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55. Der Totschlag

Etliche Wochen nach dieser Begebenheit machte der Forstmeister Erlenbach noch am späten Abend seinen gewohnten Gang am Schwarzen Berge längs dem Waldrande. Der Pfad, mit Tannennadeln bestreut, machte seine Schritte fast unhörbar. Plötzlich glaubte er ein Menschenpaar dicht vor sich zu sehen und stand stutzig still.

»Martin« – raunte eine weibliche Stimme – »wie kannst Du das denka? Wie soll denn iich der Homann-Clara etwas von Dir pfeifa? Dich tu ich nee verrata, aber treu mußt Du mir sein ..«

Der Forstmeister mochte das Liebespaar nicht stören und kehrte sacht um. Während er sinnend ging, kam ihm der Verdacht, der sich immer mehr verdichtete: Was von dir pfeifen? das war ja Gaunersprache! Das Weib versicherte, den Geliebten nicht zu verraten. Dieser hatte wohl einen Argwohn, sie könne sich bei der Hollmann-Clara verplaudern, also handelte es sich um ein Unrecht. Und Martin hieß der Geliebte? War er vielleicht identisch mit jenem Maiwald, der damals am Kochelfall angetrunken das Freischützlied gröhlte? Diese Beobachtung konnte er seinem Schwiegersohn Schellmann unmöglich verschweigen; hier gebot die Pflicht.

Gleich nach seiner Heimkehr berichtete er alles dem Hegemeister.

»Ich bin Dir dankbar« – erwiderte dieser – »das ist eine wichtige Fährte. Es war Martins Braut, die bei ihm stand, die Neumann-Minna. Ich werde mich vorerst noch nicht mit unserm Schupo-Wachtmeister in Verbindung setzen; es täte mir sehr leid, wenn ich die Existenz des Burschen vernichten müßte.«

»Hast recht!« meinte Erlenbach – »überstürze nichts. Nimm den jungen Menschen unter vier Augen mal ins Gebet!«

Schellmann verhielt sich mehrere Tage schweigsam. Ein Verdacht war ihm geäußert worden, und zwar von dem Wachtmeister selber. So hing er eines Vormittags die Flinte um und ging den Pfad zum Holzschlag hinter dem Schwarzen Berge.

Als er dort ankam, waren die Leute emsig bei der Arbeit. Gerade sank ein Fichtenstamm, bei dem Vater Maiwald und sein Sohn Martin standen, jener mit der Axt, Martin mit einem hammerartigen Schlägel von Holz, wie man ihn beim Baumfällen verwendet, um den Keil einzutreiben. Die Fichte stürzte auf den mit Beerengesträuch bedeckten Waldboden; die aufschlagenden Aeste knickten prasselnd zusammen.

Martin beobachtete währenddessen, wie der Hegemeister bei seiner Braut, der Minna, stehen blieb, die neben der Schutzhülle, über dem Reisigfeuer eine Blaubeersuppe mit Klößen kochte. Beklemmende Sorge stieg in dem Burschen auf, als er merkte, daß der Grünrock die Minna anzureden schien. Was wurde da verhandelt? O holla! wenn der vielleicht von irgendwem gehört hätte, und man wieder ins Loch müßte! Rückfälliger Wilderer hieß es dann, und unter einem Jahr ging das nicht ab ...

Jetzt kam der Hegemeister auf ihn zu. Unwillkürlich krampfte sich Martins Hand um den Schlägel. Wenn der Grünrock ihn zugrunde richten wollte, dann wehe ihm!

»Martin Maiwald, wo waren Sie vorigen Freitag früh zwischen fünf und neun Uhr?«

Martin stammelte: »Freitag? Das weeß ich nee! Geschlofa werd ich han – ju, ju! do ha ich um sechse noch geschlofa!« »Verläßliche Zeugen wollen gesehen haben, wie Sie im ersten Morgengrauen beim Roten Floß mit einer Büchse gelauert haben ...«

Martin wurde verwirrt. »Iich? un mit ...« Er würgte die Worte heraus: »Ich ha doch keene Büchse – längst ne mähr!«

»Es heißt, Sie hätten Ihre alte Büchse beim Liebig-Gustav im Holzschuppen versteckt ...«

Mit lohenden Augen schien Martin den Hegemeister verschlingen zu wollen. Jetzt trat auch der Vater Maiwald aufgeregt herzu, und die beiden gewalttätigen Menschen standen dem zierlichen Schellmann gegenüber.

Ruhig wandte dieser sich jetzt zum alten Maiwald: »Sie sind das Familien haupt, gut! Und ich tue meine dienstliche Pflicht! Es handelt sich einfach darum, sollen Unordnung und Gewalt recht behalten, oder Ordnung und Gesetz. Nicht auf den Hirsch kommt es an, den Ihr Sohn, wie ich weiß, durch seinen Bruder an ein Hotel in Mariental verschärft hat. Halten Sie das Maul, Martin! Es ist so! Ebenso wie ich Ihre Büchse aus dem Versteck hervorholen und alles beweisen könnte, was ich gesagt habe.«

Im dunkelroten Gesicht des Wilddiebs flammten gehässig die schwarzen Augen; er warf einen schnellen Blick den Hang des Holzschlags hinab, wo die anderen Waldarbeiter fast nichts von dem Vorgang sehen konnten, und Minna – nun die war ja seine Braut!

