Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Achtes Kapitel.

Julia besucht den Arbaces – Das Ergebnis dieser Unterredung.

Arbaces saß in einem Zimmer, das sich auf eine Art Balkon oder Säulengang gegen den Garten öffnete. Seine Wange war blaß und eingefallen von den ausgestandenen Leiden, aber sein eiserner Körper hatte sich bereits wieder von den bedenklichen Folgen des Unfalls erholt, der seine grimmigen Absichten in dem Augenblicke des Sieges durchkreuzt hatte. Die Luft, welche süß drückend auf seine Stirne wehte, seine ermattenden Sinne und das Blut kreiste wieder freier als seit vielen Tagen durch seine eingeschrumpften Gefäße.

»So ist denn,« dachte er, »der Sturm des Geschickes gebrochen und vorübergezogen; das Unglück, das meine Wissenschaft vorausgesagt hatte und das mein Leben selbst bedrohen sollte, ist eingetreten, und noch lebe ich! Es geschah, was die Sterne verkündeten – und die lange, glänzende und glückliche Laufbahn, die, im Fall ich es überlebe, auf das Übel folgen sollte, lächelt mir nunmehr jenseits desselben. – Ich bin hinüber geschritten – ich habe die letzte Gefahr meines Geschickes überwunden. Nunmehr habe ich nur noch den Garten meines zukünftigen Lebens anzulegen, ohne Furcht und sicher. Als die erste meiner Freuden also – selbst vor der Liebe – möge Rache kommen! Dieser griechische Knabe, der meiner Leidenschaft in den Weg getreten und meine Pläne durchkreuzt hat – der mich selbst dann noch verhöhnte, als der Stahl im Begriffe stand, sein verfluchtes Blut zu trinken – soll mir nicht zum zweitenmal entgehen; doch welche Art der Rache wählen? Das muß wohl bedacht werden. O Ate, wenn du wirklich eine Göttin bist, so erfülle mich mit all deinen Eingebungen!«

Der Egypter sank bei diesen Worten in eine tiefe Träumerei, die ihm seinen klaren aber befriedigenden Gedanken einzugeben schien. Unruhig wechselte er seine Stellung, während er einen Plan nach dem andern ausdachte, und verwarf jeden sofort wieder, sobald er ihn gebildet hatte. Mehremale schlug er an seine Brust und stöhnte laut, im Durst nach Rache und im Gefühl seiner Unmacht zu deren Befriedigung. Während er also nachdachte, trat ein Sklavenknabe schüchtern in das Zimmer, mit der Meldung, eine Dame, ihrer eigenen und ihrer Sklavinnen Kleidung nach offenbar von Stand, warte unten und bitte um Gehör bei Arbaces.

»Eine Dame!« Sein Herz schlug schneller. »Ist sie jung?«

»Ihr Gesicht ist durch einen Schleier verhüllt; aber ihre Gestalt ist, obgleich voll, dennoch zart wie die der Jugend.«

»Führe sie her,« sprach der Egypter, dessen eitles Herz einen Augenblick glaubte, die Fremde möchte Ione sein.

Der erste Blick, den er auf die nunmehr Eintretende warf, reichte hin, eine so irrthümliche Vermuthung zu widerlegen. Allerdings hatte sie so ziemlich dieselbe Größe und vielleicht auch dasselbe Alter wie Ione – allerdings war sie schön und üppig geformt; aber wo blieb jene unbeschreiblich anmuthige Wellenform, welche jede Bewegung der unvergleichlichen Neapolitanerin begleitete? – die züchtige und anständige Kleidung, die selbst bei der sorgfältigsten Anordnung der Einfachheit nicht ermangelte? – der würdevolle und doch schüchterne Schritt? die Majestät des Weibes und ihre Sittsamkeit?

