Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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93.

Rahel an Marwitz.

Mittwoch, d. 30t. Dezember 1812.

Marcus will sich mit Coupons bezahlt machen, ich habe gestern mit ihm gesprochen. Heute ist Mittwoch, der Tag, wo keine Journalière reist, also können Sie vielleicht diesen Brief erst übermorgen erhalten. Die Schleiermacher war gestern Morgen bei mir; wir haben recht viel gesprochen, ich fand sie ganz gefaßt, ganz gelassen und einsichtiger, als man sich es nur irgend vorstellen könnte, sehr gerecht auch gegen sich selbst. Ich war auch sehr wahr gegen sie, welches sehr gut in ihr wirkte und noch wirken wird. Wir sprachen nämlich nur in Bezug auf Sie und der Geschichte. Das Resultat oder vielmehr das Ende unsers Gesprächs war, daß sie mich fragte, ob ich Ihnen schreiben würde, und mich dann bat, Sie recht herzlich zu grüßen, mit dem innigsten, aber gelassendsten, obgleich glänzendstem Ausdruck im Gesicht, Ton und ganzem Wesen, und daß sie mir sagte, daß – aber auch gefaßt und gelassen genug – sie sich Vorwürfe mache gesprochen zu haben überhaupt: denn sie könnte mir sehr darlegen – wie ich es auch glaubte –, daß sie ganz gewußt habe, was sie Ihnen sein könnte. Sie meinte, sie würde nicht wieder aus der Fassung kommen, und das Ende war, daß wir übereinkamen, daß ja nun alles klarer wäre und wahrer stände, wenn auch noch Augenblicke der verwirrenden Wallung kämen, – jetzt meine Worte, doch nur auszudrücken, was sie sagte. Nun seien Sie auch nicht zu nachlässig – das kann kommen –, untersuchen Sie sich nur, alles in sich zurecht zu stellen, die gehörige Frage in sich anzustellen, die trockensten Bejahungen auszusprechen auf die Frageform, ist's nicht so? und sich auch die wahre Haltung durch Ruhe und Klarheit zu geben. Pardon! so würde ich zu mir selbst sprechen. Von mir? Sehen Sie in mein Herz, wenn Sie können; Sie kennen meine Bestandteile, Sie wissen alles von mir, um jedes wissen zu können. Vergessen Sie nicht, que dieu m'a fait le coeur rebell et doux, je n'ai jamais pu le changer. Daß ich am großen Verdruß knurre wie die großen Pudel, von denen ich sprach, und daß nur aufheiternde Ereignisse oder göttliche innere Erleuchtungen mich beleben können. Also was soll ich schreiben, was soll ich fragen, was kann ich tun ohne die Götter? Das innerste Herz spricht mich endlich frei, und ich kann nicht viel mehr Bewegungen machen. Despotisieren Sie, wenn Sie wollen; mir ist's lieb und recht. Gott schütze Sie! Herr von Gerlach war gestern Morgen hier, aber Dore mußte ihm absagen, ich war beim Waschen und schon von der Schleiermacher unterbrochen. Es tat mir sehr leid.

Rahel.


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