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10. Vom amerikanischen Vetter

Man saß nun in der Diele um den Tisch herum.

Auf Gerharts Frage: »Nun, wie stehts mit dem Wetter?« antwortete Lamettrie: »Die elektrische Spannung hat zugenommen, es wird gewittern. Der Feuchtigkeitsmesser läßt aber bei uns nur geringen Niederschlag erwarten ... Ah, da sind ja die schönen Rosen! Sehr aufmerksam von Dir, Bellchen, daß Du sie hereingeholt hast. Und überhaupt – so gemütlich hast Du alles gemacht! Für gediegenes Deutschtum hab ich doch viel übrig, obwohl ich in der Weltanschauung kein Gemütsmensch bin. Und was mein Amerikanertum anlangt, so ist das staatsbürgerlicher Art. Die Amerikaner sind ja auch keine Rasse, sondern ein Gemengsel von Einwanderern aus allerlei Staaten und Völkern ... Aber nicht vorgreifen will ich dem Vetter aus Amerika, der uns sein gemütliches Schwabenherz nun ausschütten soll.«

Duftend floß der Kaffee in die Biedermeiertassen, die Zutaten wurden herumgereicht und als man behaglich gekostet halte, nickte Frau Belling ermunternd. So holte denn Helmut den Brief hervor und begann zu lesen:

»Lieber Helmut! Wer zu Schiff nach Newyork reist, wird am Hafen begrüßt von einem riesigen Standbilde. Die Freiheit hält eine Fackel erhoben, deren elektrisches Licht in die Nacht hinausstrahlt. Hiervon angelockt, sausen Wandervögel herbei und – zerschellen sich den Kopf am harten Glas, das die Lichtquelle umhüllt. Massenhaft liegen morgens die entseelten Schwärmer zu Füßen der Freiheit. Diesem Sinnbilde brauche ich nichts weiter hinzuzufügen, als daß es mir nicht ergehen soll, wie ungezählten Europamüden, die im gerühmten Lande der Freiheit Opfer des blendenden Scheins werden.

Noch mehr als vor dem Kriege ist Amerikas sogenannte Kultur zu einem Riesenpolypen geworden, einem Scheusal mit unzähligen Saugrüsseln; manche sind wie jene fabelhaften Seeschlangen, die große Schiffe umklammern – sehr viele haben Mäuler wie schnappende Haifische – das Hauptgewimmel besteht aus Warzen, die sich nesselbrandig ankleben. Und jedes dieser Organe ergreift, was ihm erreichbar ist. Gold will der Busineßman raffen, mit allen Mitteln. Gleichviel, ob er am Einheimischen schmarotzt oder am Fremdling, Unsauberkeiten im Wettbewerb, Bestechung und Rechtsverdrehung, Schmuggel und Schwindel sind erlaubt, wo wenig zu riskieren und viel zu gewinnen ist.

Wie nun das Erwerben zu einer riesigen Maschine ausgebildet wurde, so waltet der Geist des Mechanischen auch in der Art, wie das moderne Amerika sein Leben gestaltet und seine Genüsse sucht. Einen Triumph der Wohnkultur sieht man im Familienhotel, sogar im Wolkenkratzer. Die Straßen wimmeln von Autos, die Flugmaschine erobert das Himmelreich, und die dollarmäßig abgestuften Kirchen sorgen dafür, daß man sich im Reiche Gottes nicht zu langweilen braucht. Das Flache und Kitschige beherrscht den Geschmack. Leistungen roher Kraft und Zähigkeit werden bewundert, Konkurrenzen reizen zu leidenschaftlichen Wetten. Als Helden feiert man den brutalsten Boxer, und als preisgekrönter Künstler gilt, wer am längsten aushält, Klavier zu spielen, mag er vortragen, was er will, und wie er's kann, das ist Nebensache; wenn er bloß die Nerven hat, recht lange auszudauern. Einer hielt es fünfundneunzig Stunden aus – dann brach er ohnmächtig zusammen; nun hatte er zwar nicht den vorgesehenen Hauptpreis erreicht – dazu hätte er hundert Stunden spielen müssen – immerhin einen bedeutenden Dollargewinn und den Lorbeer des relativen Siegers.

Diesen Winter fand ein sensationelles Konzert in der Metropolitan Oper statt. Unter dem Taktstock eines berühmten Dirigenten spielten 25 höchst namhafte Musikmacher der United States auf 25 Flügeln zusammen, und zwar die Mondscheinsonate! Bald trommelten sie eine Art Gewitter, bald ein süßes Säuseln – oh! war das beautiful! Und trotz der hohen Gagen noch ein glänzendes Geschäft, da das Publikum, von der Reklame wild gemacht, sich um die teuren Eintrittskarten riß, und hinterher noch smarter Gewinn herauskam aus den Grammophonplatten ... Grammophon! ja dies Näselding, Hand in Hand mit dem Flimmerfilm, befriedigt das Unterhaltungsbedürfnis der Menge, auch solcher Stände, die sich zu den Hochgebildeten rechnen.

