Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Neuntes Kapitel.

Was aus Ione in dem Hause des Arbaces wird – Das erste Zeichen vom Zorne des furchtbaren Feindes.

Als Ione in die geräumige Halle des Egypters trat, überkam auch sie derselbe Schauer, der ihren Bruder befallen hatte; ihr wie ihm schien etwas Unheimliches und Warnendes in dem stillen und wehmüthigen Angesicht jener thebanischen Ungeheuer zu liegen, deren majestätische und leidenschaftslose Züge sich im Marmor so gut darstellen lassen:

»In ihrer Miene lebte die längst vergangne Zeit,
In ihrem Auge dachte der Geist der Ewigkeit.«

Der große äthiopische Sklave grinste, als er sie einließ, und winkte ihr, weiter zu gehen. In der Mitte der Halle kam ihr Arbaces selbst entgegen in einem festlichen, von Juwelen schimmernden Gewande. Obgleich es draußen heller Tag war, so hatte man doch das Innere des Hauses nach dem wollüstigen Brauche jener Zeit künstlich verdunkelt, und die Lampen warfen ihr stilles und duftendes Licht über die reichen Fußboden und die mit Elfenbein ausgelegten Plafonds.

»Schöne Ione,« sprach Arbaces, als er sich neigte, um ihre Hand zu berühren, »Du bist es, die den Tag verfinstert hat – Deine Augen erleuchten diese Hallen – Dein Odem erfüllt sie mit Wohlgerüchen.«

»So mußt Du nicht mit mir reden,« entgegnete Ione lächelnd. »Du vergißt, daß Deine Weisheit meinen Geist hinlänglich unterrichtet hat, um mir solche, meiner Person geltende Artigkeiten unwillkommen zu machen. Du warst es ja, der mich die Schmeichelei verachten lehrte; willst Du Deine Schülerin das vergessen machen, was Du sie gelehrt hast?«

In dem Benehmen Ione's lag, während sie diese Worte sprach, etwas so Unbefangenes und Reizendes, daß der Egypter verliebter und geneigter als je wurde, den so eben gerügten Fehler von Neuem zu begehen; er antwortete übrigens rasch und munter, und beeilte sich, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.

Er führte sie durch die verschiedenen Zimmer eines Hauses, das ihren an keine andere Pracht, als an die bescheidene Eleganz der kampanischen Städte gewöhnten Augen die Schätze der Welt zu enthalten schien.

Die Wände waren mit Gemälden von unschätzbarer Kunst ausgeschmückt; der Glanz der Lampen bestrahlte Statuen aus der edelsten Zeit Griechenlands. Juwelenkästchen, deren jedes einzelne selbst ein Juwel war, füllten die Zwischenräume der Säulen aus; die kostbarsten Holzarten waren zu Schwellen und Thüren verwendet, und Gold und Edelsteine schienen überall hin ausgegossen. Bisweilen waren sie allein in diesen Zimmern, bisweilen schritten sie durch Reihen schweigender Sklaven, die, von Ferne niederfallend, ihr Armbänder, Ketten und Edelsteinen darboten, und um deren Annahme sie der Egypter, jedoch fruchtlos, anflehte.

»Schon oft,« sagte sie vor Staunen, »habe ich gehört, daß Du reich seiest, aber nie ließ ich mir träumen, daß Deine Schätze sich zu solcher Höhe erstrecken.«

»Könnte ich sie doch alle,« erwiderte der Egypter, »zu einer einzigen Krone verschmelzen, die ich auf diese blendend weiße Stirn setzte.«

»Ach, ihr Gewicht würde mich niederdrücken; ich wäre eine zweite Tarpeja,« antwortete Ione lachend.

