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56. Wie Verhohlenes herauskommt

Inzwischen war einer der Holzarbeiter zur Frau Hegemeister gelaufen mit der Meldung, bei der Abforstung am Schwarzen Berg sei ihrem Mann eine Fichte auf den Kopf gefallen – wahrscheinlich schlimm. Aufschluchzend schlug die Frau die Hände zusammen und hastete mit dem Waldarbeiter zur Unglücksstätte. Und da brachten sie den Hegemeister auf der Bahre und hielten an. Die Frau sah das bleiche blutige Gesicht, die zertrümmerte Schläfe des Reglosen und wimmerte verzweifelt.

Die aufgeregten Waldarbeiter erzählten den herbeigelaufenen Leuten, wie sich der Vorfall zugetragen habe:

»Der Maiwald schrie auf eenmal, wie der Baum niederkrachte – aber es war zu spät.« – »Der Maiwald-Martin?« – »Der Martin nee! Der Vatter Maiwald hat den Anhieb getan.« – »Schellmann is doch sunsten so vorsichtig. Nee! A su a Malör.«

Sie trugen den Toten vollends zum Forsthause und hielten es für gut, ihn im Holzschuppen abzusetzen.

Nun kam der Wachtmeister Schuchart mit überlegener Amtsmiene: »Wer stand dabei?« – »Nu, der Vatter Maiwald.«

– »Wer noch?« – Die Waldarbeiter sahen einander fragend an und schwiegen.

»Na, es muß doch wenigstens noch einer beim Fällen gewesen sein?«

»Herr Wachtmeister!« sagte vortretend der alte Maiwald: »Der Hegemeister und iich waren dabei. Iich stemmte mich gegen die Fichte, mei Sohn hatte die Kerbe gemacht.«

»Also Ihr Sohn war noch dabei?« – »Martin stand, wie das Unglück geschah, bei der Neumann-Minna am Suppenfeuer.« Die Augen des Wachtmeisters blickten suchend und barsch sagte er: »Martin Maiwald vortreten!« Alle sahen sich im Kreise um, Martin war nicht da.

Eine weibliche Stimme, die Hollmannsche sagte: »Den Martin ha ich gesihn, wie a mit der Neumann-Minna a brinkel hinter uns war. Uf eenmol ließ der Martin de Minna stehn un lief zurück, als ob er was vergessa hält!«

»So hm! Minna Naumann? Ist die hier?« – »Se is och furt!«

»Und wohin?« – Niemand konnte Auskunft geben.

Nach einem Weilchen meinte der Wachtmeister mürrisch: »Das war falsch gemacht, Ihr Leute, daß Ihr den Hegemeister sofort wegtransportiert habt. In Fällen, wo man nicht genau weiß, wie es zugegangen is, soll man warten, bis alles klar liegt – sonst kann man Spuren verwischen.«

Alles stutzte verlegen. Im Vater Maiwald schienen Angst und Grimm zu gähren. »Aber, Herr Wachtmeister«, muckte er auf – »hier liegt doch alles klar – bloß daß der eene Zeuge ne räden kann, weil a äben tot is.«

»Habe ich Sie um Ihre Meinung befragt?« sagte der Wachtmeister patzig.

»Das ne!« erwiderte der Alte – »aber alle haben wer's doch mitangesihn, un keener kann uns nachsagen – von wegen Spuren verwischa – das is ne Beleidigung für uns alle

»Für Euch alle? Wer von Euch hat denn mit angesehn? Wer? Ihr schweigt? Also keiner, der hierüber was aussagen kann.«

Ein Waldarbeiter trat vor: »Ich ha' gesihn – gleich wie der Baum gefallen is, lag der Hegemeister unter der Fichte, von den Zweigen war ihm's Gesicht bluttig gekratzt. Der Försterhutt und de Büchse lagen nahe dabei.«

» Wie nahe denn?«

»Nu – sieben Schritte oder acht können's gewesen sain – da lag ock der Holzschlägel ...«

Der Wachtmeister lächelte grimmig: »Nachdem der Baum gefallen war, darauf kommt es nich an. Sondern hat der Baum den Hegemeister erschlagen? Un wie is das zugegangen?«

Der alte Maiwald war fahl, es flackerte sein schwarzes Auge, beklommen brummte er: »Wer denn sunst? Keener von uns hatte ju was gegen den Hegemeister!«

»Nu, Schellmanns Aussage hatte doch Ihren Sohn ins Gefängnis gebracht, un man weiß ja, wie Sie darüber erbost sind.«

»Iich?« zischelte der Alte in lodernder Wut – »Iich? Nu soll wohl iich – un nee der Baum – den Hegemeister ...«

Eine maßlose Aufregung überkam die Leute, sie eiferten und tobten aufeinander los.

»Das geht den Staatsanwalt an!« brüllte der Wachtmeister, und alles verstummte. »Also lassen wir diese Frage vorerst auf sich beruhen. Maiwald, Sie kommen mit mir zum Herrn Amtsvorsteher! Leute, geht auseinander! hier habt Ihr nichts weiter zu suchen! Wer was zu Protokoll zu geben hat, soll mit aufs Amt kommen. Auch Minna Neumann mag sich das gesagt sein lassen!«

Bestürzt und mit verbissener Tücke zögerte Vater Maiwald noch, dann bequemte er sich, dem Wachtmeister zu folgen, indem er dumpf murrte: »Das wärdn wr ju sähn! Iich soll'n derschlag'n ha'n, iich? Wenn a noch den Martin – un a hätte den in Verdacht gebracht ... Aber der Martin stand ju beim Feuer ...«

Nachdem auf dem Amt ein Protokoll aufgenommen war, und zwei Leute von Schreiberhau, wohin sich das Vorgefallene wie ein Lauffeuer verbreitet hatte, die Meldung brachten, Martin Maiwald sei gerade noch im letzten Moment in den Zug nach Grüntal gestiegen, wurde der alte Maiwald entlassen.

