Edward Bulwer-Lytton
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer-Lytton

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Viertes Kapitel.

Noch einmal das Ampthitheater.

Glaukus und Olinth waren zusammen in die dunkle und enge Zelle gesperrt, in welcher die Verbrecher ihrem letzten und gefährlichen Kampfe entgegensahen. Ihre seit Kurzem an die Dunkelheit gewöhnten Augen suchten in dieser schrecklichen Stunde die Züge des Andern zu erforschen, und durch das matte Licht, welches durch die Zelle drang, wurden ihre ohnehin schon bleichen Gesichter noch aschfarbener und gespenstischer. Dennoch aber drückten ihre Mienen eine feste Entschlossenheit aus; ihre Glieder zittern nicht; ihre Lippen waren zusammengepreßt und kalt. Die Religion des Einen, der Stolz des Andern, die Unschuld Beider, und vielleicht auch der Trost, den der Mensch darin findet, wenn er einen Genossen im Unglücke hat, machten aus den Schlachtopfern Helden.

»Horch! hörst Du das Jubelgeschrei? Sie lechzen nach dem Blute ihrer Mitmenschen,« sagte Olinth.

»Ich höre es; mein Herz möchte mir fast brechen; aber die Götter halten meinen Muth aufrecht.«

»Die Götter! o thörichter junger Mann, lerne in dieser Stunde nur den Einen wahren Gott erkennen. Habe ich Dich nicht im Kerker unterrichtet, um Dich geweint und für Dich gebetet? Habe ich nicht in meinem Eifer, in meiner Bekümmernis um Dein Seelenheil, mehr an Deine Rettung, als an meine eigene gedacht?«

»Wackerer Freund!« entgegnete Glaukus feierlich, »mit Bewunderung, mit Aufmerksamkeit habe ich Dich stets angehört, und mein Herz neigt sich insgeheim zu Deiner Überzeugung hin. Hätten wir noch länger gelebt, so würde ich allmählig meinen eigenen Glauben aufgegeben und vielleicht den Deinigen angenommen haben; aber in der Todesstunde wäre es Feigheit, sich durch Schrecken zu Etwas bestimmen zu lassen, was allein das Resultat längerer Überlegung sein sollte. Würden nicht Deine Verheißungen des Himmels oder Deine Drohungen der Hölle daran schuld sein, wenn ich jetzt Deinen Glauben annähme und den Göttern meiner Väter entsagte? Nein, Olinth! Wir wollen gleich liebevoll von einander denken, ich, indem ich Deine Biederkeit ehre, Du, indem Du meine Verblendung oder meinen verstockten Muth bemitleidest. Wie meine Handlungen waren, so wird auch mein Lohn sein, und das allmächtige Wesen da oben wird den irrenden Menschen nicht hartherzig verdammen, wenn sein Streben nur redlich und ehrenvoll war. Wir wollen nicht weiter davon sprechen. Still! Hörst Du, wie sie jenen schweren Körper durch den Sand schleppen; so wie diese werden auch bald unsere Leiber sein.«

»O Himmel! O Christus! Schon schaue ich Dich!« rief der glaubensvolle Olinth mit aufgehobenen Händen; »ich zittre nicht, sondern ich freue mich, daß mein Gefängnis sich bald aufschließen wird.«

Glaukus beugte schweigend sein Haupt. Er fühlte den Unterschied zwischen seinem Muthe und dem Muthe seines Leidensgenossen. Der Heide bebte nicht, aber der Christ frohlockte.

Knarrend ging die Kerkerthüre auf. Der Glanz von Speeren drang in die Zelle.

»Glaukus von Athen, Deine Zeit ist gekommen,« sagte eine laute und klare Stimme: »der Löwe erwartet Dich.«

»Ich bin bereit,« erwiderte der Athener. »Bruder und Leidensgefährte, laß uns einander noch einmal umarmen! Segne mich und lebe wohl!«

Der Christ öffnete seine Arme, er schloß den jungen Heiden an seine Brust, er küßte ihn auf Stirne und Wange, er seufzte laut und seine Thränen flossen schwer und heiß über das Gesicht seines Freundes.