»Aber Du verachtest doch den Reichthum nicht – o Ione, wer nicht reich ist, weiß nicht, das das Leben zu gewähren im Stande ist. Gold ist der große Zauberer der Erde – es verwirklicht unsere Träume, und gibt ihnen die Macht eines Gottes. Es liegt eine gewisse Größe und Erhabenheit in seinem Besitze; es ist der mächtigste und zugleich der gehorsamste unserer Sklaven.«

Der schlaue Arbaces suchte die Neapolitanerin durch seine Schätze und Beredsamkeit zu verblenden; suchte in ihr das Verlangen zu erwecken, die Herrin dessen, was sie hier vor sich sah, zu werden, und hoffte, daß sie den Besitzer mit dem Besitze vermengen, daß der Glanz seines Reichthums auf ihn selbst zurückstrahlen werde. Übrigens fühlte sich Ione insgeheim etwas unbehaglich, als solche Artigkeiten denselben Lippen entströmten, die bis vor Kurzem noch die der Schönheit gewöhnlich dargebrachte Huldigung zu verschmähen schienen. Mit jener zarten Gewandtheit, die nur die Frauen besitzen, suchte sie mit Wohlbedacht abgeschossene Pfeile zu pariren und den Sinn seiner glühenden Sprache wegzuplaudern oder wegzulocken. Nichts Lieblicheres gibt es in der Welt, als diese Vertheidigunsweise; sie ist das Kunststück jenes afrikanischen Zauberers, der mit einer Feder den Winden eine andere Richtung geben zu können behauptete.

Der Egypter war von ihrer Anmuth fast noch mehr, als von ihrer Schönheit, berauscht und überwältigt; nur mit Mühe konnte er seine Empfindungen unterdrücken. Ach! die Feder war nur mächtig gegen die zarten Sommerlüftchen – aber sie würde das Spiel eines Sturmes sein.

Während sie so in einer mit weißen, silbergestickten Draperien ausgeschlagene Halle stunden, klatschte der Egypter plötzlich in die Hände, und wie durch einen Zauber stieg ein Tisch aus dem Fußboden in die Höhe; gleichzeitig erhob sich zu den Füßen Ione's ein Ruhebett oder ein Thron mit einem karmesinroten Baldachin, und in demselben Augenblicke tönte hinter den Vorhängen eine unsichtbare und überaus weiche Musik hervor.

Arbaces setzte sich zu den Füßen Ione's, und Kinder, jung und schön, wie Liebesgötter, warteten bei dem Feste auf.

Das Mahl war vorüber, die Musik sank in einen sanften und gedämpften Ton herab, und Arbaces redete nun seinen schönen Gast folgendermaßen an: »Hast Du nie in dieser dunkeln und ungewissen Welt – hast Du nie, meine Schülerin, ein Verlangen gefühlt, nach Jenseits zu blicken? Hast Du nie gewünscht, den Schleier der Zukunft zu lüften, und an der Küste des Geschickes die Schattenbilder der Dinge, die da kommen sollen, zu schauen; denn nicht nur die Vergangenheit hat ihre Geister, auch jedes künftige Ereignis hat sein Gespenst, seinen Schatten. Wenn seine Stunde kömmt, so tritt dieser Schatten ins Leben ein, wird körperlich und wandelt in der Welt umher. So gibt es also in dem Lande jenseits des Grabes stets zwei ungreifbare und geistige Gäste – die Dinge, die da kommen sollen und die Dinge, die da waren. Wenn wir durch unsere Weisheit in jenes Land einzudringen vermögen, sehen wir die Einen sowohl als die Andern, und lernen, gleich mir, nicht nur die Geheimnisse der Todten, sondern auch das Geschick der Lebenden kennen.«

»Gleich Dir! – Reicht menschliche Weisheit so weit?«

»Willst Du mein Wissen prüfen, Ione, und die Darstellung Deines eigenen Schicksals schauen? Es ist dies ein ergreifenderes Drama, als irgend eines von Äschylus, und ich habe es für Dich vorbereitet, wenn Du die Schatten ihrer Rolle spielen sehen willst.«

Die Neapolitanerin zitterte; sie dachte an Glaukus und seufzte, während sie zitterte; sollten ihre Lebenspfade vereinigt werden? Halb zweifelnd, halb gläubig, halb von Ehrfurcht, halb von Neugierde erfüllt bei den Worten ihres seltsamen Wirthes, blieb sie einige Augenblicke stille und antwortete sodann: »Es könnte zurückschrecken – könnte mich entsetzen – die Kenntnis der Zukunft wird vielleicht nur die Gegenwart verbittern.«