Der alte Maiwald war aschenfahl geworden: »Heeren Se, Herr Hegemeister! wenn Se – un mein Martin käme nochamol inns Loch – un mei Wilhelm dazu – verflischt noch emol! denn steh ich for nischte nee ...«

Zum Vater Maiwald gewandt, sprach Schellmann mit ernstem Nachdruck: »Ich warne Sie eindringlich, noch weiß kein Mensch etwas Bestimmtes. Ich allein ...«

Plötzlich sah er, wie der wilde Bursche – dunkelrot vor Wut – mit dem Schlägel in der Rechten ausholte ... Dann dröhnte es dumpf, und der Hegemeister sank ins Beerengesträuch.

Minna Neumann stieß einen unterdrückten Schrei aus und griff sich an die Stirn. Die Waldarbeiter drunten hantierten ruhig weiter.

Der alte Waldriese bückte sich und griff nach dem Kopf des Hegemeisters – die Schläfe war zertrümmert, und er war offenbar tot ... Dann spähte er ringsum. Er begegnete dem entsetzten Blick der Braut seines Sohnes. Diese tat sofort, als habe sie nichts gesehen.

»Du!« raunte er – »de Minna!«

»Die weeß von nischt!«

»Nu – so faß an! De Beene! Un rüber mit ihm – wo der nächste Baum, der schon ne Kerbe hat – wo a fallen soll.«

Taumlich wankte Martin, und seine Gedanken suchten Anhalt bei seiner Braut. Aber der Vater zischelte ihn an: »Zuerst gilt, was ich befehle, dann kannste zur Minna gihn.«

So mußte der Bursche den Toten zu dem Baum schleppen, der zum Fällen an der Reihe war. »Hierher!« kommandierte leise der Alte – »und Schläfe nach oben!«

Als die beiden den Toten für die geplante Täuschung zurecht gelegt halten, strebte der entsetzte Martin zu seiner Braut, die ihm wie versteinert entgegenblickte.

Inzwischen hatte der Alte mit etlichen Axthieben die Kerbe größer gemacht, so daß die Fichte sich in der Richtung des Toten zu neigen begann. Und nun stemmte er sich mit ganzer Wucht gegen den Stamm, so daß dieser sank und prasselnd mit seiner Krone auf den felsigen Boden aufschlug – dem Toten ins Gesicht. In diesem Momente schrie der Alle auf und gebärdete sich wie rasend: »Oh! Herr Hegemeister!«

Bei seinem Gebrüll stutzten die Waldarbeiter am tieferen Hange, und etliche kamen herbeigehastet.

»Oh! Ah!« wimmerte Vater Maiwald und rang die Hände, bei dem Baume stehend, der auf dem Hegemeister lag – »es hat ihn! oh, ihr Leute, ihr Leute

Atemlos rannten mehrere herzu, hieben ihre Aexte in den Stamm, und suchten ihn zu drehen, damit er den Hegemeister freigebe, den sie vom Baume getroffen wähnten. Die Fichte drehte sich, und ein Arbeiter rüttelte den Regungslosen: »Herr Hegemeister! Oh! Es hat ihn an die Schläfe getroffen, und die Zacken han ihms Gesicht blutig gehauen!«

Martin wankte scheu daher. Minna stand noch beim Feuer und schluchzte in ihre Schürze.

»Tot! den Schädel hot's an der Seite getroffa!« sagte ein Kerl – »nischt ze machen! tragt ihn heeme!«

Sie hieben mehrere Stangen, legten Tannenzweige quer darüber und betteten die Leiche darauf. Dann hoben vier Mann die Bahre auf ihre Schultern.

Einer nahm die Büchse und den Försterhut auf, ohne zu beachten, daß diese Gegenstände mehrere Schritte vom gefällten Baume lagen.

Hinter dem Zuge, in dem sich der heuchlerische Vater Maiwald befand, wankten mit etlichem Abstand Martin und Minna in starrem Schweigen.

»Minna! de wirscht doch Deinen Bräutigam ne verrota?« raunte er ängstlich. Auf einmal schlug er sich an die Stirn und stöhnte: »O Himmel! der Schlägel mechte mich verrota!«

Und seine Minna ließ er stehen und hastete zurück an die Stelle des Totschlags. Kein Mensch war da, und noch immer lag der Holzhammer, wohin der Täter ihn hatte fallen lassen. Minnas Suppenfeuer brannte bei der Schutzhütte.

Martin trat scheu zum Hammer und bemerkte daran Blutflecken. Entsetzen durchschauerte ihn: Wäre der Schlägel beachtet worden, dann gings ihm an den Kragen.

Verstohlen sah er sich um. Nein! es war kein Mensch mehr da. Und den Holzhammer legte er mit der blutigen Stelle auf die Glut, bis er ansengte. Dann wieder schwankte er, ob er das Werkzeug nicht über die Schulter nehmen solle. Er hatte nicht den Mut dazu. Beklommen suchte er die verräterische Stelle durch Schaben zu entfernen, dann schleuderte er den Schlägel außerhalb des Holzschlages in eine niedrige Schonung.


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