Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

15. Möller-Elend

Zu ihm gebeugt, spähte Hulda dem Greise schmerzlich ins Gesicht: » Kennst Du mich denn nicht mehr?«

Er lächelte matt: »Julia? oder bist du's etwa nicht? Angst hab ich, du könntest Nebel sein – und mir entschwinden! So wie dem Doktor Weyenmüller die indische Prinzessin. Ach, so wird's kommen. Ich selber bin ja Weyenmüller, bin Romeo. Und du? bist meine Traumprinzessin ...

Bist Julia Du! Doch wie du sonst noch heißt,
Was kümmert's mich? Der Name, den man faselt,
Verwirrt mich nur, macht scheu und gramvoll mich.

Wie eines Jünglings schwärmende Träumerei war diese melodische Rede den dürren Greisenlippen entquollen, während sein Auge in Huldas Antlitz hineinloderte. Nun aber wurde dies Auge hohl und finster; zusammenschreckend klammerte sich der Sonderling an Huldas Arm und raunte heiser: »Aber bist du's denn? bist du auch wirklich Julia? Oh! du zerrinnst mir, bist Nebel!«

Und wie Nachthauch, der stürmen möchte und nur zu einem Murren Kraft findet, ächzte der Greis: »O Hohn! Was stöhnt denn so durch den Leichenkeller? Tot! stöhnt es – selbst-ver-ständ-lich Tot! Welcher Leichen-Kauz krächzt dieses Selbstverständlich? Solls etwa heißen: Romeo Möller verdient nichts Milderes? Jawohl! wer feigen Mord sät, wird Verwesung ernten, das ist so Logik, Kosmoslogik.«

Und finster rollte er das Auge zu Helmut Burger, der ihn forschend betrachtete: »O Herr Doktor, was soll da Ihre Philosophie? Wenn sie Grüfte nicht zertrümmern kann, meine Julia nicht von den Toten auferwecken. Wenn sie den armen Möller nicht heilt von seinem Elend, huhu!«

Vom Sessel emporfahrend, als wolle er flüchten, starrte Lamettrie wild umher – dann, von Hulda rasch unterm Arm gefaßt, taumelte er nach einem Liegepolster und sank darauf hin.

»Lieber Gott!« jammerte Hulda, »es hat ihn wieder! Schnell, Mutter, Friedrich rufen!«

Frau Bellina, stand schon am Telephon und kurbelte heftig: »Mister, sind Sies? Ach kommen Sie sofort! Herr Lamettrie hat – er hat – sein Möller-Elend!«

Bei diesem Worte, das der Telephonierenden entschlüpft war, weil sie glaubte, Lamettrie sei bewußtlos, horchte dieser auf und stöhnte mit seltsam verwandelter Stimme: »Möller-Elend – ja wohl!« Das Gesicht verzerrt, ließ ei den Kopf auf das Kissen gleiten, das Hulda unterschob, und lag in dumpfem Brüten.

Als er merkte, wie alles ihn anstarrte, lächelte er bitter: »Haha! da wundern sich einfältige Leute aus dem Publikum, wenn sie mal hinter die Kulissen kommen und den Bühnenhelden, der sie im Banne donnernder Theaterworte gehalten hat, in seiner Garderobe überraschen? im Negligé? Haben Sie diesen Anblick mal erlebt, meine Herrschaften?« Und spähend ließ er das Auge von einem zum andern rollen.

»In der Garderobe hockt der Komödiant vor dem Spiegel, in Unterhose, ohne künstliche Waden, und schabt die Schminke vom Gesicht. Zum Vorschein kommt nun ein unbedeutender Kerl, wohl gar 'ne Jammergestalt mit grämlichen Runzeln und leichenhafter Haut.«

»Was hat das aber mit Dir zu tun?« stammelte Hulda.

