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35. Der Schachautomat der Konkurrenz

»Nun sollst Du den Schachspieler kennen lernen. Er gehört zum corpus delicti meiner Beichte als eine Hauptnummer und zeigt, wie ich mein leichtgläubiges Publikum betrogen habe. Es soll aber anders werden! Gestern hab ich an Mister Bridgeman, den Pächter meiner amerikanischen Museen, gekabelt, daß ich den Vertrag mit ihm nur dann verlängere, wenn er eine gewisse neue Vorführungsweise annimmt: nämlich Verzicht auf jeden Täuschungstrick. Wenn Bridgeman sich weigert, mögen meine mechanischen Werke zugrunde gehen. Würden sie mir auch sonst eine Jahresrente von fünfzigtausend Dollars bringen. Was frommt der Mammon einem alten Manne, der den kargen Rest seiner Tage in größter Einfachheit verleben will. Wahr vor allem will ich sein – das gelobe ich im Angesicht der Sonne und dieser freien Landschaft. Dort in blauender Ferne lächelt die Lazaruskapelle, es ist ein Lieblingsort von mir – wir wollen ihn dieser Tage mal aufsuchen.« So sprach Möller-Lamettrie zu Helmut, als sie von der Terrasse ins Museum eintreten wollten.

»Versuch es doch einmal mit einer anderen Art von Schaustellung«, lächelte Helmut – »Deine Tricks könnte man ruhig vorführen, wofern nur hinterher aufgeklärt wird, auf welche Weise die Täuschung zustande kommt.«

Mit freudigem Staunen sah der alte Mann den jungen an: »Helmut! Du hast das Ei des Kolumbus auf die Spitze gestellt. Du sollst auch mein Teilhaber sein, wenn der Pächter einverstanden ist mit dieser Art Volksaufklärung. So lösen sich manchmal unverhofft die verzwicktesten Fragen.«

»Oh, Onkel, nein! das kann ich nicht annehmen. Eine kulturelle Idee will ich nicht als Geschäft ausnützen.«

Der Onkel legte die Hand rüttelnd auf seine Schulter: »Bist ein deutscher Idealist, wie er im Buche steht – in Schillers Don Carlos. Mensch! wenn Dich mein Geld geniert, nun so ist's ein Hochzeitsgeschenk für Hulda. Und was Du von Ausnützen einer kulturellen Idee faselst – das sind Skrupel einer Zartheit, die ein Yankee nicht gelten läßt. Ist denn nicht jede Erfindung, jeder gute Einfall eine kulturelle Idee? Und wäre sie nicht ausnutzbar, wozu dann das Patentrecht? Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert, so auch der Erfinder – seine Ideen soll er ausnützen, sonst schenkt er ihren Ertrag dem Unternehmer. Wäre Dir das lieber? Oder willst Du mir vielleicht schenken, was Dir gehört? Soll ich das annehmen? Fällt mir nicht ein! In dieser Sache ist das Zartgefühl auf meiner Seite am Platz.«

»Haha!« lachte Helmut, »großmütig wetteifern wir schon, wer von uns beiden das Fell des Bären verschenken darf, und wissen noch gar nicht, ob er sich überhaupt erlegen läßt.«

»Oh! Wie auch immer Bridgeman sich zu Deiner Idee stellen mag, durchgeführt wird sie! nötigenfalls ohne ihn. Junge, wie leicht ist mir's um Herz, nun ich eine Sorge des Wiedergutmachens los bin! Schon das ist ein Erfolg Deines glücklichen Einfalls.«

Munter gingen sie ins Museum, wo in der Halle außer Päch und Friedrich noch ein Angestellter wartete, den der Onkel als seinen technischen Direktor Mister Steelhead vorstellte. Sofort begab man sich zu dem Gemache, wo der automatische Schachspieler vorgeführt werden sollte, und hier nahm Möller-Lamettrie das Wort:

»Meine Herren, Sie wissen, was ich an Mister Bridgeman gekabelt habe. Jedenfalls dulde ich nicht mehr, daß mein Publikum begaukelt werde. Die Theater, die ich in den United States besitze, heißen fortan Lamettries Mechanisches Theater Anti-Humbug – oder so ungefähr. Jedenfalls werden sie allen Schwindel schonungslos entlarven. Erst werden meine Tricks vorgeführt, dann die Leute darüber aufgeklärt. Aehnlich wie ich das Rätsel des Persers aufzuklären pflege, und zwar unter starkem Beifall. Verstehen Sie? Nun fangen Sie bitte an, Mister Steelhead, genau so, wie Sie drüben sprechen. Herr Burger soll unsern Humbug in seinem ganzen Umfang kennen lernen. Hinterher sage ich, wie der Anti-Humbug, die Aufklärung, erfolgen soll.«

Mister Steelhead schien betroffen, sammelte sich aber mit Elastizität und sprach: »Gentlemen! An den Menschen-Automaten hat man von je vermißt, daß sie nicht Gedanken produzieren. Da ist nun ein Erfinder mit dem automatischen Schachspieler gekommen, und ich habe das Vergnügen, Ihnen fürs erste die von ihm erfundene Figur vorzuführen und ihr scheinbares Denken – denn natürlich ist das bloßer Schein.«

Von einer großen Gestalt inmitten des Raumes fiel die Verhüllung: Ein riesiger Perser kauerte da, die Beine untergeschlagen, vor einem mächtigen Schachbrett, dessen Figuren zum Spiel bereitstanden.

»Nun, Helmut? Du bist doch Schachspieler?«

»Im langweiligen Stellungskrieg bin ich's geworden.«

»Also spiele mit dem Perser!«

Friedrich schob einen Clubsessel heran, Helmut nahm Platz und faßte seinen Gegner ins Auge. Der starrte mit durchbohrendem Blick auf ihn hernieder, senkte dann die Augen auf das Brett.

