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6. Schachthof und Kosmos

Am gleichen Hügelzuge, den die Freunde hinangestiegen waren, um auf der Aussichtsbank zu weilen, lag in der Nähe eines Dorfes der Schachthof, wo Bellings wohnten und Herr Lamettrie. »Woher der Name Schachthof?« – fragte Helmut. – »Von dem Schacht, der hier vor etwa sechzig Jahren war, aber wegen mangelhaften Ertrages aufgegeben worden ist. Onkel Belling hatte dann auf den ausgeklaubten Erdmassen eine Art Weinberg angelegt – Du erkennst ihn an dem Weinberghäuschen; Onkel Lamettrie hat es sich zur Einsiedelei herrichten lassen – da haust er, wenn über ihn seine Menschenscheu kommt. Für gewöhnlich freilich wohnt er bei Bellings im Gutsgebäude, oder mit seinem Friedrich im Hexenkapellchen. So nennen Leute im Dorfe Onkels geheimnisvolle Werkstätte; sie ist teilweise in den Schacht hineingebaut. Siehst Du das finstere Wäldchen an der Nordseite des Hügels? Ein stumpfes Türmchen ragt heraus – eben das Hexenkapellchen. Abergläubische Leute munkeln, dort halte der Amerikaner ein Teufelchen versteckt, das ihm Dollars präge. Den Anlaß zu dem Geschwätz bildet ein hydraulischer Widder, der Wasser emporpumpt. Auch hat mal ein Handwerker nebst seinem Lehrjungen im Atelier zu tun gehabt und mit Schaudern Dinge bemerkt, die nichts anderes sein können, als Hexerei ...

Na Du wirst Dein blaues Wunder erleben. –

Dies aber ist der Schachthof.«

An der Freitreppe des Herrschaftshauses, die von erblühenden Rankrosen übersponnen war, hielt das Auto, und die jungen Männer sprangen ab, freudig bekläfft und umwedelt von einem schwarzen Pudel.

»Still, Mohrchen!« rief eine Stimme, die Helmut Burger gern vernahm, und da stand Hulda auf der Freitreppe, diesmal nicht in strenger Tracht, sondern frühlingshaft leuchtend wie die Apfelblüte. Da sie keine Diakonissenhaube trug, kam die Pracht ihres Flachshaares zu voller Geltung. Im Aufjubeln seines Herzens fand Helmut neue Bestätigung für ein Hoffen, das ihm schon gedämmert war, obwohl er kaum daran glauben konnte: einen Rosenblust von Schwärmerei hatte diese Frauenseele in ihm aufgeweckt. Aber daß die heimlich Angebetete ihn mit so warmem Strahl der Augen begrüßte, übertraf sein Träumen. Er wurde verwirrt und spürte, daß er rot wurde.

In diesem Moment trat Huldas Mutter herzu, und Helmut, der nun vorgestellt wurde, neigte sich über die Hand der frischen Matrone. Sie war eine Frau von sanfter Liebenswürdigkeit wie ihre Tochter und hatte ein ähnlich zartes Gesicht, wenn auch die Formen schon rundlich waren.

Als die Gäste im Flur ihre Garderobe abgelegt hatten, erschien Herr Lamettrie und schüttelte ihnen die Hände. Obwohl fahl und faltig im Gesicht, mit ernst beschaulichem Ausdruck in den schwarzen Augen, hatte der schlank gewachsene Greis noch einen Zug von Jugend. Straff und elastisch bewegte er sich im Sommeranzug von gelbweißer Seide.

Daß er seine Hand in den Arm Helmuts legte, war ein Zeichen von Zutraulichkeit, die er dem jungen Mann entgegenbrachte. Gerhart führte seine Tante und zur Linken die Base Hulda, während der Pudel wie ein Zeremonienmeister altklug vorantappelte.

In eine Diele ging es, hier war ein Kamin aus der Biedermeierzeit und eine feierlich tackende Kastenuhr. Dann in die anschließende Glasveranda, deren üppige Blattgewächse und Blumen angenehm atmeten.

