Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Fünftes Kapitel.

Der Trank und seine Wirkung.

Als Glaukus in seiner Wohnung ankam, fand er Nydia unter dem Säulengang seines Garten sitzen. In der That hatte sie sich auf die bloße Möglichkeit hin, daß er vielleicht frühe zurückkehren würde, in sein Haus begeben; unruhig, furchtsam und voreilig beschloß sie, die erste Gelegenheit zu Anwendung des Liebestranks zu benützen, während sie in demselben Augenblick halb hoffte, diese Gelegenheit werde sich verzögern. Seltsame Mischung von Kühnheit und Schüchternheit, die Jeder von uns in seiner Jugend erfuhr: wie oft haben wir Alle auf unsern Morgenspaziergängen oder im Gedränge des Abends die Gebieterin unseres jugendlichen Herzens zugleich gesucht und gemieden – wie oft sind wir Meilen weit gegangen, in der Hoffnung, ihr ein einziges süßes Wort zuzuflüstern, und sind heimgekehrt, ohne dieses Wort gesprochen zu haben! Der Himmel sei gepriesen, daß wir nach einiger Erfahrung, wenn wir weniger Jugend und weniger Liebe zu vergeuden haben, sparsamer mit unserer Zeit umgehen!

In solch ängstlich glühender Stimmung, mit klopfendem Herzen und gerötheten Wangen harrte Nydia auf die Möglichkeit, daß Glaukus vor der Nacht zurückkehre. Er schritt über den Portikus, gerade als die ersten Sterne sich zu zeigen anfingen und der Himmel oben sich in die Farbe des tiefsten Purpurs gekleidet hatte.

»Ach, mein Kind, wartest Du auf mich?«

»Nein! ich habe die Blumen gepflegt und verweilte nur noch ein wenig, um auszuruhen.«

»Es ist heute warm gewesen,« sagte Glaukus, sich ebenfalls auf einem der Sitze unter dem Säulengang niederlassend.

»Sehr warm.«

»Willst Du wohl Davus rufen? der Wein, den ich getrunken habe, erhitzt mich und ich sehne mich nach etwas Kühlendem.«

Hier zeigte sich also plötzlich und unerwartet die ersehnte Gelegenheit, ja, Glaukus selbst bot sie Nydia aus eigener, freier Wahl. Sie athmete schnell: – »Ich will Dir,« sagte sie, »den Sommertrank aus Honig und in Schnee gekühlten, leichten Wein, wie ihn Ione liebt, bereiten.«

»Dank,« erwiderte der arglose Glaukus; »wenn ihn Ione liebt, so ist es genug; ich werde ihn mit Freuden trinken, selbst wenn es Gift wäre.«

Nydia runzelte die Stirn, lächelte, entfernte sich für einige Augenblicke und kehrte mit gefülltem Becher zurück. Glaukus nahm ihn aus ihrer Hand. Was hätte Nydia nicht für den Besitz der Sehkraft und nur auf eine Stunde gegeben, um zu beobachten, wie ihre Hoffnungen allmählig reiften – wie die erste Morgenröthe der erwarteten Liebe anbrach; – um mit heiserer Inbrunst als der Perser den Aufgang jener Sonne anzubeten, die, wir ihre leichtgläubige Seele hoffte, auf ihre düstere Nacht hereinbrechen sollte. Ganz anders waren die Gedanken und Gefühle des blinden Mädchens, wie es hier stund, als die der eitlen Pompejanerin in derselben Lage! Welch ärmliche und leichtsinnige Leidenschaften hatten die Letztere zu dem kühnen Unternehmen veranlaßt, welch kleinlicher Haß, welche niedrige Rache, welche Erwartungen eines ärmlichen Triumphes hatte jenes Gefühl gesteigert, das sie mit dem Namen der liebe beehrte! In dem wilden Herzen der Thessalierin hingegen war alles reine, ungezügelte, ungekünstelte Leidenschaft; allerdings irrend, unweiblich, wahnsinnig, aber durch keine Elemente eines schmutzigeren Gefühles befleckt. Von Liebe, wie vom Leben selbst erfüllt, – wie konnte sie da der Gelegenheit widerstehen, sich Gegenliebe zu erwerben?

Um sich aufrecht zu erhalten, lehnte sie sich an die Wand, und ihr Gesicht, vorher so glühend, war jetzt weiß wie Schnee; ihre zarten Hände krampfhaft in einandergeschlungen, ihre Lippen geöffnet und die Augen auf den Boden geheftet, harrte sie, welche Worte wohl Glaukus zunächst reden werde.