»Mit mir? Sehr viel! bin ich doch selber solch ruppiger Komödiant.«

Hulda warf Gerhart einen Blick zu, als wolle sie sagen: »Hinter dem ungarischen Schauspieler steckt er vielleicht doch

»Herr Philosoph«, wandte sich Lamettrie an Helmut Burger – »Sie kennen Nietzsche, nicht wahr? seine Lehre von der Wiederkehr aller Dinge?«

Nicht etwa beschaulich hatte er so gesprochen, sondern hastig, einem gehetzten Wilde ähnlich, das vor Verfolgern flüchtet. Und als Helmut Burger nickte, fuhr keuchend der Greis fort: »Na ja, selbstverständlich verstehen Sie, was Nietzsche meint mit der Wiederkehr aller Dinge. Das Wahre daran ist, daß im Kosmos ein Kreislauf waltet. So zum Beispiel im April, wenn noch Eisgraupen wirbeln, treibt der Baum sein Laub – und wenn der Sturm im Spätherbst heult, fällt das welke ab – so geht es wieder und wieder – immerfort im Kreise. Wie ein Göpel ... Sie wissen doch, was ein Göpel ist? Eine Drehmaschine, wie 'ne Kaffeemühle – aber ein Pferd dreht sie, ein hageres Vieh, das zu nichts Flotterem mehr tauglich ist. Stund um Stunde trottet es im Kreise herum, matt und stumpf im Sande ... Das ist die Wiederkehr aller Dinge. Alles, was einmal geschah, kehrt immerfort wieder, in genau demselben Zusammenhang – kehrt ewig wieder.«

»Laß gut sein, Onkel!« unterbrach ihn Gerhart – »strenge Deinen Kopf nicht an!« Gestört durch diesen Ratgeber, der sich in den Lauf der Gedanken einmischte, zog Lamettrie die Augenbrauen zusammen und blickte stechend: »Was beliebt, Herr Linde? Ich bin – ganz klar!«

Gerhart Linde stutzte und enthielt sich jeder Antwort. Fragend blickte er auf Hulda, und diese wandte sich aufseufzend an den Greis: »Aber, lieber Onkel, was ist das? Unsern Gerhart redest Du Herr Linde an? Er ist doch Dein Neffe

»Das ist er ebensowenig, wie ich Lamettrie bin«, knurrte der Alte – » Möller bin ich. Und was faselt Herr Linde da von Philosophie? Ah so! er ist Doktor geworden und sieht in der Philosophie schöngeistiges Geschwätz über Doktorfragen. Den Teufel auch! Solcher Kohl kümmert mich nicht. Aber im vorliegenden Fall ist Philosophie nichts Akademisches, sondern meine eigenste Sache. Nämlich die abgetriebene Schindmähre am Göpel, wer ist das? Ich trotte rundum, in einem sinnlosen Kreislauf. Möller wird Lamettrie, Lamettrie wird Möller. Ist das nicht jenes Höllenrad der Griechen? jenes blödsinnige Ding der Unterwelt, mit dem Ixion ewig gequält wird? Drehen muß ers, wie die Schindmähre den Göpel – doch alles Drehen bleibt sinnlos, bringt nichts vorwärts – der Vergangenheitsplunder bleibt am alten Flecke. Zerschlagt doch das Rad! zerschlagt die Wiederkehr aller Dinge!«

Der Sonderlings Blick flatterte angstvoll wie ein Vogel, der sich in eine Stube verflogen hat und an der Fensterscheibe zappelt. Abermals begegnete dieser Blick dem beobachtenden Auge Gerharts – und drohend blieb er an ihm hängen: »Na was denn, was ist, Herr Linde? Was umlauern Sie mich? Sagen Sie doch mal offen heraus! was haben Sie vor? Wollen Sie mich etwa wieder ins Narrenhaus bringen?

