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46. Julias Geburtstagsfeier

Als Möller-Lamettrie am Morgen in seiner einsiedlerischen Kammer wach wurde, erfüllte ihn alsbald das Bewußtsein: Heut also feiern wir ihren Geburtstag; erheben wird uns das Andenken an Julia, die mich zur Liebe hinriß, und von mir Mutter wurde – oh! Wie überraschend hat sich mein Schicksal gewandelt, daß es mir zwar nicht die Geliebte bescheren konnte, aber ihren und meinen Enkel Helmut, der zudem noch der Bräutigam meiner Hulda geworden ist. Ahnungslos trat er in unseren Kreis, und allgemeine Achtung und Freundschaft eroberte er sich. Wie froh mich das macht!

Begleitet wurde diese Betrachtung vom Jubilieren der Vögel, und noch nie in seinem Leben hatte der Greis solch reines, unschuldiges Glück gekostet. Ihm gab er sich hin, im Bette verweilend, da es noch in der Frühe war. Die Güte, die ihn beseelte, versprach seinen späten Tagen einen echten Gehalt.

Erhoben von solchem Hoffen, schlug er die Selbstbetrachtungen des Kaisers Mark Aurel auf, dem er in Verehrung ergeben war. Dann stand er mit Rüstigkeit auf, wusch seinen Körper kalt ab, machte turnerische Hebungen und kleidete sich sorgsam in einen weißen Flanell-Anzug.

Mohrchen, der beim Verlassen der Einsiedelei munter kläffte, und Miene machte, ihn zu begleiten, durfte es diesmal nicht; der vorgesehenen Festlichkeit halber sollte er in seine Hütte zurück, was er auch willig tat, da ihm freundlich zugeredet wurde. Möller-Lamettrie schritt nun flott durch das Kiefernwäldchen bergab. Zu seiner Freude war's Benedikt, der ihm sein fröhliches Biwäwüh entgegenzwitscherte und munter voran in den Wintergarten flog, wo das Stubenmädchen soeben lüftete. Nachdem das Vöglein von seiner Dattel genascht und durch allerliebstes Flöten gedankt hatte, flog es wieder davon.

Nun trat in den Wintergarten, wo inzwischen ein reichliches Frühstück aufgetragen war, Frau Rade in einem rauschenden, schwarzen Seidenkleide. Sie stutzte, als sie allein den Sonderling sich gegenüber hatte. »Ach! Ich komme wohl zu zeitig? Dann entschuldigen Sie, Herr Möller! Ich bin so ans Frühaufstehen gewöhnt.«

Möller antwortete freundlich: »»Das bin ich ebenfalls, Uebrigens ist schon Besuch hier gewesen – hat sein Frühstück schnabuliert und dann gesungen – es ist mein Freund, ein Schwarzköpfchen, das nistet in einer Blutbuche.«

Und mit humoriger Schelmerei berichtete der Alle von seinem Glücksvogel.

»Ja, das hat was Gutes zu bedeuten, und so bin ich fast ins Hintertreffen geraten mit meinen Glückwünschen zu meiner Freundin Geburtstage. Jedenfalls gratuliere ich Ihnen von ganzem Herzen«, und knixend verneigte sie sich.

»Wieso ins Hintertreffen geraten? Durchaus nicht! Sie kommen ja als allererster Gratulant – und mit dem Danke dafür verbinde ich meine hohe Anerkennung Ihres Lebenswerkes, von dem ich durch Helmut einiges weiß. Fast Ihr ganzes gütiges Leben war ja meiner Julia gewidmet – und ihrer Tochter, die ja auch die meine ist – obwohl ich sie nie gekannt und auch nicht! verdient habe ... jawohl es ist so, Frau Rade! Und dann sind Sie meinem Enkel Helmut eine treue Studentenmutter gewesen. Zuguterletzt – was Sie jetzt in der Schatulle entdeckten, liebe Frau Rade ...« Vor Bewegung konnte er nicht weiter reden.