Dieser hatte den Becher an seine Lippen gesetzt, hatte schon etwa den vierten Theil seines Inhalts geleert, als er, zufällig auf das Gesicht Nydia's blickend, von der Veränderung, von dem gewaltigen, schmerzlichen und sonderbaren Ausdruck desselben so sehr betroffen wurde, daß er plötzlich absetzte und den Becher noch immer an den Lippen haltend, ausrief: »Wie, Nydia – Nydia sag ich, bist Du krank oder hast Du Kummer? Gesteh es nur, Dein Gesicht sagt es deutlich. Was fehlt meinem armen Kind?«

Während er sprach, setzte er den Becher nieder, und stand auf, um sich ihr zu nähern, als sein Herz ein plötzlicher Stich kalt durchzuckte, dem sogleich eine wilde, verwirrte schwindelnde Empfindung im Gehirn folgte. Der Fußboden schien unter ihm zu weichen – ihm ward, als schwebe er in den Lüften – mächtige überirdische Heiterkeit bemächtigte sich seines Geistes – er fühlte sich zu leicht für die Erde – er sehnte sich nach Flügeln, ja, in der Begeisterung seines neuen Daseins glaubte er sie zu besitzen. Unwillkürlich brach er in ein lautes, durchdringendes Gelächter aus. Er klatschte in die Hände – sprang in die Höhe – war wie eine begeisterte Pythia; doch schnell, wie sie gekommen, verschwand diese übernatürliche Entzückung, obwohl nur theilweise. Er fühlte jetzt sein Blut wild und rasch durch seine Adern strömen; es schien zu schwellen, zu jubeln, dahinzuhüpfen, wie ein Strom, der seine Dämme durchbrochen hat und dem Ocean zueilt. In seinem Ohr ertönte mächtiges Getöse – er fühlte, wie es zur Stirne aufstieg – fühlte, wie die Adern in seinen Schläfen sich streckten und schwellten, als ob sie die ungestüme, steigende Flut nicht länger zu fassen vermöchten. Dann sank eine Art von Finsternis auf seine Augen, aber keine gänzliche Finsternis, denn durch den dunklen Schatten sah er die gegenüberliegenden Wände glühen und die darauf gemalten Gestalten schienen sich wie Geister zu bewegen. Was am sonderbarsten war, er fühlte sich durchaus nicht unwohl; er erlag, er erschlaffte nicht unter dem fürchterlichen Wahnsinn, der sich über ihm zusammenzog. Die neuen Gefühle schienen lebhaft und strahlend; ihm war, als ob eine jugendlichere Gesundheit in seinem Körper gegossen worden wäre. Er glitt der Verrücktheit zu – und er wußte es nicht!

Nydia hatte seine erste Frage nicht beantwortet – war außer Standes gewesen zu antworten; sein wildes und schreckliches Gelächter hatte sie aus ihren stürmischen Zweifeln aufgeweckt. Sie konnte seine trotzigen Geberden nicht sehen – konnte seinen wankenden und unstäten Schritt, mit dem er bewußtlos auf- und abging, nicht bemerken, aber sie hörte die abgebrochenen, unzusammenhängenden, sinnlosen Worte, die seinem Munde entströmten. Schrecken und Bestürzung kamen über sie – sie eilte zu ihm, und fühlte mit den Armen umher, bis sie seine Knie berührte, die sie, sich zu Boden werfend, umschlang, unter Thränen des Schreckens und der Aufregung.

»O sprich zu mir, sprich, hassest Du mich? Sprich, sprich!«

»Bei der strahlenden Göttin! Ein schönes Land, dieses Cypern. Ha! wie sie uns mit Wein statt mit Blut füllen! Jetzt öffnen sie die Adern jenes Fauns, um zu zeigen, wie es sprudelt und schäumt. Komm hierher, munterer, alter Gott! Du reitest auf einem Bock? – Was er für langes Seidenhaar hat! Er ist mehr werth, als alle Rosse Parthiens. Aber ein Wort mit Dir – Dein Wein ist zu stark für Unsterbliche. O wie schön! Die Zweige sind in Ruhe, die grünen Wogen des Waldes haben den Zephyr gefangen und ertränkt! Kein Lüftchen bewegt die Blätter und ich sehe die Träume mit zusammengelegten Flügeln auf der regungslosen Eiche schlafen, und weiterhin sehe ich einen blauen Strom im stillen Mittag funkeln; einen Springbrunnen, einen munter emporsteigenden Springbrunnen. Ach, mein Quell, du wirst die Strahlen meiner griechischen Sonne nicht auslöschen, obgleich du dich mit deinen zarten Silberarmen so gewaltig abmühst. Und was für eine Gestalt schleicht jetzt dort durch das Gebüsch? Sie hat einen Kranz von Eichenlaub auf dem Haupt. In ihrer Hand trägt sie ein umgekehrtes Gefäß, aus dem sie kleine rothe Muscheln und perlendes Wasser schüttet. O schau auf jenes Gesicht! Nie noch sah eines Menschen Auge ein ähnliches. Sieh, wir sind allein, nur ich und sie in dem weiten Wald. Kein Lächeln spielt um ihre Lippen – sie bewegt sich ernsthaft und mit süßer Wehmuth. Ha! fliehe, es ist eine Nymphe, eine von den wilden Napäen. Wer sie sieht, wird rasend – fliehe, sieh, sie entdeckt mich!«