»Verzeih mir, ich kann nur mühsam aufstehen,« begann Arbaces, die Fremde anschauend, »ich leide noch immer an einer kürzlich eingetretenen Krankheit.«

»Laß Dich durchaus nicht stören, großer Egypter,« erwiderte Julia, welche die Furcht, die sie bereits empfand, unter dem bequemen Schleier der Schmeichelei zu verdecken suchte, »und verzeih einem glücklichen Frauenzimmer, das Trost bei Deiner Weisheit sucht.«

»Komm näher, schöne Fremde,« sagte Arbaces, »und sprich ohne Furcht und ohne Rückhalt.«

Julia setzte sich auf einen Stuhl neben den Egypter und blickte verwundert in einem Zimmer umher, dessen ausgesuchte und kostbare Pracht sogar den reichen Schmuck im Hause ihres Vaters beschämte; furchtsam betrachtete sie ferner die Hieroglyphenschriften an den Wänden – die Gesichter der geheimnisvollen Bilder, die sie aus jeder Ecke anstarrten – den Dreifuß in einiger Entfernung – und vor Allem das ernste und merkwürdige Gesicht des Arbaces selbst. Ein langes weißes Kleid bedeckte wie ein Schleier halb seine Rabenlocken und floß bis zu seinen Füßen hinab; seine gegenwärtige Blässe machte sein Gesicht nur noch eindrucksvoller, und seine dunklen und durchbohrenden Augen schienen den Schleier der Dame zu durchdringen und die Geheimnisse ihrer eitlen und unweiblichen Seele zu erforschen.

»Und was,« sagte er mit leiser, tiefer Stimme, »was, o Mädchen, führt Dich in das Haus des Fremdlings aus Osten?«

»Sein Ruf,« antwortete Julia.

»Worin?« sprach er mit sonderbarem, leichtem Lächeln.

»Kannst Du fragen, o weiser Arbaces? Ist Deine Wissenschaft nicht das Stadtgespräch in Pompeji?«

»Einige Kenntnisse habe ich allerdings gesammelt,« erwiderte Arbaces, »aber in wiefern können solch ernste und unfruchtbare Mysterien dem Ohre der Schönheit Nutzen bringen?«

»Ach,« erwiderte Julia, etwas ermuthigt durch die gewöhnten Töne der Schmeichelei, »flieht nicht der Kummer zur Weisheit um Linderung, und sind nicht die, welche unerwidert lieben, die erwählten Opfer des Grams?«

»Ha,« rief Arbaces, »kann unerwiderte Liebe das Loos einer so schönen Gestalt sein, deren tadellose Verhältnisse selbst durch die Falten Deines anmuthigen Kleides sichtbar sind? Gewähre mir die Gunst, o Jungfrau, Deinen Schleier zu lüften, damit ich wenigstens sehe, ob Dein Antlitz der Lieblichkeit Deiner Person entspreche.«

Nicht abgeneigt vielleicht, ihre Reize zu entfalten, und im Glauben, daß sie in dem Magier wohl Theilnahme an ihrem Schicksal erwecken dürften, hob Julia nach kurzem Bedenken ihren Schleier und enthüllte eine Schönheit, die, wäre nicht so viel Kunst dabei gewesen, den Blick des Egypters sicherlich angezogen hätte.

»Du willst Dich bei mir Raths erholen wegen unglücklicher Liebe,« sagte er. »Wohlan, wende dieses Gesicht dem Undankbaren zu; welch kräftigeren Liebeszauber könnte ich Dir geben?«

»Oh, laß diese Artigkeiten,« bat Julia; »es ist allerdings ein Liebeszauber, den ich von Deiner Kunst erbitten wollte!«

»Schöne Fremde,« entgegnete Arbaces etwas höhnisch, »Liebeszauber gehören nicht zu denjenigen Geheimnissen, zu deren Erlangung ich die Nächte durchwacht habe.«

»In der That? Dann verzeih mir, großer Arbaces, und lebe wohl!«

»Halt,« rief der Egypter, der trotz seiner leidenschaftlichen Liebe zu Ione für die Schönheit seines Gastes nicht unempfindlich war und der, wäre sein Befinden besser gewesen, wohl versucht haben dürfte, die schöne Julia durch andere Mittel als durch die einer übernatürlichen Wissenschaft zu trösten; »halt, obwohl ich, wie gesagt, die Zauberei der Liebestränke Denen überlassen habe, die ein Gewerbe aus deren Verfertigung machen, so bin ich doch keineswegs so abgestumpft für Schönheit, um in früheren Jahren nicht selbst solche Getränke angewandt zu haben. Wenn Du aufrichtig gegen mich sein willst, so kann ich Dir wenigstens einen Rath geben; sage mir also zuerst, bist Du unverheirathet, wie Deine Kleidung anzeigt?«

»Ja,« sagte Julia.

