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38. Wie der Maschinenmensch Schach spielt

Zu der Vorführung der Denkmaschine, oder wie man sie in Newyork auch zu nennen pflegte, des schachspielenden Lords Lämittrei, erschien gegen 10 Uhr vormittags Helmut beim Museum, gerade als der Onkel von seiner Einsiedelei herunterhastete.

»Nun, also, Helmut, sollst Du sehen, wie der Humbug, den die Konkurrenz trieb, und den ich selber als damals heuchlerischer Volksaufklärer enthüllte, noch übertrumpft wurde – durch meinen unverschämten angeblichen Ueber-Humbug.«

»Nun denn, Onkel, so sei hinfort ehrlich, indem Du, nach Vorführung all' Deiner eigenen Tricks, diese selbst enthüllst.«

»Gewiß! So muß es mein Pächter fürder halten, er muß!«

In den Hallen des Mechanischen Museums waren die Herren von gestern versammelt, und sofort begab man sich in den Raum, wo der schachspielende Perser sich befand. An der Wand hing goldumrahmt das angebliche Porträt des Philosophen Lamettrie.

»Er sieht Dir verblüffend ähnlich«, bemerkte Helmut, und mißmutig kam die Antwort: »Daß der berühmte Philosoph so ausgesehen hat, ist ja Schwindel – kein Bild von ihm hat der Maler gehabt, sondern einfach mich hat er abgemalt, mich im Kostüm der damaligen Zeit ... Bitte, Mister Steelhead, halten Sie Ihren Speech, nach der bisherigen Art von Newyork.«

Und der amerikanische Impressario legte los: »Gentlemen! Nachdem ich Ihnen gestern gezeigt habe, mit was für Humbug unsere Konkurrenz ein ehrenwertes Publikum betrügt, indem sie in dem angeblichen Automaten einen Menschen versteckt hat, gebe ich mir die Ehre, Ihnen nunmehr einen echten Automaten vorzuführen, das Wunderwerk unseres hochedlen Lords Lämittrei, den Sie hier zunächst als Oelgemälde sehen.«

Wieder enthüllte Friedrich, indem er eine Schnur zog, das Gemälde des historisch kostümierten Onkels. Möller duckte sich, als ob ihn Furcht anwandle, vor dem ordengeschmückten Vorleser des großen Königs, den Blick abgewandt.

»Und nunmehr sehen Sie denselben Lord Lämittrei in bildhauerischer Wiedergabe als Automaten

Die Verhüllung sank nieder, und jetzt war der Onkel als Wachsfigur wiedergegeben. Die Züge entsprachen dem Gemälde, ihr geistiger Ausdruck, ein überlegenes Grübeln, war betont. Vom Halse an war der Automat bis auf den Boden hinunter eine gläserne Säule, in der man das mechanische Werk genau beobachten konnte: tickende Zahnrädchen, scheinbar in Diamanten gelagert und mit feinen Drähten versehen.

»Die Durchsichtigkeit leistet Ihnen die Gewähr, daß hier kein Mensch versteckt ist, daß also die Schachzüge automatisch erfolgen. Die Schachzüge, die ein beliebiger Partner aus dem Publikum tun mag, beantwortet unser Maschinenmensch in Gegenzügen, deren seine Logik uns beweist, daß hier die Mechanik etwas leistet, was in der Natur als geniales Denken auftritt. Dies hier ist der Gipfel der Erfindungskunst! eine denkende Maschine ...«

»Frecher Volksbetrug!« zischelte entrüstet der Onkel. Aber unbeirrt fuhr der Impressario fort: »Vielleicht nimmt wieder Herr Doktor Burger dem Automaten gegenüber Platz. Bitte, fangen Sie an!«

Helmut entsprach der Aufforderung, bedachte sich nicht lange und ließ, um zu verblüffen, seine beiden Springer vor die Front hüpfen. Der Automat antwortete sofort mit dem üblichen Vorschieben seiner beiden Mittelbauern.

Helmut fuhr fort, nahezu planlose Züge zu machen, und bald kam aus dem Mund der Wachsfigur, die dabei ihre Lippen regte und die schwarzen Augen rollte, die spöttische Ansage: »Schach matt!«

»Nun geben wir die Aufklärung! Dieser sogenannte Automat ist selbstverständlich keiner! grollte der Onkel – »Friedrich, öffnen Sie die Tür zum Nebenzimmer! Und treten wir ein!«

Innen saß grüßend Mister Davison, der hinausgeschlüpft war, während die Aufmerksamkeit Helmuts durch die enthüllte Wachsfigur gefesselt wurde.

»Nun erklären Sie den Humbug!« verlangte düster der Onkel, und Davison lächelte: »Sehr einfach! Vor mir habe ich hier, wie Sie sehen, zweierlei Schachbretter; das eine sind die 64 Felder und diese sind mit den Feldern des Schachspiels nebenan durch elektrische Leitung derart verbunden, daß die Bewegung der Figuren – etwa vom 16. zum Z2. Feld, dann vom 8. zum 24. – sich hierher mitteilt, und auf meinem zweiten, dem danebenstehenden Figurenbrett mir veranschaulicht wird. Meine Gegenzüge, die ich natürlich wie ein gewöhnlicher Spieler mache, übertragen sich – gleichfalls elektrisch – auf das Schachbrett des Automaten, und meine Worte durch ein einfaches Sprachrohr auf den Mund der Wachsfigur. Deren Innenmechanik dient teilweise dazu, die Übertragung der Züge von dort nach hier, sowie umgekehrt, zustande zu bringen; andernteils soll sie eine höchst verwickelte wunderbare Technik vortäuschen

Lächeln mußte man über diese einfache Aufklärung des verblüffenden Denk-Automaten Lord Lämittreis.

