Rahel Varnhagen von Ense
Rahel und Alexander von der Marwitz in ihren Briefen
Rahel Varnhagen von Ense

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89.

Marwitz an Rahel.

Potsdam, Freitag d. 5t. Septbr. 1812.

Marcus hat mir eben einen Boten geschickt, der die Papiere von Meyer abholen soll. Durch ihn erhalten Sie diese Zeilen, liebe Rahel. Hamlet fragt den Rosenkranz, wie er sich befinde; nicht auf den Knopf an Fortunens Mütze, antwortet der. Doch auch nicht unter ihrer Sohle, erwidert Hamlet. Nein, gnädiger Herr, sagt Rosenkranz. So ich auch. Es geht passabel, aber zerstreut und leer fühle ich mich. Ich badete heute morgen früh, dann kam Gerlach, mir sehr zur ungelegenen Zeit, und machte Konversation, er ging, ich schrieb einen langen Geschäftsbrief mit großer Geistesabwesenheit an meinen Bruder; so wurde es halb zwei; ich ging mit Willisen, um Gerlach und Stuhr zum Essen auf dem Torno, einem Wirtshaus an dem Havelsee mit sandiger arider Umgebung und der Aussicht auf schlechte Fichtenberge. Es wurde über Ludwig XIV., St. Simon, Richelieu, kurz das alte Frankreich, nicht dumm, aber auch nicht neu, es wurde nichts erfunden. Nach Tisch spielte ich viele Partieen Billard, worauf immer in mir Zerstreuung und Öde im Geist folgt. Um fünf fuhren wir über den See zurück. Regierungsräte, denen wir begegneten, riefen mir zu, daß ein Bote suche mich, und sie hätten ihn in mein Quartier gewiesen. Ich erschrak; Angenehmes konnte mir auf diesem Wege nicht begegnen, und ich zweifelte, daß es etwas Gleichgültiges sein würde. Ich schickte die andern nach Sanssouci, ging hierher, besorgte dies und das, ruhte mich aus, und so ist es halb acht geworden. Ich habe nun Licht. Morgen Mittag reise ich nach Dessau, ich fürchte mich doch etwas vor Stuhls Gesellschaft, er ist nicht sinnig; er sieht wenig, nichts mit inniger, tiefer, liebender Phantasie. Gerlach bemerkte ganz richtig, er sei oft interessant, wenn er rede, aber nie, wenn er schweige. Stuhr, Willisen und Gerlach sind nun hier, vom Spaziergang zurückgekommen. Adieu also, liebe Rahel.

A.M.

Graf Zichy war österreichischer Gesandter in Berlin. – Adolf Friedrich Sigismund von Warburg, preußischer Rittmeister. – Der Bericht über Willisen bezieht sich wahrscheinlich auf einen Fluchtversuch. Vgl. Br. 64. – Der S. genannte ist nicht festzustellen, kann Salemon oder Schleiermacher sein.


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