Auf Frau Bellings einladenden Wink nahm man in Korbsesseln Platz, und das Stubenmädchen präsentierte eisiges Wasser nebst Fruchtarom. »Eine von Onkels Spezialitäten, Ananas mit indischen Würzen.«

»Nicht übel bei solcher Schwüle«, bemerkte Lamettrie – »in ein paar Stunden haben wir das erste Gewitter dieses Jahres. Für elektrische Spannung bin ich besonders empfindlich, und die sogenannten seelischen Einflüsse der Kosmosmaschine bilden ein Kapitel meiner Forschung, das von unabsehbarer Bedeutung für die Menschheit ist. Wofern es mir endlich gelingt, unserer Erdmaschinerie Anschluß zu verschaffen an jene Kraftströme droben. Aus fernsten Lichtnebeln der Milchstraße kommen sie, und ebenda liegt die Hauptquelle der kosmischen Energie. Sie, Herr Doktor Burger, haben ja über den Kosmos geschrieben, obwohl ... Na ja, ich sehe schon, Ihre bedenkliche Miene verrät, daß Sie mir Zweifel entgegensetzen.«

»Nicht gerade Zweifel,« erwiderte Burger, »nur daß wir Zwei das Wort Kosmos in verschiedenem Sinne vertreten. Für Sie hat es naturwissenschaftliche, für mich philosophische Bedeutung. Und da habe ich nun wohl verraten, daß ich stutze, wenn Sie von Kosmos- Maschine und kosmischer Energie reden. Diese Aussprüche bedeuten mir einen Widerspruch in sich selbst, ähnlich wie wenn jemand sagen würde: ein Quantum Ewigkeit.«

»Wäre das wirklich so absurd?«

»Ich sollte meinen, Ewigkeit kann doch keine Quantität haben, ist vielmehr erhaben über Groß und Klein. Quanten von Energie sind wohl in gewissen Naturerscheinungen feststellbar. Aber was ich unter Kosmos verstehe, ist Idee. Und wie man das mathematische Dreieck nicht grün oder gelb nennen dürfte, ebensowenig kann der Kosmos eine Maschine sein. Die Maschine ist eben ein Werkzeug, um für uns moderne Geschöpfe materielle Produkte zu schaffen. Wohl strahlt im Geiste des großen Erfinders Unendlichkeit. Die erfundene Maschine indessen bleibt etwas Unlebendiges und als solches stupid.«

»Oho, Herr Philosoph!« protestierte Lamettrie. Der Hieb auf seine mechanische Weltanschauung hatte ihn zur Wehrhaftigkeit gereizt.

Obwohl nun das Stubenmädchen meldete, es sei angerichtet, wies er die Zumutung, jetzt das Gespräch abzubrechen, mit erhobenen Händen zurück: »Bitte um Aufschub! Die Hummer-Mayonnaise mag füglich noch warten! wird ja nicht kalt wie eine Suppe. Und den jungen Gänsen schadet es nichts, wenn sie noch etwas länger prutzeln.«

»Natürlich geht das Gespräch vor«, sagte Frau Belling, und leisen Schrittes entfernte sich das Stubenmädchen.

Lamettrie hatte sich gesammelt, vorsichtig wählte er seine Worte: »Ich verkenne keineswegs, daß noch ein Abstand besteht zwischen den von Menschen konstruierten Maschinen und der Allmaschinerie. Nur daß ich ihn nicht für abgrundtief halte. Sie aber unterscheiden allzu schroff zwischen Geist und Maschine! Und Ihren Kosmos-Begriff fassen Sie als ein himmelblauer Idealist. Fast möcht ich sagen, Ihr Kosmos ist verkappte Theologie. Sagen Sie doch für Kosmos lieber Vollkommenheit oder Höchstes Wesen.«

Ohne Empfindlichkeit erwiderte Burger: »Ja, so hätte ich sagen dürfen. Die Kosmos-Idee ist eine Intuition – durch sich selbst gewiß.«

»Ei, ei!« lächelte Lamettrie – »Durch sich selbst gewiß? das wäre so ähnlich, wie das Abenteuer des jagenden Münchhausen; als er in eine Fallgrube gefallen war, faßte er seinen eigenen Zopf und zog sich daran heraus.«

»Ein niedlicher Witz!« lächelte Helmut Burger – »nur widerlegt er mir nicht die Tatsache, daß es Selbstgewißheit gibt.«