»Mit solchem Schwindel hab ich in einer Seitenstraße des Times-Square die Dollars zusammengescharrt«, gestand der Onkel mit finsterer Zerknirschtheit – »mein Publikum setzte sich vorwiegend aus Emporkömmlingen und Negern zusammen.«

»Nun, was glaubst Du, Onkel? Wenn Du Deine Tricks hinfort enthüllst – wie wird Dein Publikum es aufnehmen

»Vielleicht zerstört es mir die Zauberbude.«

»Wer weiß?« lächelte Helmut – »warten wir ab!«

»Ja, zerstören!« grollte der Alte weiter – » das wäre am einfachsten! Rottet sie aus, die ganze Schwindelei! Aber Einrichtungen, die sich aus dem blöden Unverstand der Menge entwickelt haben, sie tauchen immer wieder auf ... Was meinen Sie, Herr Päch? Sie sind ja, ähnlich wie ich, so ne Art Schlemihl. Mit Ihnen und meinem Freund Helmut möcht ich nunmehr im Lesesaal eine Tasse Mokka nippen. Neulich hab ich Sie beide so rasch verlassen, weil ich ein grilliger Querkopf bin ... Misters!« wandte er sich an Steelhead und Davison, die verlegen dreinschauten – »Ich will Sie nicht weiter bemühen! Sie kennen nun meine Absichten. Wenn Sie darüber meinem Generalpächter Ihre Meinung melden würden – sei sie nun in meinem Sinne, oder im entgegengesetzten – so könnte es mir nur lieb sein ... thank you!« Mit einer Höflichkeitsgebärde entließ er die beiden Angestellten.

»Uff!« seufzte er, als sie gegangen waren, »ich ertrag's nicht länger, mich in der Lamettrie-Maskerade zu sehn, Höllenfolter wird es mir ... ecrassez l'infame! so wär's am besten.«

Während Friedrich das Porträt und die Wachsfigur verhüllte, begab sich der Onkel mit Helmut und Päch in den Saal der Bücherei, wo sofort die Kaffeemaschine in Funktion trat.

»Bedenkt!« eiferte der Onkel weiter – » verrückt hat mich die Maskerade gemacht! Ja, ein Irrsinniger bin ich diese lange Zeit gewesen! Ich will Euch jetzt davon erzählen. Auch Du, Friedrich, sollst Dir's zur Aufklärung dienen lassen.«

Schweigend saßen die Herren auf Ledersesseln um den hergerichteten Kaffeetisch herum, der Onkel starrte in seine Vergangenheit.

»Als ich von meinem Gewissen über das mit Julia zur Rede gestellt, mich in mein hergebrachtes Rollenspiel flüchtete und in die heuchlerischen Theorien von der doppelten Wahrheit, fand ich anfangs etliche Beruhigung in Lamettries ehrlichem Mechanismus – zunächst noch ohne die krankhafte Einbildung, ich sei mit diesem Philosophen identisch. Doch schon von Gewissensängsten gefoltert, suchte ich Ablenkung an den Spieltischen von Ostende und Scheveningen. Am Spielteufel wäre ich zu Grunde gegangen, hätten mich die Reihen meiner Verluste nicht auf den Entschluß gebracht, durch ein mit Mechanik irgendwie verbundenes Geschäft meinen Lebensunterhalt zu erwerben.

Da brachte mich der Titel des Lainettrieschen Buches »L'homme machine« auf die Idee, mit einem mechanischen Cabinet durch die Welt zu ziehen – und mein erster Maschinenmensch entstand.«

Möller-Lamettrie zögerte, als ob das Besinnen schwer falle, dann ging ein Blitzen durch sein düsteres Auge, und er fuhr fort: »Aber nur der Vorläufer des späteren Maschinenmenschen war's – ein automatischer Matrose, der in eine Kneipe tritt, wo ihm die Kellnerin einen Brandy bringt, während er seine kurze Pfeife anzündet und sein Gläschen austrinkt. Hauptsache war dabei die Gummihaut der Gesichter und das Mienenspiel. In Hafenstädten hatte ich hiermit Glück. Auch mit andern Erfindungen. Doch in Newyork war mein Laden zu teuer, und im Publikum verrechnete ich mich ... nicht wahr, Friedrich? wir hatten uns damals gefunden, und als ich in die Wildnis ging, um neue Ideen zu finden, war Friedrich mein getreuer Sancho Pansa ...«

Wehmütig war der dankbare Blick, den Friedrich für den Alten hatte – und er nickte sinnend: »Ja, das war für Unsereins eine schöne Zeit!«

»Auch für mich«, fuhr der Alte fort – »wäre sie heilsam geworden, hätte mich in der einsamen Wildnis nicht die Schwermut befallen, der Vorbote des Euch bekannten Möller-Elends. Und nun schlössen sich meine bösen Geister zusammen, der Giftdunst ballte sich zur Wetterwolke. Don Quixote verfiel auf den Lämittrei-Automaten und wurde beim Grübeln über den Mechanismus vom Wahn befallen, ich sei der Philosoph Lamettrie, der sich durch ein Lebenselixir erhalten habe ... Versteht Ihr nun einigermaßen, wie alles kam? Siehst Du, Helmut, so ist Dein Onkel der grauköpfige Narr geworden, und da sitz ich nun in den Wirrsalen, in die mich meine Dollar-Gier verstrickt hat ... Hier unter den Porträts eines Spinoza und Kant sitz ich mit meinem Sancho Pansa ... wie ein anderer König Lear – mit seinem getreuen Hofnarren – verzeih, Friedrich! – einsam auf herbstlicher Heide sing ich das schwermütige Regenlied: Und der Regen, er regnet Tag um Tag.«


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