»Oh! hätte ich Dich doch belehren können, dann würde ich nicht weinen. Könnte ich doch zu Dir sagen: ›Wir Beide werden mit einander diesen Abend im Paradiese sein!‹«

»Es kann dennoch geschehen,« antwortete der Grieche mit zitternder Stimme. »Die, welche der Tod nicht trennt, sehen sich vielleicht jenseits des Grabes wieder. Auf dieser Erde aber, auf dieser schönen, geliebten Erde, lebe wohl für immer! – Würdiger Kampfwärter, ich bin bereit.«

Glaukus trat aus der Zelle heraus; aber als er in die freie Luft kam, da schauderte es ihn auf einmal, obwohl es im Theater sehr heiß war. Von den Wirkungen des tödtlichen Trankes noch nicht ganz hergestellt, zitterte er am ganzen Leibe, so daß die Kampfwärter ihn stützen mußten.

»Muth,« sagte der Eine, »Du bist jung, kräftig und gewandt. Man gibt Dir eine Waffe; verzage nicht, denn Du kannst vielleicht noch siegen.«

Glaukus erwiderte nichts; aber beschämt über seine Schwäche, suchte er durch eine verzweifelte und krampfhafte Anstrengung die frühere Festigkeit seiner Nerven wieder zu gewinnen. Man bestrich hierauf seinen Körper, der bis auf eine Binde um die Lenden, ganz nackt war, mit Oel, gab ihm einen Stilus (eine nutzlose Waffe!) in die Hand und führte ihn auf die Arena.

Jetzt, als der Grieche die Blicke von Tausenden und aber Tausenden auf sich gerichtet sah, da fühlte er nicht mehr seine Sterblichkeit. Aller Schein von Furcht – ja, die Furcht selbst war für ihn völlig verschwunden. Eine hohe Röthe überflog seine bleichen Wangen, und seine herrliche Gestalt zeigte sich in ihrem vollsten Glanze. Die elastische Schönheit seiner Glieder, seine kühne Stirne, sein trotziger, unbezähmbarer Geist, der aus seiner ganzen Haltung, von seinen Lippen, aus seinen Augen sprach, ließen ihn gleichsam als die Verkörperung der Kraft und Hoheit seines Vaterlandes, als einen Helden und einen Gott erscheinen.

Das Gemurmel des Hasses und Abscheu's über sein Verbrechen, womit man ihn bei seinem Eintritte empfangen, verwandelte sich in unwillkürliche, stille Bewunderung und halb mitleidsvolle Achtung. Mit einem raschen, convulsivischen Seufzer, welchen die ganze Volksmenge, als wäre sie nur ein Körper, ausstieß, wandten sich die Blicke der Zuschauer von dem Athener auf einen dunkeln, unförmlichen Gegenstand in der Mitte der Arena. Es war der vergitterte Käfig des Löwen.

»Bei der Venus, wie heiß es ist!« sagte Fulvia; »und doch scheint hier die Sonne nicht. Warum haben doch die dummen Matrosen jene Lücke in der Decke gelassen!«

»Ja, es ist wirklich sehr warm. Es wird mir übel – ich falle in Ohnmacht!« sagte die Gemahlin Pansa's, deren sonst unerschütterlicher Stoicismus durch den jetzt bevorstehenden Kampf gebrochen wurde.

Vierundzwanzig Stunden lang war der Löwe ohne Nahrung gelassen worden, und das Thier hatte schon den ganzen Morgen eine seltsame und rastlose Unbehaglichkeit, welche der Wärter den Qualen des Hungers zuschrieb, an den Tag gelegt. Doch schien sein Benehmen eher Furcht als Muth zu verrathen; sein Gebrüll war schmerzlich und matt; es ließ den Kopf hängen, schnappte durch das Gitter nach Luft; bald legte es sich nieder, bald stund es wieder auf und stieß zu wiederholtenmalen wilde, durchdringende Töne aus. Jetzt lag es still und träge mit ausgedehnten, dicht an das Gitter gedrückten Nasenlöchern in seinem Käfig, und blies durch seinen schweren Athem den Sand in der Arena empor.