»O Glaukus, Glaukus – kennst Du mich nicht? Rufe nicht so wild, oder Du tödtest mich mit einem einzigen Worte.«

Ein neuer Wechsel schien nunmehr in dem verwirrten und zerstörten Geist des unglücklichen Atheners vor sich gegangen zu sein. Er legte seine Hände auf Nydia's seidenes Haar; er streichelte ihre Locken – schaute ihr ausdrucksvoll ins Gesicht, und da in der zerbrochenen Kette seiner Gedanken ein oder zwei Glieder noch ganz waren, schienen ihre Züge ihm die Erinnerung an Ione zurückzurufen, und gerade bei dieser Erinnerung wurde sein Wahnsinn noch gewaltiger, und von Leidenschaft beherrscht und angetrieben, brach er in die Worte aus: »Ich schwöre bei Venus, bei Diana und Juno, daß ich, obgleich ich jetzt die Welt auf den Schultern trage, wie mein Landsmann Herkules (ha! schwerfälliges Rom, Alles was wahrhaftig groß war, kam aus Griechenland; selbst keine Götter hättest du, wenn wir nicht wären!) wie mein Landsmann Herkules vor mir, sage ich, sie für ein einziges Lächeln von Ione in das Chaos fallen lassen würde. Ach, schöne Angebete,« fügte er mit unaussprechlich zärtlicher und klagender Stimme hinzu, »Du liebst mich nicht. Du bist unfreundlich gegen mich. Der Egypter hat mich bei Dir verleumdet – Du weißt nicht, wie viele Stunden ich unter Deinem Fenster zugebracht – weißt nicht, wie ich die Sterne überwacht habe, in der Hoffnung, Du, meine Sonne, würdest endlich aufgehen – und Du liebst mich nicht, Du gibst mich auf. O verlaß mich jetzt nicht, ich fühle, daß mein Leben nicht mehr lange währen wird, laß mich wenigstens bis zum letzten Augenblicke Dich anschauen. Ich bin aus dem schönen Land Deiner Väter – habe die Höhlen von Phyle betreten – Hyacinthen und Rosen in den Olivenhainen des Ilissus gepflückt. Du, Du solltest mich nicht verlassen, denn Deine Väter waren Brüder der meinigen. Und man sagt zwar, dieses Land sei lieblich und dieser Himmel heiter – aber ich will Dich mit mir forttragen. He, dunkle Gestalt, weshalb erhebst Du Dich wie eine Wolke zwischen mir und ihr? Auf Deiner Stirne drohet in schrecklicher Ruhe der Tod – um Deine Lippen spielt das Lächeln, das mordet; Dein Name ist Orkus, aber auf Erden nennt man Dich Arbaces. Sieh, ich kenne Dich; fliehe, düsterer Schatten, Deine Zauber helfen nichts!«

»Glaukus, Glaukus!« flüsterte Nydia, ließ seine Knie los und sank unter der Last ihrer Reue, Furcht und Qual bewußtlos auf den Boden.

»Wer ruft?« fuhr er fort mit lauter Stimme, »Ione, sie ist's. Sie haben sie fortgetragen – wir wollen sie retten wo ist mein Stylus? Ha, ich hab' ihn! Ich komme, Ione, zu Deiner Befreiung – ich komme, ich komme.«

Mit diesen Worten setzte der Athener mit einem Sprunge aus der Säulenhalle, lief durch das Haus und stürzte mit schnellen, aber schwankenden Schritten und laut mit sich selbst sprechend, die von den Sternen erleuchteten Straßen hinab. Der schreckliche Trank brannte wie Feuer in seinen Adern, denn seine Wirkung wurde vielleicht noch plötzlicher gemacht durch den Wein, den er zuvor getrunken. An die Excesse nächtlicher Schwärmer gewöhnt, machten die Bürger lächelnd und sich zuwinkend seinen taumelnden Schritten Platz. Sie glaubten ihn natürlich unter dem Einfluß des bromischen Gottes, der in Pompeji mit Wort und That verehrt wurde; diejenigen aber, die ihm schärfer ins Gesicht sahen, fuhren in namenloser Furcht zurück und das Lächeln erstarb auf ihren Lippen. Er durchzog die volkreicheren Straßen, gelangte, den Weg nach Ione's Haus mechanisch verfolgend, in ein verlassenes Viertel der Stadt, und trat jetzt in den einsamen Hain der Cybele, in welchem Apäcides seine Unterredung mit Olinth gehabt hatte.


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