Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Elftes Kapitel.

Nydia spielt die Rolle einer Zauberin

Als die Thessalierin fand, daß Arbaces nicht mehr zu ihr zurückkehre, als sie Stunde um Stunde der ganzen Qual einer furchtbaren, durch Blindheit doppelt unerträglich gemachten Ungewißheit überlassen wurde, begann sie, mit ausgestreckten Armen nach irgend einem Ausweg ihres Gefängnisses umherzufühlen, und da sie die einzige Thüre verschlossen fand, so schrie sie laut, mit dem Ungestüm eines von Natur heftigen und nun durch die Qualen der Ungeduld geschärften Gemüthes.

»He, Mädchen!« rief der dienstthuende Sklave, die Thüre öffnend, »bist Du von einem Skorpion gebissen, oder glaubst Du, wir sterben hier vor Stillschweigen und können nur, wie der kleine Jupiter, durch ein gewaltiges Geschrei gerettet werden?«

»Wo ist Dein Herr und weshalb bin ich hier eingesperrt? Ich muß Luft und Freiheit haben! laß mich fort.«

»Aha, Kleine, kennst Du den Arbaces noch nicht genug, um zu wissen, daß sein Wille allgewaltig ist? Er hat befohlen, daß Du eingesperrt werdest und deshalb bist Du eingesperrt und ich bin Dein Wächter. Luft und Freiheit kannst Du nicht haben, wohl aber etwas weit Besseres – Speise und Wein!«

»O Jupiter!« rief das Mädchen, die Hände ringend, »und weshalb bin ich hier verhaftet? Was kann der große Arbaces von einem so armen Geschöpf, als ich bin, wollen?«

»Das weiß ich nicht; es sei denn, daß Du Deine neue Gebieterin bedienen sollest, die heute hierhergebracht wurde.«

»Was, Ione hier?«

»Ja, die arme Dame; es gefiel ihr, glaub' ich, nicht besonders; doch ist Arbaces, beim Tempel des Castor! ein artiger Mann gegen Frauenzimmer. Deine Dame ist seine Mündel, wie Du weißt.«

»Willst Du mich zu ihr führen?«

»Sie ist krank – ganz außer sich vor Zorn und Ärger. Überdies habe ich keinen Befehl hiezu und ich für meine Person denke nie etwas. Als Arbaces mich zum Sklaven dieser Zimmer machte,In den Häusern der Großen hatte jede Zimmerreihe ihren besondern Sklaven. sagte er: ›Ich habe Dir nur eine Lehre zu geben – so lange Du mir dienst, mußt Du weder Ohren, noch Augen, noch eigene Gedanken haben; nur eine Eigenschaft mußt Du in Dich aufnehmen, – Gehorsam.‹«

»Aber was kann es schaden, wenn ich Ione besuche?«

»Das weiß ich nicht; wenn Du übrigens Gesellschaft wünschest, so will ich recht gerne mit Dir sprechen, liebe Kleine, denn ich bin einsam genug in meinem dunkeln Cubiculum. Und überdies bist Du ja eine Thessalierin – verstehst Du nicht irgend einen hübschen Zeitvertreib mit Messer und Scheere oder kannst Du vielleicht wahrsagen, wie die meisten Deiner Landsleute?«

»Still, Sklave, laß mich in Ruh! Oder wenn Du durchaus sprechen willst – was hast Du vom Zustand des Glaukus gehört?«

»Ei nun, mein Herr ist ausgegangen, um der gerichtlichen Verhandlung über den Athener beizuwohnen; Glaukus wird dafür büßen müssen.«

»Für was?«

»Für die Ermordung des Priesters Apäcides.«

»Ha!« rief Nydia, die Hände gegen die Stirne drückend; »ich habe allerdings etwas davon gehört, aber ich verstund es nicht. Doch, wer wird es wagen, ein Haar auf seinem Haupte zu krümmen?«

»Der Löwe, fürcht' ich.«

»Schützende Götter! welch gottloses Zeug sprichst Du da!«

»Nun ich sag bloß, daß, wenn man ihn schuldig befindet, der Löwe oder vielleicht der Tiger das Urtheil an ihm vollziehen wird.«

Nydia sprang auf, als hätte ein Pfeil ihr Herz durchbohrt: sie stieß einen durchdringenden Schrei aus, fiel dem Sklaven zu Füßen und rief in einem Ton, der selbst sein rohes Herz erweichte: »Ach, sage immer, daß Du gescherzt – daß Du nicht die Wahrheit geredet – sprich, sprich!«

»Nun, meiner Treu, blindes Mädchen, ich verstehe nichts von den Griechen; es sieht vielleicht nicht so schlimm aus, als ich sagte. Aber Arbaces ist sein Ankläger und das Volk verlangt ein Opfer für die Arena. Beruhige Dich! Doch was hat das Schicksal des Atheners mit dem Deinigen zu schaffen?«

»Thut nichts zur Sache – er ist freundlich gegen mich gewesen: Du weißt also nicht, was geschehen wird? Arbaces sein Ankläger! O Schicksal! Das Volk – das Volk! Doch dieses kann kein Antlitz schauen – wer wird grausam gegen den Athener sein! – Aber halt, war nicht die Liebe selbst grausam gegen ihn?«

Mit diesen Worten sank ihre Hand auf ihre Brust; sie verstummte, heiße Thränen strömten ihre Wangen herab und alle freundlichen Bemühungen des Sklaven, sie zu trösten, oder ihren tiefen Träumereien zu entziehen, waren fruchtlos.

