Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

39. Das Maschinen-Gespenst

Blutrot war die Sonne aufgegangen, ein banger Traum hatte den Alten heimgesucht, und als er von vermeintlichem Fingerschmerz erwachte, hörte er den Regen von der Dachrinne plätschern und hüllte sich in seine dünne Decke, weil ihn fror.

Welch ein widerlicher Traum! der Generalpächter, dem die Lamettrischen Museen zur Ausnützung übergeben waren, widersetzte sich dem Verlangen des Onkels, sich um Programmfragen zu kümmern, und hinfort keinerlei Humbug zu treiben; höhnisch schwenkte er seinen Kontrakt, dessen Bestimmungen im Traum mit drei wunderlichen Siegeln bekräftigt waren. In das erste war eine Spinne eingesiegelt, die mit den Beinen zappelte, und der Onkel dachte an den Volksglauben:

Spinne am Morgen
Bringt Kummer und Sorgen.

Das zweite Siegel enthielt einen lebendigen Krebs, und darin sah der Onkel ein Symbol für geschäftlichen Rückgang. Im dritten Siegel war ein Skorpion, und als Lamettrie nach ihm griff, ob er tot sei, hatte das Tier nur auf der Lauer gelegen. Blitzschnell hob es den bestachelten Schwanz hintenüber, und seine Tücke stach den Finger.

Beim Erwachen fühlte der Onkel noch den Schmerz und merkte, es war ein Hautjucken. Aber zäh blieb die seelische Verstörung, und der Onkel grübelte über die Bestimmungen seines Newyorker Vertrags, der allerdings heikle Stellen enthielt ...

Schadenfroh grinste das Maschinen-Gespenst.

So nannte der Onkel eine Gestalt seines Museums, die sich unheimlich mit seinem Leben verwoben hatte. Es war ein Automat, der das rasierte Gesicht des Onkels wie es vor etwa zwanzig Jahren gewesen war, verblüffend naturgetreu abbildete, so daß der Sonderling in ihm gewissermaßen seinen gespenstischen Doppelgänger hatte und daher mit abergläubischer Scheu darauf blickte. Obwohl einerseits entzückt über das überaus effektvolle Werk seiner Erfindungskunst, fühlte er allmählich Grauen davor, ja einen Haß, der aus untersten Tiefen seines Wesens kam. Er ahnte, dieser Lamettrie – was er in den Philosophen hineingelegt hatte – sei am Elend seines Lebens schuld ...

Ja, das war's, was er dem geduldigen Helmut noch zu bekennen hatte; zu seiner Lebensbeichte gehörte das.

Als er sich erhoben und aus der traumhaften Beklommenheit durch sorgfältige Toilette einigermaßen frei gemacht hatte, verließ er die Einsiedelei, freudig begrüßt vom treuen Pudel, der in seiner Hütte beim Weinberghäuschen die Nacht zugebracht halte. Doch der Ernst seiner Aufgabe veranlaßte den Schwermütigen, dem Hund zu gebieten, an Ort und Stelle zu bleiben – wozu sich Mohrchen unzufrieden entschloß.

Der Regen hatte aufgehört, graue Wolken waren noch am Himmel.

Helmut kam dem bejahrten Freunde entgegen und sagte: »Guten Morgen, Onkel, wir haben Dich beim Frühstück vermißt – ich darf Dir doch jetzt dabei Gesellschaft leisten?«

»Du bist mir lieb, aber Frühstück hab ich heute nicht nötig; mich verlangt, Dir noch ein Kapitel aus meinem Leben zu bekennen und im Museum zu erläutern.«

Und dann, während sie gingen, erzählte er von seinem Traum und vom Maschinengespenst.

Friedrich, der beim Museum gewartet hatte, lief seinem Herrn entgegen, meldete freundliche Grüße von den Damen – und daß sie sich den Vorbereitungen zum Fest widmen möchten.

Der Onkel schien diesem Anliegen wenig Wert beizumessen, vielmehr trug er seinem Diener auf, Mister Davison sofort zu ersuchen, seinen Doppelgänger-Automaten zur Vorführung bereit zu halten.

Friedrich eilte voran, und die Beiden waren in ihr Gespräch vertieft.

»Bekannt ist Dir, Helmut, der alte Glaube an den Alraun, er wurzelt in der menschlichen Natur. Die abenteuerlichen Knollenformen einer gewissen Pflanze erinnern an Menschengestalt. Schon als Knabe hatten solche phantastischen Naturerscheinungen, ebenso wie die Masken, einen verwirrenden Zauber auf mich ausgeübt: Und als ich, ein heimlicher Rebell gegen meine kirchlich strenge Erziehung, der mechanistischen Weltanschauung verfallen war, trieben mich Gewissensqualen, die ich mir deshalb machte, in eine Gemütsverstörung hinein, die mir jenes Maschinengespenst als den bösen Dämon meines Lebens erscheinen ließen ...«

Im Lesesaal meldete Friedrich, daß alles bereit sei, Päch und Mister Steelhead waren zur Stelle, und nun begaben sich die Vier in ein graues Gemach.