Und sie wurde ebenfalls gerührt; die Lippen zusammengekniffen, erwiderte sie sein Händeschütteln mit wortlosem Druck. Noch größer wurde die Ergriffenheit, als jetzt das verlobte Paar eintrat – strahlend aufgerichtet, Helmut im Frack mit weißer Binde, am Arm seine Hulda, die nach feierlichem Brauch ein weißes Seidenkleid trug, nur mit einer zarten Rose geschmückt.

Lamettrie, dem die Tränen kamen, schlug die Augen nieder, legte dann zärtlichen Blickes den Arm um Hulda und gab ihr einen väterlichen Kuß auf die Stirn. Dann schloß er auch den Bräutigam in seine Arme.

Frau Belling, die aus dem Hintergrund nach vorn trat und sich als Brautmutter fühlte, begrüßte alle der Reihe nach mit stummem Händedruck und führte das Taschentuch wiederholt an die Augen.

Den Beschluß der zum Morgenkaffee erscheinenden Gratulanten bildete der Forstmeister. Seine hünenhafte Gestalt mit den Blauaugen und dem langen Weißbarte machte sich recht gut in seinem graugrünen Paraderock, den Hirschfänger an der Seite, die breite Brust mit Orden geschmückt und in der Hand den Jägerhut – mit Auerhahnfedern. In strammer Haltung, mit gemütvollem Ernst dankte er, daß man seiner Schwester gedenke. Zur Verlobung gratulierte er dem Brautpaar und den Angehörigen.

Hierauf nahm man an der blumengeschmückten Tafel Platz, wo Kaffee, Kakao und Tee dufteten, auch Gebäck stand mit Butter, Eiern, kaltem Aufschnitt. Bei behaglichem Tafeln entwickelte sich nun ein heiteres Geplauder.

Unerwartet erschien Gerhart und gestand lachend, mit seinem Auto sei er gekommen, das langweilige Warten bis zur Dejeuner-Tafel halte er nicht aus. Freimütig postierte er sich hinter seinem Freunde Helmut, dann wieder bei Tante Belling, die er durch einen süßen Likör anzufeuern suchte. So machte er sich überall angenehm.

»Nun, Onkel Lamettrie, wie willst Du es heute halten – mit dem Sekt nämlich – ich sollte meinen, Hulda zu Ehren mußt Du heute schon ein Glas trinken.«

»Freilich, lieber Neffe, mit Hulda und Helmut lassen wir unsere Gläser zusammenklingen, wenn bei der Mittagstafel der Champagner serviert wird. Doch wenn ich mir solche Ausnahmen gestalte, so soll das nur dem Fest zuliebe sein. Sonst aber bleibe ich bei Mark Aurel: Die Natur ist mit Wenigem zufrieden, und wenn sie es ist, bin ich es auch. – Ein Butterbrot und eine saftige Birne werden dann zur Leckerei. Und mit allen Lebensfreuden ist es so: Das Schlichte soll uns reizend werden. Vor einer Woche freilich huldigte ich noch dem Lamettrie-Ideal und seinem Epikuräertum. Seitdem hat sich aber bei mir manches gewandelt, und gerade Du, mein guter Gerhart, bist mir vom Schicksal zum Werkzeug seiner gütigen Fügungen geworden.«

Während der Onkel diese bewegten Worte sprach, war der Diener Friedrich sacht eingetreten. Und bescheiden – um die allgemein beachtete Rede nicht zu stören, standen hinter ihm auch Gerharts Eltern, Herr und Frau Fabrikdirektor Linde. Sie waren zu Marie Erlenbachs Geburtstag und zur Verlobungsfeier geladen und gelockt vom Beispiel ihres Sohnes, ebenfalls schon jetzt mit dem Auto erschienen.