»Eine Gewißheit,« entgegnete der Mechanist, »hat für mich nur, was ich mit Augen sehe, mit Händen greife. Meine Philosophie sind die Sinne. Nichts ist im Geiste, was nicht zuvor in den Sinnen war.«

»Einschränkend fügt Leibnitz hinzu: es sei denn der Geist selber! Das heißt: Nur was wir von der Außenwelt wissen, das haben uns die Sinne übermittelt; der Geist jedoch ist nichts, was wir sehen, tasten, hören können; sondern unsere Geistigkeit ist unmittelbar gewiß. Unter Ihrem Ich beispielsweise verstehen Sie nicht bloß Ihren Körper, sondern ein Verband von Erlebnissen geistiger und gemütischer Art, den Sie als Achse Ihres Lebens betrachten. Ihre Frage: Wer bin ich? beantworte ich demgemäß: Sie sind wie jedes Ich ein Strahl der Allgeistigkeit.«

»Wären Sie, lieber Doktor, in der Lage, uns irgend eine Wahrheit zu nennen, die aus sich selbst gewiß ist?«

»Allerdings«, entgegnete Helmut. – »In jedem Dreieck ist die Summe der Winkel gleich zwei Rechten. Davon ist der Mathematiker überzeugt. Aber nicht, als ob er alle möglichen Dreiecke ausgemessen hätte – das könnte er gar nicht. – Sondern indem er erkennt: Durch die Spitze eines jeden Dreiecks läßt sich parallel zur gegenüberliegenden Seite eine gerade Linie denken und die drei Winkel an dieser Parallele machen einen gestreckten Winkel aus, das heißt: Zwei Rechte. Sehen Sie, Herr Lamettrie, solch unmittelbare Einsicht nenn' ich eine Vernunftanschauung, die nicht durch sinnliche Erfahrung erwiesen wird, vielmehr aus sich selbst gewiß ist.«

»Aber bevor man zu solch mathematischer Einsicht gelangen kann, muß man typische Eigenschaften der räumlichen Welt draußen erfaßt haben.«

»Das natürlich! Sehend und tastend lernen wir, was der Raum ist, und was eine gerade Linie, was eine Parallele bedeutet, ein gestreckter Winkel und ein Dreieck. Doch schon indem wir diese Begriffe bilden, verfahren wir im Sinne des Kosmos – oder wie Sie ihn nennen – der Vollkommenheit. Ein Original der Vollkommenheit findet sich nicht in der Außenwelt. Da kommen bloß Annäherungen vor. Wenn wir eine von der Natur gegebene Gerade unter die schärfste Lupe nehmen, siehe, da ist sie nicht ganz gerade und nicht einmal eine stetig geschlossene Linie. Im mathematischen Begriff der Geraden liegt also kein Abbild äußerer Wirklichkeit vor, sondern etwas rein Gedachtes, das in der Wirklichkeit gar nicht vorkommt! Mir hat das Ideal seinen Rang himmelhoch über der sinnfälligen Wirklichkeit.«

»Wo denn aber?« schrie Lamettrie ungeduldig – »wo in aller Welt schwebt Ihr Wolkenkuckucksheim?«

»Indem Sie nach einem Wo fragen, setzen Sie einen bestimmten Ort voraus:

Hoch über der Zeit und dem Raume webt
Lebendig der höchste Gedanke.

Die Sphäre des Ideals ist Unendlichkeit, Ewigkeit!«

»Und auf welche Weise sollte sie Erdgeschöpfen erreichbar sein?«

»Dadurch, daß uns Erdgeschöpfen unser Ursprung innewohnt: Das Unendliche. Es strahlt in uns. Nicht als ob es bezeugt sei durch ein Konterfei, das uns die Sinne vermitteln, sondern das Original selbst weset in uns.«

Sinnend starrte Lamettrie vor sich hin. Es war zu merken, daß ihn Burgers Darlegung ergriffen hatte, und daß es ringend in ihm wogte. Auf einmal entschied er sich wie zum Spotte, stand auf und bot lächelnd Frau Belling den Arm: »Nun bitte, zu Tisch, zum holden Erdenschmaus!«


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