Auf dem Tisch befand sich eine Bilderrahmung jenes Oel-Porträts, das angeblich den Philosophen Lamettrie, tatsächlich aber den Onkel im Kostüm der Rokokozeit darstellte.

Jetzt wurde die Flügeltür zum Nebengemach aufgerissen, ein Lakai, wie er damals gekleidet war, kündigte feierlich an: »Monsieur le baron de Lamettrie.« Unter tiefer Verbeugung ließ er dann die wandelnde Figur eintreten, die genau wie das Oelgemälde aussah:

Eine hochgewachsene Gestalt, mit Orden geschmückt, in blauem Staatsrock, Kniehosen weiß, Strümpfe von gelber Seide; unter majestätischen Brauen glühten die schwarzen Grübleraugen, die Miene war vornehm, der Schritt fest; die Stimme, die jetzt erscholl, ahmte parlographisch den Onkel nach: »Ich habe die Ehre, Ihnen darzutun, daß es der Technik gelungen ist, auf mechanischem Wege hervorzubringen, was der lebendige Mensch leistet. Erstens maße ich, ein Werk der Mechanik, mir an, Selbstbewegung zu haben, wie Gehen, Bewegen der Arme und Finger. Zweitens die Hauptleistung des Menschen, die dem Gehirn entspringt. Dieses empfindet, was von außen hereinkommt, und bringt Gedanken hervor. Das sind nun Leistungen, die mir, einem bloßen Automaten, auf dem Weg der Mechanik gelingen ...«

»Unsinn!« rief der Onkel. Der Automat aber fuhr unbeirrt fort: »Meine Maschinerie ahmt genau das Gehirn nach.«

Hohngelächter des Onkels.

Dann wieder kam aus dem Automaten die Stimme: »Zwar kaum begreiflich, aber Tatsache.«

»Schwindel!« grollte der Onkel dumpf. Die Kunstfigur trippelte etwas und gestikulierte mit den Händen. Dann klang es schwächlich: »Ich lasse jedem seine Meinung.«

Nun stellte sich der Automat mit gespreizten Beinen in Positur und sprach mit der Stimme des Onkels: »Um zu beweisen, daß ich das geehrte Publikum sehe, und daß ich denken kann, bitte ich einen Herrn, beliebig viel Finger hochzuhalten, ich werde dann sagen, wie viel es sind.«

Um das für den Onkel peinliche Verfahren abzukürzen, hob Helmut drei Finger der rechten Hand, und prompt kam die Antwort in derselben Stimme: »Drei Finger der rechten Hand ... Bitte, halten Sie noch einmal beliebig viel Finger hoch!«

Helmut hob die geballte Faust. Aus dem Automaten klang es: » Kein Finger, sondern die geballte Faust!«

»Humbug!« hohnlachte Möller-Lamettrie – »eine Klaviatur, die der Beobachter greift, läßt von einer Anzahl Antworten, die früher parlographisch aufgenommen sind, immer die passende los.«

Jetzt sprach der Automat, der noch immer mit gespreizten Beinen dastand und die Brauen über der Nasenwurzel zusammenzog, mit fremdem, etwas gequetschtem Ton: »Sie glauben mir nicht? Bitte, deuten Sie auf einen beliebigen Gegenstand dieses Zimmers! oder zeigen Sie etwas, das Sie bei sich tragen – für so was kann doch wohl nicht eine Klaviatur vorbereitet sein.«

Mit Hohn war das gesprochen, und im Onkel, der nichts erwiderte, kochte Entrüstung.

Helmut glaubte, der Aufforderung entsprechen zu sollen, sah sich um und nahm von dem Werktisch das Hackmesser, das auf seiner andern Seite zum Sägen eingerichtet war.

Als wäre sie verhüllt, kam die Stimme aus der Figur: »Ein Hackmesser, zugleich Säge, vom Werktisch aufgegriffen.«

»Vorrätig!« knirschte der Onkel – »war allerdings hierfür keine Antwort; eine Klaviatur gibt es für diesen Fall freilich nicht, – aber ein Bauchredner spricht für dich ... Halunke!«

Hiermit ergriff er das Hackmesser, trat vor, und gab dem Maschinen-Gespenst einen Hieb in den Nacken.

Nur noch mit einem Fetzen hing der Kopf am Rumpf – Möller packte die Figur und schleuderte sie seitwärts, so daß sie mit abschnarrendem Räderwerk am Boden lag.

Erblichen kam Mister Davison aus dem Nebenzimmer: »Weshalb entrüsten Sie sich so maßlos, Lord Lämittrei? Haben Sie doch drüben in Newyork selber die bauchrednerischen Antworten erteilt.«

»Das ist es ja gerade, was mich so empört« – schäumte der Onkel, zitterte und mußte sich setzen.

»Well«, sagte er dann gefaßt, »meine Leute taten, was ich anordnete, der Schuldige bin ich. Es ist eine unverschämte Gemeinheit von mir – von mir!«


 << zurück weiter >>