»Nicht also, Ione, ich selbst habe auf Dein künftiges Loos geschaut und die Geister Deiner Zukunft sonnen sich in den Gärten des Elysiums, unter Asphodillen und Rosen winden sie die Blumenkränze Deines süßen Geschickes und die gegen Andere so hartherzigen Parzen spinnen für Dich nur den Faden des Glückes und der Liebe. Willst Du also kommen und Deine Bestimmung schauen, damit Du Dich ihrer zum Voraus freuen mögest?«

Wiederum flüsterte das Herz der Ione den Namen des Glaukus, und sie ließ eine kaum hörbare Zustimmung vernehmen. Der Egypter stand auf, nahm sie bei der Hand und führte sie durch das Banketzimmer. Wie durch Geisterhände wurden die Vorhänge auf die Seite geschoben und die Musik erschallte in lebhafteren und freudigeren Tönen. Sie schritten durch einen Säulengang, zu dessen beiden Seiten Fontänen ihr duftendes Wasser in die Höhe warfen, und stiegen sodann auf breiten und bequemen Stufen in einen Garten hinab. Der Abend hatte begonnen, der Mond stand schon hoch am Himmel und jene frischen Blumen, die bei Tag schlafen und die Nachtluft mit unbeschreiblichen Wohlgerüchen erfüllen, waren in den durch das dichte, von den Sternen beleuchtete Gebüsch führenden Alleen reichlich ausgestreut, oder lagen in Körbchen gesammelt wie Opfergaben zu den Füßen der Statuen, die ihnen auf ihrem Wege zahlreich entgegen schimmerten.

»Wohin willst Du mich führen, Arbaces?« sagte Ione verwundert.

»Nur dorthin,« antwortete er, auf ein kleines Gebäude am Ende der Allee zeigend, »es ist ein den Parzen geweihter Tempel – unsre Gebräuche erheischen solch heiligen Boden.«

Sie traten in eine schmale Halle, an deren Ende ein schwarzer Vorhang hin; Arbaces hob ihn in die Höhe, Ione trat ein und fand sich in völliger Dunkelheit.

»Sei ohne Furcht,« sagte der Egypter, »es wird gleich hell werden,« und während er sprach, verbreitete sich nach und nach ein sanftes und warmes Licht. Nachdem es sich über jeden Gegenstand ergossen, schien es Ionen, daß sie sich in einem von allen Seiten schwarz behangenen Gemache von mäßiger Größe befinde; ein Ruhebett von derselben Farbe stund neben ihr. In der Mitte des Zimmers befand sich ein kleiner Altar, auf welchem ein bronzener Dreifuß stand. An der einen Seite war auf einer hohen Granitsäule ein kolossales Haupt von dem schwärzesten Marmor angebracht, das sie an dem die Sterne umgebenden Kranze von Weizenähren als eine Büste der großen egyptischen Gottheit erkannte. Arbaces trat an den Altar; er hatte seinen eigenen Kranz auf denselben niedergelegt, und schien jetzt damit beschäftigt, den Inhalt einer ehernen Vase in den Dreifuß zu schütten, aus welchem sofort eine blaue, sich rasch emporschlängelnde, unregelmäßige Flamme aufschoß. Der Egypter zog sich jetzt wieder an Ione's Seite zurück, und während er einige Worte in einer ihrem Ohre fremden Sprache murmelte, wehte der Vorhang hinter dem Altare zitternd hin und her, trennte sich langsam, und durch die hiedurch entstandene Öffnung erblickte Ione eine undeutliche und blasse Landschaft, die, je länger sie hinsah, allmählig heller und klarer wurde, bis sie zuletzt Bäume, Flüsse und Auen und all' die schöne Mannigfaltigkeit der reichsten Gegend deutlich unterschied. Endlich glitt vor der Landschaft ein dämmeriger Schatten hin, und blieb Ione gegenüber stehen. Langsam schien auch auf ihn derselbe Zauber, wie auf die übrige Landschaft einzuwirken; er nahm Form und Gestalt an und siehe – in seinen Zügen und Umrissen erblickte Ione sich selbst!