Während dieser Worte war Friedrich erschienen. Er mußte gerannt sein, denn er war außer Atem. In seinem erblichenen Gesicht zuckte Mitleid, auch argwöhnische Entrüstung; wild blickte er ringsum: »Was geht hier vor?« polterte er, an Lamettries Seite tretend, mit einem drohenden Blick auf Gerhart – »Sie haben meinen Herrn wieder mal gereizt! Das müssen Sie gefälligst unterlassen!«

Hastig emporgerichtet, streckte Lamettrie bittende Hände nach dem Beistand aus: »Oh yes, my friend! Ich werde hier nicht verstanden! Dieser Doktor Linde umlauert mich – oh!« Und aufspringend packte der Alte seinen Diener bei den Schultern und rüttelte ihn: »Ich flehe Dich an, Friedrich, hilf!«

Friedrichs Gesicht verzog sich, als wolle er weinen. Dann seinen Herrn umarmend, klopfte er ihm begütigend den Rücken: »All right, my dear mister, ich begreife! Man will Ihnen nicht glauben. Ich aber – bin Ihr Zeuge – vor der ganzen Welt!«

Sein aufgeregtes Wesen konnte auf Lamettrie nicht beschwichtigend wirken. Um nun diese täppisch-gutmütige Art zu dämpfen, redete Frau Belling nebst Hulda auf ihn ein. Das eifernde Jammern dieser vier Menschen gab ein Stimmengewirr, und Gerhart sah seinen Freund achselzuckend an.

Als sei hier Gerichtsverhandlung, deklamierte Friedrich: »Ja wohl! auf mein Gewissen nehms ich ...«

»Regen Sie sich nicht auf!« fuhr Frau Belling dazwischen.

Aber noch mehr gereizt, reckte Friedrich die Hand zum Schwure und brüllte: »Bei meinem Eid, Herr Lamettrie ist ...«

»Na was denn? meinte Gerhart patzig.

»Was er eben ist! wirklich ist

»Jawohl«, wimmerte der Schwermütige – das weiß mein Friedrich, der versteht mich. Ich bin – hören Sie's alle! Ich bin – oh!«

Da hatte Gerhart seine Geduld verloren und polterte: »Na zum Kuckuck! was denn ist der Onkel?«

»Ich bin weder Ihr Onkel, noch überhaupt ein Onkel!« fuhr der Alte auf und seine Lippen bebten.

Friedrich, den solches Auftrumpfen seines Herrn nur bestärken konnte, kollerte wie ein gereizter Puter: »Sie verkennen ihn, Herr Linde! Mein Herr ist und bleibt jener bewußte monsieur le Lamettrie! ja wohl! er ist Herr Lamettrie!«

Als sei unter die Aufgeregten ein kalter Blitz gefahren, war auf einmal alles stumm – dem Sonderling sogar stockte das Wort. Und sein Faktotum anstarrend, lallte er ängstlich: » Was denn? Ich? Wer soll ich sein? Monsieur le baron de ...? Nicht doch! nicht doch! guter Mister. Jetzt müssen Sie doch begreifen: Ich bin das keineswegs! Sondern leider bin ich – Möller! der unselige Schuft Ignatius Möller bin ich!«

Da war nun Friedrich der Gelähmte. Er starrte seinen Herrn halboffenen Mundes an. Der Greis aber eiferte kläglich: »O Gott, o Gott, was hab ich angerichtet! Selbst meinem Friedrich hab ich den Kopf verdreht.«

Helmut Burger, der bisher Teilnahme für Lamettrie, ja eine gewisse Verehrung für seine vornehme Art gehabt hatte, fühlte sich verstimmt, wie wenn zusammenspielende Musiker auf einmal die Noten verwirren. Sich abwendend, blickte er zur Glasveranda, auf die unschuldig lächelnden Blumen. Und ihn durchbebte der seufzende Zweifel: Was tu' ich hier? Ist es nicht ratsam, daß ich mich zurückziehe von diesen verschrobenen Angelegenheiten, die doch nichts für mich sind und mich nichts angehen? Rücksicht freilich muß ich nehmen, bin ja hier Gast!

Wieder den Aufgeregten zugewandt, sah Helmut, wie der wunderliche Möller-Lamettrie auf das Liegepolster sank. Unter den matten Kopf schob Hulda ein Kissen: »Bleib ganz still, lieber Onkel! Laß gut sein! gleich bringen wir Dich in Deine Einsiedelei.«


 << zurück weiter >>