Die Lippen des Editors bebten, und seine Wangen wurden bleich; ängstlich blickte er im Kreise herum, zaudernd und die furchtbare Scene hinausschiebend; aber das Volk wurde ungeduldig. Da gab er endlich widerstrebend das Zeichen; der Wärter, welcher hinter dem Käfig stand, zog vorsichtig das Gitter hinweg und der Löwe stürzte, erfreut über seine Befreiung, mit gewaltigem Gebrüll heraus. Der Wärter zog sich eilends durch den vergitterten Gang von der Arena zurück und ließ den Herrn des Waldes allein mit seiner Beute.

Glaukus erwartete den Angriff des Löwen in der sichersten Stellung, welche ihm möglich war, wiewohl er sich nur wenig Hoffnung machte, mit seiner kleinen, glänzenden Waffe, die er entschlossen emporhob, seinem grimmigen Feinde einen geschickten Stoß (denn nur zu einem Stoße, wie er wohl wußte, war ihm Zeit gelassen) durch das Auge ins Gehirn zu versetzen.

Aber zum größten Erstaunen aller, schien der Löwe von der Gegenwart des Verbrechers gar keine Notiz zu nehmen. Im ersten Augenblick seiner Befreiung stund er plötzlich auf der Arena stille, und that dann, sich in die Höhe richtend und ungeduldig nach Luft schnappend, einen raschen Sprung vorwärts, aber nicht gegen den Athener. Langsam schritt er sodann auf der Arena umher, indem er mit einem ängstlichen, verwirrten Blicke, als suche er ein Mittel zur Flucht, sein majestätisches Haupt bald rechts, bald links wandte. Ein- oder zweimal versuchte er über die Brustwehr zu springen, welche ihn von den Zuschauern trennte, und als ihm dieses mißlang, stieß er ein Geheul aus, das weit entfernt von dem furchtbaren, königlichen Brüllen, nur auf die äußerste Verzweiflung schließen ließ. Er gab kein Zeichen von Wuth oder Hunger; er schleppte den Schweif im Sande nach, anstatt seine kräftigen Seiten damit zu peitschen; und obwohl sein Blick bisweilen auf Glaukus fiel, so wandte er die Augen doch immer wieder gleichgültig von demselben ab. Endlich, als ob er jedes Versuches zur Flucht überdrüssig wäre, kroch er zaghaft in seinen Käfig zurück und legte sich wieder ruhig nieder.

Die Zuschauer, welche anfangs über die Trägheit und Gleichgültigkeit des Löwen staunten, wurden jetzt über seine Feigheit erbittert, und das in seinen Erwartungen getäuschte Volk schien an dem Schicksale des Glaukus keinen Antheil zu nehmen.

Der Editor rief dem Wärter zu: »Was soll das heißen? Nimm den Stachel, jage den Löwen heraus und schließe alsdann die Thüre des Käfigs zu.«

Als sich der Wärter mit einigem Zagen, aber mit noch größerem Staunen anschickte, diesem Befehle zu gehorchen, hörte man an einem Eingang der Arena ein lautes Geschrei; aus dem Gewirre der Stimmen ließen sich nur laute Einwendungen vernehmen, die aber schnell wieder verstummten. Alle Augen kehrten sich verwundert über die Unterbrechung nach jener Seite; es wurde Platz gemacht, und plötzlich erschien Sallust, mit verwirrtem Haare, erhitzt, halb erschöpft und fast athemlos bei den Bänken der Senatoren. Er blickte rasch im Kreise umher und rief dann: »Bringt den Athener hinweg! nur schnell! Er ist unschuldig! Nehmt Arbaces den Egypter fest, denn dieser ist der Mörder des Apäcides!«

»Bist Du toll, Sallust?« sagte der Prätor, von seinem Sitze aufstehend. »Was soll dieses Toben?«

»Den Athener hinweg! Schnell, oder sein Blut komme über Dein Haupt! Prätor, wenn Du zögerst, so bist Du mit Deinem eigenen Leben dem Kaiser verantwortlich. Ich habe einen Mann bei mir, der die Ermordung des Apäcides mit ansah. Platz gemacht! tretet zurück! aus dem Wege! Pompejaner, laßt den Arbaces nicht entwischen! Dort sitzt er! Platz gemacht für den Priester Kalenus!«

Bleich, abgezehrt, kaum den Krallen des Hungertodes entronnen, mit eingefallenem Gesichte und hohlem Auge, gleichsam ein lebendes Skelet, wurde Kalenus in diejenige Bankreihe geführt, wo Arbaces saß. Seine Befreier hatten ihm zwar etwas Nahrung gereicht, aber das Hauptstärkungsgmittel für seine schwachen Glieder war die Rache.