So steigert sich der Amerikanismus zu einer Fortschritts-Raserei, als ob wir Erdenklöße Götter würden, wenn Technik jenen Völkertraum von Babel erfüllt, einen Turm zu bauen, dessen Spitze in den Himmel reicht. Es wäre freilich ein Himmel äußerlicher Art, und der bringt dem Vollkommenen um keine Spanne näher. Manchmal kommt mir ein Gespräch in den Sinn, das zwischen einem altmodischen Chinesen und einem Bolschewisten stattfand. Der Chinese, der durch hingebende Pflege sein Gärtchen ertragreich gemacht hat, plagt sich weidlich damit, die Gießkanne jedesmal in einem entfernten Bache zu füllen. Der Bolschewist sieht zu und schüttelt den Kopf: »Aber lieber Mann, das Bewässern läßt sich doch viel bequemer haben – bohre hier ein Loch in den Boden, und senke eine Röhre nebst Schwengel hinein, dann pumpst du deine Gießkanne an Ort und Stelle voll und brauchst sie nicht vom Bache herzuschleppen. – »Ist, was du meinst, eine Pumpmaschine? ein Brunnen?« Und der Sohn des Himmlischen Reiches sinnt, hierauf entscheidet er sich: »Dann mag ich nichts zu tun haben mit dem, was du empfiehlst. Mein Großvater nämlich hat gesagt: Hütet euch vor der Maschine! Wer sich solch einen Knecht zulegt, der macht sich selber zum Knecht dieses eisernen Dinges und verliert sein eigentliches Leben.« In der einfältigen Antwort des Chinesen steckt eine Weisheit, von der die Abendländer sich entfernen, zu ihrem Unheil. Unser wahres Leben quillt aus dem ewigen Geist und aus der Mutter Natur ... Als Techniker hab ich mit beiden zu tun gehabt, habe Mathematik studiert, Mechanik und Chemie. Aber solche Wissenschaft ist Kleinkram aus dem All, ein Flöckchen vom Schleier der Isis ...«

Hier stockte die Vorlesung, weil Herr Lamettrie das trockene Spottwort hinwarf: »Nu brat mir einer nen Storch! Dieser idyllische Schwabe hat wohl gar den Sparren, das gewaltige Amerika zu den Träumereien eines Tolstoi und Gandhi bekehren zu können ... Doch verzeihen Sie meinen Zwischenruf! Unterbrechen will ich nicht. Etwas Erfrischendes hat durch seine ehrliche Schroffheit dieser Prediger in der Wüste. Bitte, weiter!«

Und Helmut Burger fuhr fort:

»Die heutige Erfinderei läßt sich leiten von Zwecken eigensüchtiger Gewalt, von Hab- und Vergnügungsgier. Wohl war es guter Geist, was den Grafen Zeppelin inspirierte, und was auch die Drachenflieger schuf und die Tauchboote. Solche Erfindungen dürfen begrüßt werden von Freunden der Naturforschung und des friedlichen Völkerverkehrs. Aber was gut gemeint war und der Menschheit zum Segen gereichen könnte, hat sich in Fluch verwandelt.

Doch von meinen unpraktischen Schwärmereien wirst Du, lieber Vetter, genug haben, und deshalb will ich schließen. Wenigstens für heute, weil Samstag abend ist, und ich noch etliche Zurüstung für morgen zu erledigen habe. Da will nämlich eine kleine Gruppe deutscher Landsleute mal seinen Sonntags-Ausflug ins Freie machen. Lebwohl, Vetter, und sei treudeutsch gegrüßt! Ich lasse freilich die Möglichkeit offen, eine Nachschrift, vielleicht sogar eine lange, folgen zu lassen. Wenn ich nämlich dazu komme, die Abenteuer zu schildern, die mir das Morgen bescheren soll. Ich bin gespannt, schon seit zwei Wochen ergehen wir uns in idyllischen Träumereien über den nice ...«

Wohl wegen der Undeutlichkeit eines Wortes zögerte der Vorleser und brachte den Brief näher an die Augen: »Es ist wohl ein amerikanischer Ausdruck ... kanns vielleicht trup heißen? oder timp?«

»Darf ich helfen?« sagte Lamettrie – »lassen Sie mal sehen!« Und Helmut konnte selbstverständlich nicht umhin, Einblick in das Schreiben zu gewähren.

»Nice trip heißt es – zu Deutsch: ein hübscher Ausflug.«

Schon wollte Lamettrie das Papier zurückreichen. Da stutzte er, als ob sein Aufmerken plötzlich neu gefesselt sei. Verwundert starrte er auf Burger, dann wieder in den Brief: »Was ist das? Hatten Sie nicht gesagt, Ihr Vetter heiße Burger

Helmut errötete bestürzt und schwieg.

Aber mit Geistesgegenwart griff Gerhart ein: »Ich war's, der das gesagt hatte. Doch der Name ist – wie Du selbst sagst – Nebensache. Heißt er nicht Burger?«

»Nein!« brummte Lamettrie – »hier steht ein andrer Name.«

»Dann habe ich mich also geirrt. Es ist schwer, sich in den Verwandtschaften zurechtzufinden.«

Noch konnte sich der Alte nicht beruhigen: »Wollte man mir den wahren Namen vorenthalten

»Nanu! wie sollte ich denn dazu kommen?« Und von seiner Verwirrung suchte Gerhart abzulenken, indem er nach dem Brief griff: »Wie heißt denn der Vetter? Hans Erlenbach lese ich. Ei, was wäre da vorzuenthalten? Ein Nameist es wie andereauch.«

Lamettrie war erblichen. Mißtrauen schien ihn zu durchwühlen, und zögernd stieß er die Worte heraus: »Hören Sie, Doktor Burger – dieser – Erlenbach – wer ist das?«

»Nun, mein Vetter ist's! was soll dabei sein?«

Durchbohrend blickte der Sonderling – dann schien er zufriedengestellt und atmete auf. Verlegen im Kreise umherblickend, stammelte er: »Natürlich! Ich bitte um Entschuldigung, lieber Doktor Burger. Und also sehen wir zu, ob Vetter Hans noch etwas zu berichten hat.«

»Gewiß hat er das, Herr Lamettrie. Hier kommt noch ne lange Brühe. Soll ich noch weiter lesen?«

»Ach ja!« bat Frau Belling, »die Newyorker Landpartie interessiert mich!«

»Also schießen Sie los!« sagte der Alte wieder beruhigt.


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