Jetzt verschwand die Landschaft hinter dem Gespenste, und an ihre Stelle trat das Bild eines prachtvollen Palastes; im Mittelpunkte seiner Helle erhob sich ein Thron; die dämmerigen Gestalten von Sklaven und Wachen reihten sich um ihn her, und eine bleiche Hand hielt eine Art von Diadem über den Thron.

Nunmehr trat eine neue Figur auf; sie war von Kopf bis Fuß in ein dunkles Gewand gekleidet, so daß man weder das Gesicht noch die Umrisse erkennen konnte; sie kniete vor dem Schatten der Ione nieder, erfaßte dessen Hand und zeigte nach dem Throne, wie um zu seiner Besteigung einzuladen.

Das Herz der Neapolitanerin schlug heftig.

»Soll der Schatten sich enthüllen?« flüsterte eine Stimme neben ihr – die Stimme des Arbaces.

»Ach ja,« antwortete Ione sanft.

Arbaces erhob seine Hand – das Gespenst ließ den Mantel, der seine Gestalt verhüllte, fallen, und Ione schrie laut auf – es war Arbaces selbst, der hier vor ihr kniete.

»Das ist in der That Dein Loos,« flüsterte ihr von Neuem des Egypters Stimme ins Ohr, »und Du bist bestimmt, die Braut des Arbaces zu sein.«

Ione erschrak, der schwarze Vorhang schloß sich über der Phantasmagorie, und Arbaces, der wirkliche, der lebende Arbaces lag zu ihren Füßen.

»O Ione« sagte er, sie leidenschaftlich anschauend, »schenke einem Manne Gehör, der lange vergebens mit seiner Liebe gekämpft hat. Ich bete Dich an! Das Geschick lügt nicht; Du bist bestimmt, die Meinige zu werden – ich habe umhergesucht in der Welt und kein Weib gefunden, das Dir gliche. Seit meiner Jugend seufzte ich nach einem Wesen wie Du. Ich habe geträumt, bis ich Dich sah – ich wache auf und erblicke Dich. Wende Dich nicht von mir ab, Ione, beurtheile mich anders als bisher; ich bin nicht jenes kalte, gefühllose und mürrische Wesen, das ich Dir geschienen habe. Nie liebte ein Mann ergebener und leidenschaftlicher, als ich Ione stets lieben werde. Suche Deine Hand nicht aus der meinigen zu befreien; sieh, ich lasse sie selbst los. Nimm sie zurück, wenn Du willst – gut, es sei so! – Verwirf mich nicht, Ione – verwirf mich nicht so vorschnell – erwäge wohl, welche Macht Du über mich haben mußt, da Du mich so verwandeln konntest. Ich, der nie vor einem sterblichen Wesen kniete, kniee vor Dir, ich, der ich dem Schicksale geboten, nehme jetzt das meinige von Dir hin. Ione, zittere nicht, Du bist meine Königin, meine Gottheit! – sei meine Braut! – alle Wünsche, die Du hegen kannst, sollen erfüllt werden. Die Enden der Erde sollen Dir dienen – Pracht, Macht und Herrlichkeit Deine Sklavinnen sein. Arbaces wird keinen andern Ehrgeiz haben, als den Stolz, Dir zu gehorchen. Ione, wende Deine Augen mir zu – bis Dein Lächeln auf mir ruhe. Dunkel ist meine Seele, wenn ihr Dein Angesicht verborgen ist – scheine über mich, meine Sonne – mein Himmel – mein Tageslicht – Ione, Ione, verwirf meine Liebe nicht!«

Obwohl allein in der Gewalt dieses seltsamen und furchtbaren Mannes, fühlte sich Ione doch nicht beängstigt; das Ehrfurchtsvolle in seiner Sprache, das Milde in seiner Stimme beruhigten sie, und in ihrer eigenen Reinheit fand sie den besten Schutz. Aber verwirrt und erstaunt war sie, und erst nach einigen Augenblicken gewann sie die Kraft zu antworten.

»Stehe auf, Arbaces,« sagte sie endlich und überließ ihm noch einmal ihre Hand, die sie jedoch schnell wieder zurückzog, als sie den brennenden Druck seiner Lippen darauf fühlte. »Stehe auf, und wenn Du die Wahrheit sprichst, wenn es Dir Ernst ist mit Deinen Worten –«

»Wenn!« sprach er zärtlich.

