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11. Newyorker Landpartie

Erleichterten Herzens, weil die heikle Spannung der Gemüter sich gelöst hatte, fuhr Burger in seiner Vorlesung fort:

»Nun aber, lieber Vetter, will ich meinem kulturpolitischen Unkenruf einigen Humor beifügen. Will nämlich Bericht erstatten von der Landpartie, die planmäßig am Sonntag stattgefunden hat. Zunächst, was die Beteiligten betrifft, das waren außer mir noch zwei Württemberger, ein Westfale und eine sechsköpfige Familie aus Thüringen. Wir bilden hier eine gemütliche Gruppe, die sich an Gesprächen über die deutsche Heimat erfrischt. Wir lesen gemeinsam Mörike und Storm und singen Lieder von Schubert und Silcher. Den nic trip ins Freie halten wir verabredet, um den Frühling festlich zu begrüßen.

Wer in Newyork noch Neuling war, hatte davon geträumt, auch bei einer hiesigen Landpartie würden erquickende Spuren von idyllischer Natur zu finden sein, wie sie den Ausflügler in Deutschland reizen. Indessen, na – man muß der Reihe nach erzählen – Also: unser Treffpunkt war bei einem Untergrundbahnhof, der schon am Rande des Wolkenkratzerviertels liegt. Da verteilten wir uns in die drei bestellten Autos und fuhren los.

Eine halbe Stunde lang durch Reihen von Wohn- und Geschäftshäusern, wie sie der schäbige Parvenü-Geschmack des Amerikaners verbricht. Neubauten, die vornehm sein sollen, sind stecken geblieben im Maurermeister-Stil. Dann geht es durch Spekulationsgebiet, eine Wüste von Schutt und Bretterverschlägen, Reklameschildern und Stacheldrähten. Endlich kommt Saatfeld! Weithin nichts als grüne Fläche, schnurgerade durchschnitten von unserer Chaussee.

Unter dieser stelle Dir aber nicht so was wie deutsche Landstraße vor mit Obstbäumen oder Pappeln. Hier ist nur kahle Asphaltbahn, auf der ein Auto hinterm andern saust. Der Acker beiderseits sieht so nützlich, so ganz fabrikmäßig aus, daß ich mich wunderte, die Natur immerhin noch vertreten zu sehen, nämlich durch Saathälmchen, Erde und langweiligen Himmel. Eine Lerche hab ich nicht erlauscht, und kein blühendes Unkraut ließ sich entdecken, auch kein Baum, kein Graben, kein Weidengesträuch, nicht mal ein geschlängelter Ackerrain oder dreckiger Feldweg. Keine Häusergruppe, kein ferner Wald, nichts, was den Sinn hat, zu erfreuen. So fehlt denn auch das ländliche Wirtshaus, und wir konnten kein andres Ziel haben, als am Chausseegraben Halt zu machen und im staubigen Rasen zu picknicken.

Nachdem sich unsere drei Autos, um anderen die Weiterfahrt nicht zu sperren, ein wenig in die Saat hineingequetscht hatten, stiegen wir ab, machten die steifen Beine durch Trampeln geschmeidiger und kramten unsere Mitbringsel aus: Wolldecken und Mäntel, um darauf zu lagern, Thermosflaschen, Teller und Tassen, Brotlaibe und allerlei Konservenbüchsen, die nun geöffnet wurden. Als wir unsere Tischlein-deck-dich kreisförmig umlagerten, wurde Kaffee herumgereicht. Meine »Tischdame« Fräulein Pörzel reichte mir, wie sie auf Naumburgisch sagte, Gonnjack-Brallinees. Dazu sollte ich aus einer Blechdose Oelsardinen gabeln. Ihr Schwager, mein Freund Lüdecke, brummte auf einmal geheimnisvoll wie eine Stimmgabel – und als habe die Familie, einschließlich des zehnjährigen Mädels und des Konfirmanden, auf dies Signal gewartet, legte sie los, in Sopran und orgelndem Baß:

»An der Saale hellem Strande
stehen die Burgen stolz und schön.«

Diese vaterländische Darbietung fand herzlichen Beifall, und nun schwärmte Lüdecke von seinem »nahmpurger Männer-Kesangverein«, indessen seine Gattin gelbgefärbte Eier herumreichte, die sie selber in Soole präpariert hatte. Fräulein Pörzel versuchte mir klar zu machen, weshalb diese Gegend eigentlich keine Landschaft sei – weil's hier nämlich »geene Därme« gebe. Erst glaubte ich, sie vermisse Därme der Thüringer Wurst, dann aber begriff ich, daß sie von Türmen rede, von Dorfkirchlein. Nach denen freilich späht man auf hiesigen Ackerflächen vergebens aus – weil es gar keine Dörfer gibt. Wohl hin und wieder an der Chaussee eine Farm; diese aber ist ein nüchternes Haus, mit Lager- und Maschinenraum, geschmacklos hingemauert, ohne Garten, ohne Poesie.