Ihre Ankunft veranlaßte die Gesellschaft, sich zur allgemeinen Begrüßung von den Plätzen zu erheben, und weil jeder genug vom Imbiß hatte, war bei dem sonnigen Wetter ein Spaziergang durch den Park allen angenehm. So schlenderte man an den schönen Rosenbeeten vorbei und umging die abgesperrte Blutbuche, indem neugierige Blicke das Nest des Glücksvogels zu erspähen suchten. Nun kam das Weimutskiefernwäldchen auf der Höhe, wo die liebliche Aussicht sich auftat, dann der Weinberg, wo die Reben sproßten und die Einsiedelei lag. Da sonderbarerweise die Tür offen stand, und Frau Linde befremdet fragte: »Hier also, Onkel Lamettrie, willst Du wirklich hausen?« glaubte er nicht umhin zu können, der Gesellschaft flüchtigen Einblick zu gestatten.

Aber wie erstaunte er, als das Innere feierlich umgestaltet war. Mit schwarzem Sammet waren Wände und Decken bekleidet. Und heraus leuchtete, von weißen Rosen umkränzt, das Juliabild, vergrößert, in künstlerischem Gummidruck, der überaus lebensvoll wirkte. An der Wand gegenüber befand sich – ebenfalls als Gummidruck – in Mattsilber gerahmt und von gelben Immortellen bekränzt, das Bild einer gütig lächelnden Matrone. Hinzutretend sagte Frau Rade zu den Versammelten: »Das ist Marie Erlenbach, wie sie mit 60 Jahren aussah. Sie hat immer noch einige Aehnlichkeit mit dem Julia-Bild. Dieses blühende Mädchen, von roten Rosen umgeben, ist Maries Tochter, die ja später Helmuts Mutter wurde, so sah sie als Braut des Herrn Doktor Burger aus. Auch von Helmut sind hier Photographien. Diese zeigt den Sechsjährigen, einen munteren, aber auch schon nachdenklichen Knaben. Damals, als die Tochter noch lebte, war Marie Erlenbach auf der Höhe ihres Glücks. Ihr Bruder zum Forstmeister befördert, ihre Tochter und Helmut blühend gesund, alles prächtige Menschen. Daß wir diese Erinnerungsbilder in so schöner Aufmachung vor uns sehen, haben wir der gütigen Frau Belling zu verdanken.«

»Aber nein!« wehrte diese ab – »das Hauptverdienst hat Frau Rade. Ohne die von ihr mitgebrachten Bilder und Schriftstücke würde unserer Feier das Wichtigste fehlen. Auf eine besonders wertvolle Kundgebung der Verstorbenen möchte ich noch aufmerksam machen. Es ist die Widmung in einem Buche, das Marie Erlenbach einmal ihrem Enkel zum Geburtstag geschenkt hat. Und Helmut selbst liest sie uns vielleicht vor, es sind Verse, von ihr verfaßt.«

Helmut nahm das Buch zur Hand und las:

Nach guter Sitte ging ich blind und fehl,
Weil Liebe mich und Leidenschaft bezwungen.
Doch hat mein Muttersinn der Göttin Hel,
Der Unterwelt, zwei Leben abgerungen.
Ein arm verlassen Weib mit Kind – mein Bruder
War Knabe noch – ich trieb auf hoher See
Und führte fest im Wogenprall das Ruder ...
Da schien der Brandung Troststern in mein Weh.
Es kam mein Heil ... Nun blick ich ohne Reue,
Ja selig auf die Zeit der Not zurück.
Die Mutterliebe, die Geschwistertreue –
Zuletzt mein Enkel – wurden mir zum Glück.
Mein Leben faß' ich in ein Licht zusammen:
Sei gut und wirke, was uns Güte mehrt!
Die Liebe nur ist Gott! Das treue Flammen
Der Kerze, die im Leuchten sich verzehrt!«

Wie draußen die Maiensonne auf den Weinberg niederflutete, so war die Gesellschaft ganz vom Bewußtsein erhoben, daß hier ein Leben ausgebreitet vorliege, stolz und tapfer, sieghaft und vollendet, in seiner Art. Und wie ein Choral brauste nun das allgemeine Aufjubeln dem Alten ins staunende Herz.


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