»Wohlan denn, so höre mich; Du bist mein Beschützer, mein Freund, mein Erzieher gewesen; auf diese neue Rolle aber war ich nicht vorbereitet; glaube nicht,« fügte sie rasch hinzu, als sie seine schwarzen Augen von der Wuth der Leidenschaft funkeln sah, »glaube nicht, daß ich Dich verschmähe – daß ich nicht gerührt sei – daß ich mich nicht geehrt fühle durch diese Huldigung; aber sage – kannst Du mich ruhig anhören?«

»Ja, und wären Deine Worte auch Blitze, die mich zerschmettern müßten.«

»Ich liebe einen Andern,« sprach Ione erröthend, aber mit fester Stimme.

»Bei den Göttern – bei der Hölle –« schrie Arbaces, sich zu seiner vollen Höhe erhebend, »wage nicht, mir das zu sagen – wage nicht, mit mir Dein Spiel zu treiben – es ist unmöglich! – Wen hast Du gesehen, wen kennen gelernt? O Ione, das ist eine weibliche Ausrede; die Frauenlist spricht hier aus Dir – Du möchtest gerne Zeit gewinnen; ich habe Dich überrascht – ich habe Dich erschreckt. Verfahre mit mir wie Du willst – sage, daß Du mich nicht liebst, aber sage nicht, daß Du einen Andern liebst.«

»Ach,« seufzte Ione, und brach sofort, erschreckt durch seine unerwartete Heftigkeit, in Thränen aus.

Arbaces näherte sich ihr mehr – sein Athem glühte wild auf ihrer Wange, er schlang seinen Arm um sie – sie entriß sich seiner Umarmung. In diesem Kampfe fiel ein Täfelchen aus ihrem Busen auf den Boden. Arbaces gewahrte es und bemächtigte sich desselben – es war der Brief, den sie am Morgen dieses Tages von Glaukus erhalten hatte. Ione sank halb todt vor Schrecken auf das Ruhebett.

Rasch flogen die Blicke des Arbaces über das Schreiben hin. Die Neapolitanerin wagte nicht, ihn anzuschauen; sie sah nicht die Todesblässe, die über sein Gesicht kam – gewahrte nicht das Runzeln seiner Stirne, nicht das Beben seiner Lippen, nicht den Krampf, der seine Brust hob.

Er las ihn bis zu Ende und sagte dann, als der Brief seiner Hand entfiel, in einem Tone erheuchelter Ruhe: »Ist der Schreiber dieses Briefes der Mann, den Du liebst?«

Ione schluchzte, aber antwortete nicht.

»Sprich,« schrie er.

»Er ist es – er ist es!«

»Und sein Name – er steht hier – sein Name ist Glaukus.«

Ione faltete die Hände und blickte rings umher, wie um Hülfe oder einen Ausweg zur Flucht zu suchen.

»Höre mich also,« sagte Arbaces, seine Stimme zu einem Geflüster herabstimmend, »eher sollst Du in Dein Grab als in seine Arme sinken. Glaubst Du, Arbaces werde einen solchen Nebenbuhler dulden wie diesen erbärmlichen Griechen? Wie, glaubst Du, er habe das Reifen der Frucht überwacht, um sie einem Andern zu überlassen? Nein, liebes Närrchen, Du bist mein – ganz – allein mein – und so – so ergreife ich Dich und mache meine Rechte auf Dich geltend.

Während er dieses sprach, schloß er Ione in seine Arme, und in dieser wilden Umschlingung lag die ganze Kraft weniger der Liebe, als der Rache.

Der Ione aber gab die Verzweiflung übernatürliche Stärke; nochmals riß sie sich von ihm los – stürzte nach der Gegend des Zimmers, durch welches sie eingetreten, zog den Vorhang halb zurück; da erfaßte er sie; wiederum machte sie sich von ihm los und fiel, erschöpft und mit einem lauten Schrei an der Säule nieder, auf welcher das Haupt der egyptischen Gottheit stand. Arbaces hielt einen Augenblick ein, wie um Athem zu holen, und stürzte dann von Neuem auf seine Beute los.