»Nicht er ist mir verdächtig« – sagte der Amtsvorsteher – »schon eher der Martin, und ich lasse sofort an die Stationen telephonieren, man soll nachforschen, wo der Bursche ausgestiegen ist. Bitte, Herr Wachtmeister, bleiben Sie noch so lange hier, bis Antwort erfolgt. Wenn er plötzlich ins Böhmische entwichen ist, würde er sich verdächtig machen.«

Bald kam die Nachricht, Martin Maiwald habe in Oberschreiberhau eine Fahrkarte bis Grüntal, also ins Böhmische, gelöst, sei aber schon in Jakobstal ausgestiegen.

Mittags erschien die Minna Neumann. Sie gab zu Protokoll, Martin Maiwald sei bei ihr am Feuer gestanden, wo sie Klöße mit Blaubeeren gekocht habe. Auf einmal sei ein Baum niedergekracht – etwa vierzig Schritt von Martins Standort entfernt – gleichzeitig habe der Vater Maiwald aufgeschrien, die Holzfäller seien den Abhang heraufgelaufen und hätten unter dem Fichtenbaum den toten Hegemeister hervorgeholt.

Der Wachtmeister begab sich zu dem Arzte, der gleich im Forsthaus den Toten untersucht hatte.

Dieser meinte, sonderbar sei es, daß vorn am Gesicht Wunden seien, die offenbar vom Wipfel der Fichte herrühren, während die Schläfe, die zertrümmert sei, kaum mit solcher Wucht vom fallenden Baume hätte getroffen werden können.

Das war eine wichtige Bekundung und jetzt auf einmal fiel dem Wachtmeister auf, was der Waldarbeiter Glumm wie beiläufig ausgesagt hatte, Hut und Büchse seien etwa sieben Schritte von der Leiche entfernt gelegen. Wie war das möglich? Und auch der Holzschlägel sei dabei gewesen. Welcher Holzschlägel? Der müßte also noch auf dem Platze sein – oder hatte man ihn in die Schutzhütte getan?

Der Wachtmeister begab sich nochmals auf den Holzschlag am Schwarzen Berg, da lagen oben bei dem Kamme ein paar gefällte Fichten, deren Zweige man noch nicht abgehauen hatte. Hier bei der Schutzhütte war auch die Feuerstelle, in der Hütte waren die Werkzeuge geborgen, ein Holzschlägel lag nicht dabei, auch nicht an der Unglücksstelle. Wohin war er gekommen? Hatte ihn jemand mitgenommen? Martin vielleicht?

Mit der Minna war dieser dem Trupp gefolgt, der den toten Hegemeister geleitete – dann plötzlich war er zurückgegangen und verschwunden. Das alles machte ihn verdächtig, war aber noch ein Rätsel; hatten ihn doch die Waldarbeiter, als der Baum niederprasselte und Vater Maiwald aufschrie, bei der Minna stehen sehen.

Minna Neumann wurde vom Wachtmeister scharf ins Verhör genommen, und bei der eindringlichen Frage, ob sie schwören könne, daß sie die reine Wahrheit gesagt, und nichts verhohlen habe, brach sie in Tränen aus. Schließlich gab sie zu, daß sich die Sache anders verhalte, doch über das Wie verweigerte sie die Aussage.

»Wirklichkeit läßt sich auf die Dauer nicht verhehlen« – meinte Lamettrie zum Forstmeister – »nur für eine Weile vor den Leuten, allmählich wühlt sich alles selber heraus, wie es gewesen ist. Bedenke, daß stets in meinem Gewissen lebendig war, was ich an Deiner Schwester verfehlt habe, obwohl es durch meine aufgeregte Phantasie schrecklich verzerrt und mißdeutet wurde. Am Ende kam die Wahrheit zutage, wenn auch erst nach fünfzig Jahren. In der Ewigkeit gibt es nichts Verborgenes

»Was kümmert sich Martin Maiwald um die Ewigkeit!« brummte der Forstmeister.

Als ob sich die Macht der Wahrheit zeigen wolle, machte Lamettrie, den es auf einem Waldgange zu der Stelle des Unfalls gezogen hatte, folgende Entdeckung: In der Schonung nahebei kläffte Mohrchen, und als sein Herr sehen wollte, was es gäbe, zerrte der Hund an dem Schlägel, den der verstörte Martin dorthin geschleudert hatte.

War nicht – so überlegte Lamettrie – bei der Untersuchung von einem Holzhammer die Rede, über dessen Verbleib man nichts weiß?

Lamettrie betrachtete das Werkzeug – am Klotz war eine versengte Stelle. In Feuersglut ist er gehalten, hinterher hat jemand mit dem Messer geschabt. Zu welchem Zweck wohl? Aha! Blutspuren sind daran. Die also hat er tilgen wollen, durch Anglühen und Schaben. Schließlich hat er den Hammer in die Schonung geworfen und das Weite gesucht ...

Passend zu dem Fund des blutigen Hammers war des Arztes Gutachten und nun klärte sich der Sachverhalt.

Lamettrie hielt es für seine Pflicht, der Ortspolizei Meldung zu tun. Darauf sagte der Wachtmeister Minna Naumann ins Gesicht, Martin habe den Förster mit dem Holzhammer erschlagen.

Zusammenbrechend gestand das Mädchen alles, was sie gesehen hatte. Aber darüber ließ man nichts laut werden.

Ein Steckbrief gegen Martin blieb erfolglos. Später munkelte man, er sei im rumänischen Siebenbürgen als Glasarbeiter.


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