Mister Steelhead nahm wieder das Wort: »Es ist das Recht des Publikums, sich davon zu überzeugen, daß im Automaten nicht etwa ein Mensch steckt. Bitte, überzeugen Sie sich!« Und seitwärts am linken Aermel öffnete er eine Klappe, so daß man der Figur ins Innere blicken konnte. Da war ein Gewimmel von Drähten, dahinter ein Zahnrad-Werk, über das ein Kettchen lief. Dieser Mechanismus reichte, wie man sah, lief in die Figur, bis weit über deren Mitte hinaus. Steelhead schloß die Klappe wieder, trat zur anderen Seile und öffnete am Brustkasten eine Klappe, die etwa denselben Anblick bot.

»Haben die Herrschaften gesehen?« hörte man den Perser mit starker Stimme fragen – »dann, mein Partner, nehmen Sie mir gegenüber Platz und fangen Sie an!« Nochmals hatte er den durchbohrenden Blick, dann schien er in seinen Spielplan vertieft.

Helmut ließ nun seine beiden Mittelbauern je zwei Felder vorrücken – es fiel ihm auf, daß die Figuren nicht nur groß waren, sondern auch auffällig schwer.

Der Perser, der jetzt seinen ersten Zug zu machen hatte, streckte mit einem Ruck seine Rechte übers Brett, senkte sie dann gleichfalls ruckartig auf seinen Königsbauern, faßte den mit zwei Fingern, ließ ihn aber nicht zwei Felder vorrücken, sondern nur eins, auf dieselbe Art brachte er die Königin heraus. Helmut merkte, sein eigener Plan, den Läufer keck auf den Kampfplatz zu rücken, sei vereitelt. Aber mit einem Springer konnte er hüpfen, das war ein guter Zug. Noch einige Züge, und sein Herz bebte gespannt, denn jetzt kam die feindliche Königin in die Patsche. Plötzlich dröhnte die Stimme des Persers: »Schach!« – Ja, diese Möglichkeit hatte er nicht gesehen. Er konnte ein Feld seitwärts weichen. Und »Matt!« klang es hohl. Allerdings! Helmut war geschlagen.

Nun hielt Steelhead den Epilog: »Das sieht aus, als habe der Automat gespielt. Sehen Sie nunmehr, wer es tatsächlich war!« Und wie er unterhalb des Automaten ein Türlein geöffnet und den anliegenden Fußboden falltürartig aufgetan hatte, kroch in Hemdsärmeln ein Herr heraus.

Als ihm Friedrich den schwarzen Gehrock dargereicht und angezogen hatte, verbeugte er sich und trat beiseite. Hierauf fuhr Steelhead fort: »Durch ein Loch im Brustkasten der Figur sah er das Spiel und in der großen Gummihand des Persers war seine eigene Hand tätig. – Die ruckartigen Bewegungen sollten nach Mechanik aussehen. Tatsächlich erfolgt mechanisch nur das Drehen des Kopfes und das Rollen der Augen. Das Sprechen des Automaten mittels eines Phonographen, der alle beim Schachspiel nötigen Redensarten auf seiner Walze hat.«

»Wozu aber die Drähte und Räder im Brustkorb der Figur?« fragte Helmut – »und wie kommt es, daß man von dem tatsächlichen Spieler, der unterhalb des Brustkorbes steckt, gar nichts bemerkte?«

»Die gespannten Drähte und die Rädchen sollen eine verschmitzte Mechanik nur vortäuschen. Sie verwirren den Hineinschauenden um so mehr, als der Hintergrund aus Spiegelscheiben besteht, die durch Widerspiegeln den Eindruck machen, als seien auch hinten Drähte und Rädchen. Dieser angeblich schachspielende Automat unseres Konkurrenten ist also tatsächlich kein Selbstbeweger, weil ein Mensch darin sitzt und spielt. Solche Enthüllung zu machen, halten wir für unsere Pflicht. Zugleich aber geben wir uns die Ehre, nunmehr einen echten Automaten vorzustellen, der Schach spielt. Es ist das Werk des hochedlen Lords »Lämittrei«, den Sie zunächst hier als Oelgemälde sehen.«

Bei diesen Worten enthüllte sich, indem Friedrich eine Schnur zog, das Porträt des Onkels; nur etwas jugendlicher sah er aus, und gepudertes Haar und Zopf trug er, blauen Galarock, Kniehosen, weiße Wadenstrümpfe und Schnallenschuhe. »Der Lord«, so fuhr der Impressario fort – »ist eigentlich ein Frenchman und spricht sich monsieur le baron de Lamettrie, war Vorleser des berühmten Königs Friedrich, den das Preußenvolk den Großen nennt ...«

»Genug!« unterbrach finster Möller-Lamettrie – »mir wird vom Anhören schlecht. All right! So lautet allerdings Ihr Speech, und ich hatte Ihnen den Auftrag gegeben, genau so zu sprechen, wie in Newyork – thank you! Ich wollte Herrn Doktor Bürger zeigen, nicht nur, wie unsere Konkurrenz schwindelt, sondern vor allem, mit was für Humbug wir selber Geld machen. Ja, der Amerikaner im Hexenkapellchen hat ein Teufelchen, das ihm unterirdisch Dollars prägt. Aber pfui! Solche Gaukelei, meine Herren, muß hinfort ganz aufhören und wiedergutgemacht werden! Ich will's! und wenn dabei das ganze busineß zum Teufel geht ... Für heute sind wir fertig, Misters, morgen früh um zehn Uhr fahren wir fort.«

Direktor Steelhead lächelte verlegen – der Hervorgekrochene stand wie angedonnert, Friedrich war bleich und schlug die Augen nieder.


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