»Und, nicht begabt mit Reichthum, möchtest Du gerne einen vermöglichen Feier anlocken?«

»Ich bin reicher als der, welcher mich verachtet.«

»Sonderbar und immer sonderbarer, und Du liebst ihn, der Dich nicht liebt?«

»Ich weiß nicht, ob ich ihn liebe,« antwortete Julia stolz, »aber ich weiß, daß ich über eine Nebenbuhlerin zu triumphiren wünsche – ich möchte sehen, wie der, welcher mich verwarf, um mich freite, sehen, wie die, welche er mir vorzog, nunmehr ihrerseits verachtet würde.«

»Ein natürlicher und des Weibes würdiger Ehrgeiz,« sagte der Egypter in einem für Ironie zu ernsten Tone; »aber noch mehr, schöne Jungfrau, willst Du mir den Namen Deines Geliebten anvertrauen? Kann er ein Pompejaner sein und Reichthum verschmähen, selbst wenn er blind gegen Schönheit sein sollte?«

»Er ist aus Athen,« antwortete Julia, die Blicke senkend.

»Ha,« rief der Egypter ungestüm und das Blut trat ihm in die Wangen; »es gibt nur einen jungen Athener von edler Abkunft in Pompeji. Sollte es Glaukus sein, von dem Du sprichst?«

»Ach, verrath' mich nicht – so heißt er in der That.«

Der Egypter fuhr zurück, starrte gedankenlos auf das abgewandte Gesicht der Kaufmannstochter und fragte sich selbst leise, ob diese Unterredung, die er bis jetzt bloß oberflächlich behandelt hatte, indem ihm die Leichtgläubigkeit und Eitelkeit seines Besuches Spaß machte, ihm nicht für seine Rache von Nutzen sein könne.

»Ich sehe, Du kannst mir nicht beistehen,« sprach Julia, durch sein fortgesetztes Stillschweigen beleidigt, »Bewahre wenigstens mein Geheimnis – noch einmal, lebe wohl!«

»Jungfrau,« hub der Egypter in ernstem und feierlichen Tone an, »Deine Bitte hat mich gerührt, ich will Dir an die Hand gehen. Höre mich: Ich selbst habe mich nie mit diesen untergeordneten Mysterien befaßt, aber ich weiß Jemand, der sich damit abgibt. Am Fuße des Vesuv, keine Meile von der Stadt entfernt, wohnt eine mächtige Hexe; im üppigen Thau des Neumonds hat sie die Kräuter gesammelt, welche die Kraft besitzen, Liebe in ewige Fesseln zu legen. Ihre Kunst kann Deinen Geliebten Dir zu Füßen werfen. Suche sie und nenne ihr den Namen des Arbaces; sie fürchtet diesen Namen und wird Dir von ihrem stärksten Tranke geben.«

»Ach,« antwortete Julia, »ich weiß den Weg zu dem Hause derjenigen, von welcher Du sprichst, nicht, und trotz seiner Kürze ist er dennoch zu lang für ein Mädchen, die das Haus ihres Vaters heimlich verläßt. Die Gegend ist mit wilden Reben verwachsen und durch abschüssige Höhlen gefährlich. Einem Fremden wage ich mich nicht zur Führung anvertrauen – der Ruf eines Weibes wird leicht befleckt – und obgleich ich meine Leidenschaft für Glaukus nicht zu verhehlen suche, so wünschte ich doch nicht, daß man erführe, ich habe seine Liebe durch einen Zaubertrank erworben.«