»Der Priester Kalenus! Kalenus!« schrie das Volk; »ist er's? Nein, es ist ein Todter!«

»Er ist der Priester Kalenus,« sagte der Prätor ernsthaft. »Was hast Du vorzubringen?«

»Arbaces aus Egypten ist der Mörder des Apäcides, des Priesters der Isis; diese Augen sahen ihn den Mord vollbringen. Aus dem Kerker, in welchen er mich warf aus der Finsternis und den Schrecken des Hungertodes haben mich die Götter befreit, um den Verbrecher zu entlarven! Gebt den Athener frei, er ist unschuldig!«

»Deswegen hat ihn auch der Löwe verschont; ein Wunder! ein Wunder!« rief Pansa.

»Ein Wunder! ein Wunder!« jubelte das Volk; »bringt den Athener hinweg und werft Arbaces dem Löwen vor!«

Von allen Seiten erschallte der Ruf: »Werft Arbaces dem Löwen vor!«

»Kampfwärter, bringt den angeklagten Glaukus hinweg, bewacht ihn aber dennoch,« sagte der Prätor. »Die Götter thun heute Wunder.«

Als der Prätor das Wort der Befreiung sprach, hörte man ein Freudengeheul; es kam von einer weiblichen, von einer Mädchenstimme her und durchzuckte die Herzen der Zuschauer mit elektrischer Gewalt. Diese Stimme war rührend und heilig, und das Volk stimmte theilnehmend in den Jubel ein.

»Stille!« sagte der ernsthafte Prätor; »wer ist hier?«

»Nydia, das blinde Mädchen,« antwortete Sallust; »ihre Hand hat Kalenus aus dem Grabe befreit und Glaukus vor dem Löwen errettet.«

»Davon nachher,« sagte der Prätor; »Kalenus, Priester der Isis, klagst Du Arbaces der Ermordung des Apäcides an?«

»Ja.«

»Hast Du den Mord gesehen?«

»Mit diesen Augen, Prätor.«

»Genug für jetzt. Hier haben wir weder Zeit noch schickt sich der Ort zur Untersuchung der näheren Umstände. Arbaces aus Egypten, hörtest Du die Anklage gegen Dich? Du hast noch nicht gesprochen; was hast Du zu sagen?«

Das Volk hatte seine Blicke schon längst auf Arbaces gerichtet; doch war unterdessen die Verwirrung, welche bei der ersten Anklage des Sallusts und dem Eintritt des Kalenus sich seiner bemächtigt hatte, wieder gewichen. Das Geschrei: »werft Arbaces dem Löwen vor!« hatte ihn allerdings zittern gemacht, und das dunkle Braun seiner Wange war einer bleichen Farbe gewichen; doch erlangte er bald seine vorige Dreistigkeit und Selbstbeherrschung wieder. Stolz wies er die erbitterten Blicke, welche aus unzähligen Augen ihn entgegenblitzten, zurück und entgegnete in einem ihm ganz eigenthümlichen ruhigen, aber gebieterischen Tone dem Prätor auf seine Frage: »Prätor, diese Anklage ist so unsinnig, daß sie kaum eine Erwiderung verdient. Mein erster Ankläger ist der edle Sallust, der vertrauteste Freund des Glaukus! Mein zweiter ist ein Priester; ich ehre sein Gewand und seinen Beruf; aber Volk von Pompeji, man kennt so ziemlich den Charakter des Kalenus; sein Geiz und Golddurst ist fast sprüchwörtlich; das Zeugnis solcher Männer läßt sich erkaufen! Prätor, ich bin unschuldig!«