In diesem Augenblicke wurde der Vorhang rauh auf die Seite gerissen und der Egypter fühlte sich von einer zornigen und kräftigen Hand an der Schulter gepackt; er wandte sich um und erblickte die flammenden Augen des Glaukus und das blasse, abgelebte, aber drohende Gesicht des Apäcides vor sich.

»Ha,« murmelte er, abwechslungsweise die Beiden anstarrend, »welche Furie hat Euch hieher gesandt?«

»Ate,« antwortete Glaukus, und umschlang sofort den Egypter. Unterdessen erhob Apäcides seine bewußtlos daliegende Schwester vom Boden. Seine durch die langen und allzu starken Kämpfe erschöpften Kräfte reichten nicht hin, sie, so leicht und zart gebaut sie auch war, fortzutragen. Er legte sie deshalb auf das Ruhebett und stellte sich mit erhobenem Dolche neben sie, indem er so den Kampf zwischen Glaukus und dem Egypter bewachte und sich zugleich bereit hielt, dem Arbaces seine Waffe in die Brust zu stoßen, wenn dieser in dem Kampfe siegen sollte. Es ist vielleicht nichts so fürchterlich auf Erden als der nackte Kampf der thierischen Kraft, ohne andere Waffen als die, welche die Natur der Wuth darbietet. Beide Gegner hatten sich jetzt, eng umfaßt, das Gesicht zurückgeworfen, die wilden Augen funkelnd, die Muskeln gespannt, die Adern geschwollen, die Lippen geöffnet, die Zähne über einander gebissen. Beide waren von mehr als gewöhnlicher Stärke, Beide von der unbarmherzigsten Wuth beseelt. Sie wanden und schlangen sich um einander; sie schwankten hin und her, sie rückten von einem Ende ihrer beschränkten Arena zum andern, stießen Töne der Wuth und der Rache aus; jetzt befanden sie sich vor dem Altar, jetzt am Fuße der Säule, wo der Kampf begonnen hatte; sie ließen sich los, um Athem zu holen, Arbaces an die Säule sich lehnend, Glaukus einige Schritte seitwärts tretend.

»O ehrwürdige Göttin!« rief Arbaces, indem er die Säule umfaßte und seine Blicke zu dem heiligen Bilde erhob, das sie trug, »beschütze Deinen Auserwählten, verkünde Deine Rache gegen diese Kreatur eines aufgeschossenen Glaubens, die mit lüsternder Gewalt Dein Heiligthum schändet und Deinen Diener angreift.«

Während er sprach, schienen die ruhigen und gewaltigen Züge der Göttin plötzlich Leben zu erhalten; durch den schwarzen Marmor glühte wie durch einen durchsichtigen Schleier in voller Helle eine hochrothe, schimmernde Farbe; um den Kopf spielten und zuckten kleine, bläuliche Flammen; die Augen wurden wie Bälle lebenden Feuers und schienen in vernichtender, nicht zu ertragender Wuth auf das Gesicht des Griechen gerichtet. Überrascht und erschreckt durch diese plötzliche und geheimnisvolle Antwort auf das Gebet seines Feindes und nicht frei von dem angestammten Aberglauben seines Volkes erblaßte Glaukus, Angesichts dieser sonderbaren und geisterhaften Belebung des Marmors – seine Knie schlugen an einander, von überirdischer Furcht ergriffen stund er entmuthigt, bestürzt und halb entmannt vor seinem Feinde. Arbaces ließ ihm nicht einen Augenblick Zeit, sich von seiner Betäubung zu erholen.