»Wäre ich nur um drei Tage vorgeschritten in meiner Genesung,« entgegnete der Egypter, stand auf und ging, wie um seine Kräfte zu erproben, mit schwankenden und schwachen Schritten durchs Zimmer – »so würde ich Dich selbst begleiten. – Nun, Du mußt warten.«

»Aber Glaukus wird diese verhaßte Neapolitanerin so bald heirathen.«

»Heirathen?«

»Ja, in den ersten Tagen des nächsten Monats.«

»So bald; bist Du hierüber gut unterrichtet?«

»Ich weiß es aus dem Munde ihrer eigenen Sklavin.«

»Es soll nicht geschehen,« rief der Egypter ungestüm, »fürchte nichts, Glaukus soll Dein werden. Aber wie kannst Du ihm diesen Trank, wenn Du ihn erhältst, beibringen?«

»Mein Vater hat ihn und, wie ich glaube, auch die Neapolitanerin auf übermorgen zu einem Gastmahl eingeladen, und da kann ich die Sache ganz gut ausführen.«

»So geschehe es,« sprach der Egypter, dessen Augen von so wilder Freude funkelten, daß Juliens Blick sich zitternd vor ihnen beugte. »Bestellte also auf morgen Abend Deine Sänfte; Du hast wohl über eine zu verfügen?«

»Gewiß,« erwiderte die geldstolze Julia.

»Bestelle Deine Sänfte – in geringer Entfernung von der Stadt befindet sich ein Vergnügungsort, den die reicheren Pompejaner wegen seiner herrlichen Bäder und schönen Gärten häufig besuchen. Dorthin, kannst Du vorgeben, gehe Dein ganzer Ausflug, und dort will ich, lebend oder sterbend, bei der Statue des Silenus in dem den Garten umgebenden Wäldchen mit Dir zusammenkommen; denn ich selbst will Dich zur Hexe führen. Warten wir übrigens, bis mit dem Abendstern die Ziegen der Hirten zur Ruhe gegangen sind, bis das dunkle Zwielicht uns verbirgt und Niemand unsern Pfad durchkreuzt. Gehe heim und sei ohne Furcht. Beim Hades schwört Arbaces, der Zauberer von Egypten, daß Ione nie den Glaukus heirathen soll!«

»Und daß Glaukus der Meinige wird?« setzte Julia hinzu, den unvollständigen Satz vollendend.

»Du hast es gesagt,« antwortete Arbaces, und Julia, halb erschrocken über diese unheimliche Verabredung, aber durch Eifersucht noch mehr als durch Liebe angetrieben, beschloß ihr nachzukommen.

Allein gelassen brach Arbaces in die Worte aus: »Glänzende Sterne, die ihr nie lügt, schon beginnt ihr die Erfüllung eurer Versprechungen – Glück in der Liebe und Sieg über meine Feinde für den sanften Rest meiner Lebenszeit! Gerade in der Stunde, da mein Geist keinen Pfad zum Ziel meiner Rache auffinden konnte, habt ihr mir diese schöne Thörin zur Führerin gesandt.« In tiefen Gedanken hielt er inne. »Ja,« begann er wiederum, aber mit ruhigerer Stimme, »ich selbst hätte ihr das Gift nicht geben dürfen, das allerdings der Liebestrank sein soll! – die Spur seiner Ermordung hätte ja sonst bis in mein Haus verfolgt werden können. Aber die Hexe – ja, sie ist die zweckmäßige, natürliche Vollzieherin meiner Pläne!« Er rief einen seiner Sklaven, befahl ihm, Julien auf dem Fuße nachzueilen und sich nach ihrem Namen und Stand zu erkundigen. Nachdem dies geschehen war, schritt er in den Portikus vor. Der Himmel war rein und klar – Arbaces aber, wohl vertraut mit den Zeichen seines Wechsels, erblickte in einer weit am Horizonte schwebenden Wolkenmasse, die der Wind langsam zu bewegen anfing, das Vorzeichen eines Sturmes.

»Wie meine Rache,« sagte er emporschauend;« der Himmel ist klar, aber die Wolke rückt heran.«


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