»Sallust,« sagte der Editor, »Wo fandest Du den Kalenus?«

»In den Kerkern des Arbaces.«

»Egypter,« sagte der Prätor, die Stirne runzelnd, »Du hast also einen Priester der Götter ins Gefängnis geworfen, und warum?«

»Höre mich,« antwortete Arbaces, ruhig, aber mit sichtbarer Verlegenheit sich erhebend: »Dieser Mann drohte mir, er wolle die Anklage gegen mich vorbringen, welche er nun vorgebracht hat, wenn ich nicht sein Stillschweigen mit der Hälfte meines Vermögens erkaufen würde. Ich machte ihm Vorstellungen, aber vergebens. Ich bitte um geneigtes Gehör; laßt nicht den Priester mich unterbrechen! Edler Prätor, und Du, o Volk von Pompeji – ich war ein Fremdling im Lande, ich wußte mich unschuldig, aber das Zeugnis eines Priesters konnte mir doch verderblich werden. In meiner Verlegenheit lockte ich Kalenus in die Zelle, aus welcher er nun befreit wurde, unter dem Vorwande, daß dort mein Geld verwahrt liege. Mein Vorsatz war, ihn so lange darin gefangen zu halten, bis das Schicksal des wahren Verbrechers entschieden sein würde und seine Drohungen mir nicht mehr schaden könnten. Durch mich wäre ihm übrigens kein Leid geschehen; ich habe vielleicht gefehlt, aber wer unter Euch wird nicht das Gesetz der Selbsterhaltung anerkennen? Wenn ich schuldig bin, warum hat dieser Priester bei der Untersuchung geschwiegen? Damals war er noch auf freiem Fuße. Warum klagte er mich nicht des Verbrechens an, als ich den Glaukus anklagte? Prätor, ich wünsche hierauf eine Antwort. Im Übrigen unterwerfe ich mich Euren Gesetzen und spreche aber auch ihren Schutz an. Entfernt den Angeklagten und den Ankläger aus dem Theater. Bereitwillig füge ich mich in den Anspruch des zuständigen Gerichts. Hier aber ist nicht der Platz für weitere Verhandlungen.«

»Er hat Recht,« sagte der Prätor. »He, Wachen, bringt den Arbaces hinweg und bewacht den Kalenus! Sallust, wir machen Dich verantwortlich für Deine Anklage. Die Spiele sollen jetzt ihren Fortgang nehmen.«

»Was!« rief Kalenus, rings im Kreise herumblickend, »darf Isis also geschmäht werden? Soll das Blut des Apäcides fortwährend um Rache schreien? Soll die Gerechtigkeit jetzt aufgeschoben werden, damit sie vielleicht später mit Füßen getreten wird? Soll man den Löwen um seine gesetzliche Beute betrügen? Ein Gott, ein Gott! ich fühle es, ein Gott zwingt mich, zu rufen: Vor den Löwen – vor den Löwen mit Arbaces!«

Sein erschöpfter Körper unterlag endlich der Wuth des Grimmes; er sank in heftigen Krämpfen zu Boden; der Schaum stand ihm vor dem Mund; er glich wirklich einem Manne, von dem eine übernatürliche Macht Besitz genommen. Das Volk sah es und schauderte.