In immer neuen Variationen bezog sich unsere Unterhaltung auf die deutsche Heimat. Mein Landsmann Häfele aus Urach, ein Photograph und heimlicher Maler, schwärmte von der Aussicht, die sich vom Hohen-Neuffen ins weite Neckartal eröffnet, über umbüschte Auen und hundert Dörflein hinweg, zu Rebenhängen und Waldhöhen. Dann tat Häfele der aufhorchenden Gesellschaft das Geständnis: Wenn i mir wünsche dürft, was i wollt, so möcht i no eimoal in meim Lebe am Necker sitze, in eme Garte beim Schöpple Onterländer – ond auf d' Weinberg ond Wälder gucke – ond d' Nachtigall möcht i höre, ond wie aus der Fern Mädle ond Buebe des Lied senget: Durchs Wiesetal gang i jetzt na.« Von solcher Gefühlsseligkeit angesteckt, stimmte man dies Volkslied schwäbischer Dörfler an, und ließ sich dann den Rheinwein munden, den Familie Pörzel mitgebracht hatte. Nicht die Autos, die unaufhörlich vorbeisausten, vermochten uns Lauschende zu stören, wohl aber die quäkigen Klänge eines Grammophons, das plötzlich von der anderen Seite der Chaussee mit einer Caruso-Arie loslegte. Unserem Beispiele folgend, hatten sich zwei Yankees, die nebst einem kecken Frauenzimmer ebenfalls im Auto gekommen waren, drüben niedergelassen und erbauten sich an ihrer Musikmaschine. Du kannst Dir denken, daß wir's dabei nicht lange aushielten und zur Heimfahrt aufbrachen.«

»Ein niedliches Bildchen!« schmunzelte Lamettrie – »wie sich der freche Realismus des Amerikaners abhebt vom deutschen Schwelgen im Gefühl. Aber Ihr Vetter gefällt mir, und ich hoffe, daß er sich doch noch einlebt – es braucht ja nicht gerade in Newyork zu sein – Auch gemütliches Leben läßt sich in Amerika finden, schöne Landschaft und großartige Natur. Würden Sie Ihren Vetter gelegentlich von mir grüßen. Ich würde mich freuen, einmal seine Bekanntschaft zu machen.

Gerhart bemerkte: »Einstweilen sind wir noch beim Brief – oder sollen wir nicht weiter hören?«

»Doch! ich denke! Wiewohl ich selber nicht weiß, ob der Brief noch Mitteilenswertes enthält.«

»Also lies!« sagte Gerhart, und Helmut fuhr fort:

»Ach ja, Ihr lieben Deutschen, auch in Euren Nöten seid Ihr daheim noch glücklich zu preisen, gegenüber uns Entwurzelten, die einander trösten, indem sie Leidensgefährten sind. Möchten hüben recht viele Deutschamerikaner ihr Gemüt wenigstens so zäh behaupten wie unsere Gruppe. Auch den Yankees wäre solche Beimischung zu gönnen; ihre Großstädte werden immer mehr beherrscht von rohem Protzentum, Barbarengeschmack und Naturwidrigkeit. Aufgeregten Sport treibt hier die Jugend, hat aber nichts vom deutschen Wandervogel, keinen Sinn für romantisches Schweifen durch die Landschaft, um die Reize der Heimat und des Volkstums zu erleben. Nicht einmal der Bronx-Park mit seinen Urwaldbäumen und prärieartigen Lichtungen, werdenden Büffeln und gehegten Resten der Wildnisfauna von einst, nicht einmal dies Prachtstück von Urwüchsigkeit, das die Newyorker alten Schlags sich erhalten haben, wird von den Einheimischen unserer Riesenstadt nach Gebühr besucht. Ja, wenn es dort Wettbewerbe gäbe, Schaubuden und Pöbelrummel! Bloß Natur, das ist langweilig. Dem Amerikaner fehlt es an Gemüt und Intuition, drum kann er wohl auf intellektuelle und mechanische Weise etwas leisten, bleibt aber öde, wo es auf schöpferische Naturkraft ankommt.

Unfruchtbar wird auch das amerikanische Familienleben. Die Frau hört immer mehr auf, Hausfrau zu sein. Man lebt im Familienhotel, oder geht mittags ins Speisehaus und behilft sich im übrigen mit Konservenbüchsen. Mit Ausbessern von Kleidern und Waschen von Weißzeug hält man sich nicht viel auf, kauft lieber gleich Neues und wirft das Alte weg. Getreue Mägde gibt es kaum mehr, und so hat man entweder ungetreue, oder verzichtet auf Familienstützen – man kann ja persönliche Leistungen durch Fabrikate ersetzen. Daß die Ehefrau noch äußerliches Ansehen hat, dankt sie ihrem anspruchsvollen Auftreten, sowie der Nachgiebigkeit des geschäftlich zermürbten Mannes, auch der konventionellen Moral, die von Kirchen und Sekten zäh behauptet wird.

Gattin im alten guten Sinne Europas will die moderne Amerikanerin nicht mehr sein. Kinder haben und erziehen ist ihr beschwerlich und langweilig. Weil sie sich davor immer mehr drückt, bürgert sich in den Großstädten ein System ein, das noch naturwidriger ist als das französische Zweikindersysiem. Nicht mal Einkindersysiem kann man's nennen. Es ist geradezu Keinkinder-System ...«


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