit erfreuen. Ist ihm das Erstere beschieden, so lasse den Sklaven Deine Antwort zurückbringen; enthält er aber das Letztere, so laß mich die Botin sein – ich will diesen Abend zurückkehren.«

»Und warum, Nydia,« fragte Ione ausweichend, »möchtest Du meinen Brief überbringen?«

»Ist ihm also Freundliches zugedacht!« sagte Nydia. »Ach, wie wäre es denn auch anders möglich; wer könnte unfreundlich gegen Glaukus sein!«

»Mein Kind,« entgegnete Ione etwas zurückhaltender, als zuvor, »Du sprichst mit Wärme – Glaukus ist also liebenswürdig in Deinen Augen?«

»Edle Ione! Glaukus ist mir geworden, was mir weder das Geschick, noch die Götter gewesen – ein Freund.«

Die mit Würde gepaarte Wehmuth, mit welcher Nydia diese einfachen Worte sprach, ergriff die schöne Ione; sie neigte sich herab und küßte die Blinde. »Du bist dankbar und mit Recht; warum sollte ich erröthen, zu sagen, daß Glaukus Deiner Dankbarkeit würdig ist? Geh, meine Nydia, – überbring ihm selbst diesen Brief – aber komm wieder zurück. Wenn ich bei Deiner Heimkehr nicht zu Hause sein sollte, was diesen Abend wohl der Fall sein dürfte, soll Dein Zimmer dem meinigen zunächst bereit sein. Nydia, ich habe keine Schwester – willst Du mir eine sein?«

Die Thessalierin küßte die Hand Ione's und sagte sodann mit einiger Verlegenheit: »Eine Gunst, schöne Ione – darf ich darum bitten?«

»Du kannst nichts fordern, was ich Dir nicht gewähren würde,« erwiderte die Neapolitanerin.

»Man sagt mir,« sprach Nydia, »daß Du schöner seiest, als Alles, was die Erde an Lieblichem aufzuweisen hat. Ach! ich kann das nicht sehen, was die Welt erfreut. Willst Du mir also erlauben, mit meiner Hand über Dein Gesicht zu fahren – das ist mein einziges Unterscheidungszeichen der Schönheit, und ich wende es gewöhnlich richtig an!«

Sie wartete nicht auf Ione's Antwort, sondern fuhr, noch während sie sprach, sanft und langsam mit ihrer Hand über die gebeugten und halb abgewandten Züge der Griechin hin – Züge, die nur ein Bild der Welt noch jetzt darstellt und zurückrufen kann. Dieses Bild ist die verstümmelte, aber doch so wundervolle Statue in Ione's Vaterstadt, in Neapel; jenes Antlitz von parischem Marmor, vor welchem alle Schönheit der florentinischen Venus ärmlich und irdisch erscheint – jenes Gesicht, voll Harmonie, Jugend, Geist und Seele, das neuere Forscher für eine Darstellung der Psyche halten.Die wundervollen Ueberbleibsel der so benannten Statue in dem Museo Burbonico. Das Gesicht ist, was die Züge und das darin ausgedrückte Gefühl anbelangt, das schönste, was uns die alte Bildhauerkunst hinterlassen hat.

Ihre Augen glitten langsam über das geflochtene Haar und die glatte Stirne – über die weiche und blühende Wange, über das Grübchen im Kinn – über den weißen Schwanenhals. »Ich weiß jetzt,« hub sie an, »daß Du schön bist, und kann Dich mir nun und für immer in meiner Dunkelheit vorstellen.«

Als Nydia sie verließ, versank Ione in tiefe aber köstliche Träumereien. Glaukus liebte sie also; er gestand es – ja, er liebte sie. Sie wunderte sich, wie sie je eine Silbe gegen ihn hatte glauben können, sie wunderte sich, wie der Egypter fähig gewesen war, eine Gewalt gegen Glaukus auszuüben. Sie fühlte einen Schauder, als sie nochmals auf seine Warnung gegen den Arbaces zurückkam und ihre geheime Furcht vor diesem dunkeln Wesen steigerte sich bis zum Grauen. Aus diesen Gedanken wurde sie durch ihre Dienerinnen aufgeweckt, die ihr meldeten, daß die zum Besuche des Arbaces bestimmte Stunde nunmehr gekommen sei. Sie erschrak, denn sie hatte das Versprechen vergessen Ihr erster Entschluß war, diesen Besuch zu unterlassen, ihr zweiter, über ihre Furcht vor ihrem ältesten Freunde zu lachen. Sie beeilte sich, ihrer Kleidung den übrigen Schmuck beizufügen, und unentschlossen, ob sie schon jetzt den Egypter näher über seine Anklagen gegen Glaukus befragen, oder ob sie warten solle, bis sie, ohne die Quelle anzugeben, die Anschuldigung selbst dem Glaukus mitgetheilt habe, schlug sie den Weg nach der düstern Behausung des Arbaces ein.


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