»Ein Gott begeistert den heiligen Mann; vor den Löwen mit dem Egypter!« Mit diesem Geschrei erhoben sich Tausende und aber Tausende. Die Zuschauer kamen von den oberen Bänken herunter und drängten gerade gegen den Egypter hin. Vergeblich waren die Befehle des Aedils; umsonst erhob der Prätor seine Stimme und proklamierte das Gesetz. Das Volk war durch die vorhergehenden Blutscenen bereits zur Wildheit angestachelt worden, es verlangte ein neues Opfer und wurde in seiner Mordgier noch durch den Aberglauben bestärkt, so daß man keine obrigkeitliche Autorität mehr gelten lassen wollte. Es war eine jener furchtbaren Volksaufregungen, wie man sie bei einem ganz unwissenden, halb freien, halb sklavischen Pöbel trifft, und welche durch die besondere Verfassung der römischen Provinzen so häufig hervorgerufen wurden. Die Gewalt des Prätors war wie ein Rohr in dem Wirbelwinde; jedoch hatten auf seinen Befehl die Wachen längs der untern Bänke, auf welchen die höheren Klassen von dem Volke getrennt saßen, sich aufgepflanzt. Sie bildeten aber nur eine schwache Schranke; die Wogen des Menschenmeeres legten sich indes ein wenig, so daß Arbaces die Augenblicke bis zur Fällung seines Urtheils zählen konnte. Voll Verzweiflung und von einem Schrecken ergriffen, der selbst seinen Stolz beugte, ließ er seine Blicke über die wüthende und tobende Menge hinschweifen, als er gerade über sich durch die weite Öffnung der Belaria eine seltsame und furchtbare Erscheinung bemerkte, und, sowie er dieselbe gewahrte, kehrte auch sein Muth wieder zurück.

Er streckte die Hand empor, und seine freien, königlichen Gesichtszüge nahmen einen wunderbar feierlichen und gebieterischen Ausdruck an.

»Seht!« rief er mit donnernder, das Toben der Menge überwältigender Stimme, »seht, wie die Götter den Schuldlosen schützen! Die Feuer des rächenden Orkus brechen hervor gegen das falsche Zeugnis meiner Ankläger!«

Die Blicke der Zuschauer richteten sich nach oben und gewahrten mit unaussprechlicher Bestürzung eine Rauchwolke, welche in Gestalt einer riesigen Fichte von dem Gipfel des Vesuvs aufstieg; der Stamm war schwarz, die Äste feurig, und zwar jeden Augenblick in einer andern Farbe; bald glänzend hell, bald von düsterem sterbenden Roth, das wieder in unerträgliche Klarheit überging.

Jetzt herrschte auf einemal eine tiefe Grabesstille, welche aber plötzlich durch das Brüllen des Löwen unterbrochen wurde, welches sein Kamerad, der Tiger, mit durchdringlicherem und wilderem Geheul erwiderte. Die Thiere ahnten die unheimlichen Vorgänge in der Atmosphäre und sie waren die furchtbaren Propheten des herannahenden Unglücks.

Unter den Frauen entstand jetzt ein allgemeines Jammergeschrei; die Männer schauten lautlos einander an. In diesem Augenblicke fühlten sie die Erde unter ihren Füßen beben; die Wände des Theaters zitterten, und in der Ferne hörte man das Krachen einstürzender Dächer; noch ein Augenblick und die finstere Wolke des Berges schien gleich einem Strome gegen sie heranzurollen; zu gleicher Zeit ergoß dieselbe aus ihrer Mitte einen Aschenregen, der mit ungeheuren Stücken verbrannter Steine gemischt war. Dieser schreckliche Regen fiel auf die menschenleeren Straßen, auf das Amphitheater selbst, kurz überall hin, fern und nah, wobei mancher gewaltige Steinhagel in die bewegte See stürzte.

Jetzt dachte das Volk nicht mehr an die Verurteilung des Arbaces; Jeder sann nur auf seine eigene Rettung. Jeder suchte so schnell als möglich zu fliehen, wodurch ein höchst gefährliches Gedränge entstund. Rücksichtslos trat man auf die Gefallenen; unter Geschrei, Seufzern, Flüchen und Gebeten stürzte die Menge auf die zahlreichen Ausgänge des Theaters. Wohin sollten sie fliehen? Einige, welche ein zweites Erdbeben vermutheten, eilten nach Hause, um sich mit ihren kostbaren Gütern zu beladen und noch bei Zeiten zu entkommen; Andere zogen sich aus Furcht vor dem Aschenregen, der jetzt so stark, und zwar Guß auf Guß, herabfiel, unter die Dächer der Häuser und Tempel, oder wo sie sonst einen Zufluchtsort fanden. Aber nur finsterer und gewaltiger wurde die Wolke, welche sich über ihnen lagerte. Der heitere Mittag ward in eine plötzliche rabenschwarze Nacht verwandelt.


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