»Stirb, Elender,« rief er, auf den Griechen losstürzend, mit einer Donnerstimme; »die erhabene Mutter fordert Dich als lebendes Opfer.« So in der ersten Bestürzung seiner abergläubischen Besorgnisse überrascht, verlor der Grieche – der Marmorboden war so glatt wie Glas – den Halt, glitt aus und fiel. Arbaces setzte den Fuß auf die Brust seines gefallenen Feindes; Apäcides jedoch, den sein heiliger Beruf, sowie seine Kenntnis des Arbaces allen wunderbaren Einmischungen mißtrauen gelehrt hatte, theilte die Entmuthigung seines Gefährten nicht. Er stürzte vorwärts und sein Dolch funkelte in der Luft. Der wachsame Egypter erfaßte den niederfahrenden Arm, ein Griff seiner mächtigen Hand entriß die Waffe der schwachen Brust des Priesters, und ein kräftiger Schlag streckte diesen zu Boden. Mit lautem und frohlockendem Geschrei schwang Arbaces den Dolch in die Luft. Glaukus sah seinem drohenden Geschicke mit ruhigem Blicke und mit der strengen und verachtenden Ergebenheit eines Gladiators entgegen – als in diesem fürchterlichen Augenblicke der Boden unter ihnen schnell und krampfhaft erbebte; – ein mächtigerer Geist, als der des Egypters war erschienen – eine riesenhafte und zerschmetterte Gewalt, vor der seine Leidenschaften und seine Künste plötzlich in ein Nichts versanken. Jener fürchterliche Dämon des Erdbebens erwachte und rührte sich, verächtlich lächelnd über den Zauber menschlicher List und die Bosheit menschlicher Wuth. Wie ein Titan, auf dessen Schultern Berge aufgehäuft liegen, erhob er sich aus langjährigem Schlafe, regte sich auf seinem bunten Lager, während die Höhlen unten stöhnten und zitterten unter der Bewegung seiner Glieder. Im Augenblick seiner Rache und Macht wurde derjenige, der sich für einen Halbgott hielt, in seinen wahren Stoff, in den Staub, erniedrigt. Ferne und weithin unter dem Boden lief ein dumpfes und polterndes Getöse – die Vorhänge des Zimmers bewegten sich wie von einem Sturmwind ergriffen – der Altar wankte – der Dreifuß drohte herabzufallen und hoch über dem Kampfplatze zitterte und schwankte die Säule von einer Seite zur andern; das dunkle Haut der Göttin wankte und fiel von seinem Fußgestell, und während sich der Egypter über sein beabsichtigtes Opfer beugte, traf ihn die Marmormasse gerade zwischen Schulter und Nacken. – Dieser Schlag streckte ihn, wie ein Todesstreich, plötzlich, ohne Schrei, ohne Bewegung oder Lebenszeichen auf den Boden hin, anscheinend durch dieselbe Gottheit zermalmt, die er gottloserweise belebt und angerufen hatte.

»Die Erde hat ihre Kinder beschützt,« sprach Glaukus, auftaumelnd, »gesegnet sei die fürchterliche Zuckung; lasset uns die Fürsorge der Götter verehren.«

Er half auch dem Apäcides aufstehen, und richtete sodann das Gesicht des Egypters aufwärts; es schien von der kalten Hand des Todes bereits erfaßt zu sein; Blut strömte aus den Lippen des Egypters über das prächtige Gewand und schwer entsank er Glaukus' Armen, während der rothe Blutstrom sich langsam über den Marmor ergoß. Von Neuem erbebte die Erde unter ihren Füßen; sie mußten sich an einander halten; doch hörte die Erschütterung so schnell auf, als sie gekommen war; sie verweilten nicht länger hier; Glaukus trug Ione leicht in seinen Armen und eilends verließen sie diesen unheiligen Ort.

Kaum hatten sie jedoch den Garten betreten, als sie von allen Seiten auf fliehende, ungeordnete Gruppen von Mädchen und Sklaven stießen, deren festliche und schimmernde Gewänder zu den feierlichen Schrecken dieser Stunde einen höhnischen Gegensatz bildeten; sie schienen die Fremden nicht zu beachten, und waren offenbar nur mit ihrer eigenen Furcht beschäftigt. Nach sechszehn Jahren der Ruhe noch drohte dieser brummende und treulose Boden von Neuem Zerstörung. Aus jedem Munde hörte man nur das Geschrei: »das Erdbeben! das Erdbeben!« Unbelästigt durch ihre Mitte gehend, eilten Apäcides und seine Gefährten, ohne das Haus zu betreten, eine der Alleen hinab, und gingen durch eine kleine offene Thüre; und da saß auf einem kleinen Hügel, über welchen die dunkelgrünen Aloën ihr Düster verbreiteten, die gebeugte Gestalt von dem vollen Lichte des Mondes beleuchtet, das blinde Mädchen – sie weinte.


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