Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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98.

Marwitz an Rahel.

Wiesbaden, d. 26t. Decbr. 1813.

Hier sitze ich, liebe Rahel, im Wirtshaus; es ist eben acht Uhr Morgens vorbei, und ich brenne noch Licht. Ich gehe heute zu meiner Brigade nach Langenschwalbach; ich bin nämlich in den Generalstab der Blücherschen Armee versetzt und komme als erster Generalstabsoffizier zur ersten Brigade des Yorkschen Armeekorps – alles infolge des Briefes, den ich an den General Müffling schrieb, und den mir Böhm besorgte. Ich treffe in Langenschwalbach Willisen, der mit dem General Hünerbein dort steht. Meine Reise war nicht unangenehm. Das Wetter war häufig wie an den angenehmsten Tagen des anfangenden Frühlings; so unter anderm, wie ich durch Karlsbad ging; der Ort gefiel mir unglaublich. Die besten Menschen, die schönsten und stärksten Männer fand ich im Bayreuthischen: sie sind auf eine rührende Weise preußisch gesinnt, und doch läßt man sie wahrscheinlich im Stich. So wie man ins Katholische hineinkommt, gegen Bamberg zu, wird alles häßlich; nichtssagende, verdumpfte Gesichter. Hübsche Weiber habe ich fast seit Prag nicht mehr gesehen; je mehr man sich auf dieser Seite dem Rhein nähert, desto plumper werden die weiblichen Gestalten, auch die Gesichter verlieren alle Feinheit. Frankfurt traf ich ziemlich verödet, wie ich den 14. ankam, die Kaiser und die Garden waren weg; die Stadt ist recht hübsch, hat palastartige Wirtshäuser (von außen nämlich), übrigens ist sie nicht mehr im geringsten so, wie sie Goethe beschreibt, sie hat sich erstaunlich modernisiert; ich war ein paar Tage bei einem braven, ruhig freundlichen und gesetzten Kaufmann einquartiert, der eine recht gescheute, liebenswürdige Frau und hübsche blasse Kinder hatte. Was ich dort sah, scheint ziemlich allgemeiner Ton zu sein, und danach zu urteilen herrscht viel Sitte in Frankfurt, auch ist man in der Bildung nicht zurück, besonders scheint man Musik zu lieben. Das Orchester im Theater ist besser als irgend eins, das ich je gehört. Meine Stimmungen, seit ich Sie verlassen, sind eben nicht die angenehmsten gewesen. Die Reise war für eine Reise im Winter und auf Vorspannwagen recht gut, aber noch immer fatal, und seit ich hier bin, habe ich mich den ganzen Tag in bornierten und sich immer wiederholenden Gesprächen herumtreiben müssen; bis auf wenige Momente mit dem kleinen Gerlach. Da die Österreicher über den Rhein gegangen sind, wird es unfehlbar auch bald mit uns losgehen.

Wiesbaden, d. 29t. [Dezember 1813].

Ich habe den Brief ein paar Tage liegen lassen, und jetzt kann ich ihn nicht fortsetzen; wir brechen auf. Ich schreibe Ihnen nächstens, wohin Sie mir einen Brief adressieren können. Grüßen Sie Augusten [Brede]. Adieu.

A M.

Es ist anzunehmen, daß bei dem wechselnden Aufenthalt Marwitzens Briefe der Rahel an ihn verloren gegangen sind. – Friedrich Ferdinand Karl Frh. von Müffling, damals Offizier in Potsdam, später Generalfeldmarschall.


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