Als ihr Wächter, durch seine häuslichen Pflichten genöthigt, ihr Zimmer verließ, begann Nydia ihre Gedanken wieder zu sammeln: Arbaces war der Ankläger des Glaukus, Arbaces hatte sie hier eingesperrt; war das nicht ein Beweis, daß ihre Freiheit dem Glaukus nützlich sein könne? – Ja, sie war hier offenbar in eine Schlinge gelockt; sie trug zum Untergang ihres Geliebten bei. O wie sehnte sie sich nach Befreiung! Zum Glück für sie verzehrte der Wunsch nach Flucht jede andere schmerzliche Empfindung, und als sie über die Möglichkeit ihrer Befreiung nachdachte, ward ihr Herz wieder ruhig, ihr geistiger Blick wieder klar. Sie besaß viel von der List ihres Geschlechtes, die durch ihre frühe Sklaverei nur noch erhöht worden war. Welchem Sklaven fehlte es je an Verschlagenheit? Sie beschloß also, ihre Kunst an ihrem Wächter zu versuchen, und da sie sich keiner abergläubischen Frage nach ihren thessalischen Künsten plötzlich erinnerte, hoffte sie, durch diese Handhabe auf irgend eine Weise ihre Flucht zu bewerkstelligen. Solche Gedanken beschäftigten ihren Geist den Rest des Tages und die langen Stunden der Nacht hindurch, und als sie Sosia am folgenden Morgen besuchte, beeilte sie sich, seine Geschwätzigkeit in jenen Kanal zu leiten, nach welchem dieselbe zuvor schon eine natürliche Strömung gezeigt hatte.

Sie begriff übrigens wohl, daß die Nacht die einzige Möglichkeit eines Entkommens bot und deshalb sah sie sich genöthigt, so schmerzlich ihr auch der Verzug fiel, ihren beabsichtigten Versuch bis dorthin zu verschieben.

»Die Nacht,« sagte sie, »ist die einzige Zeit, wo wir die Beschlüsse des Schicksals entziffern können – heute Nacht also mußt Du zu mir kommen. Aber was möchtest Du erfahren?«

»Beim Pollux, ich möchte gerne so viel wissen, als mein Herr; aber daran ist nicht zu denken. Laß mich wenigstens wissen, ob ich genug ersparen werde, um meine Freiheit zu kaufen, oder ob dieser Egypter sie mir umsonst gibt. Bisweilen begeht er solche Handlungen der Großmuth. Dann, vorausgesetzt nämlich, daß ich frei werde, ob ich wohl in den Besitz der hübschen Taverne unter den Myropolien komme, die mir schon lange in die Augen sticht? Es ist etwas hübsches um den Handel mit Wohlgerüchen, und er paßt sich recht gut für einen zurückgezogenen Sklaven, der etwas von einem Herrn an sich hat.«

»Nun ja, wenn Du genaue Antwort auf diese Fragen haben willst, so gibt es verschiedene Wege, um Dich zu befriedigen. Da ist die Lithomanteia oder der sprechende Stein, der auf Deine Fragen mit der Stimme eines Kindes antwortet; aber wir haben eben jenen kostbaren und seltenen Stein nicht hier. Dann gibt es auch die Gastromanteia, wobei der Dämon bleiche und geisterhafte Gestalten auf das Wasser wirft, welche die Zukunft vorhersagen; aber hiezu braucht man Gläser von besonderer Art, um die geweihte Flüssigkeit aufzunehmen, die wir nicht haben. Ich denke deshalb, die einfachste Weise, Deinen Wunsch zu erfüllen, sei die Anwendung der Magie der Luft.«

»Ich hoffe,« sagte Sosia zitternd, »daß nichts besonders Schreckliches dabei vorkommt? Ich bin kein Freund von Geistererscheinungen.«

»Fürchte Dich nicht; Du wirst nichts sehen, sondern nur an dem Wallen des Wassers hören, ob Dein Wunsch erfüllt wird oder nicht. Sei also zuerst darauf bedacht, daß, sobald der Abendstern am Himmel erscheint, die Gartenthüre ein wenig offen steht, damit sich der Dämon zum Eintritt aufgefordert fühle, und stelle Früchte und Wasser neben das Thor, als ein Zeichen der Gastfreundschaft. Komm dann drei Stunden nach dem Eintritt des Zwielichts mit einer Flasche des kältesten und reinsten Wassers hierher und Du sollst Alles erfahren, wie mich's meine Mutter nach thessalischer Weise gelehrt hat. Aber vergiß die Gartenthüre nicht, Alles hängt davon ab. Sie muß, wenn Du kommst, schon drei Stunden lang offen stehen.«

»Verlaß Dich auf mich,« erwiderte Sosia, nichts Böses ahnend; »ich weiß, wie es einem Mann von Stande zu Muth wird, wenn man ihm eine Thüre vor der Nase zuschließt, wie mir's beim Garkoch schon oft begegnet ist, und ich weiß auch, daß eine achtbare Person, wie es ein Geist doch ohne Zweifel ist, einen kleinen Beweis höflicher Gastfreundschaft nur gut aufnehmen kann. Einstweilen, niedliches Kind, ist hier Dein Frühstück.«

»Und wie geht es mit dem Prozeß?«

»Oh, die Richter sind noch immer daran – es ist ein langes und breites Gerede – die Sache wird erst morgen ausgehen.«

»Morgen – bist Du dessen gewiß?«

»Man sagt es wenigstens.«

»Und Ione?«

»Beim Bacchus! Sie muß ziemlich wohl sein, denn sie war stark genug, diesen Morgen meinen Herrn ganz wüthend zu machen. Ich sah ihn, mit Gewitterwolken auf der Stirne aus ihrem Zimmer kommen.«

»Befindet sich dieses hier in der Nähe?«

»Nein – in dem oberen Stockwerk. Doch, ich darf hier nicht länger plaudern. Vale!«


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